Süddeutsche Zeitung - 07.04.2020

(やまだぃちぅ) #1
von sven haist

London– Eigentlich wollte Gordon Taylor
im März 2019 in den Ruhestand gehen. Seit
39 Jahren steht der ehemalige Außenbahn-
spieler der Bolton Wanderers mit mehr als
500 Ligaeinsätzen in England als Ge-
schäftsführer der Professional Footbal-
lers‘ Association (PFA) vor, die derzeit rund
4000 Profifußballer auf der Insel vertritt.
Mit seinem Verhandlungsgeschick sicher-
te sich der ebenso gewiefte wie umstritte-
ne Taylor über seine Amtszeit hinweg enor-
men Einfluss auf die englischen Ligaver-
bände. Im Gründungsjahr der Premier
League 1992 beharrte er für seine Organisa-
tion beim ersten TV-Vertrag auf einem fi-
nanziellen Anteil; dieser steigerte sich
dann mit jeder Rechteausschreibung konti-
nuierlich auf aktuell 25 Millionen Pfund
pro Saison. Im Alter von 75 Jahren hat Tay-
lor die Corona-Krise nun seinen wohl letz-
ten großen Auftritt beschert. Und den
scheint er auch für sich nutzen zu wollen,
um seiner Vereinigung, die ihn schon mehr-
mals loswerden wollte, noch mal aufzuzei-
gen, warum er als bestbezahlter Gewerk-
schaftsboss in England jährlich etwa zwei
Millionen Pfund wert ist.
Wegen des seit 13. März ruhenden Spiel-
betriebs in England hat sich eine Auseinan-
dersetzung zwischen den Klubs der Premi-
er League und ihren Spielern entwickelt. In
diesem Konflikt, den beide Parteien je-
weils über ihre Dachorganisationen (Foot-
ball Association Premier League Limited
und PFA) austragen, geht es wie so oft ums
Geld, präzise: um die Gehälter der Profis.
Die 20 Vereine fordern ihr kickendes
Personal mit Nachdruck zu einem Einkom-
mensverzicht auf, um die fehlenden Erlöse
aus Ticketing, Sponsoring und Merchandi-
sing auszugleichen und sich auf eine mögli-
che Teilrückzahlung der TV-Gelder, etwa
750 Millionen Pfund, vorzubereiten. Diese
würde fällig, sofern die vorerst ausgesetzte
Saison nicht zu Ende gespielt wird.
Weil die intensiven Verhandlungen der
Vorwoche jedoch ohne erkennbaren Fort-
schritt blieben, entschied sich die Premier
League mit einem Schreiben an die Öffent-
lichkeit zu gehen, das die Spielergewerk-

schaft vermutlich in Zugzwang setzen soll-
te. Die Liga drängte ihre Profis zu einer pau-
schalen 30-prozentigen Einkommensredu-
zierung – und gab zugleich bekannt, ans
nationale Gesundheitssystem 20 Millio-
nen Pfund als Soforthilfe zu spenden und
über die nächsten Monate die unteren Li-
gen mit 125 Millionen Pfund unterstützen
zu wollen. Zur Seite sprangen den Vereinen
einige Politiker, die zuvor öffentlich an-
mahnten, die hochbezahlten Spieler sollen
in dieser Zeit ihren Beitrag leisten.
Wie es aussieht, würden die spendabel
aussehenden Klubgaben allerdings nicht
direkt von Vereinskontos abgehen, son-
dern über den Account der Football Asso-
ciation Premier League Limited laufen, ei-
nem vollständig den 20 Erstligavereinen
gehörenden Privatunternehmen. Diese Fir-
ma verteilt nicht nur die aktuell 9,2 Milliar-
den Pfund an die Vereine aus dem Verkauf
der TV-Rechte für die drei Spielzeiten zwi-
schen 2019 und 2022, sondern erhält auch

zusätzlich rund 70 Millionen Pfund pro Sai-
son über acht ligaweite Sponsoren.
Nicht mal ein Tag verging nach dem Vor-
preschen der Liga bis zum Rückschreiben
der Spielergewerkschaft. In der Mittei-
lung, die Klubs und Politiker in die Schran-
ken weist, wird ein Gehaltsverzicht abge-
lehnt – mit dem Verweis auf daraus für den
Staat resultierende Steuereinbußen von

