Süddeutsche Zeitung - 07.04.2020

(やまだぃちぅ) #1
interview von anna dreher

N


ormalerweise trainiert Anne Haug
jede Woche 35 bis 40 Stunden. Als
Triathletin muss sie nun mal in drei
Sparten fit bleiben. Im vergangenen Okto-
ber hat die 37-Jährige mit Jan Frodeno für
einen deutschen Doppelerfolg beim presti-
geträchtigen Ironman auf Hawaii gesorgt,
als sie nach 3,86 Kilometer Schwimmen,
180,2 Kilometer Radfahren und 42,195 Ki-
lometer Laufen in 8:40:10 Stunden als ers-
te Frau ins Ziel kam. Im kommenden
Herbst wollte sie den Titel verteidigen –
doch wann wieder Wettkämpfe stattfin-
den, ist auch im Triathlon ungewiss. Am
Montagabend wurde die Ironman-EM in
Frankfurt von Ende Juni auf unbestimmte
Zeit verschoben. Haug hat seit dem Aus-
bruch des Coronavirus also ihr Pensum re-
duziert, sie trainiert auch nicht mehr am
Olympiastützpunkt in Saarbrücken, son-
dern ist zu ihren Eltern nach Bayreuth gezo-
gen. Eine Entscheidung mit Folgen.


SZ: Frau Haug, wie geht es Ihnen?
Anne Haug: Eigentlich ganz gut. Man darf
ja erst mal froh sein, dass man gesund ist,
dass die Familie gesund ist. Für mich als
Triathletin unterscheidet sich mein Leben
gerade nicht so wahnsinnig von meinem
normalen Leben. Ich mache schon so alles
ziemlich in Isolation.


Wie kann man sich Ihren Alltag vorstel-
len, wenn sich dieser durch die Ausgangs-
beschränkungen nicht großartig verän-
dert hat?
Ich trainiere weiterhin, eingeschränkt da-
hingehend, dass ich nicht schwimmen
kann. Das ist wirklich ein großes Problem,
da Schwimmen eine sehr technische Sport-
art ist und man das jeden Tag machen
müsste. Aber ich habe trotzdem weiterhin
meinen Trainingsplan und mache viel auf
der Rolle auf dem Rad, was ich sonst aber
auch getan habe. Meine ganzen harten
Trainingseinheiten absolviere ich auf der
Rolle. Laufen ist nicht eingeschränkt, das
geht ja auch weiterhin. Ich bin jetzt auch
stolze Besitzerin eines Laufbandes. Das
kann ich also drinnen und draußen ma-
chen. Und ich ersetze das Schwimmen im
Becken jetzt halt durch Zugseiltraining.
Normalerweise würde ich mich gerade auf
Roth vorbereiten(den bekanntesten Lang-
distanz-Triathlon in Deutschland, Anm.)
und einen ziemlich hohen Trainingsum-
fang fahren. Aber dadurch, dass kein direk-
tes Ziel in Aussicht ist, fahren wir das so
auf einem guten Niveau.


Wie funktioniert dieses Zugseiltraining?
Eigentlich ist Schwimmen nicht zu simulie-
ren. Aber ich habe zwei Gummibänder, die
spanne ich zu Hause um unser Treppenge-
länder. Und ich habe einen Klavierhocker,
auf den ich mich mit dem Oberkörper lege,
und die Füße sind auch auf einem kleinen
Hocker. So versuche ich, den Schwimmzug
zu simulieren. Aber man zieht natürlich im-
mer nur, die Überwasserphase hat man gar
nicht. Also ist das wirklich nur ein Notbe-
helf. Es gibt natürlich Zugbänke, die aber
inzwischen ausverkauft sind, da bin ich
auch schon einem Fakeshop erlegen. Es ist


echt schwierig – man braucht einfach das
Wasser, um Schwimmen zu trainieren.
Das heißt, selbst für die Ironman-Siege-
rin gibt es keine Ausnahme, irgendwo in
ein Becken zu kommen?
Nein, leider nicht. Ich habe mir schon über-
legt, ob ich mir ein Planschbecken kaufe,
wie jetzt viele andere – aber es ist total
schwer, da ranzukommen. Und ich weiß
auch nicht, ob es so viel Sinn ergibt, wenn
man in einem kleinen Schwimmbecken
auf der Stelle rumpaddelt; ob man da nicht
mehr kaputt macht als es von Nutzen ist.

