Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

32 |MITTWOCH, 18.MÄRZ2020DKommentar ERSTANDARD


dst.at/cartoons

Wo bleiben SchutzundHilfe?


Conrad Seidl

F


rankreichs Präsident Emmanuel Macron spricht von
einem „Krieg“ gegen das Virus. Die Schweizer Armee
bietet 8000 Milizsoldaten auf, darunter alle vier Spi-
talbataillone. Und das Bundesheer? Schickt seine wacke-
renGrundwehrdienerinzivileLogistikzentren,umdortPa-
ckerlnzuschupfen.NunistdieTätigkeitdesPackerlschup-
fens eine sehr sinnvolle und notwendige–aber eigentlich
keine militärische.
Das Versprechen des Bundesheeres–Slogan: „Schutz
und Hilfe“–ist in dieser Krise auf Hilfsarbeit reduziert.
Wie könnte das Bundesheer Schutz bieten? Etwa indem
es seine Sanitätseinrichtungen bereitmacht, um im Falle
eines verstärkten Anfalls an Corona-Patienten Bettenkapa-
zität anbieten zu können. Das geht aber nicht. Das Heer hat
nämlich gar keine Bettenkapazität mehr. Nicht für seine
eigenen Soldaten, schon gar nicht für die Bevölkerung.
Das ist nicht die Schuld der Militärs. Die haben vor Jah-
ren schon darauf gedrängt, die militärischen Sanitätsein-
richtungen so auszustatten, dass diese im Katastrophenfall
so hochgefahren werden könnten, dass daraus ein Reser-
vespital würde. Das hat den Pfennigfuchsern im Rech-
nungshof nicht gefallen–sie haben die geringe Auslastung
der Heeresspitäler kritisiert. Und die rot-schwarze Regie-
rung hat 2012 diese Krankenhäuser zu Tode gespart.
Jetzt rächt sich, dass man bei der Sicherheit keine Reser-
ven bilden, sondern lieber sparen wollte.


Whatever ittakes


Eric Frey

A


mSonntag hat das Vier-Milliarden-Euro-Hilfspaket
für Österreichs Betriebe noch großzügig ausgesehen.
Aber es erwies sich rasch als zu klein, denn die Wirt-
schaft kollabiert im Augenblick schneller, als sich das
Coronavirus ausbreitet. Deshalb bessert Finanzminister
Gernot Blümel jeden Tag ein wenig nach–und hechelt der
Entwicklung dabei ständig hinterher.
Einem Absturz der Weltwirtschaft kann er nichts ent-
gegensetzen, ebenso wenig dem Kursverfall an den Börsen.
Da ist Österreich vom Geschick der großen Notenbanken
sowie von der Politik der Trump-Regierung abhängig.
Aber ob tausende Händler und Gastronomiebetriebe ihre
Mitarbeiter auf die Straße setzen und in die Insolvenz
schlittern oder nicht, hängt vom Umfang der heimischen
Staatshilfe ab–und vom Vertrauen der Unternehmer, dass
die Mittel sie rechtzeitig erreichen.
In einer ähnlichen Situation in der Eurokrise hat der frü-
here Chef der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi,
2012 das berühmte „Whatever it takes“ gesagt: Er werde
alles tun, um den Euro zu retten. Das könnte auch Blümel
tun, indem er in seinem Budgetentwurf ein Hilfspaket ohne
Obergrenze in Aussicht stellt und erklärt, dass es keine Rol-
le spielt, wie tief sich Österreich dafür verschulden muss.
Blümel könnte dabei auch die türkise Budgetpolitik lo-
ben: Dank des bisherigen Sparkurses hat Österreich jetzt
den Spielraum, um diese erschreckende Krise zu meistern.


