Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

Forschung spezial


mente zu finden. Denn die Wir-
kungsweise von Pharmazeutika
beruht letztlich immer darauf, be-
stimmte Proteinfunktionen ent-
weder zu blockieren oder zu ver-
ändern. Dafür muss ein Wirkstoff
gefunden werden, der durch seine
molekulare Struktur genau in die
Struktur eines bestimmten Prote-
ins passt und dessen Funktion da-
mit verändern oder ausschalten
kann. Erschwert wird diese Suche
dadurch, dass Proteine in der Re-
gel hochkomplexe dreidimensio-
nale Strukturen aufweisen. Noch
dazu sind sie nicht starr, daher
muss auch die Dynamik stimmen,
damit sich ein Wirkstoffmolekül
entsprechend einklinken kann.

Zelluläre Angriffsziele
Ein Angriffsziel auf die Corona-
Infektion ist der sogenannte
ACE2-Rezeptor, der tief in der
Lunge in Epithelzellen liegt,
sagt Infektionsbiologin Knapp. An
ACE2 dockt das Virus mithilfe des
Spike-Proteins an, um in die Lun-
genzellen zu gelangen. Der Rezep-
tor darf allerdings nicht deakti-
viert werden, weil er bei akutem
Lungenversagen, das ein zentrales
Problem bei schweren Covid-19-
Erkrankungen darstellt, eine sehr
positive Rolle spielen kann.
Knapp hält den Ansatz, den
das Wiener Biotechunternehmen
Apeiron verfolgt, für vielverspre-
chend: Das vom österreichischen
Genetiker Josef Penninger gegrün-

D


er Name Coronavirus
kommt nicht von ungefähr.
Als Wissenschafter zum
ersten Mal die Struktur eines Ver-
treters dieser Virusfamilie unter
dem Elektronenmikroskop er-
blickten, mussten sie unweiger-
lich an kleine Kronen denken. Das
war in den 1960er-Jahren–seither
hat sich die Mikroskopie enorm
weiterentwickelt und liefert heu-
te ein anderes, besseres Bild. Statt
zackiger Krönchen ähneln die
Coronaviren eher Igelbällen, die
für Massagen oder gegen Stress
eingesetzt werden: Sie sind rund
und haben viele stachelartige
Strukturen an der Oberfläche. Der
lateinische Ausdruck für Krone –
Corona–ist ihnen aber geblieben.
Mehr als 40 Coronaviren sind
heute bekannt, die eine Vielzahl
von Säugetieren und Vögeln
infizieren können. Lange Zeit be-
schäftigten sie vor allem die Vete-
rinärmedizin, weil sie Krankhei-
ten bei Schweinen, Rindern und
Geflügel verursachen. Zwei Coro-
navirus-Arten lösen auch Erkäl-
tungssymptome beim Menschen
aus–mit unangenehmen, aber un-
gefährlichen Folgen.
Das änderte sich Ende 2002
schlagartig: Ein Coronavirus
sprang damals von einer Fleder-
maus auf einen Menschen über, in
der Folge infizierten sich weltweit
Menschen damit und erkrankten
am schweren akuten Atemwegs-
syndrom (Sars). Rund 800 Perso-


nen starben. 2012 tauchte zum
zweiten Mal ein gefährliches
Coronavirus auf, das vor allem auf
der Arabischen Halbinsel gras-
sierte: Mers, das von Dromedaren
übertragen wurde. Mit Sars-CoV-
2ist nun einem weiteren Corona-
virus der Sprung vom Tier auf den
Menschen gelungen–und es ver-
breitet sich in einem unvergleich-
baren Ausmaß um den Erdball.
Noch gibt es keine Impfungen
und Medikamente, die der Infek-
tion Einhalt gebieten können–ge-
nau daran forschen Wissenschaf-
ter auf Hochtouren. Derzeit laufen
mehr als 40 Projekte zur Entwick-
lung von Impfstoffen. Bis Massen-
impfungenverfügbarsind,wirdes
aber lange dauern. Die vorder-
gründigen Hoffnungen richten
sich daher auf Medikamente, mit
denen sich die durch das Virus
ausgelöste Lungenerkrankung
Covid-19 behandeln lässt.