Wie sehr wirft Sie das jetzt zurück?
Schon sehr. Schwimmen ist ja auch nicht
meine Paradedisziplin. Ich habe mir das
über 16 Jahre jeden Tag mühsam beige-
bracht, und es ist jetzt schon die dritte Wo-
che, in der ich nicht schwimme. Das ist na-
türlich schon fatal, das wirft einen ein Jahr
zurück. Und ich merke es jetzt auch am Rü-
cken: Dadurch, dass die schwimmspezifi-
sche Muskulatur weggeht, dass man nur
noch läuft und Rad fährt, bekomme ich so
langsam ein bisschen Rückenschmerzen.

Seit wann genau können Sie nicht mehr so
trainieren wie gewohnt?
Seit drei Wochen, da hat der Olympiastütz-
punkt zugemacht in Saarbrücken. Seitdem
ist auch die Schwimmquelle versiegt.

Und das ist tatsächlich so, wie Sie gesagt
haben: Drei Wochen ohne zu schwimmen,
wirft einen ein Jahr zurück?
Also ich weiß nicht, ob es mich ein Jahr zu-
rückwirft. Aber man muss gefühlt wirklich

bei Adam und Eva anfangen. Als Leistungs-
sportler hat man ein gewisses Niveau in sei-
nem Kopf, und wenn man jetzt wieder ins
Wasser gehen würde – also da müsste man
echt ... Diese spezifische Kraft kann man
einfach durch nichts kompensieren, die ist
jetzt einfach weg. Dieses Niveau muss man
über Monate wieder aufbauen.

Sie haben früher viele Sportarten auspro-
biert: Ski, Tennis, Judo, Volleyball, Bad-
minton, Moderner Fünfkampf, sind Welt-
meisterin im Indiaca geworden, einem
Rückschlagspiel aus Südamerika, das
dem Volleyball ähnelt. Wieso haben Sie
sich letztlich für Triathlon entschieden?
Das war einfach die Herausforderung. Ich
habe immer Probleme gehabt mit Schwim-
men. Ich hatte als Kind eine Chlorallergie,
war eigentlich nie im Schwimmen, ich ha-
be es gehasst. Mir sind alle Sportarten, die
ich getrieben habe, relativ schnell relativ
einfach gefallen, und ich konnte ein gutes
Niveau erreichen. Beim Schwimmen habe
ich mir immer die Zähne ausgebissen. Und
ich wollte einfach nicht akzeptieren, dass
es etwas gibt, das ich nicht kann, was mir
nicht zufliegt, sondern wo ich wirklich ar-
beiten muss. Das war eine Hassliebe, eine
extreme Herausforderung, die ich einfach
meistern wollte. Ich wollte mir beweisen –

auch wenn ich vielleicht nicht talentiert
fürs Schwimmen bin, und auch wenn ich
es vielleicht nicht mag –, dass es trotzdem
möglich ist, etwas auf einem relativ guten
Niveau zu machen. Ich werde keine Spit-
zenschwimmerin in meinem Leben mehr
werden, aber dass ich das bis zu dem Ni-
veau geschafft habe, das war einfach eine
Herausforderung für mich. Das hat mich
immer gereizt.

Für jemanden, der Schwimmen gehasst
hat, ist das doch eigentlich eine ganz gute
Pause gerade.
Das ist ein zweischneidiges Schwert. Einer-
seits genieße ich das jetzt schon mal, ande-
rerseits weiß ich, dass es danach umso
schlimmer ist. Die Liebe zum Schwimmen
verbessert sich ja, je öfter man es macht,
und desto einfacher wird es dann auch.
Aber jetzt werden richtig zähe Einheiten
kommen. Jeden Tag, den man nicht im
Wasser ist, muss man umso mehr büßen,
wenn es wieder losgeht.

