Handelsblatt - 07.04.2020

(Elle) #1
Martin Greive Berlin

E


s ist fast schon ein ge-
wohntes Bild. Seit Aus-
bruch der Coronakrise
sitzen einmal in der Wo-
che Finanzminister Olaf
Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister
Peter Altmaier (CDU) vor der Haupt-
stadtpresse. Und jedes Mal kündigen
die beiden neue Rettungsmaßnah-
men an. Am Montag war es zwar kei-
ne „Bazooka“, dafür schlossen sie
aber ein Loch in den bestehenden
Rettungsschirmen, über das der Mit-
telstand geklagt hatte.
Mit einem neuen Kreditprogramm
will die Bundesregierung mittelständi-
sche Firmen einfacher mit Krediten
versorgen und so eine Pleitewelle ver-
hindern. Der Plan: Die Staatsbank
KfW soll künftig kleinere Firmenkre-
dite mit 100 Prozent absichern. Unter-
nehmer mit elf bis 49 Mitarbeitern
können einen solchen Kredit von bis
zu 500 000 Euro in Anspruch neh-
men, Firmen ab 50 Mitarbeitern von
bis zu 800 000 Euro.
Bislang sicherte die KfW bis zu 90
Prozent des Ausfallrisikos ab, für den
Rest standen die Hausbanken gerade.
Die Wirtschaft klagte aber, auch trotz
dieses geringen Risikos würden viele
Finanzhäuser keine Kredite vergeben.
In der Coronakrise mussten die meis-
ten Geschäfte schließen, Lieferketten
sind unterbrochen, vielen Firmen
drohen Zahlungsschwierigkeiten. Ver-
bände klagten außerdem über eine
„Mittelstandslücke“. Anders als für
Kleinstunternehmen und Konzerne
gäbe es für den Mittelstand keine di-
rekten Staatshilfen.
Diese Kritik will die Regierung mit
ihrem Programm zum Verstummen

bringen. „Die Schnellkredite sollen
dafür sorgen, dass Unternehmen der
mittleren Größenordnung schnell Li-
quidität haben, ohne dass wir als
Steuerzahler zu viel Geld verlieren“,
sagte Scholz. So sollen nur Unterneh-
mer in den Genuss der Schnellkredi-
te kommen, die zuvor im Schnitt der
vergangenen drei Jahre einen Ge-
winn erzielt haben. Die Firma muss
außerdem seit Anfang 2019 am Markt
sein. Die Hausbank soll prüfen, ob
die Anforderungen erfüllt sind. Wenn
alles klappt, sollen die Kredite ab
Donnerstag abrufbar sein.

Nur für Betriebsausgaben
Firmen dürfen das frische Geld nur
für Betriebsausgaben oder Investitio-
nen verwenden. „Umschuldung und
Ablösung von Kreditlinieninan-
spruchnahmen sind explizit ausge-
schlossen“, heißt es in den Eckpunk-
ten zum Gesetz. Unternehmer müs-
sen die Schnellkredite binnen zehn
Jahren zurückzahlen und auf die neu-
en Schulden drei Prozent Zinsen zah-
len – deutlich mehr als für KfW-Kredi-
te, die nicht zu 100 Prozent abgesi-
chert sind. Ein späterer Umstieg auf
einen anderen KfW-Kredit soll mög-
lich sein.
Für das neue Programm wird die
Bundesregierung den Kreditrahmen
für die KfW nochmals deutlich erhö-
hen müssen. Dafür hatte Finanzmi-
nister Scholz allerdings bereits Vor-
sorge im Bundeshaushalt getroffen.
Echtes Geld wird aber nur fällig,
wenn in größerem Umfang Kredite
ausfallen und die KfW, und damit
letzten Endes der Steuerzahler, tat-
sächlich dafür aufkommen muss.

