Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1
Normalerweise ist ein „Coma“ kein
wünschenswerter Zustand. Ganz an-
ders in diesem Science-Fiction-Thriller
aus Russland. Ein wahnsinniger Arzt
vernetzt die Gehirnströme seiner ruhig-
gestellten Patienten zu einer Parallel-
welt, die die Realität kunstvoll neu
verknüpft und verschachtelt. Doch gibt
es ein Entkommen? Der Film (auf DVD
sowie als Video on Demand bei meh-
reren Anbietern) wirkt wie ein kleiner
Bruder von „Inception“ und „Matrix“
und bietet immerhin 111 Minuten
besten Eskapismus. 22222

Selten sorgt eine Natur-Doku für
so viel Raunen wie „Elefanten“.
Was nicht an den bestechend schönen
Bildern liegt, sondern an der Erzählerin:
an Meghan, der Herzogin von Sussex.
Nach dem Bruch mit den Royals
begleitet sie (in der Originalfassung)
mit ihrer mal amüsierten, mal betulichen
Stimme die Odyssee von Dickhäutern
durch die Kalahari-Wüste. Inhaltlich
geht der Film leider kaum in die Tiefe,
eine königlich verpasste Chance.
(Auf Disney+) 22222

FILM


Eine SMS ihrer College-Liebe Billy
(Domhnall Gleeson) stellt das Leben
von Ruby (Merritt Wever) auf den
Kopf. Es ist Jahre her, da haben sie sich
geschworen: Wenn einer das Codewort
„Run“ schickt, lassen sie alles
liegen. Verlassen ihre Partner, um es
noch mal miteinander zu versuchen.
Die Comedy-Serie, mitproduziert von
Phoebe Waller-Bridge („Fleabag“),
spielt sehr unterhaltsam mit dem
Mythos der Jugendliebe. Wer nach-
denkt, seine eigene mal wieder anzu-
rufen, sollte vorher diese Serie sehen.
(ab 13. April bei Sky) 22222

SERIE


FOTOS: RBB/CARTE BLANCHE/VOLKER ROLOFF (4); HOME BOX OFFICE; DISNEY+


Manchmal spekulativ, aber insgesamt packend.
Ein sehenswertes Politdrama. So kann man
Zeitgeschichte vermitteln. „Die Getriebenen“ –
ARD, 15. April, 20.15 Uhr. 22222

71 erstickten Geflüchteten in Österreich,
die Menschenschlangen vor den Grenzen,
die applaudierenden Deutschen am Bahn-
hof in München und die schon legendären
Selfies der Kanzlerin mit einigen aus-
gewählten Flüchtlingen. Und wir hören,
wie Imogen Kogge als Merkel den berühm-
ten „Wir schaffen das“-Satz spricht.
Zuvor hatte Orbán die Kriegsflüchtlin-
ge in Ungarn so schlecht behandeln lassen,
dass sie schnell weiterzogen. Man organi-
sierte sogar Busse für sie, Hauptsache, weg
aus Ungarn. Am Ende waren sie zu Fuß auf
der Autobahn unterwegs, in Richtung Wes-
ten. Für den damaligen österreichischen
Bundeskanzler Werner Faymann und vor
allem für Merkel und ihr Kabinett folgte
nun die Nagelprobe. Was tun? Die Men-
schen aufhalten, notfalls mit Gewalt? Oder
die Grenzen offen lassen? Welche Bilder
sollte die Welt sehen?
Merkel ließ die Menschen ins Land. Aber
die Frage war nun: Wann endet die Aus-
nahme? Muss Deutschland nicht doch vo-
rübergehend seine Grenzen schließen, um
die massenhaft Ankommenden
registrieren zu können und
den Staat nicht zu überfordern?
Das verlangten zumindest die Chefs der Si-
cherheitsorgane. „Die Getriebenen“ zeigt,
wie verbissen um diese Frage in Berlin und
in Bayern gerungen wurde.
Der TV-Film weist neben all dem Hin
und Her in der Politik immer wieder auch
darauf hin, um wen es hier eigentlich ging.
Die hineingeschnittenen dokumenta-
rischen Bilder des Krieges in Syrien und
die der verzweifelten Flüchtlinge vor den
Grenzzäunen erinnern uns daran, dass hier
Menschen auf der Flucht waren, die uns
um Hilfe baten. Und das ist leider immer
noch so.
Europa, zerstritten und ohne Vorberei-
tung auf das längst zu Erwartende, hatte
damals keine Antwort auf diese Hilferufe
und musste unter großem Zeitdruck
handeln. Als Zuschauer ahnt man, vor
welchem politischen und moralischen
Dilemma die Politik stand. Unwillkürlich
fragt man sich: Wie hätte ich damals an
Stelle der Verantwortlichen entschieden?
Dichtmachen? Reinlassen? Und wenn ja:
für wie lange Zeit?
Die Politiker waren damals zweifellos
die Getriebenen. Man hat, auch angesichts
der aktuellen Corona-Krise, nicht den Ein-
druck, dass sie es heute weniger sind.