„Jeden Tag, den man nicht
im Wasser ist,
muss man später büßen.“

„Ich habe mir schon überlegt,
ob ich mir ein
Planschbecken kaufe.“

München– Diese Stunden auf dem Acker
werden ihm fehlen. Dieses Training, wenn
Jason Osborne die Boote des Segelklubs
hinter sich gelassen hat und dann fast allei-
ne ist auf dem Rhein, genauer auf dessen
Seitenarm bei Mainz namensAcker. Wenn
die Sonne scheint und die Bäume an ihm
vorbeiziehen. Wenn er mit den Rudern
rechts und links ins Wasser pflügt, den
Rhythmus gefunden hat und außer dem
Plätschern der Paddel alles still ist. „Dann
bist du eins mit der Natur“, sagt Jason Os-
borne, „und das ist echt schön.“
Doch auch diese schöne Zeit läuft ab,
und das Leben geht weiter. Durch die Verle-
gung der Olympischen Spiele von Tokio
um exakt ein Jahr, wird der deutsche Zwei-
er-Ruderer Jason Osborne zwar auch noch
etwas länger auf dem Acker trainieren,
aber dann, im August 2021, ist für ihn
Schluss mit diesem Sport. Am Alter liegt es
nicht, Osborne ist erst 26 Jahre alt, an
schwachen Leistungen auch nicht – Euro-
pameister ist er und Weltmeister 2018, zu-
dem WM-Dritter 2019 im Doppelzweier.
Das Problem von Osborne und seinem Ru-
der-Partner Jonathan Rommelmann liegt
darin, dass sie Leichtgewichte sind.
Das Internationale Olympische Komi-
tee (IOC) will grundsätzlich mehr moderne
Sportarten ins Programm nehmen, die
Zahl der Olympiateilnehmer soll aber
gleich bleiben, weshalb alte Randsparten
ausgedünnt werden, wodurch es am Ende
der Entscheidungskette nun auch die
Leichtgewichtsruderer traf. Ein letztes Mal
noch dürfen vier von ihnen in Tokio antre-
ten – zwei Männer und zwei Frauen im
Doppelzweier, also im Skull. Danach wird
die Leichtvariante bis 72,5 Kilogramm Kör-
pergewicht gar nicht mehr unter den Rin-
gen rudern, weshalb dann bald auch die
Förderung gekürzt wird. „Es ist schon trau-
rig“, sagt Osborne. Das Leichtgewichtsru-
dern mit all seinen anderen Wettkämpfen
werde über kurz oder lang wohl ausster-
ben. Denn wer will schon noch einen olym-
pischen Sport betreiben, mit dem man nie
zu Olympia kommt?

Osborne, dessen Vater Brite ist, der im
Ruhrgebiet seine Kindheit verbrachte, be-
endet also auf dem Höhepunkt seiner Leis-
tungskraft die Karriere wegen Sportart-
Streichung. Das klingt zunächst traurig,
als wäre das ganze Leichtgewichtsrudern
eine nutzlose Mine, die demnächst aufge-
geben wird. Andererseits hat er genügend
Zeit, um sich auf das Ende einzustellen,
und wenn sein Plan aufgeht, dann wird
nach Tokio aus dem Ruderer Osborne der
Radprofi Osborne.
Nicht irgendein Wunsch ist das, son-
dern eine konkrete Option, und Osborne
befindet sich schon auf gutem Wege zum
Radsport. Ehe die Spiele in Tokio verlegt
wurden, hatte er bereits den Umstieg für
diesen Herbst eingeleitet. Mit einem World-
Tour-Team steht er in festen Verhandlun-
gen. „Wie im Fußball gibt es im Radsport
auch Scouts“, erzählt er, „und einigen bin
ich aufgefallen.“ Gerne hat man ihm nun
ein Jahr Verzögerung bewilligt, weil so eine
Umsteigerstory auch Aufmerksamkeit
bringt; zumal dann, wenn der Umsteiger
kurz vor dem Wechsel noch eine frische
olympische Medaille mitbringt – wozu Os-
borne beste Aussichten hat.
Kleinere Radrennen ist er bereits gefah-
ren, was daran liegt, dass er nach dem mor-
gendlichen Rudertraining schon immer
noch am Nachmittag aufs Rennrad stieg.
Das Kurbeln stellt für Ruderer normales
Ausdauertraining dar, wurde für Osborne
aber irgendwann zur Passion. Eine Ab-
wechslung, vielleicht ein willkommener
Gegensatz zu seinem Bootssport, dessen
Reiz das Element Wasser ist, der aber auch
gewisse Grenzen hat. Kaum einer wird also
Vorteile und Nachteile beider Sportarten
so gut kennen wie dieser Ruder-Radler Os-

