Banken
In der
Zwickmühle
S
o eine Krise gab es noch nie.
Binnen weniger Tage fahren
ganze Volkswirtschaften he-
runter. Mit gigantischen Hilfspro-
grammen versuchen die Regierun-
gen, den ökonomischen Kollaps zu
verhindern. Das funktioniert nur,
wenn die Hilfen schnell genug dort
ankommen, wo sie gebraucht wer-
den. Hier kommen die Banken ins
Spiel, sie sind die zentrale Verteil-
stelle für Liquidität im Wirtschafts-
system. Aber können die Institute
diese Herkulesaufgabe überhaupt
bewältigen? Die Geldhäuser stehen
vor einem heiklen Balanceakt. Auf
der einen Seite wollen sie anders
als in der Finanzkrise dieses Mal auf
jeden Fall Teil der Lösung und nicht
Teil des Problems sein. Das ist nach
dem Fiasko von 2008 auch ihre ge-
sellschaftliche Pflicht. Auf der ande-
ren Seite dürfen sich die nicht gera-
de vor Gesundheit strotzenden
deutschen Banken aber auch nicht
einen Haufen riskanter Kredite in
die Bücher holen, sonst geht die Co-
ronakrise stufenlos in eine Banken-
krise über. Die Banken müssen hel-
fen, die Wirtschaft vor den Corona-
folgen zu schützen, sie müssen sich
aber auch selbst schützen. Dieses
Dilemma lässt sich kaum auflösen.
Das zeigen die teilweise schizo-
phren anmutenden Entscheidun-
gen mancher Institute. Auf der ei-
nen Seite springen sie ihren Kun-
den zur Seite und verlängern Kre-
ditlinien oder setzen Zins- und Til-
gung aus. Auf der anderen Seite ver-
schärfen sie ihre Strafzinspolitik
und fordern von ihren Unterneh-
menskunden eine Verwahrgebühr
für Einlagen vom ersten Euro an.
Solche Widersprüche zeigen, dass
auch die Banken tief verunsichert
sind. Welche enormen Risiken ihre
Bilanzen bergen, zeigt ein Abgleich
des ursprünglich für dieses Jahr ge-
planten Stresstests der EU-Banken-
aufsicht Eba mit der Realität. Das
harte Stressszenario sollte einen
Einbruch der Wirtschaft in der
Euro-Zone um 4,4 Prozent simulie-
ren. Mittlerweile geht die Europäi-
sche Zentralbank davon aus, dass
ein dreimonatiger Lockdown zu ei-
nem Minus von fünf Prozent führen
würde – deutlich mehr als in der Fi-
nanzkrise.
Geldhäuser spielen bei der
Verteilung der Corona-Milliarden
die zentrale Rolle. Das droht sie zu
überfordern, sagt Michael Maisch.
„Ich wäre dafür, auf europäischer Ebene
einen Fonds einzurichten, in den die
Versicherungsbranche einzahlt und den man
in Krisensituationen anzapfen kann – und zwar
nicht nur für Pandemien, sondern auch für
schwere Naturkatastrophen.“
Oliver Bäte, Vorstandsvorsitzender Allianz
Worte des Tages
Der Autor ist stellvertretender
Leiter des Ressorts Finanzen.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
I
n Deutschland stehen die Bänder weitge-
hend still. Für die Schaffer im Schwabenland
ist das ein nahezu unerträglicher Zustand.
Die Häuslebauer kompensieren die Kurzar-
beit mit Schlangestehen am Baumarkt, hekti-
schem Umgraben im Garten oder dem Nähen von
Schutzmasken. Die Übersprungshandlungen sorgen
nur kurz für Linderung. Denn jeder – nicht nur in
Baden-Württemberg, sondern in der gesamten Repu-
blik – weiß, die Rechnung für die Freizeit kommt
bestenfalls mit einem niedrigeren Lohn am Monats-
ende. Schlimmstenfalls ersetzt die Freizeit den Ar-
beitsplatz.
Wie viel kostet der Stillstand welches Unterneh-
men? Die Antwort ist wichtig und auch wieder nicht.
