Der Stern - 08.04.2020

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FOTO: LENGEMANN/WELT/ULLSTEIN/GETTY IMAGES

fen zu können“, lautet die Antwort. „Die


Antikörper können also hilfreich für


Covid-19-Patienten mit schweren Erkran-


kungsverläufen sein, die Unterstützung


bei der Abwehr des Virus benötigen.“


Große Hilfsbereitschaft


Noch fehlt es an großen wissenschaftlichen


Untersuchungen. Kleinere Beobachtungs-


studien in China jedoch wecken Hoff-


nungen. Cornelius Knabbe beurteilt die


Wirksamkeit pragmatisch: „Den Patienten


sollte es eine Woche nach Gabe der Plas-


mapräparate besser gehen, sonst hat es


wohl nichts genützt.“ Für ihn ist die Plas-


matransfusion eine „Brückentechnologie“,


wie er sagt. „Wir versuchen, mit dem Ver-


fahren Zeit zu überbrücken, bis es andere


Möglichkeiten der Therapie gibt.“


Denn noch immer fehlt ein adäquater


Impfstoff zur Prävention, um eine


sofortige Herdenimmunität zu er-


reichen und die Pandemie zu verkür-


zen. Christian Drosten, Virologe an der


Charité in Berlin, rechnet „frühestens


nächstes Jahr um diese Zeit“ mit einem


solchen Mittel.


Substanzen wie das Ebola-Medika-

ment Remdesivir oder das Malaria-Mittel


Chloroquin können bei Ausbruch der


Krankheit verabreicht werden, doch ihre


therapeutische Wirkkraft ist zurzeit noch


unklar. Die Plasmaspende stellt deshalb


eine lohnende Aktie dar, auf die Mediziner


wie Knabbe nun setzen.


Und die Bereitschaft zum Aderlass für


die gute Sache ist groß. Die Schriftstellerin


Marewski sagt: „Ich habe Anfragen von


Unikliniken bekommen, ob ich Antikörper


spenden möchte: Natürlich! Sehr gerne!


Ich glaube, ich habe sogar eine ganze Men-


ge Antikörper gebildet, ich hatte ja eine


außerordentlich hohe Konzentration an


Viren im Rachen.“ Zahlreiche Covid-19-Pa-


tienten, die der stern befragte, wollen sich


ihr anschließen, unter ihnen auch der Poli-


tiker Özdemir: „Als genesener Covid-19-


Patient würde ich gerne Blutplasma spen-
den für die Forschung.“
Der Solidargedanke in Zeiten der Krise
endet somit nicht beim Einkauf für den
Nachbarn. Die Empathie der Geheilten ist
ausgeprägt, Erlebtes schärft das Bewusst-
sein für Corona-Leidensgenossen.
Andererseits wächst auch die Ungeduld
in der Gesellschaft, zu gern wären viele in
der gleichen Situation wie Nina Marewski
und Cem Özdemir. Manche sind sogar be-
reit, die Erkrankung mutwillig vorwegzu-
nehmen. Hauptsache, es ist vorbei, Haupt-
sache, immun. Der Apotheker Barsom Ak-
tas berichtet von zahlreichen Anrufen
während seiner Quarantäne. „Das waren
zum Beispiel Selbstständige, die vorbei-
kommen wollten, um sich vorsätzlich bei
mir zu infizieren, damit sie es hinter sich
haben.“

Er hat das abgelehnt, denn die Gefahren,
die von der Krankheit ausgehen können,
sind beträchtlich. Nicht immer verläuft der
Immunisierungsprozess so glimpflich wie
beispielsweise bei Kathrin Becker, 34, aus
Hamburg, die sich nach ihrer Infektion im
Skiurlaub in Österreich zwar abgeschla-
gen, „aber nie wirklich sterbenskrank“
fühlte und sich nun als geschützt betrach-
ten darf. Vor allem für ältere Menschen
und solche mit Vorerkrankungen sind die
Gefahren groß.
Guido Lazotta, Stellvertretender Bürger-
meister im rheinischen Overath, gehört zu
ihnen. Und wähnte sich doch zunächst
sicher. Im Hauptberuf arbeitet Lazotta als
Bundespolizist, er fühlt sich generell fit
und gesund. Am 25. Februar, Karnevals-
dienstag, nahm er am „Prinzenausziehen“

