Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1
FOTO: IRIS FRIEDRICH/PLAINPICTURE

D


ie Hoffnung lässt sich
Zeit. Der Frühling
poliert den Schrecken.
Und Wunschdenken
hilft uns nicht. Die
Wahrheit lautet: Das
Robert Koch-Institut (RKI) rechnet mit
„einer erhöhten Sterberate“. Was das heißt?
Es wird weitere Corona-Tote geben. Viele.
Doch wie sehr es Deutschland treffen
wird – wir wissen es nicht. Wissenschaft-
ler vergleichen den Verlauf der Pandemie
mit einem Tsunami. Wir seien noch in
jener Phase, in der das Meer sich zurück-
ziehe, um dann mit brutaler Welle zurück-
zukommen und sich seine Opfer zu holen.
Auch bei uns.
Die Frage ist: Wie werden wir sterben,
wenn die Welle uns erfasst? Wie stirbt
man, wenn sich das Virus in die Lunge
frisst und dort für Verwüstung sorgt?
Wenn es die Luft nimmt und alle Beat-
mung nicht hilft. Stimmt es, was wir so oft
hören: dass wir dann „qualvoll ersticken“?
Michael de Ridder ist Arzt für Innere
Medizin und Notfallmedizin. Er ist Grün-
der eines Berliner Hospizes und Autor des
Buchs „Abschied vom Leben“. Seit vielen
Jahren begleitet er Sterbende auf ihrem
letzten Weg. Reporter schrieben über ihn:
„Er lebt für das Sterben.“
Herr de Ridder, woran stirbt man eigent-
lich, wenn man sich mit Corona infiziert
hat?
Wenn man tatsächlich zu den 20 Prozent
der infizierten Patienten – zumeist Risiko-
patienten hohen Alters, Menschen mit
Vorerkrankungen oder Immungeschwäch-
te, mit HIV oder Chemotherapie –, wenn
man zu denen gehört, bei denen die
Krankheit ausbricht, kommt es oft zu
einer atypischen Lungenentzündung. Sie
kann, je nach Immunitätslage, sehr
schnell eintreten und eine intensivmedi-

zinische Behandlung erforderlich machen.
Und sie kann zum Tod führen.
Was macht das Virus in der Lunge?
Es führt zu einer Entzündung und Schwel-
lung des Gewebes zwischen den Lungen-
bläschen. Dadurch wird der Gasaustausch
von Sauerstoff und Kohlendioxid er-
schwert, oder er kommt sogar zum Erliegen.
Bei einer „Superinfektion“ mit weiteren
Bakterien sind zusätzlich die Lungenbläs-
chen selbst von der Entzündung betroffen.
Und das führt dann zu Lungenversagen?
Letztlich ja. Fachlich gesprochen kann
sich ARDS einstellen (Acute respiratory
distress syndrome), ein akutes Atem-
notsyndrom. Das macht neben anderen
intensivmedizinischen Maßnahmen, wie
zum Beispiel einer Kreislauftherapie, die
maschinelle Beatmung unumgänglich.
Und wenn auch die nicht hilft?
Als letzte Option gilt die extrakorporale
Membranoxygenation (ECMO). Bei ihr
wird dem Kranken das sauerstoffarme
Venenblut über einen Katheter in der
Leiste entnommen, in einer speziellen
Apparatur mit Sauerstoff angereichert
und dem Patienten wieder zugeführt; ein
Verfahren, das allerdings sehr personal-
intensiv und kostenaufwendig ist.

Es sind weltweit mehr als 67 000 Men-
schen (Stand Sonntag) an Covid-19 ge-
storben.
Trotz künstlicher Beatmung kann diese
Lungenentzündung einen tödlichen
Verlauf nehmen – besonders wenn sich,
wie oben erwähnt, eine Superinfektion
mit Pneumokokken aufpfropft. Dieser
Verlauf ist meist noch mit einer Sepsis,
einer Blutvergiftung, „vergesellschaftet“,
wie wir das nennen. Das heißt, die Infek-
tion überschwemmt buchstäblich den
ganzen Körper.
Und dann erstickt der Patient qualvoll?
Nein. Niemand wird ersticken. Kein Co-
vid-19-Patient wird bei uns ersticken!
Es ist eine menschliche Urangst.
Sie ist unbegründet.
Italienische Ärzte berichteten aber, wie
Corona-Patienten panisch nach Luft
schnappten, aber es kam nichts in den
Lungen an.
Eine Atemnot jeden Schweregrades kann
die Medizin behandeln. Ihr Arsenal
umfasst die Sauerstoffgabe als nicht-
invasive Beatmung mittels einer
Schlaf-Apnoe-Maske und die maschinel-
le Beatmung über einen Tubus. Wenn ein
Patient beatmet werden muss, wird er
zuvor für die Zeit der Beatmung in einen
narkoseähnlichen Tiefschlaf versetzt.
Warum werden Patienten eigentlich auf
dem Bauch liegend beatmet?
Die äußerst vorsichtig vorzunehmende
Bauchlagerung soll im Wechsel mit der
Rückenlagerung den Gasaustausch in den
Lungen, das Verhältnis also von Ventila-
tion und Durchblutung verbessern. Es ist
ein Vorgehen, für das es bisher indes kei-
nen Nachweis einer Reduktion der Sterbe-
rate beatmeter Patienten gibt.
Und wenn es nicht genug Beatmungsge-
räte gibt, wie viele ältere Menschen und
Menschen mit Vorerkrankungen heute

WISSEN


Dr. Michael de Ridder, Internist

Aber wie stirbt man dann, wenn das Virus in der


Lunge wütet und Beatmung nicht hilft?


„Niemand


wird ersticken“


48 8.4.2020
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