Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1

befürchten: Was passiert mit mir, wenn


ich nicht oder nicht mehr beatmet wer-


den kann?


Für den Fall, dass die Lungenentzündung


bei gleichzeitigem Versagen anderer Orga-


ne einen aussichtslosen Verlauf nimmt,


wird jeder Arzt eine medikamentöse Sedie-


rung einleiten, zumindest aber erwägen.


„Sedierung“ heißt Schmerzdämpfung.


Das Bewusstsein wird sozusagen „aus-


geschaltet“?


Ja.


Und wie?


Zum Beispiel mittels Morphin oder Mida-


zolam. Der Schwerstkranke stirbt in tiefer


Bewusstlosigkeit, ohne je einen aussichts-


losen Kampf gegen quälende Luftnot und/


oder andere Symptome führen zu müssen.


Er schläft friedlich ein.


Richtig. Mancher hochaltrige und unter


schweren Vorerkrankungen leidende


Patient wird diesen Weg vielleicht schon


erwogen und in seiner Patientenver-


fügung niedergelegt haben, dass er eine


Beatmung ablehnt.


Sterbende röcheln oft, der Atem ras-


selt – das klingt für Angehö-


rige schrecklich. Ist das kein


Zeichen dafür, dass sie ersti-


cken?


Nein. Ein Erstickungstod


kann im Grunde nur unter


zwei Bedingungen eintreten.


Beim akuten äußeren Ersti-


cken mit Herzstillstand und


unmittelbarem Todesein-


tritt, etwa bei Strangulation


(Erhängen), oder wenn ein


Fremdkörper beim Verschlu-


cken in der Luftröhre landet


(„Bolus tod“). Und beim inne-


ren Ersticken, dem Sauer-


stoffmangel durch die Un ter-


brechung der Atmungskette.


So, wie er etwa bei der „Hö-


henkrankheit“ im Hoch ge-


birge auftritt oder bei einer


Zyanidvergiftung.


Und das „Todesrasseln“?


Auch das hat nichts mit


Ersticken zu tun. Das ist


Schleim, der hinten im


Rachen nicht mehr abgehus-


tet werden kann. Der Patient


hat dann überhaupt keine


Luftnot. Und man hilft


einem Sterbenden auch


nicht, wenn man ihn mit


Sauerstoff versorgt.


Warum nicht, lindert man


damit nicht die Anstren-


gung des Luftholens?


Nein, man trocknet damit nur die Schleim-
häute aus. Ein sterbender Patient atmet
immer langsamer, immer schwächer,
manchmal kaum wahrnehmbar. Mit ver-
siegender Atmung steigt der Kohlendioxid-
spiegel im Blut, und der Sauerstoffspiegel
sinkt immer stärker ab. Dabei fällt der
Patient in eine sogenannte CO 2 -Narkose.
Das heißt ...
... der Sterbende narkotisiert sich quasi
selbst.
Das klingt irgendwie tröstlich. Was aber
meinen Pfleger*innen, wenn sie vom
„Todesdreieck“ sprechen?
In der Fachsprache wird das „Facies hip-
pocratica“ genannt. Es sind die spitze,
blasse Nase, die eingesunkenen Augen
und Wangen der Moribunden; die
blass-fahle, nicht mehr durchblutete
Gesichtshaut.
Und dann werden die Fersen blau.
Ja, als Zeichen der Mangeldurchblutung
beobachtet man beim Sterbenden auch
bläulich-livide Hautverfärbungen an
Händen, Füßen und Rücken. Das Blut
sinkt ab.

Der Medizinhistoriker und Chirurg
Sherwin B. Nuland schrieb 1994 in sei-
nem Buch „Wie wir sterben“: „Das Sterben
ist meistens mühsam.“ Und: „Ich habe
nur selten Würde beim Sterben erlebt.“
Was sagen Sie?
Ich habe schon vielen im Sterben gehol-
fen und manchen zum Sterben, und ich
habe das anders erlebt. Was im Gehirn
eines Sterbenden vor sich geht, können
wir natürlich nicht wissen. Aber wir dür-
fen davon ausgehen, dass er bei guter
palliativmedizinischer Versorgung und
Symptomkontrolle keine Qualen empfin-
det; weder körperliche Qualen noch
psychische noch spirituelle.
Dafür kämpfen Sie selbst seit Jahr-
zehnten: für gute palliative Begleitung.
Auch jetzt ist Ihnen das wichtig, warum?
Weil in dieser pressierten Situation durch
die Covid-19-Epidemie noch einmal
deutlich wird: Ein 92-Jähriger etwa,
der eine schlechte Prognose hat, gehört
nicht auf die Intensivstation! Und der
muss auch nicht über Wochen beatmet
werden, wie das heute noch allzu oft auf
unseren Intensivstationen
der Fall ist. Das ist leidvolle
Sterbeverzögerung statt
sinnvoller Lebensverlän-
gerung.
Manche Leser finden viel-
leicht, dass das jetzt sehr
hart klingt.
Für mich ist die Sterbeverzö-
gerung etwas, das vollkom-
men unethisch ist. Diese
Menschen brauchen eine
gute palliative Versorgung.
Es muss immer die Lebens-
qualität im Vordergrund ste-
hen – unabhängig von der
noch zu erwartenden Le-
benszeit.
Haben Sie, Herr de Ridder,
Menschen „in Würde“ ster-
ben sehen?
Ja. Würdig stirbt ein Mensch,
wenn er ganz bei sich selbst
ist. Das heißt auch, dass
seinem Willen und seinen
Wünschen entsprochen wird.
Ich habe auch Patienten im
Hospiz erlebt, die jede sedie-
rende oder schmerzstillende
Behandlung bis zuletzt zu-
rückwiesen, weil sie ihr Ster-
ben „bewusst“ erleben woll-
ten. Sie wollten kämpfend
sterben, so wie sie kämpfend
gelebt haben. 2
Interview: Ulrike Posche

„Würdig stirbt ein


Mensch, wenn er ganz


bei sich selbst ist“


8.4.2020 49
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