Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1

F


rau Spencer, kluge finanzielle Ent-
scheidungen treffen, wie geht das?
Als Erstes müssen wir uns klar-
machen, wir sind kein Tabellenkal-
kulationsmodell, wir sind Menschen.
Und das bedeutet, wir sind verführ-
bar beim Shoppen, wir sind vergesslich,
wenn es darum geht, Rechnungen zu be-
zahlen, wir handeln nicht immer rational.
Wir sind menschliche Wesen mit begrenz-
ter Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle.
Und das kann gerade beim Thema Geld
katastrophale Folgen haben.
Es geht schon damit los, dass
viele von uns sich erst gar nicht
mit dem Thema beschäftigen
wollen. Wir gehen in den Vogel-
Strauß-Modus. Informationen,
die möglicherweise belastend
sein könnten, gehen wir aus dem
Weg und verdrängen sie. Manche
von uns schauen nicht mehr auf
den Kontostand, weil sie ahnen,
dass er vielleicht im Minus sein
könnte, lassen Briefe ungeöffnet
liegen, weil im Kuvert eine Rech-
nung stecken könnte. All dies ist
menschlich, führt aber zu nichts.
Wie kann man gegensteuern?
Selbst kleine Dinge können
schon einen großen Effekt ha-
ben. Banking-Apps etwa sind
ein gutes Gegenmittel – mit
einer Funktion, die uns jeden
Morgen automatisch den Kon-
tostand anzeigt, egal, ob wir
nun wollen oder nicht. Auch
wenn es wehtut, dieser mor-
gendliche Weckruf sorgt dafür,
dass Sie sich anschauen, wofür
Sie Ihr Geld ausgeben. Wie viel
Coffee to go sammelt sich im Laufe eines
Monats an? Wie oft gehen Sie essen? Sie
fangen an zu rechnen, wie Sie bis zum
nächsten Zahltag über die Runden kom-
men, wie viel nach Miete, Lebensmitteln
und Kleidung für die Altersvorsorge übrig
bleibt. Etablieren Sie solche Gewohnhei-
ten ganz bewusst. Denn eine Studie zeigt,
wer über seinen Kontostand und die Höhe
seines finanziellen Puffers Bescheid weiß,
hat ein deutlich höheres Wohlbefinden,
mehr Zuversicht und leidet weniger unter
Schlaflosigkeit.
Also mehr Aufmerksamkeit und Realis-
mus für die eigenen Finanzen.
Ja, wir setzen zu schnell die rosarote Brille
auf. In vielen Lebensbereichen ist Opti mis-

mus ja eine gute Sache. Er motiviert uns,
treibt uns an. Zu viel Optimismus bedeutet
aber auch, wir erwarten nicht, dass irgend-
etwas schiefgeht, wir bereiten uns nicht
auf Rückschläge vor. Wir denken, die Wirt-
schaft wird schon weiter boomen, wir wer-
den unseren Job behalten, wir werden uns
nicht scheiden lassen. Die Folge ist: Wir
haben keinen oder einen viel zu kleinen
Sicherheitspuffer angelegt.
Wie lässt sich dieser überzogene Opti-
mismus kurieren?

Zunächst einmal: Sie sollten nicht ins an-
dere Extrem fallen. Wer jahrzehntelang nur
knausert, könnte jede Menge schöner Din-
ge verpassen. Andererseits wird jemand, der
sein Geld permanent verpulvert, im Alter
vielleicht dafür bitter büßen müssen. Des-
wegen ist der Königsweg, eine relativ rosi-
ge Lebenseinstellung beizubehalten und
sich trotzdem auf böse Überraschungen
vorzubereiten. Der Nobelpreisträger Daniel
Kahneman plädiert für die „Pre- mortem-
Methode“. Das bedeutet, sich ge danklich
den schlimmstmöglichen Ernstfall vorzu-
stellen, sich darauf vor zu bereiten und er-
leichtert zu sein, wenn es am Ende besser
kommt. Frei nach dem Motto: „Aufs Beste
hoffen, mit dem Schlimmsten rechnen.“

Viele sagen, ich will ja sparen, aber am
Ende des Monats ist einfach nichts über.
Ein einfacher Trick ist, einen Teil des Ein-
kommens direkt in einen persönlichen Not-
fall-/Schlechtwetterfonds zu stecken, und
zwar ohne Umweg über das eigene Konto.
Es fühlt sich für uns viel schmerzhafter an,
Dinge wegzugeben, die wir einmal beses-
sen haben. Eine andere Möglichkeit ist,
seine Ausgaben zu verlangsamen oder zu
erschweren. Also vor dem Kauf der neuen
Jacke noch mal eine Nacht drüber schlafen.
Die Bezahlmethoden auf dem
Handy nicht zu reibungslos ein-
stellen, sondern ganz bewusst
etwas umständlich halten. Öfter
mal mit Bargeld statt mit Karte
bezahlen. Denn es ist erwiesen,
dass es uns manchmal schwerer
fällt, uns von Bargeld zu trennen.
Warum fällt es überhaupt so
schwer, Maß zu halten?
Weil sich der Mensch schnell
anpasst. Das heißt, haben wir
uns erst einmal an ein bestimm-
tes Konsumniveau gewöhnt,
wollen wir auf das nächste Le-
vel. Unser Bezugspunkt verän-
dert sich, für den nächsten Kick
braucht es eine Steigerung.
Psycho logen nennen dies die
hedonistische Tretmühle. Es ist
eine Art materielles Wettrüs-
ten. Wir häufen immer mehr an.
Vergleichen uns mit Nachbarn
und Kollegen und versuchen,
noch mehr anzuhäufen.
Wie kommen wir aus dieser he-
donis tischen Tretmühle raus?
Den kurzfristigen Kick nicht
höher schätzen als die langfris-
tige Zufriedenheit. Was gibt mir mehr: der
sorglose Ruhestand später oder das neue,
schnellere Auto jetzt? Was macht mich
wirklich glücklich? Dazu gibt es ja mittler-
weile zahlreiche Studien und Bücher. Sie
alle zeigen, Erfahrungen und gemeinsame
Erlebnisse wirken stärker als materielle Gü-
ter. Deren Effekt ist relativ schnell verpufft.
Was hilft uns durchzuhalten?
Sich klarzumachen: Ein finanzielles Pols-
ter verhindert nicht nur, dass wir in Not-
fällen einen teuren Kredit aufnehmen
müssen, sondern ermöglicht auch, Träume
jenseits der Grundbedürfnisse zu verwirk-
lichen. Setzen Sie sich langfristige Ziele, die
Ihnen wirklich wichtig sind, und halten Sie
sich die immer wieder vor Augen. 2

„Auch wenn es wehtut“


Verhaltensökonomin Nathalie


Spencer erklärt, wie wir unsere Finanzen


in den Griff kriegen können


Spencer erforscht finanzielle Entscheidungsprozesse. Von ihr ist gerade das Buch „Gutes Geld“ in der Edition Olms erschienen

Interview: Silke Gronwald


56 8.4.2020

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