Der Standard - 18.03.2020

(Dana P.) #1

DERSTANDARD Thema MITTWOCH, 18.MÄRZ2020| 9


ÖBB drohte ihrenBaufirmen


NachItalienwerdenBauarbeitenamBrenner-Basistunnel auch in Österreich eingestellt


Luise Ungerboeck

S


oamikal und flexibel, wie
von ÖBB-Chef Andreas Mat-
thäamDienstagzuvermitteln
suchte,geht der für Bahnbau zu-
ständie Bundesbahn-Teilkonzern
ÖBB-Infrastruktur mit seinen Ge-
schäftspartnern der Bauwirtschaft
doch nicht um. Noch am Montag
verschickte die Staatsbahn Briefe
an ihre Auftragnehmer, in denen
sie nicht nur an die Arbeitspflicht
bei „unaufschiebbaren Berufs-
arbeiten“ erinnerte.
Die Geschäftsbereichsleitung
„Projekte Neu-/Ausbau“ drohte ih-
ren Geschäftspartnern offen mit
Schadenersatzforderungen, falls
Leistungen nicht erbracht werden:
„Unsere Auftragnehmer schulden
uns weiterhin die Leistungen. Der-
zeitistdurchCoronaauchvonkei-
ner Sphärenverschiebung auszu-
gehen, daher diese bei Nichter-
bringung schadenersatzpflichtig
werden“, heißt es wörtlich.


Eine Schließung von Baustellen
werde ÖBB-seitig derzeit nicht an-
gedacht, „sofern wir nicht durch
gegebene Rahmenbedingungen
und Umstände (z.B. Quarantäne)
dazu veranlasst werden. Wir wer-
den versuchen, unser Land weiter
am Laufen halten“, heißt es in der
E-Mail, die demSTANDARDzuge-
spielt wurde. Drohungen wie die-
se wurdendem Vernehmen nach
zahlreichenBaufirmen zur Kennt-
nis gebracht. Es ging dabei nicht
nur um Promi-Großbaustellen wie
den Semmering-Basistunnel.

Brennertunnel gestoppt
Vor dem Hintergrund der im
Zuge der Corona-Epidemie be-
hördlich verfügten Einstellung der
BauarbeitenamBrenner-Basistun-
nel auf italienischer Seite klingt
die ÖBB-Anordnung reichlich bri-
sant. Sie steht auch klar im Wider-
spruch zu den Aussagen von ÖBB-
Chef Matthä. Er kündigte via APA
an, dass die Baustellen in Tirol an-

gesichts der besonders strengen
Ausgangsbeschränkungen „jetzt
runtergefahren“ würden. Das wer-
de Geld kosten, brauche Schutz-
und Stützmaßnahmen, sei aber
unvermeidlich. Auch das Hoch-
fahren nach der Krise werde auf-
wendig und teuer.
Bei anderen Tunnelbaustellen
wie Koralm oder Semmering wer-
de man von Fall zu Fall mit den
Baufirmen „vernünftige Lösun-
gen“ suchen, etwa wenn Liefer-
ketten unterbrochen würden oder
Bauarbeiteraus dem Ausland nicht
mehr anreisen könnten. „Wir wer-
den keine Pönalen ausstellen.“
Wichtig sei es jedoch, die Bau-
stellen im Betrieb fertigzustellen,
um gesperrte Gleise zu verhin-
dern. Jedes Bauprojekt werde nun
einzeln beurteilt, schob ein ÖBB-
Sprecher nach. Im Mittelpunkt
stehe die Gesundheit der Men-
schen. Die ÖBB sei sich ihrer gro-
ßen volkswirtschaftlichen Verant-
wortung bewusst.

