Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1
Chicago 1985, ein
Freundeskreis meist
schwuler Künstler,
Galeristen und
Autoren feiert die
Freiheit – bis einer
nach dem anderen an
Aids erkrankt. Fiona
pflegt ihren Bruder und zerbricht fast
daran. 30 Jahre später sucht sie in Paris
nach ihrer Tochter. Rebecca Makkai
beschreibt in „Die Optimisten“, wie
das HI-Virus über so viele Leben her-
einbrach – und wie weit dieses Trauma
ins Heute reicht. Gefühlvoll und be-
eindruckend. Und wohl auch ein Aus-
blick auf die möglichen Folgen von
Corona. (Eisele, 24 Euro) 22222

ROMAN


Dieses „Hawaii“ liegt
mitten in Heilbronn.
So wird das Problem-
viertel der Stadt
genannt. Hier kommt
Kemal her, ein Profi-
fußballer, der sich bei
einem illegalen Auto-
rennen zum Sportinvaliden gefahren
hat. Der Autor Cihan Acar lässt Kemal
vier Tage lang durch Hawaii streifen,
ins Wettbüro, ins Striplokal, zur Feier der
obszön reichen Eltern der Ex-Freundin.
Es ist Hochsommer, Thermometer
und Aggressionsbereitschaft steigen.
Am Ende herrscht Krieg, und das bis
dahin fast naturalistische Buch kippt
ins Groteske. Trotzdem ziemlich stark.
(Hanser, 22 Euro) 22222

ROMAN


Römer, Chinesen,
Peruaner –
viele alte
Völker
glaub-
ten, der
Ursprung der Welt läge
in einem Ei. Woher so viel
Ehrfurcht kommt, wird in
dem Bildband „Eier. Eine
runde Sache. Kurioses
von Kolibri bis Kolumbus“
schnell klar. Die
polnische Autorin Eliza
Piotrowsk und die Illust-
ratorin Asia Gwis nehmen
uns mit in das Innere
des Eis, in philosophische
Diskurse, in Künstler-
ateliers, tiefe See
und warme Nester. Eine
Ent deckungsreise. Frohe
Ostern! (Knesebeck, 24 Euro)

FOTO: JAN WILLEM KALDENBACH; ILLUSTRATION: ASIA GWIS/KNESEBECK VERLAG

de in den Niederlanden zum Bestseller mit
anhaltender Wirkung: Geschichte, die ein
Gesicht bekommt, lässt sich nicht so ein-
fach wieder abschütteln.
Im Sommer 1944 flog das Versteck auf,
fast die ganze Widerstandsgruppe wurde
deportiert. Besonders der zweite Buchteil,
der das Grauen in den Vernichtungslagern
schildert, ist nicht leicht zu lesen – auch
wenn der Leser weiß, dass Lien, Janny, ihre
Männer und Kinder dem Tod entkamen.
Anders als Margot und Anne Frank, wel-
che die Schwestern in Bergen-Belsen
sterben sehen. So sind sie es auch, die nach
dem Krieg dem Vater Otto Frank die Todes-
nachricht überbringen. „Dass wir überlebt
haben“, sagte Liens Tochter Kathinka in
einem Interview, könne nur durch eines
erklärt werden: durch„eine ungebrochene
Kette von Wundern“. Uta van Steen

H


äuser sind stumme Zeugen der
Zeit, doch manchmal geschieht
das Unerhörte, und eines kann
seine Geschichte erzählen: Vor
acht Jahren zog die Autorin Roxa-
ne van Iperen mit ihrer Familie in
eine verwinkelte Villa, versteckt in der Ein-
samkeit am Rand von Naarden. Nur ein
Wald trennt „’t Hooge Nest“, so der Name
des Haues, vom Ijsselmeer. Die Reno-
vierung legt Luken im Holzboden und
Verstecke hinter Vertäfelungen frei. Ihr
Haus, begreift van Iperen, war im Zweiten
Weltkrieg Zentrum des niederländischen
Widerstands, organisiert von den jüdi-
schen Schwestern Lien und Janny Brilles-
lijper. Unter den Augen der Nazis, welche
die Landsitze der reichen Region nahe
Amsterdam bewohnten, besorgten sie Päs-
se und boten in ihrem Haus Juden und Wi-
derstandskämpfern Unterschlupf.
Van Iperen rekonstruiert anhand von
Dokumenten und durch Gespräche das
lange vergessene Leben der Brilleslijpers.
Ihr unpathetisch geschriebenes Buch wur-

Roxane van Iperen,
geboren 1976, hat
bislang zwei Bücher
geschrieben – und
für beide Preise
gewonnen

Die Autorin Roxane van Iperen zog in eine einsame Villa
und entdeckte, dass diese Juden einst als Versteck diente

Haus der Wunder


„Ein Versteck unter Feinden“
von Roxane van Iperen,
Ü.: S. Wieczorek (Hoffmann und
Campe, 24 Euro) 22222

104 8.4.2020

KULTUR


BUCH

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