Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

8 |MITTWOCH,18.MÄRZ2020DTHEMA:ThemaCoronavirus-Krise ERSTANDARD


InTirolwurden bisher mitAbstand die meisten Infektionen mit dem Coronavirusgemeldet. Mitschulddaran trägt
offenbar dieTourismusindustrie. Landeshauptman Günther Platter (ÖVP) istsichkeinerFehler bewusst.

STANDARD:Gehen wir chronolo-
gisch weiter zum 9. März, der Tag,
an dem Italien landesweit zum
Sperrgebiet erklärt wurde und alle
Skigebiete in Südtirol geschlossen
wurden. An dem Tag wurde auch
die Risikoeinschätzung des RKI für
Südtirol in Österreich wieder über-
nommen. Zugleich setzte, wie
unsere Recherchen ergaben, eine
Wanderbewegung von Touristen,
die in Norditalien urlaubten, nach
Tirol ein. War man sich dieser Ge-
fahrnichtbewusst,hätteTirolnicht
damals schon handeln müssen?
Platter:Das ist mir jetzt nicht in
der Form bekannt. Aber wenn das
stattgefunden hat, war es mit Si-
cherheit nicht im Interesse der
Politik.

STANDARD:Im Laufe dieser Wo-
che wurden, nachdem die Bar
„Kitzloch“ in Ischgl als Epizentrum
des Corona-Ausbruchs unzweifel-
haft feststand, erst die Bar selbst,
dann alle Ischgler Après-Ski-Loka-
le geschlossen. Warum so zöger-
lich, hätte man Ischgl nicht gleich
komplett schließen müssen? War
das rückblickend ein Fehler?
Platter:Wenn man das Buch von
hinten liest, kann man immer be-
stimmte Beurteilungen abgeben.
Aber zum gegebenen Zeitpunkt
war es das Menschenmögliche,
was wir gemacht haben. Aber die
Analyse muss auf alle Fälle im
Nachhinein gemacht werden.

STANDARD:Am 12. März, so sagte
mirderObmanndesFachverbands
der Seilbahnen in der Wirtschafts-
kammer Österreich, ÖVP-Natio-
nalratsabgeordneter Franz Hörl,
habe man sich zusammen mit dem
Krisenstab auf „den Kompromiss“
geeinigt, alle Tiroler Seilbahnen
mit 15. März zu schließen. Warum
muss der Einsatzstab des Landes
Tirols in einer solchen Situation
mit einem Seilbahn-Lobbyisten
einen Kompromiss eingehen?
Platter: Alsodiese Aussage mit
dem Kompromiss weise ich scharf
zurück. Mehr möchte ich dazu
nicht sagen, sonst würde ich eher
emotional werden. Meine Aussa-

A


ußergewöhnliche Situatio-
nen erfordernaußerge-
wöhnliche Maßnahmen.
Um in Zeiten der Corona-Krise
dennochMedien Rede und Ant-
wort stehen zu können, hat das
Land Tirol einen eigenen Channel
für Videokonferenzeneingerich-
tet.ÜbereinensolchenkonnteDER
STANDARDam Dienstagnachmit-
tag ein Interview mit Tirols Lan-
deshauptmann Günther Platter
(ÖVP) führen. Er steht seit 25. Feb-
ruar 2020 an der Spitze des Tiro-
ler Einsatzstabes, der diese he-
rausfordernde Situation meistern
muss.


