Süddeutsche Zeitung - 07.04.2020

(やまだぃちぅ) #1
München– BMW macht den Anfang bei
den schlechten Nachrichten: Als erster
deutscher Hersteller hat der Münchner Au-
tokonzern Ergebnisse für das erste Quartal
präsentiert, die natürlich miserabel sind
angesichts der Corona-Krise. 21 Prozent
weniger Autos verkauft im Vergleich zum
Vorjahr, in absoluten Zahlen ausgedrückt
477 111 Wagen. In den Fabriken werden die
Bänder bis Ende April stehen.
Das ist ein ziemliches Desaster – und
dennoch gibt man sich bei BMW weiterhin
zuversichtlicher als bei vielen anderen Un-
ternehmen in der Branche, die rote Zahlen
am Jahresende befürchten. Die Mitte März
bekannt gegebenen Geschäftsaussichten
hätten weiterhin Bestand, erklärte ein

BMW-Sprecher an diesem Montag: „Für
das Gesamtjahr rechnen wir nach der aktu-
ellen Planung mit einer Marge im Korridor
zwischen zwei und vier Prozent.“ Hauptar-
gument weiterhin: In China sehe man be-
reits wieder „einen starken Auftragsein-
gang“, so Vertriebschef Pieter Nota. Die
Seuche erschwere auch nicht den Kurs, die
härteren CO2-Richtlinien der EU zu erfül-
len: Die verbleibenden Kunden fragten
mehr Autos mit Elektro-Antrieben nach.
„Wir sehen keine Notwendigkeit, die Ziel-
setzung zum Schutz des Klimas auszuset-
zen“, sagt Nota – im Gegensatz zu manch
anderem Manager der Konkurrenz.
Auch das Geld reicht derzeit noch in
München: „Unsere Liquidität von 17,4 Milli-

arden Euro gibt uns einen soliden Hand-
lungsspielraum“, heißt es von BMW. Im-
merhin denkt man nun auch in München
nach, wo sich Geld beschaffen ließe, wenn
die Seuche die Geschäfte stärker beein-
trächtigt als erhofft. Man habe „ein breites
Instrumentarium an Refinanzierungsmög-
lichkeiten“, auch Darlehen der staatlichen
KfW-Bank seien möglich. Etliche Konkur-
renten gaben in den vergangenen Tagen be-
kannt, Kreditlinien auszuweiten: Daimler
(um 12 Milliarden Euro), Fiat-Chrysler (3,5)
und Peugeot-Citroën (drei).
Bereits am Freitag hatte das Kraftfahrt-
bundesamt die Statistik der Zulassungen
für Deutschland errechnet. Überall zeigen
sich dabei rote Balken im Vergleich zum
entsprechenden Vorjahresquartal. BMW
kommt im Inlandsgeschäft noch glimpf-
lich davon, minus sieben Prozent. Opel
und Peugeot haben jedoch bereits ein Drit-
tel ihres Deutschlandgeschäfts verloren.
Volkswagen und Toyota etwa 18 Prozent.
Wenn man allein den Monat März betrach-
tet, schlagen sich etwa die Schließungen
von Autohäusern und ein zurückgehendes
Kaufinteresse gravierend nieder: Ein Drit-
tel weniger Autos wurden in Deutschland
im Vergleich zum März des vergangenen
Jahres verkauft, nur noch 215 119 Wagen,
so wenige wie zuletzt vor 20 Jahren.
In den drei Ländern Kontinentaleuro-
pas, die von der Seuche noch härter getrof-
fen wurden, sind die Verkaufszahlen noch
stärker eingebrochen: In Spanien sanken
die Neuzulassungen um 69 Prozent, in
Frankreich um 73 Prozent und in Italien so-
gar um 85 Prozent. „Der Neuwagenmarkt

liegt europaweit am Boden“, sagt Peter
Fuß, Partner der Unternehmensberatung
EY. Wie sich das weiter entwickelt? Da
wagt Fuß keine Prognose: Im günstigsten
Fall wird der Rückgang in Deutschland in
diesem Jahr bei 15 Prozent liegen. Dabei
hänge jedoch nicht alles an den derzeit ge-
stoppten Fabrikationen: Auch die nahende
Rezession und wahrscheinliche Jobverlus-
te in größerem Ausmaß dürften die Nach-
frage nach Neuwagen dämpfen, so Fuß.
Es gibt aber eine Produktkategorie, die
offensichtlich in der Krise, vielleicht sogar
ihretwegen, nachgefragt ist: Der Verkauf
von Wohnmobilen stieg hierzulande im
März um mehr als zwei Prozent im Ver-
gleich zum Vorjahr. max hägler

