Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

4 |MITTWOCH, 18.MÄRZ2020DTHEMA:ThemaCoronavirus-Krise ERSTANDARD


Die LageimAllgemeinen KrankenhausWien spitzt sich zu.Topmediziner sehen das größte
Spital des Landes nichtvorbereitet. Ein dritter Covid-19-Fall wurde dementiert.

I


mAllgemeinen Krankenhaus
(AKH) in Wien gibt es einen
zweiten Fall eines Arztes, der
mit dem Coronavirus infiziert ist,
erfuhr derSTANDARDam Diens-
tag. Auch er soll am vorvergange-
nen Wochenende an einem Ärzte-
kongress am Arlberg teilgenom-
men haben.
Mediziner im größten Spital Ös-
terreichs warnen nun eindring-
lich vor einer Notsituation.DER
STANDARD hat mit mehreren
Ärzten unter Zusicherung von
Vertraulichkeit gesprochen. Sie
schilderten, wie sich die Lage seit
der Bestätigung einer ersten Coro-
nainfektion bei einer Anästhesis-
tin am Sonntag zugespitzt habe.
Die Anästhesistin hatte vor gut
einer Woche mit neun weiteren
AKH-Ärzten an einem Ärztekon-
gress am Arlberg teilgenommen,
wie Vizerektor Oswald Wagner
Dienstag bestätigte. Möglicher-
weise hatte sie sich dort so wie ein
anderer Arzt aus Wien angesteckt.
Sie und ihre AKH-Kollegen, da-
runter zwei absolute Spitzenpro-
fessoren des AKH, kehrten ge-
meinsam im Zug nach Wien zu-
rück. Das Fatale daran: Da die Ärz-
tin keine Symptome hatte, nahm
sie ihre Arbeit im AKH wieder auf,
im OP-Bereich, in der Intensivsta-


tion, im Aufwachraum, dort, wo
Anästhesistinnen eben tätig sind.
Es sind das die medizinischen
Herzstücke des Krankenhauses.
Noch am vergangenen Samstag
hatte sie an einer Operation
zweier Chirurgen teilgenommen
„und die Narkose gemacht“. Das
gesamte OP-Team wurde laut
Schilderung der Ärzte inzwischen
isoliert. Dem widerspricht ein
Sprecher der Med-Uni Wien. Bis
auf die zwei Fälle sei niemand im
AKH positiv getestet worden und
daherauchnichtisoliert.AlleÄrz-
te bis auf die zwei bestätigten Fäl-
le seien weiterhin im Dienst.
Was bestätigt ist: Die Ärztin hat-
te Kontakt mit dutzenden AKH-
Mitarbeitern: Ärzten, Pflegeperso-
nal und natürlich operierten Pa-
tienten und solchen auf der Inten-
sivstation. Sie drängte Ende der
Woche auf einen Coronatest, des-
sen Ergebnis am Sonntag bekannt
wurde: positiv. Sie und der ande-
re Arzt, der inzwischen auch als
coronapositiv bestätigt ist, gingen
in häusliche Quarantäne.
„Es kann so sein, dass sie hun-
derte Leute angesteckt haben“, er-
klärt einer der Mediziner, sie hät-
ten sich im AKH ohne Schutzmas-
ken bewegt. Tagelang sei geredet
worden, „aber nichts passiert“.

„Wir waren auf so eine Situa-
tion nicht vorbereitet“, erzählt ein
Arzt den Fortgang der Ereignisse.
Die Verwaltung habe das Ziel ver-
folgt, dass „das AKH Corona-frei
bleibt, was eine Illusion ist“. Es
fehle nun an Information, wie
man sich weiter verhalten solle.
Ein anderer führender Medizi-
nerbeklagt „dasFehleneinesMas-
terplans“, wenn die Anzahl der
Coronafälle in Österreich dem-
nächstexplodierenwird,undman
Infizierte auch im Spital haben
werde: „Wir müssen unsere Pa-
tienten ja weiterbehandeln.“
„Wir sind jetzt drei Wochen zu
spät dran“, erklärte ein dritter
Arzt. Es mangle an Schutzanzü-
gen, an Masken, an Schutzbrillen
und „man sagt uns, dass das be-
stellt ist, aber irgendwo an der
deutschen Grenzen festsitzt“.
NursehrwenigeÄrzteseienbis-
her routinemäßig Coronatests
unterzogen worden. Im Umfeld
des ersten bestätigten AKH-Falls
waren es 85 Ärztinnen und Ärzte
der Med-Uni Wien und 50 Pflege-
personen des KAV, lautet die offi-
zielle Auskunft.
Dienstagmittag wurde dem
STANDARDmitgeteilt, dass eine
dritte Ärztin, ebenfalls eine Anäs-
thesistin, positiv getestet wurde.

