Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

6 |MITTWOCH, 18.MÄRZ 2020 THEMA:ThemaCoronavirus-Krise DERSTANDARD


S


elbstverordnete Heimqua-
rantäne, Tag vier: Ich habe
an alles, nur nicht an aus-
reichend Wein gedacht. Das fällt
jetzt auf, weil wir vor genau einer
Woche auch diesbezüglich noch
gut versorgt in der Tacita de Pla-
ta saßen, wie die Gaditanos die
meerumspülte Altstadt von Cá-
diz nennen. Der Weg vom anda-
lusischen Silbertässchen in die
temporäre Wiener Sackgasse war
ungewöhnlich angenehm–leere
Flughäfen, entspanntes Perso-
nal, unkontrollierte Ankunft in
Wien, Taxifahrt, Tür auf, Tür zu.
Der Sohn hat ausreichend Klo-
papier besorgt am ersten Hams-
terfreitag. Es war ihm von Spa-
nien aus aufgetragen worden. Er
selbst, Zivildiener derzeit, neigt
weder zur Panik noch zum
Fremdschämen. Wird alles für
ihn erledigt. Beschäftigt muss er
auch nicht werden, nur bekocht,
wenn er von seiner Klienten-
betreuungsstelle heimkommt. Er
dankt es mit Zugang zu Enter-
tainmentangeboten, die sich sei-
nen Eltern noch nicht erschlos-
sen haben, weil sie mehr als
Fernseher auf- und abdrehen so-
wie zappen nie wirklich ge-
braucht haben. Dass in den Rega-
len buchstäblich tausende Bü-
cher gut vernehmlich „lies mich
zuerst“ raunen, kann ich nach
kaum einer Woche noch ganz lo-
cker überhören. Es gibt ja so viel
zu tun. Nur in welcher Reihen-
folge? Mit wie viel Rücksichtnah-
me? Wie strukturiert, und vor al-
lem, wie gewandet?

So habe ich mir für Videokon-
ferenzen zumindest Oberhemd
verordnet, obwohl ohnehin der
von spanischer Sonne gerötete
Blutzer dominiert und der Hin-
tergrund weichzeichenbar wäre.
Ab morgen ziehe ich sogar eine
Hosean,mussjakeinelangesein.
Ich habe gelesen, dass man das
unbedingt soll, obwohl es der
Arbeitgeber noch nicht aus-
drücklich verlangt hat.
Die Ehefrau im Nebenraum ist
gewöhnlich schon ab acht richtig
bürofein, dafür hat sie früher aus
–dass Aushaben und Daheim-
sein im selben Moment passie-
ren, ist für uns alle gewöhnungs-
bedürftig, aber noch packbar.
Wie überhaupt das Los schwerer
sein könnte, ausgesetzter, risiko-
reicher. Dies zu den Helden des
Corona-Alltags.
Schwerer könnte man es selbst
schon auch haben. Die Schwie-
gereltern putzen zum Beispiel
schon für Ostern und hoffen,
dass sie diesbezügliche Erfolge
dann schon den Nachkommen
präsentieren können. Auf ähnli-
che Ideen sind wir noch nicht ge-
kommen, Faulheit und Pessimis-
mus gehen hier Hand in Hand.
Zu Ostern wollten wir schließ-
lich gar nicht daheim sein. Und
jetzt frage ich mich schon, ob ich
wegen des Weins kurz weg soll.
Vermutlich muss ich, Hose an-
ziehen nicht vergessen!

Silbertässchen


und Sackgasse


Sigi Lützow

CORONA-TAGEBUCH


Kaum Sorgen, aber Likör –
schönwar’s in Cádiz.
Und Homeoffice ist auch
kein Grund zum Jammern.

Q Rennenum ImpfstoffIn denUSA starte-
te am Montag das Pharmaunternehmen
Moderna die ersten klinischen Tests für
einen Impfstoff gegen Covid-19. In Chi-
na sollen noch diese Woche gemeinsam
mit der Akademie für militärmedizini-
sche Wissenschaft Tests mit einer Imp-
fung beginnen, die die Biotechfirma Can-
Sino Biologics entwickelt hat. Bei der
Weltgesundheitsorganisation rechnet
mandamit,dasseinmarktreiferImpfstoff
nicht vor Mitte 2021 vorliegt.
QWohnungswechselMieterschützer for-
dern rechtliche Klarstellungen zu aus-
laufenden Mietverträgen. Viele Mieter
können derzeit keine neue Bleibe su-
chen, sie sollten deshalb versuchen, sich
mit ihrem Vermieter zu einigen, rät die
Mietervereinigung.Dassderzeitraschein
Nachmieter einzieht, ist unwahrschein-