heißt es im Vorspann, könnten nur eine
Annäherung an das tatsächliche Gesche-
hen sein. Aber schon nach ein paar Film-
minuten hat man das Gefühl: So oder so
ähnlich könnte es zugegangen sein.
Alle wesentlichen Akteure werden von
Schauspielern dargestellt: Imogen Kogge
gibt eine überzeugende Angela Merkel,
Josef Bierbichler brilliert als bayerischer
Minsterpräsident Horst Seehofer, Wolf-
gang Pregler hustet sich als erkältungs-
geplagter Bundesinnenminister Thomas
de Maizière durch den Film. Walter Sittler
überzeugt als staatsmännischer Außen-
minister Frank-Walter Steinmeier, und
Tristan Seith wurde von den Maskenbild-
nern zu einem glaubwürdigen, ständig
hungrigen Kanzleramtschef Peter Altmaier
umgestaltet. Nur Rüdiger Vogler als etwas
zu knorriger Wolfgang Schäuble, damals
Finanzminister, will nicht recht zünden.
In Spielszenen wird das politische Per-
sonal in den Gesprächen, Konferenzen und
Konsultationen gezeigt, die zu den Ent-
scheidungen führten, die das Land bis heu-
te beschäftigen. Es ging 2015
ums große Ganze, aber – das
zeigt der Film deutlich – im-
mer auch um Parteipolitik, um Konkur-
renz, persönliche Feindschaften und um
die jeweilige persönliche Agenda der Han-
delnden. Dabei blieb die Moral manchmal
auf der Strecke, etwa wenn der Film-Vize-
kanzler Gabriel wenig staatsmännisch
zu einem Vertrauten über seine Koali-
tionspartnerin und Chefin Merkel sagt:
„Entscheidend wird sein, dass diese
Teflon-Frau einen Fehler macht, für den
sie dann ihre Wähler abstrafen wollen.
Dahin müssen wir sie treiben. Das muss
unser Ziel sein.“
Jeder gute Film braucht ein paar Böse-
wichte. Viktor Orbán (Radu Banzaru) steht
hier als ungarischer Finsterling und Men-
schenverächter weit oben. Vom deutschen
Personal kommt neben Sigmar Gabriel
(Timo Dierkes) vor allem Markus Söder
(Matthias Kupfer) am schlechtesten weg.
Beide erscheinen als miese, karrieregeile
Intriganten ohne Empathie. Hier haben
die Filmemacher etwas zu dick aufge-
tragen. Deren Sympathie gehört Angela
Merkel und ihrem Ringen um eine politi-
sche und zugleich moralische Lösung.
Robin Alexanders Buch ist hier nicht so
ein deutig. Da kommt die Kanzlerin
schlechter weg.
Aber es wird nicht nur diskutiert und
intrigiert in diesem Film. Wir sehen all die
Bilder, die das Geschehen prägten: das Foto
des ertrunkenen syrischen Jungen, der an
den Strand gespült wurde, den Lkw mit den

Von Kester Schlenz

8.4.2020 103
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