Das Geschäft mit der Angst
Windige Geschäftemacher und
Betrüger schlagen Profit
aus den Sorgen vor Corona 16

Testfall Deutschland
Viele Labore, die auf Covid-
testen, arbeiten am Limit,
auch weil Material fehlt 18

Aktien, Devisen und Rohstoffe 20,

 http://www.sz.de/wirtschaft

DEFGH Nr. 82, Dienstag, 7. April 2020 HF3 15


Im Wartestand: Neue BMW-Fahrzeuge wurden auf Güterzüge verladen. Käufer
sind derzeit schwer zu finden. FOTO: MICHAELA HANDREK-REHLE/BLOOMBERG

von cerstin gammelin
und jan willmroth

Berlin/Frankfurt– Noch vor zehn Jahren
waren die Banken das Problem, die Ursa-
che der Krise, der Grund für die Rezession.
Jetzt sollten sie Teil der Lösung sein. Der
Staat hat Hilfen versprochen für große Kon-
zerne, für mittelgroße Unternehmen und
für die vielen Tausend kleinen Firmen, de-
nen in der Corona-Krise die Umsätze feh-
len. Aber kaum hatte die Bundesregierung
ihren Schutzschirm aufgespannt und die
Staatsbank KfW die ersten Corona-Kredi-
te zugesagt, mehrten sich die Beschwer-
den: Das Geld komme nicht an, es gehe al-
les zu langsam mit den Darlehen – und
weil der Staat nur für bis zu 90 Prozent der
Kreditsumme haften wollte, hielten sich
die Banken zurück. DIHK-Präsident Eric
Schweitzer hatte vor einer „Pleitewelle un-
vorstellbaren Ausmaßes“ gewarnt, und
mit ihm hatten sich viele Funktionäre für
volle Staatsgarantien ausgesprochen.
Die Mahner wurden erhört, und die an-
fängliche Berliner Skepsis hatte sich mit
diesem Montag erledigt, als Bundesfinanz-
minister Olaf Scholz (SPD) und Bundeswirt-
schaftsminister Peter Altmaier (CDU) ein-
mal wieder gemeinsam auftraten, zum
dritten Mal innerhalb von drei Wochen.
Zwar hatten sie diesmal kein Mammut-
Kredit-Paket dabei, aber dafür ein zusätzli-
ches KfW-Kreditprogramm für kleine und
mittelständische Unternehmen. Für die
soll es jetzt Schnellkredite geben, versehen
mit einer 100-Prozent-Garantie des Bun-

des, als Antwort auf all die Warnungen aus
den Verbänden. Um einen solchen Schnell-
kredit zu beantragen, seien nur noch drei
Bedingungen zu erfüllen, sagte Scholz. Das
Unternehmen muss 2019 bereits existiert
und Gewinn gemacht haben. Es muss sich
„in geordneten wirtschaftlichen Verhält-
nissen“ befinden. Und der Kredit darf
höchstens drei Monatsumsätze des Jahres
2019 betragen; maximal gibt es für ein Un-
ternehmen mit 11 bis 49 Mitarbeitern 500
000 Euro, für ein Unternehmen ab 50 Mit-
arbeitern 800 000 Euro. Das Programm
soll in wenigen Tagen bereit sein. Die Bun-
desregierung schöpfe nun „vollständig“
aus, was nach Rücksprache mit der EU ge-
nehmigungsfähig sei.
Die Hausbanken sollen nur noch als
Zahlstelle fungieren, ihretwegen soll sich
die Auszahlung der Finanzhilfen nicht
mehr verzögern. Die sonst übliche Risiko-
prüfung mit Blick in die Zukunft soll entfal-
len – die Betriebe müssen eben nur wahr-
heitsgemäß erklären, dass es ihnen bis zu-
letzt wirtschaftlich gut ging. Auch die KfW
prüft das Kreditrisiko nicht mehr geson-
dert. „Ziel ist eine schnelle Kreditvergabe“,
so lautet die Maßgabe im Beschluss des Co-
rona-Kabinetts vom Montag.
Die Kredite sind einheitlich mit einem
Zinssatz von drei Prozent versehen und lau-
fen über zehn Jahre, bei einer tilgungsfrei-
en Zeit von bis zu zwei Jahren. Wer vorzei-
tig zurückzahlt, soll nicht extra belangt
werden. Nach einer Zusage können Unter-
nehmen das Geld einen Monat lang abru-
fen. Wer zuerst einen mit drei Prozent ver-

