Süddeutsche Zeitung - 07.04.2020

(やまだぃちぅ) #1
interview: leo klimm

S


chon seit einem Monat geht Angel
Gurría kaum aus dem Haus. Erst durf-
te er nicht hinaus, weil es in seinem
Umfeld einen frühen Coronavirus-Fall
gab. Als seine Quarantäne dann vorbei
war, galten auf einmal strenge Ausgangsbe-
schränkungen, an die sich auch der Chef
der in Paris ansässigen Industriestaatenor-
ganisation OECD halten muss. Und die Pan-
demie ist Gurría zufolge nur der Anfang ei-
ner langen Zeit der Entbehrungen. Ange-
sichts der schweren Krise, die nun beginnt,
verlangt der OECD-Generalsekretär mehr
Solidarität – besonders von Deutschland.


SZ: Herr Gurría, Sie fordern einen „New
Deal“, um die Weltwirtschaft von der Coro-
na-Krise zu heilen. Der New Deal war
einst die US-Antwort auf die verheerende
Krise von 1929. Ist die Lage so schlimm?
Angel Gurría: Die Ursachen und Umstände
waren damals andere. Die Welt ist heute
viel stärker vernetzt, die Möglichkeiten zur
Bekämpfung der Krise sind allerdings
auch besser. Dass eine Rezession bevor-
steht, bezweifelt keiner. Eine Depression
wie 1929 droht uns derzeit nicht.
Warum spielen Sie dann darauf an?
Wir brauchen eine Vision für den Wieder-
aufbau, wie sie der New Deal vermittelte.
Das Virus muss mit allen verfügbaren Mit-
teln bekämpft werden, so wie das in vielen
Ländern geschieht. Gleichzeitig müssen
die Regierungen so viele Jobs und Unter-
nehmen wie möglich vor den Folgen des er-
zwungenen Stillstands bewahren. In vie-
len Ländern brechen 40 Prozent der Wirt-
schaftsleistung weg.
Gibt es eine Chance, so rasch aus der Krise
zu kommen, wie wir hineingeraten sind?


Leider nicht. Die wirtschaftlichen und sozi-
alen Folgen des Virus werden uns viel län-
ger beschäftigen als das Virus selbst. Min-
destens dieses Jahr und das nächste. Diese
Krise wird härter und zerstörerischer als
die Finanzkrise von 2008. Der Konjunktur-
verlauf wird, grafisch gedacht, keine
V-Form haben, sondern eher einem U glei-
chen. Und dabei müssen wir alles tun, dass
er keine L-Form annimmt, dass wir also
gar nicht mehr aus dem Tief herauskom-
men. Schon vor der Corona-Krise war die
Weltwirtschaft ja im Abschwung. Die Lage
ist dramatisch.

Der Corona-Kampf steigert die Staatsver-
schuldung enorm – eine Last in der Zu-
kunft. Wird die jüngere Generation dem
Virus geopfert?
Wir opfern keine Generation. Wir retten
sie. Millionen Menschen Krankheit und
Tod auszusetzen ist keine Alternative.
Großbritannien musste das Experiment
mit der Herdenimmunität abbrechen, weil
es in einer Demokratie schlicht nicht ver-
tretbar ist. Niemand kann akzeptieren, zur
Ansteckung mit dem Coronavirus verur-
teilt zu werden. Immerhin: Die Pharma-La-
bore arbeiten mit Nachdruck an einem

Impfstoff, um die nächste Infektionswelle
zu parieren. Es war ein großer Fehler, nach
der Sars-Epidemie von 2003 die Entwick-
lung eines Impfstoffs zu stoppen.