borne, der hin- und hergerissen wirkt, weil
er nun mal beide Disziplinen liebt.
Auf seinem friedlichen Seitenarm kann
er zwar auch zwei Stunden am Stück trai-
nieren, aber weil die Strecke nur rund zwei
Kilometer lang ist, muss wie auf den meis-
ten Sportgewässern gewendet und in Run-
den gerudert werden. Die Bäume, der Blick
aufs Wasser, die innere Aufmerksamkeit
auf Technik, Atmung und Gleichgewicht,
all das ist Grenzen unterworfen. Radfah-
ren ist vergleichsweise einfacher, „jeder
hat das schon mit vier Jahren gelernt“, sagt
Osborne. Man setzt sich auf den Sattel und
stürmt auf und davon, was eindeutig ein
Vorteil für ihn darstellt: „Im Training bin
ich oft lieber auf dem Rad.“

Andererseits, keine Frage, Rennradfah-
ren ist auch anspruchsvoll, weniger tech-
nisch zwar, aber trotzdem müsse man stän-
dig aufpassen, findet Jason Osborne, sonst
lande man schnell am Ende des Feldes
oder gar auf dem Asphalt. Wiederum ande-
rerseits ist das Rudern raffinierter, als man
als Außenstehender denkt. Es hält takti-
sche Finessen bereit, die man vom Ufer aus
nicht sieht. Auch über zwei Kilometer kann
man den Gegner locken und auskontern,
oder auch mal direkt nach dem Start mit ei-
ner schnellen Attacke entmutigen. Dafür
erfordere das Radfahren sehr viel Ausdau-
er, über viele Stunden. Allerdings beim Ru-
dern – das bringe auch Schmerz, aber eine
ganz eigene Sorte, „denn das Laktat
schießt nicht nur in die Beine, sondern
auch in die Arme“, erzählt Osborne, und
am Ende sei man derart platt, dass man
mit dieser Übung irgendwann auch gute
Voraussetzungen für einen schnellen Ziel-
sprint auf dem Rad habe.
Aber die Entscheidung zwischen Rad
und Rudern wurde Jason Osborne ja nun
abgenommen. 15 Monate bleiben noch,
dann lässt er den Acker am Rhein hinter
sich und erschließt sich die Berge. Schon
jetzt dreht er im Konditionstraining auf
dem Rad seine Runden im Taunus, im
Odenwald oder vielleicht, wenn es mal län-
ger geht, drüben im Pfälzer Wald. Und
wenn alles klappt, dann, so Osborne, lo-
cken andere Reviere.
Die Berge bei Freiburg seien zum Bei-
spiel interessant, weil anspruchsvoller.
Oder auch das Salzburger Land: Dort hat
sich seine Freundin, mit der er zusammen-
ziehen will, einfach mal beworben, und
vielleicht klappt es ja. Und dann ginge es
höher hinauf. volker kreisl

Frankfurt– Der Weltmeister war in bester
Verfassung. Der Weltmeister trat zwar
nicht unter seinem bürgerlichen Namen
Magnus Carlsen an, sondern als „Magzy-
Bogues“, aber das änderte nichts. Zehn
Blitzschach-Partien bestritt der Norweger
gegen den Schweden Nils Grandelius,
neun zu eins lautete das Ergebnis, und da-
mit war Magnus Carlsen alias Magzy-
Bogues qualifiziert fürs Halbfinale des Ban-
ter Blitz Cups in dieser Woche.