rund 200 Millionen Pfund. Zudem moniert
die Gewerkschaft, die Spende der vermö-
genden Premier League ans Gesundheits-
wesen hätte höher sein können und die zu
begrüßende Unterstützung für unterklassi-
ge Klubs müsse langfristig ausfallen.
Noch pikanter wird es bei einer Auflis-
tung, mit der die Spieler klarmachen, wozu

sie jederzeit bereit wären: Sie würden ger-
ne den nicht spielenden Angestellten ihrer
Klubs monetär unter die Arme greifen, den
unterklassigen Vereinen helfen sowie das
Gesundheitssystem mit seinen Arbeits-
kräften und Bedürftigen unterstützen. Ge-
rade erst haben alle Vereinskapitäne unter
Führung von Liverpools Jordan Hender-
son einen millionenschweren Hilfsfonds in
die Wege geleitet (wie es in Deutschland
die FC-Bayern-Profis Leon Goretzka und
Joshua Kimmich vorgemacht haben). Man-
chester United gab am Wochenende be-
kannt, die Spieler würden auf Eigeninitiati-
ve dreieinhalb Millionen Pfund, knapp ein
Drittel ihrer Monatsgehälter, der lokalen
Gesundheitsorganisation zu Gute kom-
men lassen. Nur die Vereine der Premier
League gehen bislang fast leer aus, sie krie-
gen kaum etwas ab von der Solidarität ih-
rer Spieler. Warum nur?
Im Gegensatz zu den deutschen Klubs
sind alle Vereine der ersten englischen Li-
ga im Privatbesitz. Bei 15 der 20 Erstligis-
ten liegt der Reichtum ihrer Eigentümer in
Milliardenhöhe, das Vermögen der Besit-
zer von vier weiteren Klubs wird auf eine
dreistellige Millionenhöhe taxiert. Nur Auf-
steiger Norwich City, das mehrheitlich
dem Ehepaar Delia Smith (Ex-Fernsehkö-
chin) und Michael Wynn Jones (Verleger)
gehört, ist weitgehend auf sich gestellt.
Besonders verärgert hat die Spieler
wohl das Vorgehen von fünf Klubs, darun-
ter der FC Liverpool und Tottenham Hot-
spur, die ihre normal verdienenden Ange-
stellten teils in Zwangsurlaub schickten,
um sich deren Gehalt zu einem Großteil
aus einem Notfallprogramm der Regie-
rung bezahlen zu lassen.
Das entzweit nicht nur die Spieler von ih-
ren Klubs, sondern auch die Vereine unter-
einander. Nachdem Liverpool den Schritt
am Samstag öffentlich gemacht hatte, mel-
dete sich tags darauf just das steinreiche
Manchester City, das vor einer Woche noch
rigoros die letzte Dauerkartenrate für die-
se Saison von ihren Fans abgebucht hatte,
und verkündete: Selbstverständlich werde
man alle Angestellten weiterhin aus eige-
ner Kasse entlohnen! Am Montagabend ru-
derte dann auch Liverpool zurück.

Krakau– Dass Jakub Blaszczykowski
ein spezieller Typ Fußballer ist, weiß
man aus seiner Zeit bei Borussia Dort-
mund. Nicht nur wegen seines unermüd-
lichen Kampfgeists, mit dem er während
seiner acht Jahre beim BVB zwei Meister-
titel und einen Pokalsieg errang, wurde
der „Kuba“ genannte Pole zum Liebling
der Südtribüne: „Kuba ist ein außerge-
wöhnlicher Profi, den wir nicht nur als
Fußballer, sondern auch als Menschen
sehr schätzen gelernt haben“, sagte einst
BVB-Sportdirektor Michael Zorc.
Menschliche Größe beweist Blaszczy-
kowski nun auch in Krisenzeiten in sei-
ner Heimat. Bei seinem Jugendklub Wis-
la Krakau lässt der 34-Jährige gerade sei-
ne Karriere ausklingen, doch die Corona-
Pandemie trifft auch den chronisch
klammen Traditionsverein hart. Der pol-
nische Fernsehsender TVP berichtet,
dass Blaszczykowski daher plane, den
Verein zusammen mit zwei Geschäfts-
partnern zu übernehmen und so vor ei-
ner drohenden Insolvenz zu retten: „Es
stimmt, dass er das vielleicht in seinem
Kopf hat. Man kann nicht abstreiten,
dass er darüber nachdenkt“, sagte dazu
Blaszczykowskis Berater Wolfgang Vöge
auf Anfrage, auch wenn er betonte: „Ab-
geschlossen ist da noch nichts.“