Zeit der Einkehr


Sigi Lützow

U


nnötig spannend haben es die europäischen Fußball-
verbände gemacht. Die Verlegung der Europameis-
terschaft stand schon fest, ehe sie schließlich erfolg-
te. Vor Tagen schon hat die europäische Fußballunion Uefa
Hotelzimmer storniert. Spatzen, die von Dächern pfeifen,
waren gar nicht notwendig. Ein Jahr später alsgeplant soll
das Turnierinzwölf Staaten also steigen, nicht schon im
Herbst diesesJahres. Der Zeitgewinn, vor allem für den
Klubfußball, der Meisterschaften und Europacup fertig-
zuspielenhat,könnte teuer erkauft sein. Denn für den
Sommer 2021 hat der Weltverband Fifa seinen lukrativen,
sportlichen Kropf namens Klub-WMmit 24 Teams in Chi-
na anberaumt–mit Spielen in Wuhan übrigens.
Die Reichsten der Reichen lockt die Fifa im Jahr vor ihrer
absurden Winter-WM in Katar an Chinas Fleischtöpfe.
Kaliber wie Real Madrid,Manchester City, Paris Saint-Ger-
main oder die Bayern müssen sich jetzt zwischen immer
noch einträglichem Sport, einer EM mit ihren besten Spie-
lern, und dem milliardenschweren Zirkus entscheiden.
Das Virus könnte behilflich sein, insgesamt die über Jah-
re hochgezüchteten Ansprüche der Wirklichkeit anzupas-
sen –auch bei der Uefa selbst. Denn auch in weniger pan-
demischen Zeiten bleibt ein Fußballturnier in zwölf Län-
dern mit den einhergehenden Fan-Strömen ein Unding.
Und der Blick auf das eigentliche Problem der Menschheit,
die Klimakrise, wird nicht auf ewig verstellt bleiben.


FUSSBALL -EMAUF2021VERLEGT


HILFE FÜR ÖSTERREICHSWIRTSCHAFT


OHNMÄCHTIGES BUNDESHEER


Fehler mit dramatischen Folgen


Am AKH und inTirolwurden Anti-Corona-Maßnahmenverantwortungslosverzögert


Saisonende zu–wohl um die Einkünf-
te eines weiteren lukrativen Wochen-
endes einzustreifen. Und als dann die
Behörden endlich aktiv wurden und
den Ort unter Quarantäne stellten,
wollte man die geldbringenden Gäste
vielerorts so rasch wie möglich los-
werden: Man forderte sie dazu auf, die
Hotels binnen weniger Stunden zu
verlassen–weshalb sie die Polizei
zum Übernachten in Hotels in ande-
ren Orten bringen musste.
Hunderte Menschen, etliche von
ihnen mit dem Coronavirus infiziert,
sollen auf diese Art übers Land verteilt
worden sein. Jetzt, wenige Tage spä-

ter, beginnen wir die Ernte dieses
Vorgehens einzuholen, in Gestalt ex-
ponentiell steigender Fallzahlen in
Österreich und hunderter, wenn nicht
tausender Infektionen in skandinavi-
schen Ländern.
Was kann in der Zeit einer Epidemie
verantwortungsloser als ein solches
Verhalten sein? Derzeit können wir
nicht mehr, als zu versuchen, mit sei-
nen Folgen umzugehen. Doch wenn
diesetiefeKriseeineshoffentlichnicht
allzu fernen Tages überwunden ist,
dann muss all das dringend aufge-
arbeitet werden. Und es muss Konse-
quenzen geben.

D


as Wiener AKH und der Tiroler
Skiort Ischgl haben in diesen
dramatischen Tagen der Coro-
navirus-Verbreitung etwas gemein-
sam. Es sind beides Orte, an denen
Verantwortungsträger mit Präventi-
ons- und Eingrenzungsmaßnahmen
viel zu lange zögerten, wo sie nur auf
das eigene Wohl schauten oder das Le-
ben so lange wie möglich weiterlaufen
lassen wollten wie davor–und damit
große Verwerfungen auslösten.
Eines nämlich hat sich nach vier
Monaten weltweiter Erfahrungen mit
Corona klar herauskristallisiert: Die-
ser Krankheitserreger nutzt zu seinem
Umsichgreifen jeden Tag des Auf-
schubs von notwendigen, wenn auch
einschränkenden und damit unbeque-
men Schritten. Um das Virus unter
Kontrolle zu bringen, muss man vor
allem eines sein: rasch.
Beispiel Wiener AKH, wo mit Stand
Dienstagnachmittag zwei Ärzte posi-
tiv getestet waren: Da fuhr vor zehn
Tagen eine Gruppe Doktoren dieses
größten und wichtigsten–und damit
auch angreifbarsten –österreichi-
schen Spitals zu einem Ärztekongress
in Zürs am Arlberg. Zu einem Zeit-
punkt, als sich das Corona-Infektions-
risiko unter Angehörigen der beson-
ders exponierten Klinikberufe ange-
sichts der Lage in den am stärksten
betroffenen Regionen Norditaliens be-
reits herumzusprechen begann. Der
Kongress wurde denn auch vorzeitig
abgebrochen, doch da war der Scha-
den bereits angerichtet.
Warum konnten die Ärzte diese
Reise überhaupt antreten, sei es
dienstlich oder privat? Wo waren die
verantwortlichen Vorgesetzten, die
sich rechtzeitig ein klares Bild der
Lage gemacht und Mitarbeiterfahrten
jedweder Art rechtzeitig verboten hät-
ten –auch jener, die „unbedingt not-
wendig“ erschienen? Hier muss von
mangelnder Anweisungsklarheit und
damiteinemVersäumnisausgegangen
werden–denn Krankenhäuser sind in
dieser Krise die mit Abstand gefähr-
detste öffentliche Einrichtung.