lich. Delogierungen wurden von man-
chenGemeinnützigenundauchvonWie-
ner Wohnen ausgesetzt, Mieterschützer
fordern auch dazu eine Vorgabe der Re-
gierung. Umzüge können nach Ansicht
der AK trotz der Ausgangsbeschränkun-
gen auch mithilfe von Freunden stattfin-
den, denn die neue Wohnung diene ja
dazu, die geltenden Ausgangsbeschrän-
kungen einzuhalten.
QMerzinfiziertIn Deutschland gibt es den
ersten prominenten Politiker, der am
neuartigen Coronavirus erkrankt ist: Ex-
Unionsfraktionschef Friedrich Merz, der
sich für den Parteivorsitz der CDU be-
wirbt, hat sich angesteckt. „Ein am Sonn-
tag bei mir durchgeführter Corona-Test
ist positiv. Ich werde bis Ende nächster
Woche zu Hause unter Quarantäne ste-
hen“, gab Merz bekannt.

QWeiterer Anstieg in ItalienDie Zahl der
mit dem Coronavirus infizierten Perso-
neninItalienstiegvonMontagaufDiens-
tag um 2989 Personen auf 26.062, teilte
der italienische Zivilschutz in Rom mit.
Am Vortag war die Zahl der Neuinfizier-
ten um 2470 Personen größer geworden.
Auch die Zahl der Coronavirus-Todesop-
fer wuchs weiter (auf 2503), aber etwas
weniger schnell als in den Tagen zuvor.
QMaturanicht vor 18. MaiBildungsminis-
ter Heinz Faßmann sagt imSTANDArd-
Interview,dassdiediesjährigeMaturaauf-
grund der Coronavirus-bedingten Schul-
schließungen „frühestens am 18. Mai be-
ginnen wird. Vorher ist die Zeit zum
Üben.“ Regulärer Start wäre am 5. Mai
mit Mathematik gewesen. (nim)
pInterview Minister Heinz Faßmann auf
derStandard.at

SPLITTER


Hoteliers aus denTiroler Quarantänegebieten setztenTouristen amvergangenenFreitag
auf die Straße. Die Behörden sollen ihreAufteilung im Land sogar noch unterstützt haben.

noch am Freitag unter. Ein Innsbrucker Ho-
telier berichtet demSTANDARD,dass sein
Team nur zufällig die Brisanz der Situation
erkannte, weil die ersten Anrufer aus freien
Stücken erzählten, dass sie aus den Risiko-
gebieten kämen. Als man ihnen aus Sicher-
heitsgründen daraufhin kein Zimmer anbot
undauchsämtlicheOnlinebuchungenstor-
nierte, hätten sich die Leute an andere Ho-
tels gewandt. Viele Urlauber hätten fortan
nicht mehr erwähnt, dass sie aus Ischgl
oder St. Anton kämen, und so Zimmer in
Tirol ergattert.
Warum es die Behörden in Kauf nahmen,
dass sich viele, potenziell infizierte Gäste
aus Quarantänegebieten in Tirol verteilen
konnten, ist noch unklar. Klar ist, dass die
Zahl der Infizierten in Tirol bis Dienstag-
abend auf 390 anstieg. Erkrankungen wur-
den etwa in Innsbruck, Innsbruck-Land,
Kufstein und Kitzbühel registriert.
Der Innsbrucker Hotelier äußert scharfe
Kritik, vor allem an der Kommunikation der
Krise. Wenn sich die Tiroler Spitzenpolitik
nun abputze und etwa Gesundheitslandes-
rat Bernhard Tilg (ÖVP) wiederholt betone,
die Behörden hätten stets richtig gehandelt,
seidasschlichtunverantwortlich.„Manhat
das Virus sehenden Auges aus Tirol in die
Welt getragen. Es wäre überfällig, sich das
einzugestehen und sich dafür zu entschul-
digen“, fordert er sowie dass man auch an
die Schicksale der Touristen zu denken
habe, die wohl Verwandte unwissend an-
steckten und gefährdeten.
Während die Tiroler SPÖ eine Abberu-
fung Tilgs fordert, sieht die FPÖ in ihm ein
„Bauernopfer“. Zuerst gelte es, die Krise zu
managen, dann müsse über Fehlentschei-
dungen diskutiert werden. KommentarS.