Läutet die Pandemie das Ende der libera-
len Doktrin offener Grenzen und des Frei-
handels ein? Die Globalisierung hat es
dem Virus leicht gemacht.
Im Gegenteil. Die Krise lehrt uns, dass wir
mehr internationale Zusammenarbeit
brauchen. Das bedeutet auch: Jedes Land
muss Transparenz walten lassen. In China
gab es am Anfang der Epidemie offenbar
Probleme damit, dass Informationen über
die Entwicklung nicht korrekt weitergege-
ben wurden. Wertvolle Wochen gingen so
verloren.
Muss die Lektion nicht lauten: Strate-
gisch wichtige Güter, etwa medizinische,
müssen im eigenen Land produziert wer-
den?
In manchen strategischen Industrien mö-
gen kürzere Wege angebracht sein. Doch
Abgesänge auf die Globalisierung sind
fehl am Platz. Nehmen wir die Elektronik-
industrie, deren Erzeugnisse wir ständig
nutzen: Sie funktioniert nur dank einer
weltweiten Arbeitsteilung, in der jeder sei-
nen komparativen Vorteil nutzt. Anstatt
Wertschöpfungsketten zu zerstören, soll-
ten wir die Integration der Weltwirtschaft
beschleunigen und die Handelsschranken
wieder einreißen, die in den vergangenen
zwei Jahren aufgebaut wurden. Auch sie
kosten Wachstum. Versuche von Staaten,
sich zu Selbstversorgern zurückzuentwi-
ckeln, werden keinen Erfolg haben.
Durch die Krise sind auch in reichen Län-
dern viele von Armut bedroht. Sollte es im
Moment nicht ums Soziale gehen anstatt
ums Geschäft?

Der soziale Zusammenhalt sollte jetzt im
Mittelpunkt stehen. Die Ungleichheiten
drohen weiter zu wachsen, weil sich Men-
schen mit Vermögen besser vor dem Virus
und seinen Folgen schützen können als die
Schwächeren. Die Hälfte der Mitglieder
der Mittelschicht in den OECD-Staaten
fällt nach nur drei Monaten ohne Lohn aus
der Mittelschicht heraus. Deswegen ist das
deutsche Modell der Kurzarbeit so wert-
voll. Hinter der Corona-Krise lauert die po-
litische Krise. Produziert sie zu viele Verlie-
rer, steigt die in vielen Industriestaaten oh-
nehin schon hohe Unzufriedenheit weiter.

Die Bundesregierung und andere reiche
Staaten geben viele Milliarden zur Krisen-
bekämpfung aus. Genügt das?
Es ist zu früh, das zu beurteilen. Das wich-
tigste Signal war, dass Notenbanken wie
die Europäische Zentralbank Geld in den
Markt pumpen. Die Finanzmärkte sind
aber noch nicht beruhigt, im Moment fehlt
das Vertrauen. Vielleicht ist es also noch
nicht genug.

Die Staaten der Euro-Zone streiten um ge-
meinsame Gemeinschaftsanleihen, soge-
nannte Corona-Bonds. Damit könnten
hoch verschuldete Staaten wie Italien, die
hart von der Pandemie betroffen sind, von
der deutschen Kreditbonität profitieren.
Eine gute Idee?

Ich bin absolut dafür. Finanzrisiken zu tei-
len, ist der nächste notwendige Schritt der
europäischen Integration. Die Corona-Kri-
se konfrontiert die Euro-Staaten scho-
nungslos mit der Frage, ob sie zu mehr Eu-
ropa bereit sind. Wobei ich es legitim finde,
wenn diese Form der Hilfe mit politischen
Auflagen verknüpft wird.
Sollte es keine Einigung geben: Bedeutet
diesdas Ende derEuro-Zone, weil sich Ita-
lien die Währungsunion nicht mehr leis-
ten kann?
Geht es etwas weniger dramatisch? Ein Fi-
nanzinstrument sollte keine Glaubensfra-
ge sein. Man sollte solche Anleihen pragma-
tisch sehen: als nützliches, machtvolles
und effizientes Mittel, das Risiken verteilt.
Funktioniert es, spart es Kosten. Funktio-
niert es nicht, muss es eben nachgebessert
werden. Die Euro-Staaten, die jetzt skep-
tisch sind, müssen sich eines bewusst ma-
chen: Es ist in ihrem Interesse, dass alle Eu-
ro-Länder stabil sind und ihren Wohlstand
halten. Dann kaufen sie auch mehr, etwa
von Deutschland. Dafür, dass Deutschland
anderen ein bisschen von seiner Kreditwür-
digkeit leiht, bekommt es viel zurück. Und
das Signal an den Rest der Welt wäre: Euro-
pa ist stark.

