Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1
FOTOS: BARBARA VOLKMER; UNITED ARCHIVES/KPA /ÅGRIMM

Die Kessler-Zwil-
linge, 1936 in
Sachsen geboren,
fingen als Sechs-
jährige mit Ballett
an. 1952 flohen sie
mit ihrer Familie
aus der DDR nach
Düsseldorf. Bald
tanzten sie dort im
Revuetheater,
wurden entdeckt –
und eine Welt-
karriere begann.
Sie traten in Paris

oder Las Vegas
auf, bekamen Film-
rollen (o. 1959 in
„La Paloma“), san-
gen für Deutsch-
land beim Grand
Prix – und wurden
in Italien zu
TV-Ikonen. Als die
Zwillinge sich mit
40 für den italieni-
schen „Playboy“
auszogen, war der
binnen drei Stun-
den ausverkauft.

K


ennen Sie Zwillinge, die berühm-
ter sind als Sie?
ELLEN: Eigentlich nicht.
ALICE: Nein.
Sie waren eine Weltmarke, so
wie Sie im Doppelpack getanzt
haben. Werden Sie heute noch auf der
Straße erkannt?
ELLEN: Wenn wir zu zweit sind, ja. Wenn
wir allein unterwegs sind, sind die Leute
sich nicht sicher, wen von uns sie da vor
sich haben.
Wer von Ihnen ist eigentlich älter?
ELLEN: Die Alice. Sie ist 45 Minuten älter.
Eine lange Zeit.
ALICE: Arme Mutti.
Sie beide sind mit 19 entdeckt worden –
vom Direktor des Lido in Paris, der Sie
sogleich unter Vertrag nahm.
ELLEN: Es war aufregend, in einer so riesi-
gen Show mitzuwirken. Wir kamen aus der
DDR, hatten eine Zeitlang in Düsseldorf
gelebt und waren dann plötzlich in Paris ...
ALICE: Da ging es uns wie Armstrong bei
seiner Mondlandung.

Die Männerwelt lag Ihnen zu Füßen?
ALICE: Würde ich sagen, ja. Aber wir waren
immer sehr bewacht und kontrolliert.
Sie trafen Elvis Presley.
ELLEN: Ja, 59: Er kam von Frankfurt, wo er
stationiert war, nach Paris und ging ins
Lido. In Galauniform, sah toll aus.
Elvis gestand Ihnen: „I love your asses.“
Hatte er auch einen guten Hintern?
ALICE: Das weiß ich nicht mehr. Aber er
war eher verklemmt. Wir haben ihn auch
nicht besonders angehimmelt, das hat ihm
nicht gefallen.
Sie gingen mit Burt Lancaster und Tony
Curtis aus, die Sie „Ice Cream“ nannten,
wegen Ihrer Unnahbarkeit.
ELLEN: Die beiden drehten „Trapez“ in
Paris, und ein Freund von Tony Curtis, den
wir kannten, nahm uns immer mit in den
Zirkus, um zu sehen, wie sie arbeiteten.
Und dann fuhren sie mal mit dem Auto an
uns vorbei und riefen: „Ice Cream!“ Und
da schrien wir zurück: „Hot Dogs!“ Na ja,
ich hatte dann eine kleine Affäre mit Burt
Lancaster. War aufregend.
Sie hatten viele Verehrer, doch keine von
Ihnen hat je geheiratet.
ALICE: Nein, wir wollten nicht.
ELLEN: Wir wollten unabhängig sein.
Brauchten Sie keine Partner, weil Sie eh
immer zu zweit unterwegs waren?
ALICE: Das war tatsächlich ein Grund.
Wenn man allein ist als Frau – wir se-
hen das auch in unserem Bekannten-
kreis – und älter wird, dann fühlt sich das
nicht so gut an. Dann nimmt man irgend-
einen Mann, und meistens den Falschen.
(lacht)
Wann sind Sie mal allein, jede für sich?
ELLEN: Hier in unserem Haus, wir haben
ja zwei Einheiten.
Sie haben ein Doppelhaus, das durch eine
Schiebetür miteinander verbunden ist.
ELLEN: Jede ist auf ihrer Seite und macht,
was sie will. Zum Mittagessen kommen wir
zusammen, zum Abendessen sind wir wie-
der getrennt.
Sie setzen sich nicht abends gemeinsam
vor den Fernseher?
ALICE: Nein, nicht gemeinsam. Ich sehe kei-
nen „Tatort“, keine Serien. Ich gucke Nach-
richten, Biografien, Dokumentationen.
ELLEN: Aber bei „Wer wird Millionär?“, da
fiebern wir mit.
Tanzen Sie immer noch?
ELLEN: Nein. Der stern hat vor 47 Jahren mal
geschrieben: „Schwestern, wollt ihr ewig
tanzen?“ Eine Frechheit! Wir haben noch bis
vor zwei Jahren getanzt. Jetzt machen wir
unsere Workouts. Wenn man älter wird,
muss man seine Muskeln geschmeidig
halten. 2 Interview: Ulrike von Bülow

Die Zwillinge wurden in den 50er Jahren
als Tänzerinnen weltberühmt

Alice und Ellen Kessler


Ellen (l.) und
Alice Kessler, 83,
im Garten ihres
Doppelhauses
bei München

114 8.4.2020

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