Handelsblatt - 07.04.2020

(Elle) #1
Jens Koenen Frankfurt

D


er Appell ist eindring-
lich. „Bei den bisheri-
gen Gesprächen der
Bundesregierung mit
der Luftverkehrsbran-
che war ein Vertreter der Bodenab-
fertigungsdienste bislang nicht mit
am Tisch“, heißt es in einem Brief an
Verkehrsminister Andreas Scheuer
(CSU), der von den Unternehmen
Swissport, WFS und Menzies unter-
zeichnet ist. Und weiter: „Ohne uns
wird der Himmel über Deutschland
ungeachtet der Unterstützung für
Fluggesellschaften oder Flughäfen
leer bleiben. Es handelt sich aktuell
um die größte Krise, mit der unsere
Branche jemals konfrontiert war.“
Es ist der Alarmruf eines Unter-
nehmenszweigs innerhalb des Luft-
verkehrs, der üblicherweise nur we-
nig Beachtung bekommt, weil die
Mitarbeiter ihren Job meist im Ver-
borgenen erledigen: in den Koffer-
kellern, auf dem Vorfeld beim Be-
und Entladen der Flugzeuge oder als
Reinigungskraft in der Kabine der
leeren Jets.
Doch wie die Airlines oder die
Flughäfen leiden auch die sogenann-
ten Bodenverkehrsdienste massiv
unter dem aktuellen Stillstand im
weltweiten Luftverkehr wegen des
Coronavirus. „Wir werden Ende
April noch 20 Prozent des Vorjahres-
umsatzes haben, wir haben aktuell
noch fünf Prozent des Groundhand-
ling-Volumens des Vorjahres“, be-
richtet Eric Born, Chef von Swis-
sport. Das Unternehmen ist mit rund
65 000 Mitarbeitern in 50 Ländern
und an 300 Flughäfen der größte
Anbieter in diesem Markt.
Selbst mit der noch laufenden Car-
go-Logistik schreibe das Unterneh-
men tiefrote Zahlen. 70 Prozent der
Kosten seien Personalkosten. „Natür-
lich kann man diese Kosten reduzie-
ren, aber dennoch verbrennt man
Cash. Der tägliche Geldabfluss ist
dramatisch“, sagt Born. Da sei die
Frage, wie lange man das in einer
Krise aushalten könne, die ja wohl
länger dauern werde als zu Beginn
gedacht.

Mieten müssen weiter -
bezahlt werden
Am Beispiel der Bodenverkehrs-
dienste lässt sich gut aufzeigen, wie
sich die enormen Ausfälle in der
Luftfahrt Stück für Stück durch die
extrem fragmentierte Wertschöp-
fungskette fressen. Erst mussten die
Airlines ihre Jets parken und verhan-
deln mittlerweile weltweit um milli-
ardenschwere Staatshilfen und teil-
weise sogar um den Einstieg der je-
weiligen Staaten.
Dadurch fehlen den Flughäfen die
Gebühren und auch die Einnahmen
in den Geschäften und der Gastrono-
mie. Längst rufen auch die Airports
um Hilfe. Beide Gruppen achten
sehr darauf, ihre eigene Liquidität zu
sichern.
Das schlägt wiederum so richtig bei
den Bodenverkehrsdiensten auf. „Wir
haben massiv Probleme, weil uns Air-
lines nicht bezahlen“, berichtet Born
von Swissport. In der Regel werde die
Dienstleistung erst einige Zeit nach
der Abfertigung eines Flugzeugs be-
glichen. Nun hielten die Airlines aber
ihr Geld zusammen, bezahlten auch
die Ausstände nicht mehr. „Es gibt ei-
nige Airlines, die sind solidarisch,
aber es gibt auch viele, die sind das
nicht, weil sie selbst nicht wissen, ob
sie überleben.“
Gleichzeitig laufen die Fixkosten
der Dienstleister an den Flughäfen
weiter. Für jede Halle, für jeden Stell-

platz auf dem Vorfeld für das Gerät
der Abfertiger muss bezahlt werden.
Versuche, bei den Flughäfen einen
Nachlass oder eine Stundung der
Miete zu erreichen, werden in den
meisten Fällen fehlschlagen, ist in
der Branche zu hören. „Das wird ab-
gelehnt, weil die Flughäfen die Ein-
nahmen dringend brauchen. In der
Krise ist sich jeder selbst der Nächs-
te“, heißt es hinter vorgehaltener
Hand.
Hinzu kommt der enorme Ausfall
auf der Nachfrageseite – mit großen
Folgen. „Viele Airlines erwarten von
uns, dass die wenigen Flugzeuge zu
den bisher vereinbarten Kosten ab-

