Handelsblatt - 07.04.2020

(Elle) #1
Christof Kerkmann, Stephan Scheuer, Axel
Postinett Düsseldorf, San Francisco

S


eit Anton Döschl in der Technologie-
branche arbeitet, hat er schon einige He-
rausforderungen erlebt – die Finanzkrise
2008 beispielsweise. Die vergangenen
Wochen waren für ihn aber die nach ei-
genen Worten „wahrscheinlich intensivsten“ in sei-
ner Karriere. Döschl verantwortet beim IT-Konzern
Cisco den Vertrieb von und die Beratung zu Kom-
munikations- und Kollaborationslösungen, zu de-
nen das Chat- und Videokonferenzsystem Webex
gehört. Und das ist gerade gefragt wie nie.
Weil das öffentliche Leben durch die Corona -
virus-Pandemie stark eingeschränkt ist, schicken
Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Homeoffice und
schalten sie mit Videokonferenzen und virtuellen
Meetings zusammen. Auch Behörden, Arztpraxen
und Schulen setzen sich mit der Technologie ausei-
nander. Viele von ihnen melden sich bei Döschl
und seinem Team. „Die Schlagzahl hat sich enorm
erhöht.“
Während in großen Teilen der Wirtschaft die Ar-
beit wegbricht, erleben Tech-Unternehmen wie
Cisco, Microsoft, Zoom und Teamviewer, die Syste-
me für die virtuelle Zusammenarbeit anbieten, ei-

ne Sonderkonjunktur. Ähnlich sieht es bei Netz -
betreibern wie der Deutschen Telekom, Vodafone
oder Telefónica aus. Die Furcht vor einem Engpass
oder Ausfällen macht die Runde. Die Coronakrise
ist für die Cloud die große Bewährungsprobe – und
sie bringt einige Anbieter an ihre Grenzen.
Telekom-Chef Timotheus Höttges gab vor ein
paar Tagen im Gespräch mit dem Handelsblatt für
sein Unternehmen zwar Entwarnung: „Unser Netz
läuft komplett problemlos ohne einen einzigen gro-
ßen Ausfall.“ Die Telekom habe an einigen Stellen
aufrüsten müssen, und besonders das Festnetz sei
wieder gefragt.
An anderer Stelle sah der Telekom-Chef aber
Schwierigkeiten: „Es gibt einige Dienste, wie etwa
Videokonferenz-Anbieter, die mit ihren Kapazitä-
ten an Grenzen stoßen. Manchmal sind es die Ka-
pazitäten von Firmennetzen. Aber es liegt nicht an
den Telekommunikationsnetzen.“
Während die Mobilfunk- und Breitbandnetze bis-
lang dem Ansturm standhalten, kommt es an de-
ren Stellen zu Schwierigkeiten. Techniker müssen
die Rechenzentren regelmäßig aufrüsten, die Ver-
triebsmitarbeiter haben Probleme, die Masse an
Anfragen zu erledigen.
Manchmal geraten die Systeme an ihre Grenzen.
Auch soziale Medien wie Facebook und Twitter

sind gefragt wie lange nicht. Die Coronakrise ist ei-
ne technische Bewährungsprobe – wann sie sich
wirtschaftlich auszahlt, ist aber offen.
Webex ist eine Plattform, über die Nutzer chat-
ten, Videokonferenzen abhalten und Dokumente
bearbeiten können, ähnlich, wie es bei Teams von
Microsoft oder Zoom vom gleichnamigen US-Unter-
nehmen der Fall ist. Viele Kunden beschäftigen
sich gerade mit der Einführung solcher Lösungen.
„Sie stehen massiv vor der Herausforderung, die
Mitarbeiter ins Homeoffice zu bekommen“, sagt
Döschl, der derzeit selbst von seinem Arbeitszim-
mer zu Hause aus alle Gespräche führt.

Ansturm auf Teams und Co.
In der Not kommen Videokonferenzen jedoch auch
in Politik, Bildung und Gesundheitswesen zum Ein-
satz. Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich
so zuletzt aus der Quarantäne. Eine Universität in
Rom stellte die Vorlesungen für 7 000 Studierende
innerhalb von 48 Stunden auf Fernstudium um.
Auch Yoga- und Gitarrenlehrer können so weiter
Unterricht geben. Und selbst Ärzte und Kliniken
probieren die Technologie aus.
Der Datenverkehr wächst dadurch gewaltig. Am
Internetknoten De-Cix in Frankfurt ist das Volu-
men binnen einer Woche um zehn Prozent gestie-

Bewährungsprobe


für die Cloud


Viele Tech-Unternehmen erleben während der Pandemie einen Boom. Doch selbst


Branchengrößen wie Microsoft und Google geraten in der Coronakrise an ihre Grenzen.