zinsten Schnellkredit erhalten habe, kön-
ne diesen später in ein anderes KfW-Darle-
hen mit einem Zinssatz von 1,5 Prozent um-
schulden, versprach Altmaier. Scholz sag-
te, die Banken könnten am Donnerstag los-
legen „mit der Bearbeitung der Sachen“. Er
hält die Wahrscheinlichkeit für gering,
dass die Kredite am Ende nicht zurückge-
zahlt würden – man habe „so lange nachge-
dacht und daran gearbeitet, bis wir glau-
ben konnten, dass die Ausfallwahrschein-
lichkeit so gering wie möglich ist“, sagte er.
Auch habe man dem Risiko vorgebeugt,
dass Banken ihre schlechten Kredite mit
den Staatsgarantien umschulden.

Viele der Unternehmen, auf die das
Schnellkreditprogramm abzielt, sind typi-
scherweise Kunden bei Volksbanken oder
Sparkassen. Letztere hatten über ihren
Spitzenverband DSGV auf die 100-Prozent-
Garantie gedrängt, weil sonst viele Firmen
keinen Kredit bekämen. „Die Bundesregie-
rung hat hier schnell und richtig gehan-
delt“, sagte DSGV-Präsident Helmut Schle-
weis, forderte aber auch weitere Vereinfa-
chungen. Es müsse „glasklar“ sein, welche
Unterlagen und Voraussetzungen von Kre-
ditnehmern vorliegen müssen. Je klarer
das geregelt sei, desto schneller werde die
Abwicklung in den Hausbanken möglich
sein. Ähnlich äußerte sich der Bundesver-

