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Dass man sich so was antut, hat mit einer
gewissen Alternativlosigkeit zu tun: Zu
den mehr als 600 Gesetzen, die Moses aus
den zehn Geboten ableitet, gehören auch
einige das Essen betreffende, etwa die, die
den Genuss von Schweine-, Pferde- und
Kamel fleisch verbieten, wie – und jetzt
kommt’s – auch den Verzehr jeglicher Ge-
schöpfe des Wassers, so sie nicht Schuppen
und Flossen haben. Hummer und Garne-
len sind also untersagt, Austern gehen
nicht und Muscheln, Schnecken nicht und
Seeigel auch nicht – es bleiben nur die
Fische (von denen aber nicht der Aal, der
keine Schuppen hat).
Da aber Flossen und Schuppen auch
im Volk Israel nicht sonderlich populär
waren und auch heute nicht sind, hatten
die Ostjuden (also die im Herrschafts-
bereich der Häuser Romanow, Habsburg
und Hohenzollern lebenden) die Idee,
das Fischfleisch aus der Haut zu lösen, zu
entgräten, zu faschieren und in die Fisch-
haut zurück zufüllen. Da sie aber auch in
Osteuropa früher nicht endlos Zeit und
Geduld hatten, wurde die Fischhaut oft
auch weg gelassen und die Firschfarce pur
serviert, ohne die kulinarische Laubsäge-
arbeit. So.
Ein Beispiel lebendiger Tradition
Vor Jahren zog eine Kiewer Familie in mei-
ne Nachbarschaft, und ich fragte sie recht
bald: „Kennt ihr auch Gefilte Fisch?“ –
„Köstlich, köstlich“, riefen sie, fassten Dau-
men, Zeige- und Mittelfinger spitz zusam-
men, führten sie zum Mund, verteilten
Luftküsse und machten sich ans Werk.
Ich sah zu und dokumentierte:
Hinter dem Kopf ansetzend schnitten sie
1 Karpfen mittlerer Größe der Länge nach
in 4 cm dicke Scheiben; den Schwanz ließen
sie intakt. Sodann lösten sie das Fischfleisch
aus jeder einzelnen Tranche – eine deli kate
Operation, bei der die Haut des Fischs heil
zu bleiben hat, da sie als Hülle dient.
Mit einem scharfen und feinen Filetier-
messer fuhren sie zunächst die innere Seite
der Außenhaut entlang, von der Rücken-
flosse bis dorthin, wo die Außenhaut auf
die stabilen Bauchgräten trifft (Rückgrat
und dicke Bauchgräten verbleiben am
Ort, um dem Gericht Stabilität zu geben).
Als Nächstes führten sie das Messer die
Rückengräten hinab aufs Rückgrat und
über die Bauchgräten hinweg bis an die
Stelle, wo sie zuvor zu schneiden aufgehört
hatten. Sie lösten nun das Fischfleisch als
ein Dreieck aus der Hauthülle.
Das Ausgelöste drehten sie zweimal
durch den Fleischwolf (und atomisierten
so die notorischen Y-Gräten des Karpfens),
würzten es mit Salz, Pfeffer und 1 geriebe-
nen Zwiebel, fügten 1 eingeweichtes, aus-
gedrücktes Brötchen sowie 1 rohes Ei hinzu
und vermengten dies zu einer Farce.