gefertigt werden. Aber wir haben in
der Krise natürlich eine ganz andere
Kostenstruktur, weil wir kein Syner-
giepotenzial mehr beim Einsatz des
Personals haben“, so Born. Es gebe
bei der Arbeit zwar kurze Spitzen,
aber über den Tag eine komplette
Unterauslastung der Mitarbeiter.
Das Problem: Die großen Anbieter
sind ausschließlich auf die Dienste
an den Flughäfen konzentriert. Sie
haben kaum Möglichkeiten, das Ge-
schäft vorübergehend aus anderen
Einnahmequellen zu stützen oder
auch die Mitarbeiter anderswo ein-
zusetzen. Etwas besser gestellt sind
dagegen Unternehmen wie etwa die

Frankfurter Wisag AG, die als Dienst-
leister in zahlreichen Branchen aktiv
ist, so etwa bei Immobilien- und In-
dustrie-Services.
Wisag wollte das Schreiben von
Swissport und anderen denn auch
auf Anfrage nicht kommentieren.
Man habe aktuell keinen Antrag auf
staatliche Unterstützung gestellt,
heißt es in der Frankfurter Unter-
nehmenszentrale. „Die Krise ist eine
extreme Belastung für alle Unterneh-
men. Wisag ist aber solide finanziert
und verfügt derzeit über ausrei-
chend Liquidität.“
Swissport wiederum hat mittler-
weile Restrukturierungsexperten
von White & Case und Houlihan Lo-
key ins Haus geholt. Besitzer von An-
leihen des Unternehmens wurden
aufgefordert, mit den Experten Kon-
takt aufzunehmen. Das zeigt, wie
dramatisch die Situation ist.
„Meine erste Sorge ist, dass wir
uns genug Liquidität besorgen kön-
nen, um diese Krise zu überstehen“,
sagt Born: „Wir sind im Februar mit
einer Proforma-Liquidität von über
300 Millionen Euro gestartet. Das
war eine sehr gute Ausgangssituation
für das Jahr.“ Aber es werde wohl
wenig Firmen geben, die ausrei-
chend Reserven hätten, um monate-
lang mit einem Umsatz von nur noch
20 Prozent des normalen Niveaus
überleben zu können.

Born kündigt deshalb harte Ent-
scheidungen an. „Wir werden den
Betrieb in Ländern, die nie wirklich
gute Zahlen geliefert haben, über-
prüfen.“ Bisher habe man diese Län-
der im Gesamtsystem mitgetragen,
auch weil man den Kunden eine
möglichst gute, weltweite Netzwerk-
Abdeckung bieten wollte. „Das geht
aber nicht mehr, wenn unsere Part-
ner nicht bereit sind, uns zu unter-
stützen“, macht Born deutlich.
Der Swissport-Chef hat eine klare
Vorstellung, wie den Unternehmen
aus der Misere geholfen werden
kann: „Wenn die Regierungen ein-
springen, um Airlines zu helfen,
muss unbedingt sichergestellt wer-
den, dass die Airlines diese Liquidi-
tät zum Teil an die Service-Dienst-
leister weitergeben, indem diese be-
zahlt werden – und zwar sofort.“
Er verbindet diese Forderung mit
einer eindringlichen Warnung:
Selbst wenn die Airlines und Air-
ports die Krise überlebten, könne es
sein, dass der Flugverkehr nach der
Krise trotzdem nicht wieder auf die
Beine komme, weil es der eine oder
andere Groundhandler nicht ge-
schafft habe. „Gerade mit Blick auf
die exportorientierte deutsche Wirt-
schaft sollten solche Risiken nicht
eingegangen werden. Das Letzte,
was Deutschland nach der Corona-
krise braucht, ist ein instabiler Luft-
verkehr.“

Luftfahrt


Flaute herrscht


auch am Boden


Die Bodendienstleister schlagen Alarm: Die Arbeit


fehlt, das Geld fließt ab. Es drohen Ausfälle, die den


Neustart des Luftverkehrs behindern könnten.