band der Volks- und Raiffeisenbanken
(BVR). Da der haftungsfreie Förderkredit
mit zurückgezahlt werden müsse, bedürfe
es weiterhin einer wenn auch vereinfach-
ten Risikoprüfung durch die Hausbank,
sagte eine Sprecherin.
Kaum sind die neuen Maßnahmen ver-
kündet, wird im politischen Berlin wieder
diskutiert, ob die neuen Hilfen für den Mit-
telstand wegen der massiven Auswirkun-
gen der Pandemie nicht ausgeweitet wer-
den müssen. „Dieses Limit muss auf drei
Millionen Euro angehoben werden“, forder-
te etwa der CSU-Finanzpolitiker Hans Mi-
chelbach mit Blick auf die Obergrenze von
800 000 Euro.
Die Minister erinnerten dann noch un-
freiwillig an eine lustige Szene von vor
zwei Jahren. Damals hatte ihre Zusammen-
arbeit in der neuen, ungewollten großen
Koalition begonnen. Mitte März hatten sie
die offizielle Amtsübergabe im Matthias-
Erzberger-Saal des Bundesfinanzministe-
riums gefeiert. Gäste berichteten danach,
der scheidende Interimsfinanzminister
Altmaier, der auf dem Sprung ins Wirt-
schaftsministerium war, habe seinem
Amtsnachfolger Scholz eine enge Zusam-
menarbeit angeboten und als historische
Vorbilder als Karl Schiller und Franz Josef
Strauß verwiesen. Der SPD-Wirtschaftsmi-
nister und der CSU-Finanzminister waren
in der ersten großen Koalition ein unglei-
ches Duo gewesen: Die Bürger nannten die
beiden Politiker bald Plisch und Plum, we-
gen des für seine Streiche bekannten Hun-
Katja Nagel, 56, ist Chefin einer Münchner depaars von Wilhelm Busch.  Seite 4
Unternehmensberatung, und sie mag Wa-
le. Wieso? Die Meeresriesen haben eine be-
sondere Begabung, sie können Hunderte
verschiedene Laute erzeugen, mit denen
sie sich untereinander verständigen. Bar-
tenwale kommunizieren mit Artgenossen
locker über Distanzen von 250 Kilometern.
Buckelwale nutzen ganz eigene Gesänge,
je nachdem, ob sie im Atlantik oder im Pazi-
fik leben; brächte man sie in einem Bassin
zusammen, würden sie sogar voneinander
lernen – so wie Menschen Fremdsprachen.
Solche Verständigungskunst gefällt Kat-
ja Nagel, deren Mutter Griechin ist, ihr
Vater ist Deutscher. Das Beratungsunter-
nehmen, das sie vor 14 Jahren gründete
und bis heute als Geschäftsführerin leitet,
nannte sie Cetacea – das ist der zoologi-
sche Gattungsbegriff für Wale und Delfine.
Kommunikative Begabung ist für Bera-
tungsfirmen wie Nagels Cetacea beson-
ders wichtig – gerade in Zeiten von Corona.
Überall im Land gibt es jetzt Unternehmen,
die schwer getroffen sind von der Krise, die
eine tiefe Rezession erwarten. Allerorten
herrschen Angst und Unsicherheit, wird
Kurzarbeit beantragt, werden Stellenab-
baupläne und Krisenszenarien geschrie-
ben. Chefs und Topmanager stehen vor
harten Entscheidungen, Mitarbeiter ban-
gen um ihre Jobs. Viele sitzen seit Wochen
im Home-Office, oft mit Kindern, alle eint
die Sorge: Wie geht es weiter?
Günstige Zeiten für Unternehmensbera-
ter? „Ja und nein“, sagt Nagel, „Unterneh-
men brauchen Rat, erst recht in Krisen wie
diesen, aber sie müssen auch schauen, was
sie sich leisten können“. 30 feste Berater
arbeiten für Cetacea, dazu kommen etwa
30 freie Kollegen. Sie alle sind trainiert, Fir-
men in „special situations“, in Sondersitua-
tionen, beizustehen. Schon immer ging es
dabei um „Umstrukturierung“, „Post-Mer-
ger-Integration“ oder „strategische Neu-
ausrichtung“ – so nennen Unternehmens-


berater derartige Umbrüche in ihrem oft
herzlosen Jargon. Nun geht es nur um eine
Frage: Wie schlimm werden die Folgen die-
ser Krise? Keiner weiß es, alle schwimmen.
Katja Nagel ist jetzt auf eines bedacht: ih-
re Truppe zusammenzuhalten. Alle „Routi-
nen“ sind weggebrochen – die Fahrt ins
Büro, die Meetings, der Jour fixe. Jeden
Tag um 17 Uhr ruft Nagel nun ihre Mitarbei-
ter per Videocall zusammen. Dann wird
besprochen, welche Probleme und welche
Lösungen es gibt. „Dass man sich dabei
sieht“, so Nagel, „ist wichtig“ – für Mitar-
beiter und für Führungskräfte. Es entste-
he „eine andere Nähe, wenn wir uns nicht
nur auf unsere Stimme verlassen müssen“.
Auch Unternehmensberater kommen in
solchen Zeiten nicht ungeschoren davon,
das kennt Nagel bereits aus der Finanzkri-
se. Für sie sei diese Erfahrung heute „heil-
sam, dass man weiß, wovon man spricht.“
Zum Glück habe Cetacea Großmandate,
die weiterlaufen. „Ich war“, sagt Nagel, die
bei Siemens und der Telekom früh Karrie-
re machte, „in meinem Leben schon alles:
Mitarbeiterin, Führungskraft und Topma-
nagerin“. Ihre Erkenntnis: „Pragmatisch
gesehen, möchten Firmen jetzt die guten
Leute halten“. Diese müssten aber „auch
sehen, dass das Management es wert ist“.
Gefragt seien nun Chefs mit „emotiona-
ler Intelligenz“, die „Mut haben, der Reali-
tät ins Auge sehen und sagen: Jetzt packen
wir das an“. Es gebe aber auch Manager,
die sich „eingraben, wenn die Lage schwie-
rig ist“, die Hilfe benötigen, um „die Deu-
tungshoheit über die Krise“ zu gewinnen.
Billig sind die Cetacea-Berater jedoch
nicht. In der Branche liegen die Stundenho-
norare zwischen 100 und 700 Euro. „Wir ge-
hören nicht zu den teuersten“, sagt Nagel.
Gerade hat sie 200 Firmen per Brief ein kos-
tenloses Beratungsgespräch angeboten. In
der Welt der Wale würden nun bestimmt
einige antworten. Aber: Können Wale auch
rechnen? hendrik munsberg