Es kostet sehr viel Substanz, jedenfalls den, der Sub-
stanz hat. Die anderen brauchen Staatshilfe oder
schaffen es gar nicht. Dieser düstere Ausblick ruft
zunehmend Stimmen auf den Plan, die eine mög-
lichst schnelle Wiederaufnahme der Produktion for-
dern, damit wir nicht am Ende den Untergang unse-
rer Wirtschaft betrauern müssen. Die Wirtschaft darf
bei dem Thema aber nicht den Fehler einiger promi-
nenter Regierungschefs wiederholen und das Coro-
navirus unterschätzen. Boris Johnson und Donald
Trump lassen ihre Völker gerade dafür einen sehr
hohen Preis bezahlen.
Ein sehr kluger Satz war zuletzt zu hören: „In der
Frage, wie lange die Automobilindustrie einen kom-
pletten Shutdown verkraften kann, dürfen wir nicht
zulassen, dass Gesellschaft und Wirtschaft gegenei-
nander ausgespielt werden.“ Die Aussage kam von
Wolf-Henning Scheider, Chef von ZF, dem drittgröß-
ten deutschen Autozulieferer mit fast 40 Milliarden
Euro Umsatz und 150 000 Beschäftigten. Natürlich
müsse man die Interessen der Wirtschaft im Blick
haben – aber es gehe auch um die Gesundheit der
Mitarbeiter und der Menschen insgesamt. „Hier
müssen gemeinsame Lösungen gefunden werden,
Wirtschaft und Gesellschaft Hand in Hand gehen“,
meint Scheider. Unternehmen wie ZF haben sich so
eingerichtet, dass sie bis Juni durchhalten können.
Konkurrent und Branchenführer Bosch hat eine
Liquidität jenseits der 16 Milliarden Euro. Natürlich
wären ZF, Bosch oder Continental froh, wenn es frü-
her wieder losgehen könnte. Aber da sind sich die
Chefs ausnahmsweise einig. Schnellschüsse darf es
nicht geben. Denn nichts ist schlimmer, als die Pro-
duktion hochzufahren und dann wieder stoppen zu
müssen. Denn wieder zu starten ist viel, viel schwie-
riger als das Anhalten.
Das können am besten die großen Zulieferer beur-
teilen. Sie haben jetzt so lange geliefert wie es nur
ging, bis zur letzten Schraube. Für manche war es
fast eine Erlösung, als VW die Bänder anhielt. Denn
lange wäre es nicht mehr gut gegangen. Die Lager
der großen Zulieferer waren praktisch leer, weil ihre
1 000 Zulieferer aus Italien und Hunderte aus Spa-
nien schon längst nicht mehr produzierten. Für Fir-
men wie ZF war es wichtig, lieferfähig bis zum
Schluss zu sein. Denn wenn die Produktion eines Au-
tobauers stillsteht, weil ein Teil am Band fehlt, sind
brutale Konventionalstrafen fällig.
Aber jetzt sind die Lager bei wichtigen Komponen-
ten leer geräumt. Das heißt, ein Wiederhochfahren
ist eine hochkomplexe Angelegenheit für die Logis-
tik. Natürlich haben alle eine Taskforce. Aber solan-
ge beispielsweise italienische Zulieferer stillstehen,
können deutsche Zulieferer zwar starten wollen,
aber eben nicht können. Selbst wenn es die Teile
gibt, müssen sie transportiert werden und verzöge-
rungsfrei Grenzen passieren. Sonst scheitert die
hochsensible Fertigung mit Lieferung „just in time“
direkt ans Band allein schon am Transport.
Unternehmen bemühen sich immer, mehr als ei-
nen Lieferanten für wichtige Teile zu haben. Den-
noch ist es nicht einfach in dieser Situation, einen
Lieferanten zu ersetzen. In dringenden Fällen
schickten Hersteller zu Normalzeiten einfach ein
Flugzeug ans andere Ende der Welt. Aber solche
Feuerwehreinsätze sind heute kein Thema.
Wenn die Industrie und allen voran die Autoindus-
trie wieder in Gang gesetzt werden, will das wohl-
überlegt sein. Es wird vor allem langsam gehen. Und
eines ist schon jetzt klar: Wenn die Auflagen zur Hy-
giene und zum Abstandhalten in der Produktion ein-
gehalten werden sollen, dann geht das nicht mit der
gewohnten Produktivität. Die Bänder müssen langsa-
mer laufen, damit sich die Beschäftigten auch aus
dem Weg gehen können.
