Berliner Zeitung - 25.03.2020

(Joyce) #1

Berlin


Berliner Zeitung·Nummer 72·Mittwoch,25. März 2020 13 *·························································································································································································································································································

„EineVerschiebungrettetgarnichts“


SchulleiterRalfTreptowfordertvonBildungssenatorinScheeresklareEntscheidungzuAbiprüfungen


K


önnen Abschlussprüfun-
gen in der Corona-Krise
überhaupt stattfinden?
Schulsenatorin Sandra
Scheeres (SPD) hält noch daran fest:
Ihre Verwaltung veröffentlichte am
DienstageinenneuenPrüfungsplan.
Am gleichenTagverkündete Schles-
wig-HolsteinalserstesBundesland,
seine Abiturprüfungen abzusagen.
RalfTreptow,VorsitzenderderVerei-
nigungderBerlinerOberstudiendi-
rektorenundLeiterdesRosa-Luxem-
burg-Gymnasiums,forder tdas Glei-
che für Berlin –und kritisiertSchee-
res’Zaudern.

Herr Treptow, am vergangenenWo-
chenende hat Schulsenatorin Sandra
ScheeresalleAbschlussprüfungen,die
nochvordenOsterferienhättenstatt-
findensollen,aufdieZeitdanachver-
schoben.Washalten Sievon dieser
Entscheidung?
Viel zu zögerlich.Wersagt uns
denn, dass wir nach denOsterferien
wieder Prüfungen machen können?
Dassteht überhaupt nicht fest.Wir
müssenunsvonderVorstellungver-
abschieden,dasswirdasSystem,wie
esjetztbesteht,rettenkönnen,wenn
wir die PrüfungenweiterWoche um
Woche nach hintenverschieben.Bei
den Kindernund Jugendlichen der
Jahrgangsstufen 10, 12 und 13 und
auch bei denElternherrscht eine
große Unsicherheit.

WashättenSiesichvonderSenatorin
gewünscht?
Scheeres hätte ein klaresSignal
senden müssen.Bisheute gibt es
keine Versicherung der Senatorin,
dass dieFeststellung allerBildungs-
abschlüsse inBerlin auch in diesem
Schuljahr erfolgen wird.Aufdiese
Aussage warten aberTausende Ju-
gendliche und derenFamilien. Und
wenn die Senatorin dasSignal nicht
aussendet, dann mache ich das jetzt
eben:LiebeJugendliche,esw irdauch
indiesemSchuljahranjederBerliner
Schulefestgestelltwerden,obihrdie
Bildungsabschlüsse,die ihr anstrebt,
auch erreicht habt.Undwir werden
das auch noch in diesem Schuljahr
tun!

Siesetzensichdafürein,dassdasAb-
itur in diesem Schuljahr auf der
GrundlagedererbrachtenLeistungen
in den vierQualifikationssemestern
verliehenwird.
Ichhabe dieSenatsbildungsver-
waltung schonMitte Mär zgewarnt,
dass diese Lösung unvermeidlich
werden wird,wenn sie nicht sofort
umsteuert.Wenn wir amEnde des
Schuljahresankommenundsoman-
cheindiesemAbiturjahrgangwerden
nureine ,zwei,dreiodervierPrüfun-
genabsolvierthaben,dannbrauchen
wiraucheineGrundlage,aufderwir
trotzdem für alle dasAbitur feststel-
len können.Je länger Corona sich in
Berlin ausbreiten wird, desto mehr
wirddas aktuell.Wirkönnen nicht
mehr warten. Wirmüssen eine
Grundsatzentscheidung fällen, und
zwar nochvorden Osterferien.Die
wahrscheinlicheAbsageallerAbitur-
prüfungen in Schleswig-Holstein
sollteBerlinsichsoschnellwiemög-
lichzumVorbildnehmen.

UndwennsichindenOsterferienher-
ausstellen sollte, dass dieAbschluss-
prüfungendochdurchgeführtwerden
können?
Ichhalte es in der jetzigenSitua-
tion für völlig ausgeschlossen, dass
wir in den noch nicht einmal mehr
drei Monaten bis zumBeginn der

Sommerferien inBerlin alle Abituri-
entinnen undAbiturienten durch-
prüfen können.Dasschaffen viel-
leichtnochBayernundBaden-Würt-
tembergmitihrenspätenSommerfe-
rien, wenn dor tbis Ende Maidie
Corona-Krise abflachen sollte.Mein
Vorschlag: DieGrundlage für dieses
Abitur sind die Leistungen aus den
vier Semestern.Unddiejenigen, die
doch nochPrüfungen absolvieren
könnten, können nachBekanntgabe
der Ergebnisse entscheiden, ob sie
diese in ihreAbiturberechnung ein-
fließen lassen wollen oder eben das
AbituraufderGrundlagederSemes-
terleistungen berechnet bekommen
habenwollen.