von caspar busse

W


enn es in den vergangenen Jah-
ren etwas gab, über das sich Cars-
ten Spohr schnell aufregen konn-
te, dann war es die staatliche Unterstüt-
zung für die Konkurrenz. Gerne prangerte
der Lufthansa-Chef etwa die Strategie der
Staats-Airlines vom Golf an, die mit massi-
ver öffentlicher Unterstützung Marktan-
teile gewinnen wollten und der Konkur-
renz das Leben schwer machten – koste
es, was es wolle. Oder er kritisierte die gro-
ßen amerikanischen Fluggesellschaften,
die sich mit staatlicher Unterstützung sa-
nierten und sich eines Teils ihrer Schul-
den entledigen konnten. Auch die Alitalia,
die seit Jahren am Tropf der Regierung in
Rom hängt und nur deshalb noch fliegt,
kam selten gut weg.


Jetzt aber ist Lufthansa so schwer von
der Corona-Krise getroffen wie wenige an-
dere deutsche Dax-Unternehmen – und
plötzlich selbst ein Fall für den Staat. Es
wird über Kredite und Hilfen verhandelt,
sogar ein Einstieg der staatseigenen KfW
ist im Gespräch, von einer gesamten Un-
terstützung von bis zu zehn Milliarden Eu-
ro ist die Rede, das ist viel Geld. Bis Mitte
der 60er-Jahre des vergangenen Jahrhun-
derts war die Fluggesellschaft zu 100 Pro-
zent in Staatsbesitz und wurde dann
schrittweise privatisiert, 1997 hat sich der
Staat endgültig zurückgezogen, Lufthan-
sa profitierte davon sehr. Denn der Staat
ist selten ein guter Unternehmer, das zei-
gen viele Beispiele.
Bei aller (zu Recht vorgebrachten) Skep-
sis gegen Firmenbeteiligungen der öffent-
lichen Hand – es ist trotzdem richtig,
wenn der Staat nun Lufthansa retten wür-
de, zumindest für eine gewisse Zeit. Aus
mehreren Gründen.
Zunächst ist die mit Abstand größte
deutsche Fluggesellschaft durchaus sys-
temrelevant. Eine Volkswirtschaft, die so
vom Export abhängig ist wie die deutsche,
braucht unbedingt auch eine internatio-
nal präsente Airline. Nur so können wichti-
ge Verbindungen angeboten werden, un-
abhängig von Interessen anderer Staaten,
das gilt umso mehr in einer Welt, die sich



