Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1
Purim heißt der 50-prozentige
Wodka aus Polen, hergestellt
von der Firma Nisskosher unter
der Aufsicht eines Rabbiners
nach den Vorschriften der
mosa ischen Speisegesetze. Wenn
schon Gefilte Fisch, dann kosche-
rer Wodka. Purim ist eine weiche
Neutralspirituose, mit Beskiden-
quellwasser auf Trinkstärke
gesetzt. 0,7 l für 15,50 Euro bei
Tel. 0391/405 15 20 und abtshof.de

Koscherer Wodka


Salzgehalt des Suds, würzten nach und gar-
ten ihn für weitere 30 Minuten zu Ende.
90 Minuten für einen armen Fisch, dachte
ich mir und hielt das für Wahnsinn, aber
ich sollte sehen ...
Sie ließen den Topf abkühlen, hoben die
Zwiebelschicht von oben ab, hoben die
Tranchen aus der Flüssigkeit und legten sie
in ihrer Ordnung auf einen Servierteller.
Den Fisch beschöpften sie mit seinem Sud.
Durch die lange Garzeit, so begriff ich,
hatten sich die quallerigen Kollagene aus
Kopf, Schwanz, Gräten und Haut des Fischs
gelöst, waren in die Flüssigkeit diffundiert
und ließen den Sud beim Kühlen gelieren.
Das ist mit der Hauptspaß des Gerichts –
das süßliche und nahrhafte Gelee.
Die Kiewer rieben Meerrettich (Kren),
verrührten ihn mit saurer Sahne zu einer
Sauce und färbten sie mit geriebener Rote
Bete. Beim Auftischen dieser für 24 Stun-
den bei 5 Grad durchgekühlten Speise
tranken sie eiskaltes Bier und Wodka.
Ich habe nie gewagt, dies nachzumachen,
auch, weil süßer Fisch in Gelee nicht mei-

Den Boden eines Bräters legten sie mit
rohen und dünnen Scheiben Roter Bete
aus, schichteten darauf eine 1 cm dicke
Lage roher, 3 mm dick aufgeschnittener
Möhren und darauf wieder dünn geschnit-
tene Zwiebeln.
Die Fischfarce füllten sie sodann vor-
sichtig zurück in die geleerten Hauthüllen,
legten die wiederhergestellten Tranchen,
beginnend mit dem Kopf und endend mit
dem Schwanz, in den Bräter und stellten
so den Karpfen formal quasi wieder her.
Kopf und Schwanz beizubelassen sollte
sich noch als wichtig erweisen.
Sie bedeckten den Topfinhalt mit so viel
Salzwasser, dass er bis auf eine Fingerbrei-
te damit bedeckt war. Von weiteren rohen
Zwiebeln legten sie die Schalen beiseite,
schnitten die Zwiebeln selbst dünn auf
und bedeckten den Fisch damit. Sie be-
streuten alles mit 2 EL Zucker und verteil-
ten die Zwiebelschalen darüber.
Den Bräter ließen sie auf dem Herd kurz
aufkochen und garten den Fisch schwach
köchelnd für 60 Minuten, probierten den

ner Geschmacksprägung entspricht. Lieber
verfahre ich nach der Art, wie sie die jüdi-
sche Küche weltweit alternativ praktiziert
und wie sie auch den Safeway-Asser vaten
als Vorlage gedient haben muss: Ich gare
die Füllung ohne Hülle.
Dazu wolfe ich Filets von Süßwasserfisch
(Karpfen, Hecht, Barsch bzw. eine Mischung)
im Blitzhacker, würze und präpariere die
Farce wie beschrieben (den Zucker lasse ich
weg), forme Klopse daraus und gare sie in
gesalzenem, sanft siedendem Fischfond
oder in Court Bouillon. Sind die Klopse fest,
richte ich sie an auf gegarten, geschälten,
dünn aufgeschnittenen Roten Beten. Diese
begieße ich mit einer Vinai grette ohne
Eigelb, nur aus Essig, Zucker, Salz, Pfeffer
und Öl. Dazu reiche ich Meerrettichsahne.

Gefilte Fisch am Anfang und am Ende


Auch diese Klops-Version hat ihre Würde:
Der New Yorker Neurologe Oliver Sacks,
berühmt für seine verständlichen Werke
wie für Hollywood-Drehbücher („Zeit des
Erwachens“, 1990), liebte Gefilte Fisch so
sehr, dass er zu seinem Lebensende darü-
ber schrieb: wie seine jüdische Mutter sie
einst zubereitete und wie auch seine
Köchin Helen Jones, eine fromme Christin,
sie zu bereiten wusste. Mit deren Tod sei
ihm der Genuss für Jahre verleidet gewe-
sen. Erst als es an den eigenen Tod ging, sei
er auf den Geschmack der frühen Kindheit
zurückgekommen. Supermarktware in
Schraubgläsern fand Sacks „abstoßend“, er
ließ sich die Ware aus Feinkostläden liefern
und genoss wesentlich das Gelee. „Gefilte
Fisch wird mich aus dem Leben geleiten“,
schrieb er, „so wie er mich hineingeleitet
hatte, vor 82 Jahren.“ Sacks starb 2015.
Sein letztes Buch „Alles an seinem Platz“
(Rowohlt 2019) ist äußerst lesenswert. 2

Die Rezepte zum Nachkochen finden Sie
online: http://www.stern.de/sternrezept

Der in Osteuropa beliebte Karpfen ist die Hauptzutat
für Gefilte Fisch, meist begleitet von frischer Roter Bete

110 8.4.2020

GENUSS

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