Videokonferenz: Unter-
nehmen, die Systeme für
die virtuelle Zusammen-
arbeit anbieten, erleben
eine Sonderkonjunktur.

REUTERS

Wir können


einen hohen


Datenschutz


bieten. Das


können die


US-Anbieter


nicht.


Ralph Dommermuth
Vorstand United
Internet AG

Unternehmen


& Märkte


DIENSTAG, 7. APRIL 2020, NR. 69
14

Branchenausblick

IT-Markt leidet


unter der


Pandemie


D


ie Produktion läuft an. Nach der Corona-
virus-Pandemie hat in den Fabriken in
China die Arbeit wieder begonnen. Für
die Technologiebranche ist das eine gute Nach-
richt: Ein Großteil der Smartphones und Lap-
tops, Speicherchips und Prozessoren wird im
Reich der Mitte gefertigt. Die Auswirkungen der
Krise auf den Markt für IT und Telekommunikati-
on sind dennoch nicht abzusehen – nicht nur we-
gen der Störungen der Lieferkette. Jetzt legt die
Krankheit viele andere Länder lahm.
Kein Wunder, dass Prognosen für die Branche
schnell alt aussehen. Der Marktforscher IDC etwa
hat seine Zahlen seit dem Ausbruch der Pande-
mie mehrfach revidiert. Er geht nun davon aus,
dass der Umsatz in Europa in diesem Jahr nur
noch um ein Prozent steigen wird, im pessimisti-
schen Szenario sogar nur um 0,2 Prozent. Anfang
Februar lag die Marke noch bei einem währungs-
bereinigten Plus von rund 2,8 Prozent.
Eine weitere Verschlechterung ist denkbar:
„Wir müssen im Moment alle Informationen mit
einem Zeitstempel versehen“, sagt IDC-Analyst
Philip Carter. „Was wir heute sagen, müssen wir
morgen wahrscheinlich anpassen.“ Während der
Verkauf von Hardware durch die Beschränkun-
gen in China einbricht, verschieben viele Unter-
nehmen in Europa aufgrund der Unsicherheit
Projekte. „Da sowohl die Lieferkette als auch die
Nachfrage betroffen ist, wirkt sich die Coronakri-
se auf die Realwirtschaft aus“, sagt Carter.
Allerdings sind nicht alle Produkte gleicherma-
ßen betroffen. Der Boom von Diensten wie
Zoom, Webex und Teams zeigt beispielsweise,
dass Kollaborationslösungen gefragt sind. Glei-
ches gilt für Geräte wie PCs und Smartphones,
die für die Arbeit im Homeoffice ebenfalls nötig
sind.
Der IT-Dienstleister Bechtle beispielsweise ver-
zeichnet seit Wochen eine hohe Nachfrage. Der-
zeit verlassen täglich 25 000 statt den üblichen
15 000 Paketen das Zentrallager. Besonders ge-
fragt sind Notebooks und – aufgrund von Liefer-
engpässen – PCs, Monitore und Headsets.
Auch das Cloud-Computing dürfte sich kurz-
fristig mindestens stabil entwickeln und langfris-
tig deutlich wachsen. Einerseits profitieren An-
bieter wie die Amazon-Tochter AWS davon, dass
Unternehmen wie Zoom, Slack und Netflix ihre
Infrastruktur nutzen. Andererseits ist der flexible
Zugriff auf Ressourcen gerade derzeit hilfreich.
„Technologie hilft, mit der Krise umzugehen“,
sagt IDC-Analyst Carter. Durch die Corona-Pande-
mie werde sich dauerhaft verändern, „wie wir ar-
beiten, wie wir Geschäfte machen, wie wir uns
austauschen, wie wir reisen“, ist er überzeugt.
Christof Kerkmann