Es wäre nicht Blaszczykowskis erste
Hilfsaktion für den Klub, bei dem er be-
reits von 2005 bis 2007 spielte und sei-
nen Durchbruch schaffte, ehe es ihn als
hoffnungsvolles Talent damals nach
Dortmund zog. Als er im Februar 2019 –
nach Zwischenstationen in Florenz und
Wolfsburg – nach Krakau zurückkehrte,
unterschrieb er einen Vertrag bis zum
Saisonende, der ihm monatlich nur 500
polnische Zloty einbrachte – 116 Euro,
die er in Form von Eintrittskarten an Wai-
senkinder spendete.
Die Fans des 13-maligen polnischen
Meisters dankten es dem verlorenen
Sohn bei dessen Heimkehr mit einer
sehr emotionalen Choreografie: „Liebe
zählt mehr als Millionen“, stand unter ei-
nem riesigen Abbild von Blaszczykow-
ski. „Ich habe immer im Hinterkopf, was
Menschen für mich getan haben. Ich ha-
be eine große Chance von Wisla bekom-
men – und ich vergesse nie, wer mir eine
Chance gegeben hat“, hatte Blaszczykow-
ski schon ein Jahr vor seiner Rückkehr
nach Krakau gesagt.
Auch deshalb hatte er Wisla Anfang
2019 mit seinen beiden Geschäftspart-
nern eine Million Euro geliehen und vor
dem Lizenzverlust bewahrt; schon ein
Jahr zuvor soll er mit einer Finanzspritze
aus eigener Tasche geholfen haben. Und
auch in der Corona-Zeit hat sich der
108-malige Nationalspieler bereits als
Wohltäter hervorgetan. Über seine Stif-
tung „Ludzki Gest“ (Menschliche Geste)
spendete Blaszczykowski 87 000 Euro
für den Kampf gegen das Virus. Fußball
mit Herz, nicht nur auf dem Feld. sid

Bedingt solidaritätsbereit

In England geht der Streit zwischen der Premier League und den Fußballern weiter. Die Profis, vertreten durch eine
mächtige Gewerkschaft, spenden lieber direkt an Bedürftige, als den reichen Klubs mit Gehaltsverzicht zu helfen

Rom– Der Profifußball in Italien erwägt
wegen der schweren Corona-Krise im
Land eine Verlängerung der aktuellen Sai-
son bis in den Herbst. Der Präsident des
Fußballverbandes FIGC, Gabriele Gravina,
schloss in einem Interview des SendersRai
sogar einen Spielbetrieb bis September
oder Oktober nicht aus.
Das sei eine der „Hypothesen“, die in der
Diskussion seien: „Nur auf diese Weise
könnten wir vermeiden, nicht nur die Sai-
son 2019/20, sondern auch die Saison
2020/21 in Mitleidenschaft zu ziehen“, er-
läuterte Gravina. Denn ohne einen geregel-
ten Abschluss der aktuellen Spielzeit könn-
te auch die kommende Saison durch eine
„Lawine von Rechtsstreitigkeiten“ belas-
tet werden: „Die Gefahr ist, dass die Meis-
terschaft nur noch in den Gerichtssälen
ausgetragen wird“, fürchtet Gravina.
Das Datum 17. Mai für einen Wiederbe-
ginn der Serie A bleibt demnach zunächst
ebenfalls eine Option. Gravina betonte je-
doch, es handele sich um rein theoretische
Erwägungen. Es sei nichts beschlossen –
das sei derzeit auch nicht möglich. Nach-
dem Italiens Regierung in der vergange-
nen Woche die Anti-Corona-Maßnahmen
wie strenge Ausgangsverbote bis zum
13.April verlängert hatte, wiederholte der
Fußballverband zunächst seine Hoffnung,
Ende Mai wieder zu starten.
Die Serie A war am 9. März mit zwölf ver-
bleibenden Spieltagen unterbrochen wor-
den. Nun droht allerdings eine kontroverse
Debatte. Der Präsident des italienischen
Erstligisten Brescia Calcio, Massimo Celli-
no, hat sich gegen eine zeitnahe Wiederauf-
nahme der Spiele ausgesprochen. Er nann-
te solche Pläne in der ZeitungGazzetta del-
lo Sport„unverantwortlich“. Die Lombar-
dei und dort vor allem die Provinzen Bre-
scia und Bergamo sind besonders schlimm
vom Coronavirus betroffen.
Zudem bahnt sich in Italien ein Arbeits-
konflikt an. Die Vollversammlung der Se-
rie A votierte einstimmig dafür, die Saläre
der Fußballprofis zu kürzen. Für den Fall,
dass die Saison wieder aufgenommen
wird, sollen Spieler, Trainer und Betreuer
auf etwa 15 Prozent ihrer Einkünfte ver-
zichten, melden italienische Medien über-
einstimmend. Sollte die Saison abgebro-
chen werden, sollen die Angestellten Ein-
bußen von 30 Prozent hinnehmen.
Sollten die Spieler den Anträgen nicht
zustimmen, drohen angeblich vier Klubs
mit Kurzarbeit. Juventus Turin ist von
dem Beschluss ausgenommen; die Spieler
des Meisters hatten dem Klub durch Ge-
haltsverzicht zu Einsparungen von 90 Mil-
lionen Euro verholfen. dpa, sid, sz