Besteht nicht dieGefahr,dass Ab-
schlüsse ohnePrüfungen dann als
minderwertiggelten?
DiePräsidentin derKultusminis-
terkonferenz hat schon zugesagt,
dassdie Bundesländerdiejeweiligen
Wegezur FeststellungdesAbitursun-
tereinanderakzeptieren.Daswarein

Ralf Treptow kritisiertScheeres und verweist auf Schleswig-Holstein. GERD ENGELSMANN

ganz wichtigesZeichen. Deshalbist
dieseGefahrvomTischundwirsoll-
tensieauchnichtherbeireden.Esist
unser aller Pflicht, unsereJugendli-
chennichtzuverunsichern.

DasAbiohne Prüfungenkursiertaber
schonunterdemNamen„Notabitur“.
Dasist ein stigmatisierenderBe-
griff,dassolltenwirunserenJugendli-
chennichtantun.WirwerdendasAb-
itur verteilen, das unter den jetzigen
Umständenverantwortlichverg eben
werden kann, und das wirdfür die
Umstände desJahres 2020 einvoll-
wertigesAbitursein.

Wiesoll mit demMittleren Schulab-
schluss und derBerufsbildungsreife
umgegangenwerden?
FürdiesesSchuljahrschlagenwir,
die Mitglieder derVereinigung der
Oberstudiendirektoren des Landes
Berlin, vor, dass alle Bildungsab-
schlüsseaufderGrundlagederZeug-
nisseverteiltwerdenundzusätzliche
Prüfungendafürnichtherangezogen

werden.AuchandenIntegriertenSe-
kundarschulen(ISS)mussmanjada-
vonausgehen,dasswirdiesePrüfun-
gen vielleicht gar nicht mehr durch-
führen können.DieVertreter der ISS
hattenfürdieVerschiebungplädiert,
weilsiedennunausgefallenenUnter-
richtgebrauchthätten,umdieSchü-
lerinnenundSchüleraufdiesePrü-
fungenvorbereitenzukönnen.Was
ist,wennvordenneuenTerminen
nureineWocheodergarkeinUnter-
richtmöglichist?Dasreichtdannzur
Vorbereitung an den ISS wiederum
nichtaus.

Siesagen, Scheeres hätte früher han-
deln müssen.Washätte das aus ihrer
Sichtgeändert?
EshättenochMöglichkeitengege-
ben,wenigstenseinigePrüfungenab-
zusichern.DiehabeichderSenatsbil-
dungsverwaltung auch unterbreitet.
EinBeispiel: Im aktuellenPrüfungs-
planverteilensichdieTerminefürdas
dritte PrüfungsfachimAbiturauffünf
verschiedeneTage.Wenn man noch
jeweils zwei Nachschreibetermine
mit einrechnet, sind das in der
Summe 15Tage.Mit einer mutigen
EntscheidungvorzweiWochenhätte
mannochsagenkönnen:Wirprüfen
alledrittenPrüfungsfächeraneinem
Tag, für den gesamtenJahrgang, in
leeren Schulhäusern.Dann braucht
man noch einen Nachprüfungstag
und einen Nachnachprüfungstag
und hätte aus 15Prüfungstagen drei
gemacht.Dasist übrigens eineUm-
stellung,diewiralsVerbandseitJah-
renfordern. Dassdasbishernichtge-
schehen ist, fällt uns jetzt auf die
Füße.

WashaltenSiedennvondenVorschlä-
gen,denBeginnderSommerferienzu
verschiebenoderdiePrüfungenzuBe-
ginn des nächsten Schuljahrs abzu-
halten?
Dasswirzu Beginnder Sommerfe-
rienausderCoronakriseheraussein
werden,istjaerstmalauchnureine
Annahme.Aber selbst wenn: Ich
fürchte ,dasLand Berlinwürdedann
voneinerKlagewelleüberrollt.Wenn
endlich wieder Sozialkontakte ge-
pflegt werden dürfen und dieFami-
lien zu den Großelternverreisen
könnten:Dannwollenwirihnendas
verweigern, damit ihreKinder Ab-
schlussprüfungenschreibenkönnen?
Beisolchen Planspielen muss man
dieFolgenbedenken.Dasgehtnicht.
Esseidenn,manwärezue inemkom-
plettenSystemwechselbereit.