Die Corona-Krise beschleunigt die Digita-
lisierung. Die OECD-Staaten verhandeln
schon lange über eine Mindeststeuer für
Internetkonzerne wie Amazon und Goo-
gle, das soll Steuervermeidung unterbin-
den. Wann gibt es Ergebnisse?
Ich strebe eine Grundsatzeinigung Anfang
Juli an. In der Corona-Krise wachsen die
Staatsschulden. Viele Regierungen wer-
den sich also nach Einnahmemöglichkei-
ten umsehen – und ihren fairen Teil von
den Digitalkonzernen haben wollen.

Berlin– Bei der Deutschen Bahn sind die
Passagierzahlen im Fernverkehr drastisch
zurückgegangen. Infolge der Corona-Kri-
se liege das Reiseaufkommen in den Zügen
derzeit nur noch bei zehn bis 15 Prozent
des sonst üblichen Niveaus, sagte Konzern-
chef Richard Lutz am Montag in einer Tele-
fonkonferenz. Im Regionalverkehr seien es
mit 15 Prozent nur wenig mehr. Damit liegt
die Nachfrage deutlich unter dem Angebot
des Konzerns. Derzeit seien rund drei Vier-

tel der üblicherweise fahrenden Züge im
Einsatz, sagte Lutz. Die Bahn will den Ver-
kehr auch in den nächsten Wochen nicht
weiter einschränken. Man werde etwa
Pendler systemkritischer Berufe weiter
zur Arbeit bringen, sagte Lutz. Gewerk-
schaften hatten in den vergangenen Tagen
immer wieder gefordert, das Zugangebot
weiter runterzufahren, um Beschäftigte zu
schützen. Auch über Ostern erwartet die
Bahn keine Zunahme der Fahrten. „Unsere
Kundinnen und Kunden gehen verantwor-
tungsvoll mit der aktuellen Situation um“,
sagte der Bahnchef. „Wir sehen in den Bu-
chungszahlen überhaupt kein erhöhtes Vo-
lumen, keine erhöhte Nachfrage.“
Die Epidemie und ihre Folgen durch-
kreuzen auch die Pläne des größten deut-
schen Staatskonzerns, mit dem Börsen-
gang der Auslandstochter Löcher in der ei-
genen Bilanz zu stopfen. Die Bahn werde ih-
re internationale Nahverkehrstochter Arri-
va in diesem Jahr nicht über die Börse ver-
kaufen, kündigte Lutz an. Man halte zwar
an der Entscheidung fest, sehe aber in die-
sem Jahr keine realistische Chance mehr.
Arriva bündelt das Nahverkehrsgeschäft
des Staatskonzerns mit Bus und Bahn in
ganz Europa, hat aber ihren Schwerpunkt
und Sitz in Großbritannien.
Bahnchef Lutz sagte, derzeit sei das Un-
ternehmen finanziert. Man werde aber Ge-
spräche mit Regierung und Haushälter füh-
ren, wie die finanziellen Einbußen im Zuge
der Corona-Krise aufgefangen werden
könnten, etwa durch eine höhere Verschul-
dung. markus balser

Lotto(04. April):
Lottozahlen:9 - 12 - 17 - 24 - 41 - 43
Superzahl: 1


  1. Rang (6 Treffer und Superzahl) 16 948 963,
    Euro, 2. Rang (6 Treffer) 670 652,70 Euro, 3. Rang
    (5 Treffer mit Superzahl) 9766,70 Euro, 4. Rang
    (5 Treffer) 2728,60 Euro, 5. Rang (4 Treffer mit Su-
    perzahl) 174,10 Euro, 6. Rang (4 Treffer) 35,30 Eu-
    ro, 7. Rang (3 Treffer mit Superzahl) 19,60 Euro,