Pharmazeutische Abkürzung
„Die größten Chancen für
schnelle Behandlungserfolge lie-
gen im Drug-Repurposing“, sagt
Sylvia Knapp, Professorin für In-
fektionsbiologie an der Med-Uni
Wien. Bereits zugelassene Medi-
kamente werden dabei auf ihre
Wirkung gegen Corona getestet –
sie könnten weitaus schneller ein-
gesetzt werden als neu entwickel-
te Präparate, die erst aufwendige
Verfahren durchlaufen müssen.
Die gute Nachricht: Da Coronavi-

Steckbrief einesUnheilbringers


Wissenschafter haben schon einiges über dieFunktionsweisevonCoronaviren herausgefunden.
Diese Einsichtenwecken dieHoffnung, dass bald spezifischeMedikamenteverfügbarwerden.

David Rennert, Tanja Traxler, Peter Illetschko

dete Unternehmen hat im Zuge
der Sars-Pandemie 2002/2003 ein
biotechnologisch hergestelltes,
lösliches ACE2-Protein entwi-
ckelt, das das Sars-Virus abfangen
und Infektionen dämpfen konnte.
Derzeit wird eine Studie zur Wir-
kung bei schwerem Lungenversa-
gen durch Covid-19 vorbereitet.
Andere Ideen setzen ebenfalls
beim Verhalten des Coronavirus
im menschlichenKörper an. Um
sichzuvermehren,mussesanZel-
len anheften und in sie eindrin-
gen. Dafür verwendet das Spike-
Protein neben ACE2 auch andere
Enzyme wie die zelluläre Protease
TMPRSS2, sagt Knapp. Auf dieses
Enzymsindaucheinigebereitsge-
testete und freigegebene Medika-
mente gerichtet, etwa Camostat,
das zur Behandlung chronischer
Bauchspeicheldrüsenentzündun-
gen eingesetzt wird. Erfolge er-
hofft man sich auch von Studien
mit Remdesivir, einem gegen Ebo-
la entwickelten Medikament, das
sich als wirksam bei Sars- und
Mers-Infektionen erwies.
Klinische Studien zu Wirksam-
keit und Verträglichkeit braucht
es natürlich trotzdem, ehe ein
bereits zugelassenes Medikament
für eine neue Erkrankung ein-
gesetzt werden kann. Die interna-
tionale Zusammenarbeit vieler
Forscher und Behörden gibt aber
Hoffnung, dass dies in der ak-
tuellen Ausnahmesituation mit
höchster Priorität passiert.

ren seit Jahrzehnten bekannt sind,
ist ihre Biologie gut erforscht. Die-
ses Wissen verschafft Forschern
einen Vorsprung bei der Frage,
welche existierenden Medika-
mente gegen Sars-CoV-2 wirksam
sein könnten.
Um zu verstehen, was die
Wissenschaft in der Corona-Krise
Hoffnung schöpfen lässt, bedarf es
eines Blicks in die Substruktur
von Sars-CoV-2. Ein Virion–so
wird ein einzelnes Viruspartikel
bezeichnet–misst etwa 90 Nano-
meter und ist damit um mehrere
Größenordnungen kleiner als die
Zellen, die es in der menschlichen
Lunge infiziert. Es besteht aus vier
Proteinenund einemRNA-Strang,
der die genetischen Informa-
tionen des Virus trägt. Im Fall
von Sars-CoV-2 sind das 29.
Nukleotide, also codierte Baustei-
ne, die das Programm zur Verviel-
fältigung des Virus beinhalten.
Das auffälligste Protein hat die
Form stachelartiger „Spikes“ in
der Virushülle. Diese viralen
Enterhaken sind für die Bindung
an die Wirtszelle verantwortlich.
Zwischen den Spikes sitzen ein
Membranprotein und ein Hüll-
protein, die für die Stabilität des
Virions sorgen. Im Inneren der
Hülle befindet sich ein Kapsidpro-
tein, das den Bausteinen der RNA
als Gerüst dient(siehe Grafik).Das
Wissen um die Beschaffenheit der
Proteine des Coronavirus ist ent-
scheidend, um passende Medika-

Aufbau desCoronavirus


Spike(Bindungsprotein)


Membranprotein


Kapsidprotein


RNA


Lipidmembran


Hüllprotein


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Seite 23 Foto: MI-Lab
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