Wiekönntederaussehen?
DieKultusministerkonferenz und
die Ministerpräsidentenkonferenz
müssten so schnell wie möglich be-
schließen, dass das Schuljahr ab so-
fortfür die nächstenJahrzehnte zu
Beginn derHerbstferien endet.Das
müsste also eine dauerhafte Ent-
scheidung werden, ansonsten
müsste ja eines der nächsten Schul-
jahrewieder verk ürzt werden. Und
die Hochschulen müssten in der
Folge den Beginn derRegelstudien-
zeit ins Frühjahrssemester schieben.
Ichsehe aber nicht, dass zu solchen
weitreichenden Eingriffen im Mo-
ment der politischeWille da ist.Ich
plädierefür Grundsatzentscheidun-
gen jetzt, um nach derCoronakrise
wieder in den normalen Rhythmus
überzugehen und endlich all das zu
erledigen,wasindenletztenJahrenin
Berlinschonhätteneuundbesserge-
regeltwerdenkönnen.

DasGesprächführte
MargaretheGallersdörfer

ZUR PERSON

RalfTreptowwurde 1960 in Berlingeboren. Zur Schule ging er inPankow,woer1984 auch
seine Lehrtätigkeit begann. Dem Bezirk ist er bis heute treugeblieben: Seit fast 30 Jahren lei-
tet er das Rosa-Luxemburg-Gymnasium, das zu den beliebtesten Schulen Berlinsgehört.

Neben seinerTätigkeitals Schulleiter istTreptowseit Jahrzehnten in der Schulpolitik aktiv.Er
ist stellvertretenderVorsitzender der Bundesdirektorenkonferenz Gymnasien und leitet dieVer-
einigung der Oberstudiendirektoren des Landes Berlin (VOB). DieVOBbeschäftigt sichvoral-
lem mit dem Gymnasialbereich, äußertsich aber auch allgemein zum Schulwesen.

Esgab


nochso


vielzutun


ZumTodvon
MatthiasVernaldi

VonLea Streisand

A


ls Matthias Vernaldi einKind
war,sagten die Ärzte,erw ürde
jung sterben.Diespinale Muskel-
atrophie,eine fortschreitende
Muskelerkrankung, würde ihm
höchstenszwanzigJahreLebenlas-
sen. AlsNeunzehnjähriger grün-
dete Matthias mit Studierenden
eine Landkommune vonMen-
schen mit und ohneBehinderung,
dieersteihrerArtind erDDR.
zogern achNeukölln.
Ichlernte Matthias Anfang der
2000eralsfesteInstanzeinesüber-
schaubaren Lesebühnenpubli-
kumskennen.SeinAssistentStefan
Weise sang zur Gitarre, ich las
Texte,Matthias saß im Rollstuhl
hinten in der verrauchtenWirt-
schaft Baiz, wo man denZigaret-
tenqualm in Scheiben schneiden
undzuneuenKippenhättedrehen
könnenundlachtelautlosüberdie
dreckigstenWitze.