  • ob man das will oder nicht – mehr und
    mehr abschottet und von nationalen Über-
    legungen gelenkt wird. Lufthansa ist
    nicht irgendein Unternehmen, noch dazu


mit vielen Arbeitsplätzen in Deutschland.
Nicht umsonst hat etwa das Auswärtige
Amt bei der groß angelegten Rückholakti-
on von Deutschen aus aller Welt vor allem
auf Lufthansa gesetzt.
Zweitens trifft die Corona-Virus-Krise
die Luftfahrtindustrie in bisher kaum vor-
stellbarem Ausmaß. Lufthansa hat mehr
als 700 ihrer 760 Maschinen am Boden
und bietet nur noch rund fünf Prozent sei-
ner früheren Verkehrsleistung an, ein
Großteil der Kosten läuft aber weiter. Der
Flugplan der Airline sieht gerade unge-
fähr so aus wie der von 1955, mit einem
Flugzeug- und Personalbestand aus dem
Jahr 2020. Eine solchen Absturz kann
kein Unternehmen abfedern. Dabei hat
die Lufthansa in der Vergangenheit im Ge-
gensatz zu einigen Konkurrenten solide
gewirtschaftet. Ein größerer Teil der Flot-
te ist in eigenem Besitz, viele andere Air-
lines fliegen nur mit geleasten Maschi-
nen. Lufthansa war zuletzt im Kern ge-
sund, konnte gute Zahlen und ein funktio-
nierendes Geschäftsmodell vorweisen,
das nicht nur auf dem Verkauf von durch-
aus fragwürdigen Billigtickets basierte.
Drittens ist kein schnelles Ende der Kri-
se in Sicht. Auch wenn die Restriktionen
für den Flugverkehr irgendwann schritt-
weise aufgehoben werden sollten, ist of-
fen, wann sich das Geschäft wieder norma-
lisiert. Ob es in Zukunft noch immer so vie-
le Geschäftsreisende wie zuletzt geben
wird (von denen Lufthansa überproportio-
nal profitiert), darf bezweifelt werden. Vie-
le lernen jetzt die Vorzüge von Videokonfe-
renzen kennen und erfahren, wie viel man
ohne Reisen erledigen kann. Zudem dürf-
ten die Reisebudgets in vielen Unterneh-
men dauerhaft gekürzt werden. Ungewiss
ist auch, ob sich der Tourismus schnell er-
holen wird.
Einiges spricht dafür, dass der Bund
mit einer sogenannten stillen Beteiligung
bei Lufthansa einsteigen sollte, also ohne
direkten Einfluss auf die operativen Ge-
schäfte. An der Börse ist die Fluggesell-
schaft nach dem Absturz der Aktie nur
noch gut vier Milliarden Euro wert, mit
der Ausgabe neuer Aktien ist da nicht viel
zu holen. Lufthansa muss aber auch klar
sein, dass ein Einstieg des Staates Ver-
pflichtungen mit sich bringt. So muss sich
die Gesellschaft künftig mehr auf den Kli-
maschutz konzentrieren. Keinesfalls dür-
fen nicht-kostendeckende Billigtickets an-
geboten werden, die dann indirekt mit
Staatsgeld subventioniert wären. Der
Bund wird der Airline aus der Krise helfen
können. Gemütlicher wird die Zeit für Kon-
zernchef Spohr damit aber sicher nicht.

HEUTE


WIRTSCHAFT


Viele Mittelständler trifft die Krise besonders hart. Nun sollen sie leichter ans Geld kommen. FOTO: JENS BÜTTNER/DPA

NAHAUFNAHME


„Firmen möchten
jetzt die guten Leute
halten. Diese müssen aber
auch sehen, dass das
Management es wert ist.“
Katja Nagel
FOTO: CETACEA GMBH

Vollkasko

Noch in dieser Woche soll das erste Geld fließen: Mittelständische Unternehmen können jetzt Corona-Kredite
beantragen, bei denen der Staat das komplette Risiko übernimmt. Endet so die Zurückhaltung der Banken?

Schwimmkurs für alle


Wie Unternehmensberaterin Katja Nagel die Krise erlebt


Ein bisschen Hoffnung


Die Corona-Folgen treffen BMW offenbar weniger hart als viele Konkurrenten


LUFTHANSA

Ein Fall für den Staat


Eine Volkswirtschaft, die vom


Export abhängig ist, braucht


auch eine internationale Airline


Kaum war das Programm
beschlossen, warnte schon
jemand: Es reiche wieder nicht
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