STANDARD: Herr Landeshaupt-
mann,bezugnehmendaufdenAuf-
tritt des TirolerGesundheitslandes-
rates Bernhard Tilg in der „Zeit im
Bild 2“ am Montag: Sind Sie der
Meinung, dass Tirol im Zuge der
Corona-Krise bisher alles richtig
gemacht hat?
Platter:Es dürfte allen klar sein,
dassdieseKrisenbewältigungeine
unfassbar schwierige Aufgabe ist.
Ich kann mit gutem Gewissen sa-
gen, dass das Men-
schenmögliche ge-
macht wurde in der
jeweiligen Situation,
um angepasste Maß-
nahmen zu setzen.
Aber ich will dazu
auch sagen: Wir ler-
nen tagtäglich dazu,
in Tirol, aber auch
weltweit. Dieses Vi-
rus ist ja nicht in
Ischgl entstanden.
Daher mussten wir
erst lernen, damit
umzugehen. Und wir
haben etwa im Laufe der Zeit fest-
gestellt, dass eine Verbreitung
dort wesentlich schneller gegan-
genist,womehrLeutezusammen-
stehen. Man wird danach schauen
müssen, was ist gut gelaufen und
was weniger.


STANDARD:Auf das, was weniger
gut gelaufen ist, würde ich gerne
näher eingehen. Beginnen wir am



  1. März, als das Robert Koch-Insti-


tut (RKI) Südtirol als Risikogebiet
eingestuft hat. Diese Einschätzung
hat auch das Gesundheitsministe-
riumübernommen,dieTirolerLan-
deskliniken haben daraufhin ihre
Mitarbeiter angewiesen, Südtirol
zu meiden. Allerdings wurde diese
Einschätzung im Ministerium kurz
daraufwiederrevidiert.HatTirolin
Wien interveniert, damit das zu-
rückgenommen wurde?
Platter:Die Tiroler Landeseinsatz-
leitung ist gemeinsam mit den Ge-
sundheitsbehörden des Bundes
zur Einschätzung gelangt, dass
diese Bewertung des RKI überzo-
gen war. Daher wurde sie wieder
zurückgenommen.

STANDARD:Am 5. März hat Island
Ischgl als Risikogebiet auf einer
Stufe mit Wuhan und dem Iran
ausgewiesen, nachdem sich zahl-
reiche Isländer während ihres
Urlaubs in Ischgl angesteckt hat-
ten. Das Land Tirol reagierte am 6.
März mit einer Presseaussendung,
in der die Landessanitätsdirektion
behauptet, dass es „aus medizini-
scher Sicht unwahrscheinlich sei“,
dass sich die Urlauber
hier angesteckt haben
könnten. Diese Ein-
schätzung basierte
auf der E-Mail einer
Privatperson. Warum
glaubte man der mehr
als der offiziellen
Warnung Islands?
Platter:Die Landessa-
nitätsdirektion hat
sich auf dieses E-Mail
bezogen, weil es of-
fenbar glaubwürdige
Informationen ent-
hielt, wonach sich
eine infizierte Person im Flugzeug
befundenhat,wasauchdieAirline
bestätigt haben soll. Und ich
möchte in dem Zusammenhang
darauf verweisen,dass etwa Däne-
mark Tirol schon als Risikogebiet
eingestuft hat, nachdem nur eine
Person infiziert zurückkam. Da
wäre Deutschlandauch schon lan-
ge Risikogebiet. Für uns ist bei den
Einschätzungen das RKI der Maß-
stab, an dem wir uns orientieren.

ge war immer: Ich lasse es nicht
zu, dass am Samstag 150.000 neue
Gäste nach Tirol kommen und
sich hier womöglich infizieren.
Wir haben uns für Sonntag ent-
schieden, damit keine panischen
Reaktionen entstehen. Wir woll-
tendieSkigebietegeordnetleeren,
um so eine Abreise ohne zusätzli-
che Menschenansammlungen
verhindern.