Und noch was: Es macht erst Sinn, wieder Autos
zu bauen, wenn die Kunden auch wieder Autos kau-
fen. Dafür braucht der Verbraucher Vertrauen und
vielleicht auch staatliche Anreize. Das mag bei Um-
weltaktivisten wenig Gegenliebe erzeugen. Aber so
oder so wird über Starthilfe für das Verbraucherver-
trauen geredet werden müssen. Das könnte günstiger
sein als monatelange Folgen des Shutdowns. Die Co-
ronakrise wird auf jeden Fall eines zeigen: Wirtschaft
und Gesellschaft lassen sich auf Dauer gar nicht ge-
geneinander ausspielen. Also: so früh wie möglich,
aber auf keinen Fall zu früh wieder loslegen!
Autozulieferindustrie
Bloß keinen
Fehlstart
Ein Wiederanlauf
der Produktion
sollte in jedem
Fall eher etwas
später erfolgen
als zu früh, warnt
Martin Buchenau.
Es macht erst
Sinn, wieder
Autos zu
bauen, wenn
die Kunden
auch wieder
Autos kaufen.
Der Autor ist Korrespondent in Stuttgart.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Meinung
& Analyse
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DIENSTAG, 7. APRIL 2020, NR. 69
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„Die Behauptung, der
E-Commerce würde pauschal
als ‚Gewinner‘ aus der
Corona-Pandemie
hervorgehen, ist schlicht
falsch.“
Gero Furchheim, Präsident Bundesverband
E-Commerce und Versandhandel
„Schon allein zu einem normalen
Produktionsniveau
zurückzukehren ist derzeit eine
überragende Leistung.“
Mark Schneider, Vorstandsvorsitzender Nestlé, kämpft
mit der enormen Nachfrage nach Lebensmitteln.
E
s fällt schwer, Fluggesellschaften pleitegehen zu
lassen. Diese Erkenntnis ist nicht neu und hat mit
der Coronakrise überhaupt nichts zu tun. Doch
sie wird in der aktuell äußerst schwierigen Situation, in
der sich die Branche befindet, einmal mehr bestätigt.
Das Zaudern bei der Marktbereinigung hat viele
Gründe. Da sind zum einen die Emotionen, die mit dem
Fliegen verbunden sind. Auch wenn daraus längst All-
tag, aus dem Abenteuer beim Besteigen eines Jets eine
zuweilen nervende und wenig erfreuliche Routine ge-
worden ist – ein Flugzeug trägt immer noch die Flagge
einer Nation in die große und weite Welt.
Es gibt zum anderen auch pragmatische Gründe für
die Rettung angeschlagener Fluggesellschaften. Die An-
bindung an ferne Ziele ist ein wichtiger Faktor für den
wirtschaftlichen Erfolg einer Gesellschaft. Hinzu kom-
men viele Tausende Jobs in der fragmentierten Bran-
che. Deshalb überrascht es nicht, dass nun in Corona-
zeiten Regierungen in Europa oder auch Nordamerika
den Wunsch äußern, die Hilfen für ihre Airlines mit ei-
ner Kapitalbeteiligung an den Firmen zu verbinden.
Doch der Wunsch ist heikel. Regierungen, die sich als
größerer Investor engagieren, sind versucht, eigene Zie-
le durchzusetzen. Gerade in der größten Krise der Luft-
fahrt – und das dürfte Corona sein – wäre das fatal. Die
Gefahr bestünde, dass Streckenpläne künftig stärker
nach politischen Vorstellungen statt nach Aspekten der
Wirtschaftlichkeit zusammengestellt werden. Oder dass
dringend notwendige Restrukturierungen viel Rück-
sicht auf das sicher nachvollziehbare Streben der Politik
nehmen müssten, möglichst wenig Jobs zu verlieren.
Man darf gespannt sein, wie die seit drei Jahren
schwer angeschlagene Alitalia nun bald unter dem Dach
des italienischen Staates neu ausgerichtet werden wird.
Jedem in der Branche ist klar, dass harte Einschnitte
notwendig sind. Ob sie auch erfolgen werden, bleibt ab-
zuwarten.