teil. Erste leichte Erkältungssymptome
stellten sich tags darauf ein, nicht unge-
wöhnlich in dieser Jahreszeit.
Einen Tag später, am Donnerstag, gra-
tulierte er vormittags einem Ehepaar
zur Diamantenen Hochzeit. Nachmittags
ging es ihm plötzlich schlechter. „Es hat
mich richtig umgehauen“, sagt er. Glieder-
schmerzen, Schüttelfrost, Fieber, trockener
Husten und Atembeschwerden. Hausarzt
und Patient gingen am Montag zunächst
erst einmal von einem grippalen Infekt
aus. Zum Essen musste Lazotta sich zwin-
gen, alles schmeckte nach Pappe. „Mir ging
es von Tag zu Tag dreckiger. Um einen Satz
sprechen zu können, musste ich zwei-,
dreimal Luft holen“, erzählt er. „Die Hus-
tenanfälle dauerten manchmal fünf Mi-
nuten und waren so heftig, dass ich teils
würgen musste.“
Am Donnerstag, dem 5. März, mel-
dete sich der Hausarzt erneut. Die An-
forderungen für Corona-Tests hätten
sich geändert, er wolle ihn jetzt auf In-
fluenza und Corona testen. Am Sonn-
tagvormittag erhielt Lazotta das Er-
gebnis: Corona-positiv. „Ein Schlag vor
den Kopf“, sagt er. Ihm kam der Gedan-
ke, dass er zu einer Risikogruppe gehören
könnte: Wegen einer leichten Rheuma-
erkrankung muss er sich einmal in der
Woche ein Medikament spritzen, das sein
Immunsystem schwächt. Noch am Abend
wurde er mit dem Rettungswagen ins
Klinikum Köln Weyertal gebracht. Lazot-
ta kam an den Tropf, seine Frau und seine
Töchter kamen in Quarantäne. Alle Kon-
taktpersonen wurden ermittelt und eine
Corona-Teststelle eingerichtet. Bald war
klar: Niemand hatte sich angesteckt. Gui-
do Lazotta fiel ein Stein vom Herzen.
Nach einigen Tagen in der Klinik sank
das Fieber, Lazotta ging es allmählich
besser. Nachdem ein weiterer Corona-Ab-
strich negativ war, durfte er nach sechs
Tagen im Krankenhaus nach Hause. Insge-
samt 14 Tage mit starken Beschwerden

CEM ÖZDEMIR, 54, POLITIKER
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Am 18. März hatte ich die Nachricht bekommen, dass ich mich
mit Corona infiziert hatte. Ich war ohnehin vorsichtshalber
zu Hause geblieben, nachdem ich zwei Tage lang vor allem
Magen-Darm-Symptome gehabt hatte. Während ich zu Hause
war, habe ich Videos gedreht und gepostet. Denn viele Menschen
kann diese Krankheit sehr hart treffen, es geht darum, alle
zu schützen. Also: daheim bleiben, Abstand halten, Hände

waschen, Maske tragen. Meine beiden Kinder und meine Frau
sind negativ getestet worden, die Behörden haben die Quarantäne
mittlerweile aufgehoben. Ich gehe trotzdem mit Maske zum
Einkaufen. Leute, die von meiner Erkrankung wussten, wechseln
schon mal die Straßenseite. Schließlich haben zwar viele
mitbekommen, dass ich erkrankt war, aber nicht, dass ich es
hinter mir habe. Bei der aktuellen Exit-Debatte sind mir einige
zu vorschnell mit Schüren von Erwartungen. Ich befürchte,
wir sind eher vor dem Berg als drüber.

DIE HILFSBEREIT-


SCHAFT DER


GEHEILTEN


IST GROSS


28 8.4.2020


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