gen, die Zahl der Videokonferenzen hat sich in die-
sem Zeitraum sogar verdoppelt.
Das Kernnetz sei dafür ausgelegt, betont die Be-
treibergesellschaft – sobald eine gewisse Schwelle
erreicht ist, baut sie die Kapazität aus. Für die ein-
zelnen Nutzer kann es allerdings durchaus zu Ver-
zögerungen kommen.
Der Ansturm ist so groß, dass selbst Technologie-
giganten wie Microsoft oder Google Ausfälle verbu-
chen. Ausgerechnet der Kollaborations- und Kom-
munikationsdienst Microsoft Teams hatte am ers-
ten Tag der zahlreichen Schulschließungen in
Deutschland mit größeren Schwierigkeiten zu
kämpfen. Auch andere Anbieter von Video- und
Telefonkonferenzen mussten zwischenzeitig im-
mer wieder technische Probleme einräumen.
Die Nachfrage litt unter diesen Problemen nicht.
Ganz im Gegenteil. Die Nutzung von Microsoft stieg
stark an – auch weil der Softwarekonzern den Ein-
satz für eine begrenzte Zeit kostenlos machte.
Momentan nutzen täglich 44 Millionen Men-
schen Teams und sind 900 Millionen Minuten pro
Tag in Konferenzen und Gesprächen. Microsoft
meldete in einer Woche einen Zuwachs von zwölf
Millionen Teams-Nutzern, was genau so viel ist wie
die Zahl der zahlenden Nutzer beim Konkurrenten
Slack. Der Rivale Slack meldet ebenfalls eine stei-
gende Nutzung und arbeitet an einer Integration
mit Teams, sodass Nutzer beider Dienste in ge-
meinsamen Konferenzen zusammenarbeiten kön-
nen, wie Slack-CEO Stewart Butterfield erklärte.
In den Rechenzentren summen die Server unter
der hohen Last. Das lässt sich beispielsweise daran
ablesen, wie lange die Webex-Nutzer Videokonferen-
zen abhalten – Cisco misst das anhand der kumulier-
ten „Meeting-Minuten“. Im März ist diese Kennzahl
im Vergleich zum Februar um deutlich mehr als 100
Prozent gewachsen, die genauen Zahlen werden in
den nächsten Tagen feststehen. Bereits in der ver-
gangenen Woche war die Marke von zwölf Milliarden
Minuten erreicht. An einem einzigen Tag hat Webex
kürzlich 4,2 Millionen Videokonferenzen mit min-
destens drei Teilnehmern abgewickelt.
Zu den größten Profiteuren den Corona-Pande-
mie dürfte sicherlich der Videokonferenzdienst

Zoom gehören. Die Firma teilte mit, dass die Zahl
der täglich aktiven Nutzer vor der Krise bei zehn
Millionen gelegen habe und nun auf 200 Millionen
gestiegen sei.
Datenschützer und Cybersicherheitsexperten er-
hoben jedoch schwere Vorwürfe gegen den Dienst.
Gründer Eric Yuan versprach, auf die Kritik einzu-
gehen, alle bekannten Sicherheitslücken zu schlie-
ßen und den Datenschutz zu verbessern. Jedoch
werden jeden Tag neue Sicherheitslücken be-
kannt.

Zögerliche Antwort aus Deutschland
IT-Firmen in der Bundesrepublik profitieren zwar
auch von dem Anstieg – allerdings nicht in dem
gleichen Maße wie US-Techkonzerne. Netzbetrei-
ber wie die Telekom, aber auch Internetdienst -
anbieter wie 1&1 Ionos buhlen mit Programmen
um Firmenkunden, die gerade jetzt auf schnelle
Hilfe angewiesen sind.
Die Telekom stellte Kollaborationsdienste für Fir-
menkunden für drei Monate kostenlos. Ionos, die
zur Firmengruppe United Internet mit den Marken
Web.de, GMX und 1&1 von Gründer Ralph Dom-
mermuth gehört, bietet ebenfalls Pakete zu Online-
Zusammenarbeit, einen E-Shop und eine Homepa-
ge für drei Monate kostenlos an.
Selbstkritisch räumte Dommermuth gegenüber
dem Handelsblatt ein: „US-Firmen wie Microsoft
und Amazon sind natürlich schlagkräftiger als wir.“
Dafür hätten Firmen aus Deutschland einen Vor-
teil: „Wir können einen hohen Datenschutz bieten.
Das können die US-Anbieter nicht.“
Eine zentrale Frage bleibt jedoch offen: Was
bleibt nach der Pandemie vom Digitalisierungs-
schub übrig?
In China, wo das Virus zunächst ausgebrochen
war und mittlerweile viele Mitarbeiter wieder in ih-
ren Büros statt im Homeoffice arbeiten, verzeich-
neten Videokonferenzanbieter einen starken Ein-
bruch der Nachfrage. Nach Wochen oder gar Mo-
naten im Homeoffice freuen sich offenbar viele
Mitarbeiter wieder auf den persönlichen Kontakt
und verzichten genauso so schnell auf die virtuel-
len Helfer, wie sie diese in der Krise nutzten.

IT-Spezialist
Bechtle:
Seit Wochen ist
die Nachfrage
stark erhöht.

ANDREAS KOERNER

Gewinner der Krise
Aktienkurse im Vergleich

40,38 US$

37,59 €

160,21 US$

116,00 US$

HANDELSBLATT

1.1.2020 6.4.

Quelle: Bloomberg

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1.1.2020 6.4.

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75

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Cisco, Kurs in US-Dollar Microsoft, Kurs in US-Dollar

Teamviewer, Kurs in Euro Zoom, Kurs in US-Dollar

Unternehmen & Märkte


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