Die Wirtschaft begrüßte das neue
Kreditprogramm. „Die Erleichterun-
gen sind ein richtiger und konsequen-
ter Schritt. Ich hoffe, dass das Geld
nun schnell in den Betrieben an-
kommt. Dort wird es dringend benö-
tigt“, sagte Eric Schweitzer, Präsident
des Deutschen Industrie- und Han-
delskammertages (DIHK).
Zuspruch findet das Programm
auch bei den Banken. So muss die
Hausbank für die Kredite keine eigene
Risikoprüfung erstellen, auch die KfW
verzichtet darauf. „Wenn keine weite-
re Kreditprüfung mehr notwendig ist,
kann das entscheidend dazu beitra-
gen, dass die Hilfe schnell dort an-
kommt, wo sie gebraucht wird“, sagte
Christian Ossig, Hauptgeschäftsführer
des Bankenverbandes.
Fabio de Masi, Finanzpolitiker der
Linkspartei, findet dagegen, zusätzli-
che Kreditgarantien seien zwar
grundsätzlich richtig. „Es muss je-
doch verhindert werden, dass Ban-
ken ihre schlechten Kredite beim
Staat abladen und es hohe Mitnahme-
effekte gibt.“
Finanzminister Scholz sieht diese
Gefahr nicht. „Mit unseren Anforde-
rungen halten wir die Ausfallwahr-
scheinlichkeit so klein wie möglich
und die Kontrolle so gering wie mög-
lich“, sagte er. Gleichzeitig kündigte er
an, der Wirtschaft gemeinsam mit Alt-
maier in den nächsten Tagen womög-
lich eine weitere kleine Hilfe präsen-
tieren zu können. „Wir sind uns nicht
sicher, ob unsere gemeinsamen öf-
fentlichen Auftritte zu einer Dauerein-
richtung werden“, sagte Scholz. Aber
dieser dritte in kurzer Zeit werde si-
cher nicht der letzte gewesen sein.

Corona-Hilfsprogramme


Kredite gegen Kritik


Die Bundesregierung reagiert auf das Klagen der Wirtschaft und


bringt ein neues Hilfsprogramm für den Mittelstand auf den Weg.


KfW: Für das neue Hilfsprogramm
wird die Bundesregierung den
Kreditrahmen für die staatliche
Förderbank nochmals deutlich
erhöhen müssen.

dpa

Die


Erleichterun -


gen sind ein


richtiger und


konsequenter


Schritt. Ich


hoffe, dass das


Geld nun


schnell in den


Betrieben


ankommt.