Sie soll gravierende gesundheitli-
che Probleme haben. Johannes
Angerer, Pressesprecher der Med-
Uni Wien, dementiert diesen Fall
jedoch. Der Test sei zuerst positiv
ausgefallen, ein zweiter war aber
negativ, erläutert ein Sprecher des
Krankenanstaltenverbands
(KAV). Dies komme vor, da die
Tests eine Trefferwahrscheinlich-
keit von 95 Prozent haben. Die
Ärztin sei nicht im Dienst.

Keine Dienstreisen mehr
Am Ärztekongress am Arlberg
waren insgesamt zehn Ärzte des
AKH. Sie nahmen teil, obwohl es
bereits am 5. März die Anweisung
gab, nur noch Dienstreisen anzu-
treten, die unbedingt notwendig
seien.
Überhaupt scheint es Probleme
in der Kommunikation zu geben:
„Es gibt eindeutig zu wenig Infor-
mation, gezielte Handlungsan-
weisungen durch die Klinikadmi-
nistration fehlten“, sagt ein Arzt.
Ein Beispiel: Noch am Montag
habe die Direktion allen Mitarbei-
tern schriftlich mitgeteilt, „dass es
schwierig wird“. Das sei zu wenig.
Die Ärzte betonen, dass sie das gar
nicht als Vorwurf meinten, aber
alles gehe viel zu langsam, „sie
sind überfordert“.

Zwei Ärzte am AKH Corona-positiv


Thomas Mayer, Rosa Winkler-Hermaden

An Covid-19 erkrankte 48-JährigeinHeimquarantäneverstorben


Ergebnis der Obduktion noch ausständig–LautMinister Anschoberkonnte man bishervermeiden, dass viele Ältereerkranken


David Krutzler, Oona Kroisleitner

D


ienstagfrüh wurde der ers-
te Todesfall einer an Covid-
19 erkrankten unter-50-
Jährigen öffentlich bekannt. Eine
48-Jährige wurde in ihrer Woh-
nung in Wien bereits Sonntagfrüh
von Familienangehörigen auf-
gefunden. „Sie hatte zu diesem
Zeitpunkt keine Atmung mehr
gehabt“, sagte Andreas Huber,
Sprecher des medizinischen Kri-
senstabs der Stadt Wien, dem
STANDARD.
Die Frau befand sich nach
einem positiven Test auf das Co-
ronavirus gemeinsam mit zwei
weiteren Familienangehörigen in
häuslicher Quarantäne. Weil die
genaue Todesursache noch nicht
feststeht, wird sie aktuell nicht als


viertes österreichisches Coronavi-
rus-Todesopfer geführt. Das Er-
gebnis der Obduktion soll heute,
Mittwoch oder spätestens am
Donnerstag vorliegen.
Abgeklärt wird zudem, ob die
48-Jährige auch Vorerkrankungen
gehabt hat. Am Dienstag gab es in-
formelle Auskünfte, wonach die
Frau auch abseits des Coronavirus
nicht ganz gesund gewesen sei.
Huber sagte dazu: „Wenn sie eine
Spitalversorgung notwendig ge-
habt hätte, wäre sie auch in einem
Spital gewesen.“
Personen, die auf Covid-19 ge-
testet werden, bleiben grundsätz-
lich in häuslicher Quarantäne, so-
fern sie sich gut fühlen. Laut An-
dreas Huber fordert die Gesund-
heitsbehörde dann täglich ein Up-
date über den Gesundheitszu-

stand (Fieber, Husten etc.) an. Die
Übermittlung dieser Daten pas-
siert per App oder telefonisch. Be-
treut wird die Nummer, die nur an
Covid-19-Patienten weitergege-
ben wird, von der Stadt Wien.
„Wenn sich der Zustand ver-
schlechtern sollte, werden Maß-
nahmen gesetzt“, so ein Sprecher
von Gesundheitsstadtrat Peter Ha-
cker (SPÖ).

Vulnerable Gruppen
Die bisherigen drei bestätigten
Coronavirus-Todesfälle in Öster-
reich waren über 65 Jahre alt und
zählten somit zur Hochrisiko-
Gruppe. Zudem litten sie an Vor-
erkrankungen. Zuletzt starb am
MontageineBewohnerineinesAl-
tersheims im steirischen Hartberg
in einem Akutspital.