WeitereStützefür Kurzarbeit


Urlaubsabbau entfällt, AMS zahlt Dienstgeberbeitrag


F


ür Unternehmen mit ange-
spannter Liquidität wird die
neue Flexi-Kurzarbeit erneut
angepasst. Bis dato half das Instru-
ment nur bedingt, setzte es doch
voraus, dass Mitarbeiter Alturlau-
be abbauen, ehe sie in Kurzarbeit
(KUA) gehen. Die in diesem Fall in
bisheriger Höhe fälligen Gehälter
und Sonderzahlungen würden die
Liquidität erst recht dezimieren.
Deshalb fällt diese Bedingungnun
weg, erfuhrDERSTANDARDin So-
zialpartner-Kreisen.Die Betriebe
sollen nun auch ohne Alturlaubs-
abbau in KUA switchen können.
Damit sollte die Gefahr, dass
einnahmenlosen Betrieben die
Luft ausgeht, reduziert sein. Auf
staatlicheHaftungen und Über-
brückungskredite sind viele von
ihnen trotzdemangewiesen–und
das Wohlwollen der Banken. Denn
ohne realistische Aussicht, die so-
hin angehäuften Schuldenjezu-
rückzuzahlen, wird keine Haus-
bank weiteres Geld verleihen.

Nachgelegt haben Regierung
und Sozialpartner auch bei den
Dienstgeberbeiträgen: Das Ar-
beitsmarktservice übernimmt die
Dienstgeberbeiträge bereits ab dem
ersten Monat der KUA, nicht erst
ab dem vierten. Der Unterschied
zu früheren Varianten: Die geleis-
tete Arbeitszeit nicht wöchentlich
betrachtet, sondern kumuliert
über die beantragte Zeitspanne.
BeieinemVollzeitarbeitnehmer
(38,5 Wochenstunden), mit dem
drei Monate Kurzarbeit mit der
niedrigstmöglichen Arbeitszeit
(zehn Prozent) vereinbart wird,
sieht die Rechnung so aus: Die Ge-
samtarbeitszeit in den 13 KUA-
Wochen beträgt rund 50 Stunden
(je Woche 3,85 Stunden). Davon
wird in den ersten elf Wochen
nichts erbracht, in der zwölften
Woche knapp zwölf Stunden und
in der 13. Woche wieder Normal-
arbeitszeit. Das AMS übernimmt
80 bis 90 Prozent des Nettoent-
gelts: der Arbeitgeber zehn. (ung)

KeineKompensation fürVerdienstentgang, dafür Recht aufAussetzen
vonLöhnen und Gehältern. Das Corona-Gesetz hebelt die bisherigen
Mechanismen aus undkönnte massiveKonsequenzen haben.

Geschlossene Betriebe


könnenEntgelt aussetzen


D


ie Regierung hat mit dem
Covid-19-Maßnahmenge-
setz, das im Eilverfahren
am Sonntag von National- und
Bundesrat beschlossen wurde,
viele Fragen aufgeworfen. Das gilt
vor allem für die im Verordnungs-
wege erlassenen Schließungen
ganzer Sektoren. Ausgenommen
sind Lebensmittelhandel, Apothe-
ken, Drogerien, Banken, Tankstel-
len, Post- und Telekomleistungen
und ein paar weitere Bereiche. Die
vom Betretungsverbot erfassten
Branchen–von Textilketten bis
hin zu Friseuren–haben derzeit
faktisch kein Geschäft.
Neben der Freisetzung von Mit-
arbeitern oder der Inanspruch-
nahme von Kurzarbeit könnten
die mit Umsatzeinbußen konfron-
tierten Unternehmen die Löhne
und Gehälter nicht mehr bezah-
len. Dazu hätten sie auch das
Recht, bestätigen mehrere Ar-
beitsrechtsexperten. Denn die Re-
gierung hat dazu die Tür geöffnet.
Warum das so ist? Unter dem Epi-
demiegesetz haben Mitarbeiter
einen Anspruch auf Fortzahlung,
wenn der Betrieb dichtgemacht
wurde, der Arbeitgeber kann sich
die Ausgaben vom Bund zurück-
holen.
Mit dem neuen Gesetz wurde
diese Regelung ausgehebelt. §
besagt, dass die Bestimmungen
des Epidemiegesetzes betreffend
die Schließung von Betriebsstät-
ten mit Inkrafttreten der genann-
ten Verordnung nicht zur Anwen-
dung gelangen. Das wirft nun die
Frage der Lohnfortzahlung auf.
Laut den Experten der Rechtsan-
waltskanzlei CMS besteht im Fal-
le einer Pandemie „keine Entgelt-
fortzahlungspflicht des Arbeitge-
bers“. Der Grund: Corona sei als
höhere Gewalt einzustufen, bei
der laut Risikoregelung des Allge-
meinen Bürgerlichen Gesetzbuchs
(ABGB) der Arbeitnehmer den
Schaden zu tragen habe.