N


icht nur eine Unterlassung,
sondern ein bewusstes Verzö-
gern und–wie sich durch Re-
cherchen desStandardnun heraus-
stellt–sogar Vertiefen der hereinbre-
chenden Gesundheitskrise hat hin-
gegen im Tiroler Ischgl stattgefunden.
Erst wartete man trotz bestätigter In-
fektionen in dem Alpen-Ballermann-
Ort lange mit Skiliftschließungen und

Irene Brickner

KOPFDESTAGES


M


an hat unsere
Supermarktkas-
siererinnen –
und ihre wenigen männ-
lichen Kollegen–schon
fröhlicher, auch selbst-
bewusster gesehen als
in diesen für sie ent-
behrungsreichen Tagen.
Unsere Kassiererinnen
sind die wenig bedank-
ten Helferinnen der
Ceres (die inoffizielle
Bauernbundgöttin: Man
erkennt sie an ihrem
charakteristischen Füll-
horn!). Mit Umsicht und
eiserner Konzentration
schieben sie sämtliche
Waren des täglichen Be-
darfs ungerührt über
den Scanner: von der va-
kuumverpackten Dauer-
wurst bis zum sperrigen
Zellstoffpaket.
Sprichtman eine der
heroischen Damen bei
der Ausübung ihrer Tätigkeit an, erhält
man bereitwillig Auskunft. Super-
marktkassiererinnen leisten zum Bei-
spiel eine Wochenarbeitszeit von 30
Stunden, die in mehr oder minder fle-
xible Schichten aufgeteilt wird. Sie sa-
gen dieser Tage: „Natürlichhabe ich
Angst!“Und:„Einfachistesnicht!“Zu-
mal, wenn man eine fünfjährige Toch-
ter zu Hause hat, die der Obsorge be-
darf. Wie gut, wenn wenigstens der Le-
bensgefährte beruflich abkömmlich ist
und Heimdienstleisten kann.
In weniger aufgeregten Tagen
nimmt man die Arbeitsleistung der
Kassiererinnen mit einem Achselzu-
cken zur Kenntnis. In ihrem Bestre-

ben, den Kunden best-
möglich zu Diensten zu
sein, ersinnen sie wun-
derliche Eigenheiten.
Die einen ordnen die
Münzablagenfür das
Wechselgeld im kunter-
bunten Durcheinander
an. Andere sortieren die
Münzen nach Art einer
aufsteigenden Tonleiter:
vomCentzurZwei-Euro-
Münze. So schärfen sie
währendlanger Schich-
ten ihre Konzentration.
Andere halten ima-
ginäre Wettkämpfe im
Kopf ab. Wer hat im Kon-
zert der klingelnden Fi-
lialkassen seine Schlan-
ge schneller abgefertigt?
Manches Mal muss eine
durchgeschlüpfte Gurke
an die Obstwaage zu-
rückgereicht werden.
Wiederum dürfen sich
dabei gerade auch be-
tagtere Konsumenten bei ihren guten
Geistern, den Kassiererinnen, be-
danken.
Eine Hoffnung birgt somit die er-
zwungene Lahmlegung unserer Ge-
schäftigkeit: Sie rückt die Wichtigkeit
gerade solcher Berufsgruppen in den
Blick, über deren Wohlergehen man
für gewöhnlich pauschal hinwegsieht.
Unsere Supermarktkassiererinnen
sind Heldinnen, Punkt. Sie haben es
verdient, auch nach Abklingen der
Ansteckungsgefahr anständig ent-
lohnt zu werden. Das könnte unter an-
derem bedeuten, unbedingt mehr als
15 Euro Stundenlohn an sie auszu-
zahlen. Ronald Pohl

Dienstleisterin


unserer


Herzen


Die Supermarktkassiererin
leistetHeldinnenarbeit
an der Kassa.
Foto: Imago

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