Eric Schweitzer
Präsident DIHK

Relevante Berufe


Regierung


lässt längere


Arbeitszeit zu


Frank Specht Berlin


D


ie Bundesregierung plant we-
gen der Corona-Pandemie
für bestimmte systemrele-
vante Berufe Abweichungen vom Ar-
beitszeitgesetz. „Zur Bewältigung die-
ses außergewöhnlichen Notfalls, der
bundesweite Auswirkungen hat, kön-
nen für eine befristete Zeit auch län-
gere Arbeitszeiten, kürzere Ruhezei-
ten sowie die Beschäftigung von Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitneh-
mern an Sonn- und Feiertagen für
bestimmte Tätigkeiten notwendig
sein“, heißt es im Referentenentwurf
für eine Covid-19-Arbeitszeitverord-
nung, die das Arbeitsministerium im
Einvernehmen mit dem Gesundheits-
ministerium erarbeitet hat. Der Ent-
wurf liegt dem Handelsblatt vor.
Die Verordnung ist bis Ende Juni
befristet. Demnach darf die tägliche
Arbeitszeit in bestimmten Berufen
auf bis zu zwölf Stunden verlängert
werden. Dies gelte nur, soweit die
Verlängerung nicht durch voraus-
schauende organisatorische Maßnah-
men, durch Einstellungen oder sons-
tige personalwirtschaftliche Maßnah-
men vermieden werden könne, heißt
es im Verordnungsentwurf ein-
schränkend. Die tägliche Ruhezeit
kann von elf auf neun Stunden ver-
kürzt werden.
Längere Arbeitszeiten sollen unter
anderem für Beschäftigte in der Her-
stellung, Verpackung und beim Ein-
räumen von Waren des täglichen Be-
darfs, Arzneimitteln und Medizinpro-
dukten möglich sein. Die Verordnung
nennt aber unter anderem auch die
Landwirtschaft, die Energie- und
Wasserversorgung, Apotheken und
Sanitätshäuser, Geld- und Werttrans-
porte oder das Daten- und Netzwerk-
management. Diese Arbeitnehmer
dürfen auch an Sonn- und Feiertagen
beschäftigt werden.
Die Ausnahmen sollen dazu beitra-
gen, „in der aktuellen Situation der
Covid-Epidemie die Aufrechterhal-
tung der öffentlichen Sicherheit und
Ordnung, des Gesundheitswesens
und der pflegerischen Versorgung,
der Daseinsvorsorge sowie der Ver-
sorgung der Bevölkerung mit existen-
ziellen Gütern sicherzustellen“.
CDU-Sozialexperte Peter Weiß
sprach von einer „großzügigen und
breit gefächerten Lösung, die der Kri-
senlage angemessen ist“. Kritik kam
dagegen aus der Opposition. „Ge-
sundheitsschutz ist derzeit das Wich-
tigste“, sagte die Grünen-Arbeits-
marktexpertin Beate Müller-Gemme-
ke. Dies werde konterkariert, wenn
ohnehin am Anschlag arbeitende Be-
schäftigte noch die notwendigen Ru-
hepausen genommen würden.
Arbeit müsse auf mehr Schultern
verteilt werden. So gebe es ja durch-
aus die Möglichkeit und Bereitschaft,
dass Kurzarbeiter oder Studierende
beispielsweise im Supermarkt aushel-
fen. Die Vizefraktionsvorsitzende der
Linken, Susanne Ferschl, sprach von
einem „Schlag ins Gesicht all derer,
die ihre Gesundheit schon jetzt täg-
lich für uns alle riskieren“. Statt die
Arbeitsbedingungen für die „Helden“
in systemrelevanten Berufen durch
mehr Personal oder Tarifschutz zu
verbessern, würden die ohnehin
schon überlasteten Beschäftigten
„wie Zitronen ausgequetscht“.


Wirtschaft & Politik


1

DIENSTAG, 7. APRIL 2020, NR. 69
8


Schwellenländer

Argentinien ist zahlungsunfähig


Argentinien hat für 2020 alle
Rückzahlungen für lokale
Bonds gestoppt. Es ist nur
noch eine Frage der Zeit, bis
die Regierung den generellen
Default erklärt.

Alexander Busch Salvador

V


iele Investoren haben es seit
Langem befürchtet, jetzt ist
es eingetreten: Am Montag-
morgen erklärte die argentinische
Regierung, dass sie die dieses Jahr
fälligen Zins- und Tilgungszahlungen
auf Bonds in Höhe von 8,4 Milliarden
Dollar auf 2021 verschieben werde.
Damit rückt Argentinien einem allge-
meinen Zahlungsausfall wieder einen
Schritt näher – und aus Sicht der Ex-
perten ist es nur noch eine Frage der
Zeit, bis es so weit ist. Es wäre der
neunte Ausfall in der Geschichte der
zweitgrößten südamerikanischen
Volkswirtschaft.
In dem Dekret rechtfertigte die Re-
gierung den Schuldenschnitt damit,
dass dies die fälligen Anleihen Teil ei-
nes größeren Verhandlungspakets
sein müssten, das Buenos Aires mit
seinen Gläubigern anstrebt. Das
Land müsse erst einmal auf einen
Pfad des nachhaltigen Wachstums
zurückkehren.
Die entscheidende Frage ist nun,
was mit den ausländischen Gläubi-
gern geschieht.
Seit zwei Monaten verhandelt
Wirtschaftsminister Martín Guzmán,
ein Experte für Schuldenverhandlun-
gen, mit dem Internationalen Wäh-
rungsfonds (IWF) und den privaten
Gläubigern. Bis Ende März wollte er
einen Umschuldungsplan präsentie-
ren. Die Coronakrise hat jedoch sei-
ne schon vorher völlig unrealisti-
schen Zeitpläne über den Haufen ge-
worfen.
Bereits im Februar hat Argentinien
einige Anleihen in Peso nicht be-
zahlt, befindet sich seitdem in einem
technischen Default, ist also teilweise
zahlungssäumig. Alle Dollar-Anleihen
wurden dagegen bisher bedient.