STANDARD:Am Freitag, den 13.
März, wurde schließ-
lich über das Paz-
nauntal und St. Anton
am Arlberg die Qua-
rantäne verhängt. Im
Zuge dessen wurden
aber Urlauber, deren
Rückflüge erst am
Samstag oder Sonn-
tag angesetzt waren,
von ihren Hotels ein-
fach vor die Tür ge-
setzt. Man gab ihnen
zum Teil nur zwei
Stunden Zeit, abzu-
reisen. Daraufhin
standen diese Urlauber ohne
Unterkunft da. Wie konnte das pas-
sieren? Warum hat man die Hote-
liers nicht gezwungen, ihre Gäste
bis zu einer geordneten Heimreise
weiter zu beherbergen? Das war ja
auch in der Quarantäne-Verord-
nung so vorgesehen.
Platter:Die Vorgabe der Behörde,
in Absprache mit dem Gesund-
heitsministerium, war folgende:
Österreichische Gäste sollen da
bleiben, ausländische Gäste müs-
sen unterfertigen, dass sie ohne
anzuhalten nach Hause fahren
und sich dort freiwillig in Quaran-
täne begeben. Und es war auch
vereinbart, dass die dortigen Be-
hörden darüber informiert wer-
den. Das war so vereinbart, aber
ich habe das nicht bei jedem Ein-
zelnen nachvollzogen. Ich kann
nun nicht verantwortlich gemacht
werden, ob die Umsetzung bei je-
dem Einzelnen so funktioniert
hat. Ich bitte um Verständnis,dass
das keine politische Aufgabe war.
Dass es eine riesige Herausforde-
rung war, immerhin ging es um

tausende Gäste, ist klar. Aber wie
dasdannpraktischgenauabgelau-
fen ist, das entzieht sich meiner
Kenntnis, dazu kann ich daher
keine klare Aussage machen.

STANDARD:Aber können Sie sich
vorstellen, dass jene Hoteliers, die
so gehandelt haben und Gäste vor
die Tür setzten, obwohl diese keine
Möglichkeit hatten, vorzeitig abzu-
reisen, mit Konsequenzen zu re-
chen haben werden?
Platter: Alsonoch
einmal: Dabei geht es
um die praktische
Umsetzung, ich ken-
ne dazu keine De-
tails. Wenn das aber
passiert ist, ist es
nicht in Ordnung.

STANDARD:Siesind
als Landeshaupt-
mann oberster Chef
des Tiroler Touris-
mus. Wessen Schutz
geht nun derzeit vor:
jener der Hoteliers
oder jener der Gäste?
Platter: Mir geht es um die Ge-
sundheit der Tiroler Bevölkerung
und um die Gesundheit der Gäste.
Das war bei allen meinen Gesprä-
chen intern, aber auch gegenüber
den Medien klar. Es kommt für
mich überhaupt nicht in Frage,
dass irgendwelche finanziellen
Einbußen beim Tourismus mehr
gewichtet werden als die Gesund-
heit. Das wäre ja auch ein fataler
Fehler im Tourismus, wenn man
so kurzsichtig wäre, den Touris-
mus in den Vordergrund zu stel-
len anstatt der Gesundheit der
Gäste. Dann hätten wir tatsächlich
einen nachhaltigen Schaden im
Tiroler Tourismus. Daher ist die
Antwort auch ganz eindeutig: Die
Gesundheit steht in jedem Fall im
Vordergrund.

GÜNTHERPLATTER(65)ist seit 2008
Landeshauptmann von Tirol. Von 2003
bis 2008 war er zuerst Verteidigungs-
und danach Innenminister. Zuvor war
der Gendarm aus Zams in der Tiroler
Kommunal- sowie Landespolitik aktiv.

Landeshauptmann Günther Platter gab am DienstagSTANDARD-Tirol-Korrespondent Steffen Arora das Interview via Video-Konferenzschaltung.

Foto: Victoria Bischof

„Das warkeinepolitische Aufgabe“


INTERVIEW:Steffen Arora

DiesesVirus istja
nicht in Ischgl
entstanden. Daher
mussten wir erst
lernen, damit
umzugehen.



Ichkann nun nicht
verantwortlich
gemachtwerden,
ob dieUmsetzung
so funktioniert hat.


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