  2. Rang (3 Treffer) 8,80 Euro, 9. Rang (2 Treffer
    mit Superzahl) 5,00 Euro.
    Spiel 77: 5265558
    Gewinnklasse 1, Super 7: unbesetzt, Gewinnklas-
    se 2: 77 777,00 Euro, Gewinnklasse 3: 7777,00 Eu-
    ro, Gewinnklasse 4: 777,00 Euro, Gewinnklasse
    5: 77,00 Euro, Gewinnklasse 6: 17,00 Euro, Ge-
    winnklasse 7: 5,00 Euro.
    13er-Wette:1. Rang unbesetzt, 2. Rang 5351,
    Euro, 3. Rang 236,10 Euro, 4. Rang 35,00 Euro.
    Auswahlwette:Gewinnklasse 1: 2801,30 Euro, Ge-
    winnklasse 2: 144,00 Euro, Gewinnklasse 3: 4,
    Euro, Gewinnklasse 4: 0,80 Euro, Gewinnklasse 5:
    0,80 Euro, Gewinnklasse 6: 0,30 Euro.
    Lotterie Aktion Mensch:Ziehung 31. März: Geld-
    ziehung Rang 1: Nr. 7 490 226; Rang 2: 3 869 836,
    5 945 210; Rang 3: 5 909 333, 8 955 557, 3 125 304,
    2 299 490; Rang 4: 476 624. (Ohne Gewähr)


Miami– Saudi-Arabien steigt in der
Corona-Krise als Großaktionär beim
angeschlagenen amerikanischen Kreuz-
fahrtkonzern Carnival ein. Der Saudi-
Staatsfonds PIF legte am Montag in
einer Mitteilung an die US-Börsenauf-
sicht einen Anteil von gut acht Prozent
an dem Touristikunternehmen offen,
der am letzten Schlusskurs der Aktie
gemessen knapp 370 Millionen Dollar
(rund 343 Mio Euro) wert ist. Carnival
steht mit dem Rücken zur Wand – die
Kreuzfahrtbranche zählt zu den Wirt-
schaftszweigen, die besonders stark
unter der Corona-Pandemie leiden. Zu
Carnival gehört auch der deutsche An-
bieter Aida Cruises. dpa

„Dafür, dass Deutschland
anderen ein bisschen von
seiner Kreditwürdigkeit leiht,
bekommt es viel zurück.“

Berlin/München– In der Wirtschaft ist es
derzeit die Frage, die über fast allem steht:
Wann und wie werden die Einschränkun-
gen des öffentlichen Lebens im ganzen
Land wieder gelockert? Einer der führen-
den deutschen Ökonomen stellt nun klar,
dass es so schnell wohl keine Rückkehr zur
Normalität vor der Krise geben wird. Noch
das gesamte Jahr sei Deutschland „darauf
angewiesen, weiter in einer Krisenwirt-
schaft zu agieren“, sagt Christoph Schmidt,
Präsident des Wirtschaftsforschungsinsti-
tut RWI und Ex-Präsident des Sachverstän-
digenrats, derSüddeutschen Zeitung.
Schmidt ist einer der Hauptautoren ei-
ner Studie der Deutschen Akademie der
Technikwissenschaften, Acatech, in der er
für die Zeit nach der Krise zukunftsweisen-
de Maßnahmen wie Konjunkturpakete
skizziert. Für Schmidt ist klar, dass auch ei-
ner längeren Übergangsphase keinbusi-
ness as usualfolgen wird. „Über eine Exit-
Strategie zu diskutieren, ist unglücklich.
Das suggeriert, dass wir zum alten Zustand
zurückkehren“, warnt Schmidt. „Wir wer-
den aber eine neue Realität bekommen.“
Der Essener Ökonom nennt den Zu-
stand nach der Krise „eine Phase der wach-
samen Normalisierung“, in der es Rück-
schläge geben werde, Politik und Wirt-
schaft müssten deshalb immer wieder
nachsteuern. „Sicher wird es nicht schon
nach Ostern die Rückkehr in eine Welt ge-
ben, in der die Corona-Krise Geschichte
ist“, sagt Schmidt. Es gehe darum, in Zu-
kunft anders und krisenfester zu wirtschaf-
ten. Wichtig sei es etwa, am Klimaschutz