Bislang geht es nur um
lokale Anleihen
Von dem Zahlungsstopp jetzt betrof-
fen sind wiederum nur Dollar-Anlei-
hen, die nach lokalen Gesetzen aus-
gegeben wurden. Die Fälligkeiten auf
Dollar-Anleihen, die nach internatio-
nalen Gesetzen aufgelegt wurden,
haben Argentinien und die Provin-
zen bisher bedient.
Für den Finanzexperten Gabriel
Caamaño vom Finanzdienstleister
Ledesma ist dennoch klar: „Wir be-
wegen uns in vielen kleinen Schrit-
ten auf einen Default zu.“
Schon in den letzten Tagen hatte
Präsident Alberto Fernández mehr-
fach erklärt, dass die Schuldenfrage
wegen der Coronakrise auf der Rang-
folge der nationalen Prioritäten den
„zweiten oder dritten Platz“ abge-
rutscht sei.
Der seit knapp vier Monaten regie-
rende Peronist Fernández ist derzeit
bei den Argentiniern wegen seiner
klaren Krisenpolitik unumstritten.
Über 80 Prozent der Bevölkerung
stehen hinter dem Präsidenten.
Dennoch lässt Fernández die In-
vestoren im Unklaren, ob er letzt-
endlich den allgemeinen Zahlungs-
stopp erklären wird. Denn nur rund
3,3 Milliarden Dollar an Zins und Til-

gung sind dieses Jahr fällig auf
Bonds, die nach internationalem
Recht ausgegeben wurden. Diese
könnte die Regierung bei gutem Wil-
len noch aus den letzten Devisen -
reserven des Landes bezahlen.
Der jetzige Zahlungsaufschub
könnte Raum schaffen, dass Argenti-
nien seine sonstigen Dollar-Schulden
bezahlt – trotz der dünnen Liquidi-
tätsreserven. Das zumindest glauben
die Experten der US-Investmentbank
JP Morgan.

Jahrelanger Konflikt mit
den Gläubigern
Ein Zahlungsstopp auf die Dollar-
Bonds nach New Yorker Recht würde
Argentinien jedoch vermutlich einen
jahrelangen Konflikt mit den Gläubi-
gern bescheren. Denn Einigungen
bei Staatsanleihen zu erzielen, die
nach ausländischen Finanzierungs -
regeln emittiert wurden, ist äußerst
kompliziert.
Bei ihnen sind etwa Sammelklagen
gegen den argentinischen Staat mög-
lich. Vor allem deshalb blieb Argenti-
nien nach seinem letzten großen
Zahlungsstopp im Jahr 2002 Argenti-
nien über 15 Jahre von den interna-
tionalen Finanzmärkten isoliert.
Einzelne Hedgefonds hatten ver-
hindert, dass sich Argentinien mit
den Gläubigern auf eine Umschul-
dung einigen konnte, obwohl die
große Mehrheit dieser zugestimmt
hatte. Die Fonds um den Investor
Paul Singer konnten durchsetzen,
dass sie zum Nominalwert ihrer An-
leihen ausbezahlt wurden – im Ge-
gensatz zum großen Teil der Gläubi-
ger, die Abschläge von bis zu 60 Pro-
zent akzeptiert hatten.

