Der Stern - 08.04.2020

(Brent) #1
Mehr von Peter Wohlleben
lesen Sie in der aktuellen
Ausgabe seiner Zeitschrift
„Wohllebens Welt“. Die
Illustrationen unserer Geschichte stammen von
Peter Pichler (r.). Mitarbeit: Christian Ewers

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Artikel können
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Gasteltern über Bord und las-
sen sich dann statt ihrer groß-
ziehen – sehr entspannt für
die Kuckuckseltern, die so
nach der Eiablage frei von
Verpflichtungen sind.

D


ie Plage der Gärtner,
Schnecken, sind nun
auch aus ihren Verste-
cken gekrochen. Sie hat-
ten im Winter zwei Ge-
fahren zu meistern:
Frost und Trockenheit.
Zwar vergraben sich
Schnecken im Boden
und sind damit vor
niedrigen Tempera-
turen einigermaßen
geschützt, doch im
Ausnahmefall kann
Bodenfrost auch tie-
fer reichen. Dann
hilft jede Menge
Salz, und zwar im
Blut. Dieses friert da-
durch erst deutlich
unter 0 Grad Celsius. Der
zweiten Gefahr begegnen die

Weichtiere durch eine Schleimschicht, die


sie trocknen lassen und die kein


Wasser durchlässt. So bleiben die


Schnecken den ganzen Winter hin-


durch feucht genug.


Im Frühling wird es riskant.


Weinbergschnecken beginnen ab


acht Grad aufzuwachen. Ihr Herz-


schlag steigt von 3 bis 4 pro Mi nute


auf 36 Schläge an, der Stoffwechsel steigert


sich kräftig. Nun bekommt die Schnecke


Hunger und Durst – schließlich hat sie


über den Winter trotz aller Schutzmaß-


nahmen Wasser und Gewicht verloren.


Wehe, es kommt noch einmal ein starker


Frost, ohne dass sich das Tier verkriechen


kann – das wäre der sichere Tod.


Der Appetit ist jetzt bei Schnecken


besonders groß, die Vegetation aber an-


fangs noch nicht so üppig. Kein Wunder,


dass sich die Tiere an Ihrem frisch ge-


zogenen Salat vergreifen. Möchten Sie


die Plagegeister loswerden, dann sollten


Sie sie nach dem Einsammeln weiter als


zehn Meter entfernt wieder aussetzen –


sie riechen nämlich ihre Leibspeise auch


auf große Entfernung und kehren immer


wieder zurück.


Ganz andere Jahreszeiten herrschen
bei den Bienen. Ihr Neustart begann schon
zur Wintersonnenwende, also um den 21.
Dezember. Die Königin legte ab diesem
Zeitpunkt erneut Eier, das Volk wuchs
langsam wieder zur alten Stärke heran.
Bereits im März werden Weiden und an-
dere früh blühende Pflanzen aufgesucht;
jetzt im April fliegen die Arbeiterinnen
über Löwenzahnwiesen und etwas später
dann zu den goldgelben Rapsfeldern. Dort
sammeln sie nicht nur Nahrung für den
laufenden Betrieb, sondern legen auch
schon Wintervorräte an. Bis August läuft
die Saison, dann wird der Laden zuge-
macht.
Zurück zum Wald: Abgesehen von Früh-
lingsgefühlen können Sie ab sofort noch
ganz anders von einem Spaziergang unter
Bäumen profitieren. Mit dem Erwachen
produzieren sie für uns nützliche Substan-
zen. Durch die Lüfte wabern nun Phyton-
zide, Duftstoffe, die der Kommunikation
und der Feindabwehr dienen. Bei Nadel-
bäumen ist dieser Geruch an heißen Tagen
sogar so intensiv, dass Sie ihn bewusst
wahrnehmen können. Das Ergebnis auf
den Körper ist messbar: Der Blutdruck
sinkt, die Immunabwehr wird gestärkt.
Genau darauf stützt sich der neue Trend
des Waldbadens, der der Esoterik-
ecke entwachsen ist. Mittlerweile
bieten sogar renommierte Institu-
te Kurse zum Wald-Gesundheits-
trainer an, etwa die Ludwig-Maxi-
milians-Universität in München.
Das ist sehr zu begrüßen, doch ak-
tuell schwer umsetzbar. Zum
Glück funktionieren die Wohltaten der
Bäume auch bei einem Waldspaziergang.
Dabei brauchen Sie nur einen wichtigen
Grundsatz zu beachten: Lassen Sie sich
Zeit. Eine Stunde unter einem Baum, an
den bemoosten Stamm gelehnt, ein
Schlendern durchs Unterholz, kleine Me-
ditationsübungen an einem Waldbach:
Das senkt den Blutdruck und hebt die Lau-
ne. Und vor allem: Dank des Rechtes, Wäl-
der jederzeit frei zu betreten, ist dies über-
all und kostenlos möglich. 2

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