festzuhalten, um Klimakatastrophen wie
Trockenheit und Dürre vorzubeugen.
Die Forscher der Technik-Akademie for-
dern von der Bundesregierung auch organi-
satorisch neue Schritte: „Wir brauchen in
der Bundesregierung neben dem Corona-
Kabinett eine stärkere Koordinierung.“ Die
Acatech-Arbeitsgruppe schlägt deshalb ei-
nen neuen Krisenstab mit Sitz im Kanzler-
amt vor. Die größte Herausforderung für
die Politik sei, dass sie sich in doppelter
Hinsicht im „Neuland“ bewege. „Wir wis-
sen noch immer nicht alles über die Krank-
heit. Und wir wissen auch nicht, wie es
funktioniert, eine Wirtschaft in Winter-
schlaf zu versetzen und wieder aufzuwe-
cken“, warnt Schmidt. Deshalb müsse ein

solches Gremium die Erfahrungen aus al-
len Bereichen von Politik und Wissen-
schaft zusammenführen. Die Regierung
müsse der Bevölkerung zudem klarer als
bisher sagen, dass es große Unsicherheiten
gebe. „Es ist wichtig, dass alle Beteiligten
das stärker kommunizieren. Wir müssen
alle lernen, mit der Unsicherheit zu leben.“
In der öffentlichen Debatte wird teilwei-
se kritisiert, dass die Regierung bisher vor
allem auf Virologen und Mediziner höre.
Zunehmend finden sich aber fachübergrei-
fende Gruppen von Wissenschaftlern zu-
sammen, die sich über die Rettungsmaß-

nahmen Gedanken machen. So hat eine
Gruppe hochkarätiger Ökonomen, Medizi-
ner, Virologen und Ethiker unter dem Titel
„Die Bekämpfung der Coronavirus-Pande-
mie tragfähig gestalten“ Empfehlungen
für eine „flexible, risikoadaptierte Strate-
gie“ vorgelegt (https://www.ifo.de/DocDL/
Coronavirus-Pandemie-Strategie-Fuest-
Lohse-etal-2020-04.pdf).
Koordiniert vom Präsidenten des Ifo-In-
stituts in München, dem Wirtschaftspro-
fessor Clemens Fuest, und dem Mediziner
Ansgar W. Lohse vom Universitätsklini-
kum Hamburg-Eppendorf halten die Ex-
perten die bisherigen Maßnahmen zwar
für geeignet, ein Abflachen der noch steil
ansteigenden Kurve der Infektionszahlen
zu erreichen und damit eine Überlastung
des Gesundheitssystems zu verhindern so-
wie die Zahl schwerer Erkrankungen und
Todesfälle zu reduzieren. Gleichzeitig aber
hätten diese Maßnahmen negative gesund-
heitliche, soziale und psychische Folgen,
dies treffe neben den medizinischen Risi-
kogruppen besonders sozial schlecht ge-
stellte Menschen. Ferner werde die Wirt-
schaft schwer geschädigt – „ein funktionie-
rendes Wirtschaftssystem ist aber Voraus-
setzung für ein funktionierendes Gesund-
heitssystem“, warnen die Autoren.
Zwar könne man die bisherigen Ein-
schränkungen nicht rasch und vollständig
aufheben, weil sich dann das Virus erneut
sehr rasch ausbreiten und viele Opfer for-
dern würde. Aber auch eine Fortführung
des harten Kurses bis zu dem Zeitpunkt, zu
dem Wirk- und Impfstoffe vorliegen (ver-

mutlich nicht vor 2021), sei nicht zu emp-
fehlen. Stattdessen fordern die Wissen-
schaftler einen „stufenweisen Übergang
zu einer am jeweils aktuellen Risiko orien-
tierten Strategie, die eine Lockerung von
Beschränkungen im gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Umfeld mit weiter-
hin effektivem Gesundheitsschutz verbin-
det.“
So sollten zunächst Sektoren mit niedri-
ger Ansteckungsgefahr wieder geöffnet
werden, etwa hochautomatisierte Fabri-
ken, und Institutionen mit weniger gefähr-
deten Personen, etwa Kindertagesstätten
und Schulen – letzteres unter anderem des-
halb, weil viele Menschen mit Kindern
nicht zur Arbeit gehen könnten, wenn die
Bildungseinrichtungen geschlossen seien.
Sektoren, in denen gut mit Home-Office
und digitalen Techniken gearbeitet wer-
den kann, hätten weniger Priorität als Sek-
toren, in denen das nicht gehe.
Sektoren mit hoher Wertschöpfung, ins-
besondere Teile des verarbeitenden Gewer-
bes, müssten schneller wieder öffnen als
andere Bereiche. Auch Regionen mit niedri-
geren Infektionsraten und weniger Verbrei-
tungspotenzial könnten eher liberalisiert
werden, ebenso Regionen mit freien Kapa-
zitäten in der Krankenversorgung. Be-
schränkungen, die hohe soziale oder psy-
chische Belastungen implizierten, sollten
vorrangig gelockert werden. Bei einer sol-
chen Stufenlösung werde sich dann nach
und nach eine immer größere natürliche
Immunität im Land einstellen.
markus balser, marc beise