Penibel jedeBohne gezählt
Jahrespäter lud er mich mal zum
Essen und Champagnertrinken in
seine Neuköllner Wohnung ein,
weildasmitdenverrauchtenKnei-
pen nicht mehr ging.DieLunge
machte nicht
mehrmit.
Matthias' As-
sistenten be-
deutetenfürihn
Selbstbestim-
mung. Penibel
zählte er selbst
jede Bohne ein-
zelnindenTopf.
ErwarderChef.
Als in den
Neunzigerndie gesetzliche Pflege-
versicherung eingeführtwurde,
entwickelteMatthias mit anderen
BetroffenendenLeistungskomplex
32,derseitherimGesetzstehtund
ihm die Möglichkeit gab,imA pril
2000 eine eigeneFirma„Matthias
Vernaldi“ zu gründen, mit zuletzt
bis zu zehn angestellten Assisten-
ten, die ihnrund um dieUhrver-
sorgten.
Stefan bewarb sich alsStudent
für Germanistik undPhilosophie.
In Thüringen hatte er alsPrediger
gearbeitet, die Ordination wurde
ihm vonder Landeskircheverwei-
gert, er könne ja nicht mal die
HändezumSegnenheben.
Seit 2002 saßMatthias im Lan-
desbeiratfürMenschenmitBehin-
derungen inBerlin und in vielen
anderen politischenGremien. Er
organisierte Demonstrationen,
gründete die Satirezeitschrift
„Mondkalb–Zeitschriftfürdasor-
ganisierteGebrechen“,sowie die
Initiative„Sexybilities“,eineBera-
tungsstelle,die auch sexuelle
Dienstleistungen für behinderte
Menschenvermittelte.
„ZumSchlussarbeiteteerwiema-
nisch“, erzählt Stefan.„Erkonnte
keineMinutemehrstillsitzen.“Trotz
derSchmerzen,trotzderkünstlichen
Lunge hetzteMatthias voneinem
Termin zum nächsten und schlief
dann oft bei denSitzungen ein,weil
dasLosgehenfürihnschondreiStun-
den dauerte.Matthias’Zeit war
knapp,esg abnochsovielzutun.
Am 9. Märzist Matthias Vernaldi
als Sechzigjähriger in seinerWoh-
nungin Neuköllngestorben.

Matthias
Vernaldi

WWW.JULIABAIER.DE

Der


Baum


bistdu


Zum90.Geburtstag
vonBenWagin

VonNikolaus Bernau

A


ls der KünstlerBenWagin, der
am Mittwoch seinen 90. Ge-
burtstag feiert, in den frühen 90ern
fürsein„ParlamentderBäume“mit-
ten im Regierungsviertel kostbares
Land beschlagnahmte,war dem
nicht beizukommen.Manwärege-
genüber dem freundlichenMann –
der ziemlich aufbrausen kann!–als
der moralisch Nichtswürdige er-
schienen.DieMauerabräumenund
Bäume ausreißen, nur um Büros zu
bauen? Dasging nicht.Er spricht,
um seineProjekte durchzusetzen,
auchweltberühmtePolitikersehrdi-
rektan:„Du,machmal...“,lesenwir
inderzusammenmitderJournalis-
tinAstridHerbold2014publizierten
Autobiografie „Nenn mich nicht
Künstler“(Chr.LinksVerlag).
Eigentlichfeierterd enTagseiner
Zeugung am 21.Juni 1929, nur die
unsinnliche Umwelt besteht auf
Standesamtdaten.Immerwiederhat
er seinenNamen geändert, in den
50ernwareralsBühnenbilderVann
Ben, dann in derWest-BerlinerBo-
heme BenWargin, um 2010 fiel das
„r“, BenWagin,auchWaBenwar im
Gespräch, japanisch-hebräisch für
Sohndes Friedens.


Baumkult derRomantik

Geboren wurdeWagin in Jastrow in
Westpreußen, direkt an der damali-
gen Grenzezwischen demDeut-
schenReichund Polen.Seit1957stu-
dierteer–nunmehrBenWargin –an
derHochschulefürBildendeKünste
inWest-Berlin,machte1962diespä-
ter berühmteStudentengalerieSim
Sigismundhof imHansaviertel auf,
avancierte,konnte ab 1968 mit der
Galerie SimE uropa-Center arbei-
ten,nahmanderArtBaselteil.
entstand,inderTraditionderkämp-
ferischenMurales Mexikos seit den
30ern, amSigismundhof das gran-
dioseBrandwandbild„WeltbaumI“,
im Oktober 1976 wurde derBaum-
patenvereine.V. begründet–inzwi-
schen hat er 50000Ginkgobäume
gepflanzt.OftsinddasErinnerungs-
projekte ,die an Kriegsverluste und
Friedenshoffnunggemahnen.
Ob man BenWagin als politi-
schenKünstlerbezeichnenkann,ist
dennochumstritten,zudeutlichste-
henseineZeichnungenundInstalla-
tionen in derTradition der deut-
schen Romantik, ihresBaumkults.
DochistWaginebennieindiereak-
tionäreFalledes„deutschen“Waldes
geraten. Herzlichen Glückwunsch
andenKünstler,dersogarArchitek-
ten, Investoren undPolitiker dazu
bringenkann,Bäumestehenzulas-
sen.


Streitbar im Auftrag der Natur:Der Küns-
te BenWagin. IMAGO IMAGES/KAI HORSTMANN


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