Höhere Gewalt


Das sieht auch die Arbeits-
rechtsexpertin Barbara Klinger
von der Kanzlei Schindler so: Die
herrschende Meinung vertrete die
Ansicht, dass die Arbeitnehmer
den Entgeltfortzahlungsanspruch
dann verlieren, wenn die Arbeits-
leistung aufgrund von höherer Ge-
walt unterbleibt, die nicht nur den
konkreten Arbeitgeber, sondern
die Allgemeinheit trifft. Klinger
jedenfalls wertet die Pandemie als
höhere Gewalt. Sei die Betriebs-
schließung aufgrund der Covid-
19-Maßnahmen notwendig, sei


von einem Entfall der Ansprüche
der Beschäftigten auszugehen.
Dass höhere Gewalt gegeben ist,
darauf hat Rechtsanwalt Ralf Pe-
schek von der Kanzlei Wolf Theiss
schon zu Wochenbeginn im
STANDARD verwiesen. Er argu-
mentierte u. a. mit einer Entschei-
dung des Obersten Gerichtshofs.
Demnach entfällt bei Elementar-
ereignissen, die auch die Allge-
meinheit betreffen, die Entgelt-
pflicht des Arbeitgebers.
Von der Lehre wird diese An-
sicht untermauert. Andreas Von-
kilch,Zivilrechtsprofessor in Inns-
bruck, sieht daher massive sozial-
politische Probleme auf Öster-
reich zukommen. Denn manche
Unternehmen könnten –„wenn
sie mit dem Rücken zur Wand ste-
hen“–gezwungen sein, die Fort-
zahlung einzustellen. Warum der
Gesetzgeber diese Lücke aufgeris-
sen hat, ist zwar nicht klar, Von-
kilch hat aber eine Vermutung:
„Der Gedanke war wohl, dass der
Staat das nicht stemmen kann.“
Dabei geht es nicht nur um die
Übernahme der Lohnkosten bei
verordneten Schließungen, son-
dern auch um den Ersatz des Ver-
dienstentgangs durch die öffentli-
che Hand. Der Staat habe diese
Verpflichtung „über die Hintertür
entsorgt“, so Vonkilch.

Klarstellung erhofft
Die Anwältin Klinger hofft frei-
lich noch auf eine klarstellende
Regelung, beispielsweise indem
der Gesetzgeber die durch Schlie-
ßungen betroffenen Gehälter noch
übernimmt. Denn von einem kann
ausgegangen werden: Der Arbeit-
geber könnte mit der Aussetzung
der Lohnzahlungen ein Rechts-
risiko eingehen, womit langwieri-
geGerichtsverfahrendrohenkönn-
ten. Professor Vonkilch wiederum
kann sich einen anderen Eingriff
vorstellen: Die Fortzahlung könn-
te den Arbeitgebern durch einen
entsprechenden Zusatz im ABGB
auferlegt werden.
Gar nicht angetan von der jetzi-
gen Verunsicherung ist der Ar-
beitsrechtsexperte Martin Risak.
Er will die Frage der Entgelt-
pflicht bei verordneten Schlie-
ßungen nicht so einfach beant-
worten. Er argumentiert, dass die
öffentliche Hand mit der neuen
Kurzarbeitsregelung und dem Kri-
senfonds mittelbar in der Krise
einspringe, wie sie es laut Epide-
miegesetz unmittelbar getan hät-
te. Es sei daher nicht so eindeutig,
ob sich der Arbeitgeber auf höhe-
Geschäft gesperrt, Job weg, Fortzahlung weg: Das könnte manchem Arbeitnehmer blühen. re Gewalt berufen könne.

Foto: APA

/Herbert Oczeret

AndreasSchnauder

THEMA:Coronavirus-Krise *

Free download pdf