Fahrwerkcheck:
Die Anbieter von Bo-
dendiensten müssen
zu viel Personal
für zu wenige Jets
bereithalten.

plainpicture/Cultura/Monty Rakusen

Marktführer

300


FLUGHÄFEN
weltweit versorgt allein das Unter-
nehmen Swissport mit seinen
Bodendienstleistungen und rund
65 000 Mitarbeitern.

Quelle: Unternehmen

Unternehmen & Märkte
DIENSTAG, 7. APRIL 2020, NR. 69
18

Mobilität

Die Bahn fährt trotz leerer Züge


Konzernchef Richard Lutz
stellt „gesellschaftliche
Verantwortung“ in den
Vordergrund. Wirtschaftliche
Folgen seien zweitrangig.

Dieter Fockenbrock Düsseldorf

D


ie Deutsche Bahn hält an ih-
rem umfangreichen Zugange-
bot im Nah- und Fernverkehr
fest, obwohl die Zahl der Fahrgäste
wegen der Corona-Pandemie massiv
eingebrochen ist. Das versicherte Kon-
zernchef Richard Lutz in einer Tele-
fonkonferenz am Montagmorgen.
Lutz ist gerade selbst aus einer 14-tägi-
gen Vorsorge-Quarantäne an seinen
Arbeitsplatz in die Berliner Bahn-Zen-
trale zurückgekehrt.
Nach seinen Angaben sind im Fern-
verkehr gegenüber Normalzeiten zwi-
schen zehn und 15 Prozent der Fahr-
gäste unterwegs, im Nahverkehr sind
es etwa 15 Prozent. Trotzdem fahren
75 Prozent aller ICE und IC nach Fahr-
plan, bei den Regionalzügen seien es
zwei Drittel des üblichen Zugangebots.
„Wir haben von Anfang an alles da-
rangesetzt, den Verkehr so lange, so
umfangreich und so stabil wie möglich
am Laufen zu halten“, versicherte
Lutz. Die Bahn wolle damit auch ihrer
„gesellschaftlichen Verantwortung“
gerecht werden.
Forderungen der Gewerkschaften
nach einer stärkeren Reduzierung des
Verkehrs lehnt Lutz ab. „Wir sehen im
Moment noch nicht, dass das Grund-

angebot infrage gestellt wäre.“ Die
Bahn gehe „sehr verantwortungsbe-
wusst“ mit den Mitarbeitern um.
Die Lokführergewerkschaft GdL
hatte eine weitere Kürzung des Fern-
verkehrs auf 50 Prozent verlangt, um
das Personal für noch kommende
mögliche Folgen der Corona-Pande-
mie zu schonen. Auch die Eisenbah-
nergewerkschaft EVG hatte darauf hin-
gewiesen. Bahn-Chef Lutz schließt al-
lerdings weitere Maßnahmen „für die
Zukunft“ nicht aus. Derzeit sei der co-
ronabedingte Krankenstand bei der
Bahn nicht anders als im Bundes-
durchschnitt. Und es gebe auch keine
Pläne, „das Angebot weiter herunter-
zufahren“.

Der Chef des Staatskonzerns sagte,
dass die Bahn in „großem Konsens“
mit dem Eigentümer Bund unterwegs
sei. Die wirtschaftlichen Folgen der
Coronakrise für den Konzern hätten
jetzt nicht erste Priorität, Vorrang ha-
be das Gemeinwohl. Das gelte auch
für die finanziellen Konsequenzen
durch den Einbruch des Fahrschein-
verkaufs.
„Wir sind nicht in Sorge, was die ak-
tuelle Finanzierung angeht“, sagte
Lutz. Hier stehe er in engem Kon-
takt mit Verkehrsminister Andreas
Scheuer (CSU). Welche Auswirkungen
die Pandemie auf die finanzielle Lage
der Bahn haben wird, wollte Lutz
nicht beziffern. Klar sei nur, dass die

erwarteten 157 Millionen Reisenden
im Fernverkehr nach 150 Millionen im
vergangenen Jahr wohl nicht erreicht
werden könnten. Und: Corona werde
die Bahn härter treffen als die Finanz-
und Wirtschaftskrise 2009.
Das „Primat der Politik“ gelte auch
für die Zeit nach Corona, sagte Lutz.
Die Bahn sei „auf verschiedene Szena-
rien vorbereitet“. Aber das werde in
Absprache mit dem Eigentümer um-
gesetzt.