Es gibt in der Luftfahrt nur ein Beispiel einer sehr er-
folgreichen Airline mit dem Staat als Miteigentümer:
Singapore Airlines. Doch die erfolgreiche Fluggesell-
schaft ist ein Sonderfall. Der Insel- und Stadtstaat hat
selbst wenig Fluggäste, die Airline lebt von Langstre-
ckenflügen. Und sie lebt von der starken Wirtschaft
dort.
Insofern wäre es wohl falsch, das Modell als Blaupau-
se für andere Airlines zu nehmen. Aber eines können
die Regierungen in aller Welt von dem Beispiel lernen:
Singapore Airlines ist nicht zuletzt deshalb erfolgreich,
weil sich der Staat weitgehend aus dem Geschäft he-
raushält. So gut die umfassenden Hilfen der Regierun-
gen für die Luftfahrt sind: Auf eine Mitbestimmung soll-
ten die Politiker also unbedingt verzichten.
Staatsbeteiligungen bei Airlines
Nur ohne Mitsprache!
Es ist gut, dass die Regierungen
den Fluggesellschaften helfen
wollen. Auf Einflussnahme sollten
sie aber unbedingt verzichten,
mahnt Jens Koenen.
Der Autor leitet das Büro Unternehmen und Märkte in
Frankfurt. Sie erreichen sie ihn unter:
[email protected]
Regierun-
gen, die sich
als größerer
Investor
engagieren,
sind ver-
sucht, ei-
gene Ziele
durch-
zusetzen.
Bloomberg, Bundesverband E-Commerce und Versandhandel, REUTERS
Deutsche Bahn
Eine
neue Ära
F
ür Bahn-Chef Richard Lutz ist
der Koalitionsvertrag ein Se-
gen. Seit SPD und Union vor
zwei Jahren vereinbart hatten, dass
mehr Verkehr auf der Schiene Vor-
rang haben soll vor Gewinn, ist die
Richtung eindeutig. Jetzt, in Zeiten
des grassierenden Coronavirus,
müssen sich Lutz und sein Team
keinen Kopf machen, ob es sinnvoll
ist, fast leere ICE durch die Lande
rauschen zu lassen. Berlin sagt Ja.
Diese Entscheidung hat ihnen die
politische Leitlinie für die Deutsche
Bahn abgenommen: Das Unterneh-
men soll die Mobilität aufrechter-
halten. Komme, was da wolle. Ab-
gerechnet wird später – und im
schlimmsten Fall durch einen Griff
in die Bundeskasse.
Das muss man nicht für die richti-
ge Lösung halten. Aber: Der Staat
hat sein Verhältnis zum größten
Staatskonzern geklärt. Das ist min-
destens genauso wichtig. Die Irr-
fahrt des Schienenkonzerns dauer-
te schon viel zu lange.
Nach der Absage des Börsen-
gangs vor nunmehr über zehn Jah-
ren war das Ziel für die 200 000 Ei-
senbahner verloren gegangen. Und
Lutz stand als langjähriger Finanz-
chef nun wahrlich nicht für eine
Neujustierung der Verhältnisse. Im
Gegenteil: Der Finanzexperte wer-
kelte schon damals fleißig mit am
letztlich gescheiterten Börsengang
und galt auch eher als ein Mann der
Zahlen. Vor allem als ein Freund
schwarzer Zahlen.
Die Coronakrise darf nun aller-
dings kein Vorwand sein, alle Däm-
me brechen zu lassen. Und dem Un-
ternehmen alle möglichen und un-
sinnigen politischen Wünsche aufs
Auge zu drücken. Wenn die Bahn in
Zukunft jedem Landrat seine eigene
Haltestelle einrichten muss, dann
ist die Kehrtwende gescheitert.
Die Bahn ist ein Staatskonzern,
ja. Wenn wir uns jetzt darüber freu-
en, dass dieser Staatskonzern in der
Lage ist, die mobile Grundversor-
gung in diesem Land zu sichern,
dann sollten wir genau diesen Zu-
stand aber auch erhalten. Und zwar
mit einer Deutschen Bahn, die
durchaus dem Gemeinwohl dienen
kann, die das aber auch halbwegs
wirtschaftlich betreibt.
Für die Bahn ist die politische
Vorgabe nun klar. Sie soll Mobilität
garantieren – komme, was wolle,
beobachtet Dieter Fockenbrock.
Der Autor ist Chefkorrespondent
im Ressort Unternehmen &
Märkte. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Unternehmen & Märkte
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