Ab diesem Morgen war dieses Büro auch mein Büro.
Denn das ist der eigentliche Kitt für das, was Marketing-
manager und Firmensprecher meinen, wenn sie von
Unternehmenskultur sprechen: Jemand, mit dem man
nicht direkt zusammenarbeitet, weiß trotzdem, dass
man dazugehört. Und dazu heißt eben: zueinander, be-
reichsübergreifend. Nicken auf dem Gang, Small Talk
im Fahrstuhl, Salatthekengeplapper. All diese unvorher-
sehbaren Nebenbeibegegnungen, für die man sich nie
in einem gemeinsamen Chatraum verabreden könnte.
Überhaupt: Die Kollegen fehlen! Nicht die, die einem
jetzt dauernd Telefontermine einstellen, in komischem
Business-Denglisch sprechen, nur weil sie über ein
digitales Gerät kommunizieren, und sich zum virtuel-
len Lunch verabreden wollen – bei aller Liebe, aber ich
esse nicht vor einem Bildschirm, ich bin doch keine
Influencerin (bei denen heißt das Mok-Bang, ein Inter-
net-Video-Trend aus Südkorea, bei dem Menschen sich
dabei filmen, wie sie essen – keine Pointe). Aber die
anderen. Und mit ihnen das, was ich bislang als Alltag
gering geschätzt habe. Ich will mich gemeinsam mit
ihnen in Konferenzen langweilen, rauchigen Filterkaf-
fee trinken und Kuchen essen, den ich nicht mag, ein-
fach weil er im Sekretariat steht und weil man alles isst,
was im Sekretariat steht. Stattdessen verliere ich wäh-
rend Telefonkonferenzen beim Hintergrundgeräu-
sche-Ratespiel „Kind oder Katze?“ gegen mich selbst.
Am meisten vermisse ich die Türrahmengespräche.
Wie oft stand in den vergangenen Monaten einer der
Kollegen aus Versehen in meinem Büro, weil er eigent-
lich bloß im Sekretariat nebenan einen Umschlag oder
Kugelschreiber gesucht hatte und dann ins Plaudern
kam. Über die aktuelle Nachrichtenlage und laufende
Recherchen, aber auch über die wirklich lebensprägen-
den Themen: quälende Wohnungssuche, eine neue Lie-
be, den Tod eines Angehörigen. Geschichten, die man
den ganzen weiteren Arbeitstag mit sich trägt.
Später an der Tür klopfen und fragen „Feierabend-
bier?“ – das geht bestimmt auch per Outlook-Einladung
mit akkurater Betreffzeile, bleibt dann aber, als was der
Kalender es automatisch kategorisiert: ein Termin. Im
Büro hat man irgendwann Feierabend und dann eben
keine Termine mehr (die Harald-Juhnke-Weisheit den-
ken Sie sich bitte selbst dazu).
All das Genöle bringt uns natürlich nicht weiter. Es
ist jetzt so, und es wird auch noch eine ganze Weile so
bleiben. Die schmale Erkenntnis: Glück ist oft eine Dis-
tanzfrage. Und Sehnsucht ein Mittel, es sichtbar zu ma-
chen. Das Homeoffice offenbart uns die Schönheit des
Büros, so wie auch die meisten Pop-Liebeserklärungen
an Städte aus der Ferne verfasst wurden: Michelle Phil-
lips von den Mamas & Papas schrieb „California Drea-
min’“ während des strengen Winters 1963 in New York,
die Ärzte sehnten sich nach „Westerland“ vom Festland
aus, und Max Herre musste erst nach Berlin ziehen, um
Stuttgart als seine „1ste Liebe“ zu besingen.
Und ein bisschen schön ist es, an den Tag zu denken,
an dem wir zurückdürfen in unsere Büros, zu den Men-
schen ohne WLAN-fragil eingefrorene Mimik, zu den
echten Blicken und auch mal Türknallen. Wenn wir uns
die Haare nicht nur an den Vorderpartien mit Trocken-
shampoo in Videokonferenzschwung bringen werden,
wieder eine echte Hose anziehen und pünktlich um
12.27 Uhr zur Kantine latschen, statt 14 unmotivierte
Kleinportionen am Tag zu essen (darunter vier Käse-
scheiben direkt aus der Packung und ein spontan auf-
getautes Stück Hochzeitstorte der Freundin, eigentlich
aufbewahrt für einen größeren Moment als: Donners-
tagnachmittagstief ).
Bis es so weit ist, nehme ich immerhin die Giraffe von
der Wand. Sie erinnert mich vielleicht auch einfach zu
sehr an das Pressholzspan-Reh, das ein Kollege vor Jah-
ren auf der Firmenweihnachtsfeier für mich gekidnappt
hat und das seither neben meinem Schreibtisch steht,
Symbol der Komplizenschaft, die nur echtes Büroleben
schafft. Stattdessen hänge ich ein anderes Bild auf, das
mir bis zum Ende der Ausgangssperre den Büro-Small-
Talk ersetzt. Es stammt aus einer Helmut-Dietl-Aus-
stellung des Literaturhauses München und zeigt ein
Zitat aus „Monaco Franze“, das in diesen Tagen unfrei-
willig an Metaebene gewonnen hat:
„Wie meinst Krise, Spatzl?“ 2
Verwaiste Redaktion: Für Türrahmengespräche kommt gerade niemand vorbei