Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1
Vielleicht brauchen
wir solche Musik
gerade nötiger denn
je. Einfache, klare
Melodien, unverkopf-
te Arrangements.
Songs, die nicht viel mehr sein wollen
als lupenreiner Pop ohne Schnick-
schnack. Die Amerikanerin Ingrid
Andress mag Tequila, lebt in Nashville
und kann einen gewissen Hang zum
Country-Rock nicht leugnen. Auf ihrem
Debüt „Lady Like“ will sie mal ver-
führerische Sirene sein und mal ein
hilfloses Mädchen, das über Bezie-
hungsschmerzen singt und darüber,
dass sich ihre Mutter schneller verliebt
als sie selbst. Vor allem schreibt sie
schwelgerische Hits zum Mitsingen.
Danke, Ingrid. 22222

POP


Manche Menschen
hören einfach nur
zu; andere dagegen
hören hin. Für diese
Hinhörer hat der
isländische Pianist
Víkingur Ólafsson sein neues Album
aufgenommen. Darauf spielt er Werke
der französischen Komponisten
Philippe Rameau und Claude Debussy.
Der Erste: aus dem Barock. Der Zweite:
ein Mitbegründer der musikalischen
Moderne. Ólafsson forscht spielend
nach dem inneren Zusammenhalt
zweier Stile, die fast 200 Jahre trennen.
Wer hinhört, wird sie mit ihm finden:
Die Noten erklingen wie ferne
Verwandte. Aber auch wer einfach nur
zuhören will, um mit den Gedanken
vielleicht ganz woanders hinzureisen,
wird reich belohnt. 22222

KLASSIK


Der Sänger und
Pianist Father John
Misty aus dem US-
Staat Maryland be-
sitzt die Gabe, seine
Zuhörer zu beseelen.
Mit dem Livemitschnitt „Off-Key
in Hamburg“ will er nun obendrein
einigen Kollegen helfen. Das Konzert,
bei dem er von einem Sinfonieorches-
ter begleitet wurde, fand vergange-
nen August in der Elbphilharmonie
statt. Das Album wird über den
Onlinedienst Bandcamp vertrieben;
alle Einnahmen gehen in einen Corona-
Fonds für Musiker, eingerichtet
von der Recording Academy, die auch
die Grammys verleiht. So oder so
eine bemerkenswerte Aufnahme:
die eindringlichen Balladen des Barden
vor echtem Publikum. 22222

FOLKROCK


FOTO: SONYMUSIC


Tatsächlich war die fünf Musiker in der
vergangenen Dekade alles andere als faul.
Sie gründeten fleißig neue Bands, trieben
ihre Solokarrieren voran oder profilierten
sich, wie Schlagzeuger Fabrizio Moretti, als
Produzent. Vor gut drei Jahren trafen sie
sich dann wieder gemeinsam im Studio,
angeleitet vom legendären Rick Rubin.
„The New Abnormal“ erscheint nun kei-
nen Tag früher als angekündigt und klingt
so selbstverliebt wie selbstbewusst. Die
Single „Bad Decisions“ zitiert schamlos Bil-
ly Idol, die Gitarren zischen und scharren
wie gewohnt. Dazu kommen altmodische
Keyboard-Sounds, die retro, lässig und sehr
tiefenentspannt klingen. Ohne Holter-
dipolter.
Hilft das durch die Pandemie? Die Ant-
wort der Strokes darauf wäre wahrschein-
lich: Zur Hölle, yeah! Matthias Schmidt

K


önnt ihr das Album nicht vorzie-
hen? Ich werde noch verrückt in
dieser Quarantäne! Verschiebt es
bloß nicht! Wir brauchen es in
diesen dunklen Zeiten.
Auf dem Instagram-Konto der
New Yorker Band The Strokes herrscht
gerade viel Bangen und Flehen. Sieben
Jahre lang hat das Quintett sich rar ge-
macht, jetzt gibt es endlich Nachschub.
Böse Zungen behaupten zwar, sie hätten
seit ihrem furiosen Debüt „This Is It“ von
2001 stetig an Brillanz und Schärfe ver-
loren. Außerdem stammten sie allesamt
aus reichem Elternhaus und müssten
nicht mehr arbeiten.
Solche Diskussionen gehen Sänger Ju-
lian Casablancas am offenen Hemd vorbei.
„Wir haben uns die 10er Jahre, oder wie
man diese Zeit verdammt noch mal nen-
nen will, freigenommen. Nun sind wir auf-
getaut“, erklärte er bei einem der letzten
Konzerte. Danach machten die Strokes
weiter Wahlkampf für „ihren“ Präsident-
schaftskandidaten Bernie Sanders.

Gut in Form
und Farbe: die
Strokes um
Sänger Julian
Casablancas
(Mitte)

The Strokes sind wieder da. Mit erfrischend
altmodischem Rock gegen den Isolations-Blues

Mit Vollgas im Rückwärtsgang


The Strokes: „The New Abnormal“
Aus der Zeit gefallener Rock,
zeitlos unterhaltsam 22222

8.4.2020 105

MUSIK

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