Dieser Cup ist eine eher launige und un-
gewöhnliche schachliche Veranstaltung:
ein Online-Turnier im K.o-Modus, 132 Teil-
nehmer, maximal drei Minuten Bedenk-
zeit pro Spieler und Partie, maximal 16 Par-
tien pro Duell – und das Ganze unter der
Vorgabe, das eigene Spiel live zu kommen-
tieren. „Geschwätzblitz“ heißt das deswe-
gen in der deutschen Szene.
Dem Schach geht es gerade nicht anders
als allen anderen Sportarten. Das Coronavi-
rus legt alles brach, die etatmäßigen Tur-
niere sind fürs Erste abgesagt oder verscho-
ben; das Kandidatenturnier, das der Welt-
verband Fide skurrilerweise noch durchzie-
hen wollte, musste nach sieben von 14 Run-


den unterbrochen werden. Zugleich gibt es
keine andere Sportart, die sich so sehr für
eine digitale Umsetzung eignet wie
Schach. Vereinfacht gesagt kann ein Spie-
ler alles, was er am Brett tut, ebenso irgend-
wo vor einem Monitor tun. Die bei Hobby-
spielern ohnehin schon beliebten Online-
Plattformen verzeichnen dieser Tage be-
sonders viele Zugriffe. Jetzt ist nur die Fra-
ge, wie sehr auch der Spitzensport diese
Möglichkeiten nutzen kann und mag.
Grundsätzlich ist der Sport ja sehr digi-
tal ausgerichtet. Via Ticker oder Live-Ana-
lyse lassen sich die Partien von Großmeis-
tern im Netz minutiös nachvollziehen, Spie-
ler besprechen ihre Partien auf eigenen Ka-
nälen, und bei ihrer Vorbereitung spielen
die Rechner und Datenbanken eine immen-
se Rolle. Nur bei digitalen Wettkämpfen of-
fenbarte sich bisher eine Lücke.
Zwar gibt es Online-Turniere schon seit
den Neunzigerjahren, aber für die Spitzen-
spieler war das bisher eher launiger Zeit-
vertreib denn echte Alternative – so wie
beim Geschwätzblitz-Pokal, der schon in
Vor-Corona-Zeiten begann. Doch nun än-
dert sich der Rahmen, und dabei preschen
insbesondere Weltmeister Carlsen und sei-
ne Geschäftspartner vor. Für Mitte April la-
den sie sieben der weltbesten Spieler zu ei-
nem üppig dotierten Privatturnier ein. In
neun Runden im Schnellschach spielen sie
um insgesamt 250000 Dollar. Unverhoh-

len geben sie zu, dass sie den Moment, in
dem fast alle Sportarten pausieren, nutzen
wollen. „Dies ist ein historischer Moment
für Schach. Da es möglich ist, in einer On-
line-Umgebung weiterhin professionell zu
spielen, haben wir nicht nur die Möglich-

keit, sondern auch die Verantwortung ge-
genüber Spielern und Fans auf der ganzen
Welt“, sagte Carlsen.
Es kursieren auch diverse Ansätze für of-
fizielle Turniere; bis hin zur Idee, das abge-
brochene Kandidatenturnier, bei dem Carl-

sens nächster WM-Gegner ermittelt wird,
online zu Ende zu bringen. Doch der Welt-
verband ist da reserviert. Online-Turniere
seien ein sehr wichtiger Teil des Schach-
Systems und etwas, „an dem wir festhalten
können, um unter diesen außergewöhnli-
chen Umständen weiterzumachen“, sagt Fi-
de-Marketingchef David Llada. Sie sollten
aber „als Ergänzung und nicht als Ersatz
für die physischen Turniere betrachtet wer-
den“. Vor dem abgebrochenen Kandidaten-
turnier habe der Verband sogar die Option
eruiert, den Chinesen Ding Liren online
teilnehmen zu lassen, weil er in Quarantä-
ne musste. Aber er startete dann doch regu-
lär, und das ganze Turnier als Online-
Event auszutragen, „war niemals eine Opti-
on“, so Llada. Topspieler seien die Ersten,
die betonen würden, wie unterschiedlich
die beiden Austragungsformen seien.
Das ist unter Schachspielern in der Tat
eine Debatte. Partien mit klassischer Be-
denkzeit, die sich sechs Stunden hinziehen
können, am Computer zu verwirklichen,
ist ohnehin eine besondere Herausforde-
rung. Manche Spitzenspieler sehen selbst
für Schnell- und Blitzschach-Duelle, bei de-
nen jeder nur ein paar Minuten nachden-
ken kann, Unterschiede zwischen Brett
und Online-Welt. „Online imitiert schon
recht stark die physischen Partien, aber es
hat nicht denselben Charme“, sagt Niclas
Huschenbeth, 2019 deutscher Meister (am