Zeist– Der niederländische Fußball-Bund
KNVB und die Nationalspieler haben ge-
meinsam mit ihrem Hauptsponsor (ING
Bank) ein Hilfspaket von rund elf Millio-
nen Euro für die von der Corona-Krise ge-
troffenen Vereine des Landes geschnürt.
Das Hilfsprogramm umfasst Geldspenden
und Maßnahmen, um die finanziellen Las-
ten der Klubs zu senken. Die Mittel sollen
Amateur- und Profiklubs zu gleichen Tei-
len zugute kommen. Der Verband setzt da-
bei auf die Solidarität aller Vereine.
Durch die strengen Maßnahmen gegen
die Pandemie sind Fußballspiele in den
Niederlanden bis 1. Juni verboten. Sowohl
die Männer- als auch die Frauen-National-
mannschaft und die Jugendspieler spende-
ten. „Wir spielen in der ganzen Welt, in den
größten Stadien – die größten Spiele und
die besten Ligen“, zitiert der KNVB den
Oranje-Kapitän Virgil van Dijk. „Aber du
vergisst nie, wo du angefangen hast. Unse-
re alten Amateurklubs. Wir sind froh, dass
wir in dieser schwierigen Zeit etwas zurück-
geben können“, sagte der Weltklasse-Ver-
teidiger des FC Liverpool. dpa


24 HF3 (^) SPORT Dienstag, 7. April 2020, Nr. 82 DEFGH
Bald Chef von Wisla Krakau? Blaszczy-
kowski im Nationaltrikot. FOTO: REUTERS
„Liebe zählt“
Blaszczykowski als Klubretter?
Nach diversen Hilfsaktionen will
er Wisla Krakau übernehmen
Geld für Amateure
Niederländische Nationalspieler spenden
Manchester City will normale
Klubangestellte weiter entlohnen



  • auch Liverpool lenkt ein


Englisches Gipfeltreffen: Der deutsche Manchester-City-Profi Leroy Sané (rechts) in einem Duell mit dem FC Liverpool. FOTO: PHIL NOBLE / REUTERS

Harter Verhandlungspartner in der Krise: Gordon Taylor, Geschäftsführer der eng-
lischen Fußballergewerkschaft PFA. FOTO: STEVEN PASTON / DPA

Saison notfalls


bis Oktober


Sorge vor Klagewelle und Debatte
um Gehaltsverzicht in Italien

Lösungen vom Montag


5

61

1

4

8

3

3 5 7 6 1 9

SZ-RÄTSEL


9241 38567
71856 4329
3569 7 2148
58 12469 7 3
63 27598 1 4
49 78132 56
26948 5731
14539 7682
8736 21495

Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmal vorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
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Schwedenrätsel Sudokumittelschwer


3 1 2 6


8


1 4 9


6


9 3 8


2 7 5


4 9


4 2 5


6 5 1 8


Str8ts: So geht’s
67 98
756 98 23
54 87 312
6327854
756 324
4936578
213 54 89
12 34 657
12 76

3
4
9

81

5

Str8tsschwer

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