B


regenz zog am Dienstagnach. Das
Land sperrte die gesamte Vorarlberger
Arlbergregion–die GemeindenLech,
Klösterle, Warth und Schröcken–aufgrund
der steigenden Zahl an Infizierten und der
hohen Dunkelziffer vorerst ab. Der Schritt
wurde seit der freitäglichenQuarantänever-
ordnung für das Paznaun und St. Anton am
Arlberg immer lauter gefordert, auch weil in
Lech der Skibetrieb bis Samstagabend mun-
ter weiterging–trotz zusammenhängender
Skigebiete. Auf Tiroler Seite waren nach
den Maßnahmen am Freitag jedoch plötz-
lich hunderte Menschen gestrandet, ohne
ein Dach über dem Kopf für die nächste
Nacht–mit fatalen Folgen.
Der öffentliche Verkehr war quasi lahm-
gelegt, Taxis waren nicht verfügbar, Busse
entweder überfüllt oder sie fuhren leer am
Ort vorbei. Der 67-jährige Lukas F. war
eigentlich in Lech auf Urlaub, musste aber
nach St. Anton für die Abreise per Zug.
Doch dieser hielt dort nicht mehr, und im
Dorf machte sich langsam Chaos breit. Es
soll zu Raufereien am Busbahnhof und et-
lichen Schreiduellen um Busplätze gekom-
men sein. F. schildert imSTANDARD-Ge-
spräch, wie er durch mutmaßliche Verfeh-
lungen der Behörden überhaupt erst zu
einem Verdachtsfall wurde.
Lokale Touristiker hätten ihn nach der
Quarantänewarnungnichtmehraufgenom-
men. Erst nachts konnte er sich per Bus und
Taxi nach Innsbruck durchschlagen. Seit
der Rückreise mit dem Zug nach Wien ist
in F. freiwillig in häuslicher Quarantäne, da
er sich stundenlang in St. Anton aufhalten
musste.
Es wird immer deutlicher, dass es vielen
TouristinnenundTouristenähnlicherging.


Die sofortige Heimreise anzutreten war vie-
len nicht möglich, weil Flüge erst tags da-
rauf oder noch später von den nahegelege-
nen Flughäfen abhoben. Eigentlich hätten
ausländische Touristen laut Behörden
noch bis Dienstagmitternacht im Quarantä-
negebiet auf die Rückreise warten können.
Doch wieso strömten Hunderte aus dem Tal
heraus, um sich in verschiedensten Hotels
im ganzen Land zu verbreiten?
Seitens der Landesregierung wurde am
Dienstag noch behauptet, dieses unverant-
wortliche Verhalten sei allein den Urlau-
bern zuzuschreiben. Doch das stimmt so
nicht, wie Recherchen desSTANDARDnun
zeigen. Denn offensichtlich haben Hote-
liers im Paznaun und St. Anton Gäste ein-
fach so vor die Tür gesetzt, im Wissen, dass
Rückflüge erst für Samstag oder Sonntag
angesetzt waren. Das bestätigt auch die Ge-
schäftsführerin des Tourismusverbandes
Innsbruck, Karin Seiler-Lall.

Andere Hotels wollten helfen
Die Behörden sollen offenbar sogar ein-
gegriffen und geholfen haben, die Touris-
ten auf andere Hotels in Tirol zu verteilen.
So wurden Busse mit einer Gruppe Briten
–159 Personen, darunter Familien mit
Kleinkindern–Freitagabend mit Polizeies-
korte in ein Hotel nach Imst gebracht. Die
Besitzer verlangten entgegen Berichten von
Montag kein Geld von den Gästen, wie sie
demSTANDARDversichern. Man habe hel-
fen wollen, weil man so mit Gästen in Tirol
nicht umgehen könne.
Wie viele solcher Umverteilungen mit-
hilfe der Behörden es gegeben hat, ist noch
unklar.AberauchinInnsbruckkamenhun-
derte Urlauber aus Ischgl und St. Anton

Touristen bei der chaotischen Abreise aus den Quarantänegebieten.Esmehrt sich die Kritik an den Behörden.

Foto: APA

/EPA

/Erich Spiess

MitBehördenhilfeins Chaos


Steffen Arora,Laurin Lorenz, Fabian Sommavilla

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