Saudis bei Carnival an Bord


„Hinter der Corona-Krise lauert die politische Krise“

In vielen Ländern drohen wegen der beginnenden Rezession soziale Verwerfungen, warnt der Chef der Industrieländer-Organisation OECD.
Angel Gurría fordert Deutschland dazu auf, den Widerstand gegen Euro-Anleihen aufzugeben – schon im eigenen Interesse

Wo ist hier der Ausgang?


Ökonomen bereiten die Deutschen auf eine monatelange Krisenwirtschaft und eine neue Realität danach vor


München– Der italienische Medienkon-
zern Mediaset hat seinen Einstieg beim
Fernsehunternehmen Pro Sieben Sat 1
beim Bundeskartellamt angemeldet. Es
gehe um den „Erwerb eines wettbewerb-
lich erheblichen Einflusses“, heißt es
dazu in der Liste der laufenden Kontroll-
verfahren. Die Anmeldung sei vorsorg-
lich und wahrscheinlich unproblema-
tisch. Mediaset hatte zuletzt bekannt
gegeben, dass man 20 Prozent der Ak-
tien an Pro Sieben Sat 1 besitze. Speku-
lationen zufolge soll der Anteil auf 25
Prozent aufgestockt werden. Bei der
nächsten Hauptversammlung hätten
die Italiener damit großen Einfluss. Bei
Pro Sieben Sat 1 ist zuletzt Vorstands-
chef Max Conze mit sofortiger Wirkung
ausgeschieden, Rainer Beaujean ist der
Nachfolger. cbu

München– Europas größter Versiche-
rer Allianz will seinen Aktionären trotz
Corona-Krise und gegen den Rat der
europäischen Aufseher eine Dividende
für 2019 auszahlen. „Obwohl zu erwar-
ten ist, dass sich das aktuelle Umfeld
auch in unseren Ergebnissen nieder-
schlagen wird, bleibt unsere Finanz-
kraft weiterhin sehr stark“, teilte der
Dax-Konzern am Montag in München
mit. Daher sollen die Anteilseigner bei
der Hauptversammlung am 6. Mai wie
geplant über eine Dividende von 9,
Euro je Aktie abstimmen. Wegen der
Coronavirus-Pandemie findet die Ver-
sammlung allerdings ohne persönliche
Präsenz der Aktionäre in virtueller
Form statt. dpa

Die Bahn will den Zugverkehr vorerst
nicht weiter einschränken. FOTO: DPA

In leeren Zügen


Die Bahn meldet bis zu 90 Prozent weniger Passagiere


Angel Gurría, 69, leitet
seit 2006 die OECD. Die
Organisation berät ihre
36 Mitgliedstaaten in
Wirtschaftsfragen und in
der Sozialpolitik. Seiner
Heimat Mexiko diente
Gurría einst als Außen-
und als Finanzminister.
FOTO: DPA

Die Experten plädieren für einen
stufenweisen Übergang und eine
am Risiko orientierte Strategie

Gewinnquoten


DEFGH Nr. 82, Dienstag, 7. April 2020 (^) WIRTSCHAFT HF3 19
Mediaset macht ernst
Allianz hält an Dividende fest
Riskanter Weg: Ein Mann mit Schutzmaske geht in New York an einer bemalten Fassade entlang. FOTO: CINDY ORD/GETTY IMAGES/AFP
KURZ GEMELDET

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