Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1

FOTOS: CAROLIN WINDEL/STERN


Sie kehren dieser Tage zurück aus ihrer er-
zwungenen Abgeschiedenheit, eine nach
der anderen, einer nach dem anderen, fast
unbemerkt. Noch ein bisschen wackelig
fühlen sie sich, und das nicht nur im über-
tragenen Sinn. Manche Stimme klingt am
Telefon erleichtert und erschöpft zugleich.
Der Kampf gegen das Coronavirus liegt
hinter ihnen, mal fiel er schwerer, mal
leichter aus. Gewonnen haben sie ihn alle.
Doch die vergangenen Wochen haben an
ihnen gezehrt. Die Schriftstellerin Nina
Marewski, 53, aus Frankfurt sagt: „Jeder
ist in dieser Krankheit sehr alleine.“ Ihre
Symptome quälten sie so sehr, dass sie ins
Krankenhaus musste. Zwei Tage und Näch-
te lag sie mit Atemmaske im Isolier-
zimmer, litt unter Schüttelfrost, spür-
te einen hohen Druck auf der Brust.
Marewski klingt, als berichtete sie
von einer unheimlichen Begegnung
der dritten Art, wenn sie heute sagt:
„Ich hatte das Virus vor meiner Infizie-
rung unterschätzt. Es fühlt sich an
wie etwas, das unser Körper in unse-
ren Breiten nicht kennt. Es ist etwas Exo-
tisches. Es ist fremd.“
Die Pflegerin Claudia Geraets, 54, aus
Gangelt, einem der Hotspots der Pandemie
in Deutschland, empfand ihren ganzen
Körper „wie unter Strom“. Dann spielte ihre
Verdauung plötzlich verrückt, auch der
Politiker Cem Özdemir berichtet von Ma-
gen-Darm-Problemen. Geruchs- und Ge-
schmackssinn gingen Geraets verloren,
es ist der kleinste gemeinsame Nenner
in Sachen Symptomatik, von dem sie alle
berichten. Der Apotheker Barsom Aktas
aus Ochsenfurt in Unterfranken sagt: „So

S


elend wie unter Covid-19 habe ich mich
noch nie meinem Leben gefühlt. Drei Me-
ter ins Bad zu gehen waren ein Riesending.“
Fünf Kilo verlor er bei seinem Kampf gegen
das Virus, dabei wog er schon davor ge-
rade einmal 72 Kilogramm.
Vorbei. Sie sind von Corona geheilt. Sind
nicht mehr ansteckend. Und gehören damit
ab sofort zu einem privilegierten Kreis der
deutschen Gesellschaft, der am vergange-
nen Wochenende 26 000 Mitglieder zählte.
Sie sind: immun gegen das Coronavirus.
Dies ist deshalb mindestens so sehr eine
Geschichte von Hoffnung wie von Krank-
heit. Denn die Genesenen helfen nicht nur,
dank ihrer Immunität die Ausbreitung des
Virus einzudämmen. Sie besitzen zudem
einen wertvollen Schatz, der für das Ge-
sundwerden von vielen bedeutsam werden
könnte. Dieser Schatz bemisst sich nicht
in Geld. Er ist nicht einmal für das bloße
Auge zu sehen. Im Blut der ehemaligen
Patienten versteckt er sich in Form von
Antikörpern.

Diese Eiweißmoleküle, mit denen un-
ser Immunsystem auf Eindringlinge wie
Viren reagiert, rücken nun in den Fokus
aktueller Therapieversuche. Die Idee: Be-
reits geheilte Corona-Patienten sollen ihre
Antikörper Schwererkrankten übertragen.
Ein Teil ihrer neu gewonnenen Immuni-
tät würde so auf die Notleidenden überge-
hen. Funktioniert das Verfahren, wäre es
eine Art medizinischer Solidarausgleich.
Zahlreiche Kliniken haben bereits ange-
fangen, den Behandlungsansatz vorzube-
reiten – in Hannover, Münster, München.
„Ihre Plasmaspende könnte Leben retten:

Helfen Sie jetzt“. Mit diesem Flyer wirbt
etwa Cornelius Knabbe, Chef des Instituts
für Laboratoriums- und Transfusionsme-
dizin am Herz- und Diabeteszentrum NRW
in Bad Oeynhausen, eine Universitätsklink
der Ruhr-Uni Bochum, um das Blut von
Corona-Immunen. Der Professor und sei-
ne Kollegen wollen den Antikörper-Trans-
fer ermöglichen.
Wie soll das gelingen, Herr Knabbe?

250 Milliliter gegen das Virus


„Zunächst bestimmen wir mit einer klei-
nen Blutabnahme, ob, wie viel und welche
Antikörper gegen das neue Coronavirus
vorhanden sind. Dann werden dem Spen-
der über eine sogenannte Plasmapherese
in kleinen Portionen insgesamt etwa 750
Milliliter Blut über eine Vene entnommen
und aufbereitet. Die Zellen des Blutes, rote
und weiße Blutkörperchen, werden wieder
an den Spender zurückgegeben. Das Plas-
ma, also die Flüssigkeit des Blutes mit den
Antikörpern, fließt in einen Sammelbeu-
tel“, erklärt Knabbe.
Nach der Aufbereitung und späteren
Verarbeitung könnten schwer kranke
Covid-19-Patienten dann 250-Milli-
liter-Beutel mit therapeutischem
Plasma als Tropf bekommen. Knabbes
Rechnung: Ein Spender hilft einem
Covid-19-Patienten.
Die Welt des Immunsystems könnte
komplexer kaum sein. Infiziert sich ein
Mensch mit einem Erreger wie dem Co-
ronavirus, wird dieser Reiz von Sensoren,
den „B-Zellen“, wahrgenommen. Daraufhin
mobilisieren die B-Zellen jene Fabriken im
Blut, die passende Antikörper gegen das
Virus bilden. Nach überstandener Krankheit
bleiben die „Fabriken“ aktiv. Die Furcht, den
erworbenen Schutz wieder zu verlieren,
müssen Blutspender somit nicht haben.
Wie schätzt Knabbe die Wirksamkeit
eines solchen Transfers ein? „Im Falle des
neuartigen Coronavirus scheinen diese
Antikörper das Virus teilweise bekämp-

DIE KRANKHEIT


WAR WIE EINE


BEGEGNUNG DER


DRITTEN ART


KATHRIN BECKER, 34, LEHRERIN,
HAMBURG
Es fühlte sich schon komisch an, als mich jemand vom
Bezirksamt in Eimsbüttel anrief und sagte, ich sei ab sofort
von Amts wegen festgesetzt für zwei Wochen ab Auftreten
der ersten Beschwerden. Angesteckt habe ich mich vermutlich
im Skiurlaub in Sankt Anton, ich war mit einer Gruppe dort,

einer von uns hatte die Woche zuvor in Ischgl verbracht.
Nach meiner Rückkehr fühlte ich mich abgeschlagen, rief
mitten in der Nacht den ärztlichen Notdienst an, um jemanden
zu erreichen. Drei Tage später nahm eine Ärztin vor meiner
Wohnung einen Abstrich, sie ließ ihre Schutzkleidung gleich
dort liegen. Jetzt bin ich froh, dass ich es hinter mir habe,
und will in meiner Schule helfen, wo es nötig ist.

8.4.2020 27

4

Free download pdf