Brett) und bei großen Schach-Events ein
profilierter Live-Kommentator im Netz.
„Der Spielstil an sich und die Qualität
der Partien unterscheidet sich nicht groß“,
sagt er. Aber es sei emotional etwas ande-
res: „Man sieht die Leute, man sieht die An-
spannung. Man kann ihnen in die Augen
blicken und bekommt direkte Reaktio-
nen.“ Das sei selbst dann anders, wenn der
Gegner mit Webcam vor dem Monitor sit-
ze, wie es bei größeren Turnieren Usus ist.

Dazu kommt noch ein anderes Thema:
die Betrugsmöglichkeiten. Die Gefahr von
Manipulationen sind schon im etablierten
Schach ein Dauerthema, und das gilt erst
recht bei Online-Partien, wo sich nur
schwer kontrollieren lässt, wenn jemand
nebenbei noch in ein Schach-Programm
blickt. Bei größeren Turnieren und auch
bei Carlsens Privatevent müssen die Spie-
ler daher die ganze Zeit vor der Kamera sit-
zen; die Veranstalter setzen zudem eine
spezielle Software ein, um die Partien auf
Auffälligkeiten zu prüfen. Es ist eben das ei-
ne, wenn es nur um ein bisschen Spaß im
Netz geht – oder auf einmal um üppige
Preisgelder. johannes aumüller

„Schwimmen ist nicht zu simulieren“

Triathletin Anne Haug über eine Herausforderung, an der selbst eine Ironman-Gewinnerin zu scheitern droht:
Sie kann derzeit zwar radfahren und laufen, doch für ihre dritte Disziplin fehlen ihr die Trainingsmöglichkeiten

Eiserne Frau: Die aus
Bayreuth stammende
Anne Haug, 37, hat im
Herbst 2019 als erste
Deutsche den Ironman-
Triathlon auf Hawaii
gewonnen.
FOTO: PETER SCHATZ / IMAGO

Eine Umsteiger-Story bringt dem
neuen Arbeitgeber Beachtung –
vor allem mit einer Medaille

Radfahrer müssen wachsam
sein, Ruderer müssen
Schmerzen ertragen

Dieses Interview können Sie in
voller Länge in unserem Pod-
cast anhören. Während die Wett-
bewerbe aufgrund des Corona-
virus pausieren, sprechen wir mit Athletin-
nen und Athleten darüber, wie sich ihr Le-
ben durch die Krise verändert hat.
 sz.de/sportpodcast

Vom Acker


in die Berge


Top-Ruderer Jason Osborne muss nach Tokio aufs Rad umsteigen


Der Weltverband lehnt es ab,


das Kandidatenturnier


online zu Ende zu bringen


Das Brett im Netz


Schach eignet sich wie keine andere Sportart für eine digitale Umsetzung, doch die Verantwortlichen sind noch zögerlich – und nun prescht Weltmeister Magnus Carlsen mit einem Privatturnier vor


Beim Online-Schach spielt
auch das Betrugsthema
eine besondere Rolle

DEFGH Nr. 82, Dienstag, 7. April 2020 (^) SPORT HF3 25
Raus aus dem Wasser: Selbst eine Ironman-Gewinnerin wie Anne Haug (rechts, hier bei den Olympischen Sommerspielen
2016 in Rio) kann derzeit kein Schwimmen trainieren. FOTO: EIBNER / IMAGO
Medaille in Linz: Jason Osborne gewinnt
2019 zusammen mit Partner Jonathan
Rommelmann WM-Bronze.F.: PRANTER / IMAGO
PODCAST
Kaum zu schlagen, ob im Blitzschach, im Digitalen oder bei den etablierten Turnie-
ren: Schach-Weltmeister Magnus Carlsen, 29, aus Norwegen. FOTO: DPA

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