Laut Medizinern zählen Diabe-
tiker, Personen mit Kurzatmig-
keit, schwere Raucher oder auch
schwer übergewichtige Personen
zur vulnerablen Gruppe.
Laut Stadt Wien nahmen die
Anrufe unter 1450 zur Abklärung
bei Coronavirus-Verdacht samt
Symptomen massiv zu: Alleine
am Montag wurden fast 16.
Anrufe registriert. Dem gegenüber
wurde bekannt gegeben, dass der
Ärztefunkdienst seit 28. Februar
rund 1700 Testungen insgesamt
durch mobile Test-Teams durch-
geführt hat.
Mit Stand 15 Uhr gab es am
Dienstag in ganz Österreich 1332
positive Tests, gab Gesundheits-
minister Rudolf Anschober am
Nachmittag bekannt. Man konnte
aber bisher vermeiden, dass viele

ältere Menschen erkranken. Die
meisten Erkrankten seien jünger
als in Italien. Das gelte es zu be-
wahren. Es sei wichtig, dass sich
die Österreicherinnen und Öster-
reicher weiterhin an die Maßnah-
men halten.

Auswirkungen noch offen
Eine weitere umfassende Ver-
schärfungderMaßnahmenistder-
zeit nicht geplant, sagten Anscho-
ber und Innenminister Karl Ne-
hammer (ÖVP). Eine Nachjustie-
rung sei freilich nicht ausge-
schlossen. Die Ausgangsbe-
schränkungen seien bislang gut
eingehalten worden. Ob sich die
bisher getroffenen Maßnahmen
auf die Zunahme der Covid-19-
Fälle auswirken, könne man in
acht bis zehn Tagen sehen.

Hausärztewarnen


vorMangelan


Schutzausrüstung


Praxen sollen nichtzu
Virusdrehscheibewerden

Vanessa Gaigg

D


ie Berichte aus Spitälern,
dass es zunehmend an
Schutzkleidung und Mas-
ken mangelt, häufen sich. Nun
schlagen auch praktische Ärzte
Alarm: Unzählige Praxen ver-
fügen über keinerlei notwendige
Schutzausrüstung, weder für Ärz-
te noch für die Angestellten.
Das berichtet der in Nieder-
österreich praktizierende Arzt
Alexander Pesendorfer dem
STANDARD.Erspricht im Namen
von knapp 50 Kollegen. „Uns fehlt
eigentlich alles. Masken, Mäntel,
Brillen“, sagt Pesendorfer. Seit
Wochen versuche man, Lieferun-
gen zu erhalten, sei aber geschei-
tert. „Wir stehen in der allerersten
Reihe. Ohne Schutz ist es fast un-
vermeidlich, dass viele von uns
eher früher als später mit Covid-
19 in Kontakt kommen.“ Men-
schen würden in weiterer Folge in
Spitäler drängen, wo aber kein
Platz für sie sein werde.

Bundesweiter Mangel
Die Ärztekammer bestätigt
einen bundesweiten Mangel, der
zum Teil mit erschwerten Liefer-
bedingungen zusammenhänge. In
Oberösterreich gebe es etwa „mas-
sive Engpässe“, in der Steiermark
wurde bisher Grundausrüstung,
aber keine Schutzausrüstung aus-
gegeben. In Salzburg und Tirol
spricht die Kammer von einer
„schwierigen“ sowie „problemati-
schen“ Lage. Für Tirol, Öster-
reichs Krisenherd Nummer eins,
wird für das Wochenende Nach-
schub erwartet. In Wien gibt es
zum Teil kein Desinfektionsmittel
mehr.
Zumindest 6000 Schutzmas-
ken werden nun in Niederöster-
reich von der Österreichischen
Gesundheitskasse (ÖGK) bereit-
gestellt, wie eine Sprecherin dem
STANDARDsagt. Es handelt sich
um Altbestände, die aber „voll
funktionsfähig“ seien. Jetzt gehe
es darum, den Ärzten unbürokra-
tisch zu helfen. Dabei werde es
auch Unterstützung vom Bund
brauchen.
Die Anzahl der täglichen Kon-
takte, die Ärzte zu Patienten ha-
ben, soll drastisch verringert wer-
den, um das Risiko einer Anste-
ckung zu senken. Routineunter-
suchungen werden verschoben,
Ordinationsbesuche sollen nur
nach telefonischer Anmeldung er-
folgen. Ärzte können Rezepte
auch direkt elektronisch oder per
Fax an Apotheken schicken.

Ist das größte Spital Österreichs für die Behandlung von Coronavirus-Infizierten gerüstet? Ärzte aus dem AKH zweifeln daran.

Foto: Andy Urban
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