Kein Arriva-Verkauf 2020
Der noch zu Jahresbeginn geplante
Börsengang der Auslandstochter Arri-
va im Sommer steht nicht mehr zur
Debatte. Von dem Verkauf erhoffte
sich die Bahn Milliardeneinnahmen
zur Abdeckung von Schulden. Lutz
geht davon aus, dass der Plan in die-
sem Jahr nicht mehr umgesetzt wer-
den kann. Auch bei Arriva stehe das
Ziel im Vordergrund, die Bahn- und
Busverkehre aufrechtzuerhalten.
Unbeirrt fortsetzen will der Kon-
zern dagegen sein ambitioniertes Bau-
programm. Beispielsweise wird die
Schnellstrecke Stuttgart-Mannheim
saniert. Rund elf Milliarden Euro sol-
len laut Plan in diesem Jahr in die In-
standsetzung des Schienennetzes flie-
ßen. „Wir sind im Prinzip ein organi-
siertes Konjunkturprogramm“, so
Lutz. Das sei auch ein Signal an die
Bauindustrie. Die Bahn wolle unge-
achtet der Pandemie „so viel wie mög-
lich bauen“.

> Kommentar Seite 23

Leere Sitzplätze im
ICE: Die Deutsche
Bahn will ihr Angebot
nicht weiter
einschränken.

dpa

Trotz Kurzarbeit

Kritik an Dividenden


der Autobauer


BMW, Daimler und VW
schütten Milliarden an ihre
Aktionäre aus, obwohl sie
Kurzarbeit beantragt haben.
Das sorgt für Diskussionen.

Franz Hubik München

A


uf BMW ist Verlass. Auch in
Krisenzeiten will der Auto-
bauer Kontinuität wahren.
Während andere Dax-Konzerne ihre
Aktionärstreffen infolge der Corona-
Pandemie reihum verschieben muss-
ten, halten die Münchener ihre
Hauptversammlung wie geplant am


  1. Mai ab. Das Aktionärstreffen er-
    folgt allerdings erstmals virtuell per
    Livestream, also ohne physische Prä-
    senz der Anteilseigner.
    Ansonsten ist aber alles wie immer.
    Vorstand und Aufsichtsrat schlagen
    den Aktionären vor, eine Dividende
    von insgesamt 1,64 Milliarden Euro
    auszuschütten. Weil der Fahrzeug-
    hersteller gleichzeitig für gut 20 000
    Mitarbeiter staatlich subventionierte
    Kurzarbeit beantragt hat, stehen die
    Bayern aber in der Kritik.
    „Kurzarbeitergeld ist eine Staatshil-
    fe. Wer auf Staatshilfe setzt, kann
    nicht gleichzeitig Gewinne an Aktio-
    näre ausschütten. Das ist die hässli-
    che Fratze des Kapitalismus“, twitter-
    te jüngst Carsten Schneider, parla-


mentarischer Geschäftsführer der
SPD-Bundestagsfraktion. Auch Diet-
mar Bartsch, Vorsitzender der Frakti-
on Die Linke, forderte zuletzt in der
„Financial Times“, Bonuszahlungen
und Dividenden auszusetzen.
Viele Konzerne haben ihre Ge-
winnbeteiligung längst gestrichen.
Dennoch gibt es durchaus triftige
Gründe, warum etwa BMW an der
Dividende festhält. Denn die Erfolgs-
beteiligung der Mitarbeiter des Auto-
bauers ist zum Teil an die Ausschüt-
tung der Aktionäre gekoppelt, heißt
es in Konzernkreisen. Wird den Ei-
gentümern die Gewinnbeteiligung ge-
strichen, schmälert dies auch die Prä-
mie für die Beschäftigten.
Zudem wollen viele Unternehmen
ihren Ruf als verlässliche Partner am
Kapitalmarkt nicht verlieren. Gerade
für Konzerne wie Daimler ist das
doppelt wichtig. Anders als BMW
oder VW haben die Stuttgarter kei-
nen schützenden Ankeraktionär. Weil
der Aktienkurs von Daimler schon
seit Jahren im Sinkflug ist, sehen viele
Investoren in der Dividende das letz-
te Argument, warum sie überhaupt
noch an den Schwaben beteiligt sind.
In solch einer Konstellation die Ge-
winnbeteiligung auszusetzen würde
große Dividendenfonds vergraulen,
heißt es in Finanzkreisen. Die Folge:
Die Marke mit dem Stern könnte zum
Übernahmeziel werden.




  

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Unternehmen & Märkte
DIENSTAG, 7. APRIL 2020, NR. 69
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