Entscheidend ist die Frage,
wie sich der IWF verhält
Entscheidend ist nun, wie sich Ar-
gentinien mit dem IWF einigt. Über
die Verhandlungen zwischen Minis-
ter Guzmán und der Institution in
Washington ist bisher kaum etwas an
die Öffentlichkeit gedrungen. Der
Fonds ist ein privilegierter Kredit -
geber, der seine Tilgungen und Zin-
sen komplett und schneller zurück-
bekommt als die privaten Bondhal-
ter. Nach seinen Statuten darf der
Fonds keine Schulden erlassen.
Der jüngste Hilfskredit des IWF
2018 betrug insgesamt 57 Milliarden
Dollar – und dieser steht im Mittel-
punkt der Verhandlungen. Mit dem
größten Kredit seiner Geschichte

wollte der IWF Argentinien vor zwei
Jahren aus der Liquiditätsfalle helfen
und für Vertrauen unter den Investo-
ren sorgen.
Doch das ging schief: Mit der ra-
santen Abwertung des Pesos und
der Rezession ist der Schuldenberg
Argentiniens auch schon vor der Co-
ronakrise gigantisch gewachsen. Vor
einem Monat erklärte der IWF öf-
fentlich, dass die Schulden des süd-
amerikanischen Landes in ihrer jet-
zigen Form nicht mehr tragfähig sei-
en – und dass die privaten Gläubiger
Zugeständnisse gegenüber Argenti-
nien machen sollten.
In Buenos Aires hoffen Regierung
wie Finanzinvestoren, dass wegen
der weltweiten Krise nun auch Ar-
gentiniens Chancen gestiegen sind,
ein Umschuldungsprogramm ab-
schließen zu können, mit einem ho-
hen Forderungsverzicht („Haircut“)
der Gläubiger.

Wirtschaftslage hat sich
dramatisch verschärft
Denn insgesamt hat sich die wirt-
schaftliche Lage Argentiniens durch
die Krankheit Covid-19 dramatisch
verschärft: Die Regierung hat einen
kompletten „Lockdown“ verkündet,
der die Rezession, in dem sich das
Land seit drei Jahren befindet, ver-
schärfen wird.
In diesem Jahr könnte das Brutto-
inlandsprodukt noch einmal um 4,
Prozent schrumpfen, erwartet die
US-Bank JP Morgan. Und die jüngs-
ten ökonomischen Rückschläge
durch die Pandemie sind dabei noch
gar nicht berücksichtigt.
Derzeit finanziert die Regierung ih-
re Ausgaben mit der Notenpresse.
Auf 95 Prozent dürfte die Inflations-
rate im laufenden Jahr anwachsen.
Zudem erleben die wichtigsten Ex-
portgüter Brasilien wie Weizen und
Soja derzeit eine geringere Nachfrage
und sinkende Preise.
Das heißt aber auch: Argentinien
wird schon bald über zu wenig Devi-
sen verfügen, um seine internationa-
len Dollar-Schulden zu bezahlen. In
Buenos Aires schätzen Experten, dass
die Regierung mit ihrem Teildefault
jetzt vor allem Zeit gewinnen will.
Bei JP Morgan heißt es: „Es ist un-
klar, ob die Regierung einen Staats-
bankrott vermeiden will oder ob sie
an der Idee festhält, in den kom-
menden Wochen ein Angebot zu un-
terbreiten und Zugeständnisse zu
machen.

Bauernproteste:
Die wichtigen land-
wirtschaftlichen
Exporte erleben
eine Absatzkrise.

dpa

57


MILLIARDEN
Dollar schwer ist der
Kredit, mit dem sich
Argentinien aus der
Liquiditätsfalle
befreien wollte.

Quelle: IWF

IWF und Weltbank

Die ärmsten


Länder leiden


am meisten


Donata Riedel Berlin

A


rgentinien steckte bereits vor
der Pandemie in Finanz-
schwierigkeiten. Es wird aber
nicht das einzige unter den Schwellen-
und Entwicklungsländern bleiben, das
infolge der Corona-Rezession an den fi-
nanziellen Abgrund geraten könnte. 85
Staaten haben bereits beim Internatio-
nalen Währungsfonds (IWF) um Hilfs-
kredite gebeten. So viele Länder
gleichzeitig waren es noch nie in der
75-jährigen Geschichte des IWF, betont
IWF-Chefin Kristalina Georgieva. Um
die Hilferufe zu erhören, werde der
Fonds seine Mittel von einer Billion
Dollar mobilisieren. Und innerhalb
dieses Rahmens werde der Fonds sei-
ne Ressourcen für schnelle Nothilfen
von 50 auf 100 Milliarden Dollar ver-
doppeln.
Infolge der Corona-Pandemie und
des wirtschaftlichen Stillstands ist laut
IWF die Weltwirtschaft im März in die
Rezession gerutscht. Die Lage sei so
ernst wie nach der Finanzkrise 2009 –
„oder schlimmer“, so Georgieva. In
vielen Schwellen- und Entwicklungs-
ländern scheine die Corona-Pandemie
gerade erst zu beginnen, schreibt IWF-
Chefökonomin Gita Gopinath am Mon-
tag in einem IWF-Blog. Die Schäden
durch die Krankheit würden sich nach
und nach durch die Schwellenländer
fressen, die Frühindikatoren über die
Industrieproduktion zeigten weltweit
nur einen Trend: scharf nach unten.
Nach Asien, Europa, den USA wür-
den nun auch Lateinamerika und
Afrika getroffen. Der IWF und die
Weltbank fordern deshalb von den
Regierungen der 20 größten Volks-
wirtschaften (G20), dass sie wie in der
Finanzkrise einen gemeinsamen Plan
zur Krisenbewältigung entwickeln.
„Ein globales Problem braucht globa-
le Antworten“, so Georgieva.
Die Weltbank wiederum will in den
kommenden 15 Monaten 160 Milliar-
den Dollar bereitstellen, um die Ge-
sundheitssysteme in den armen Län-
dern zu stärken. In 25 besonders arme
Länder, von Aghanistan über Djubuti,
Ghana, den Senegal bis hin zum Ye-
men fließen bereits die ersten Mittel
von 1,9 Milliarden Dollar Corona-So-
forthilfe. „Die ärmsten Länder werden
am härtesten von der Pandemie ge-
troffen“, sagt Weltbankchef David Mal-
pass. IWF und Weltbank fordern für
die 76 ärmsten Länder einen soforti-
gen Schuldenerlass. Beide hoffen, dass
dies während der Frühjahrstagung
von IWF und Weltbank nach Ostern
beschlossen wird.
Entwicklungsminister Gerd Müller
(CSU) unterstützt die Forderung. „Ich
werde beim Treffen der Weltbank-
Gouverneure vorschlagen, diesen Län-
dern ihre Schulden in einem ersten
Schritt für ein Jahr zu stunden“, sagte
Müller dem Handelsblatt. „Wenn das
nicht reicht, wäre ein Schuldenerlass
für die 47 am wenigsten entwickelten
Länder der nächste Schritt“, sagte er.
In dieser Frage dürfte es vor allem
auf China ankommen, bei dem Ent-
wicklungsländer die meisten Schulden
haben. Bei Deutschland stehen die
ärmsten Länder seit dem letzten
Schuldenschnitt 2013 nur noch mit
acht Millionen Euro in der Kreide – mit
Ausnahme Myanmars, das noch 632
Millionen Euro Schulden bei Deutsch-
land hat.

Wirtschaft & Politik


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DIENSTAG, 7. APRIL 2020, NR. 69
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