Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.04.2020

(Ann) #1

Musikkannim FilmSituationenunterma-
len, Erzählungen emotionalverstärken
oder konterkarieren, aber siekann dem
Film aucheinen Tongeben, den er aus
sichselbstheraus nicht hat,kann einen
Rahmensetzen,derallemeineandereBe-
deutung, ein anderesGewicht gibt.
Vladimir Cosma istdas schon mit sei-
ner er sten Filmmusik 1968gelungen–zu
Yves Roberts Komödie„Alexanderder
Lebenskünstler“,worinPhilippeNoiret
seinen großenDurchbruc herlebte als
Bauer,derdenDruckderLeistungsgesell-
schaf tabwirft,sichzweiMonatelangaus-
schläf tund dann wie ein Kind neu zu le-
ben beginnt: spielend, durch die Natur
strolchend, mit seinemHund namens
„Hund“ in unzertrennlicher Gefährten-
schaf t.ZudieserBurleske einerinfantilen
Regression schrieb Cosma ein Chanson
fürIsabelleAubrey,dasdasUtopischedie-
ses naturnahen, unentfremdeten Lebens-
entwurfs hervorkeh rteund dasUnver-
wirklichbaredaran in Melancholie tauch-
te:Die Musik isteine Pastorale in Moll,
ein za rter,leichter,dochelegischerWal-
zer.Ihr Tonmacht deutlich, dassesfür
den Menschen, solang er bei Bewusstsein
ist, unmöglichsei, wasder Text als
Wuns ch formuliert:„oublierletemps, qui
va“–die Zeit zu vergessen ,die vergeht.
CosmakaminBukarest zurWelt als
KindeinerMusikerfamilie.SchonseinVa-
terTeodor hatte zwischen 1925 und 1930
in ParisJazz mit JeanWiener gemacht;
seineGroßmutterwarKonzertpianistin
undSchülerinvonFerruccioBusonigewe-
sen. Cosma lernte mit vier JahrenGeige
spielen,gabmit acht sein erstes öf fentli-
ches Konzertund begann mit zwölf zu
komponieren.VomKonservatorium in
Bukarestmit ers tenPreisen als Geiger
und Komponistausgez eichnet, durfteer
1963 nachParisgehen, um seinStudium
bei Nadia Boulangerfortzusetzen.
Er blieb inFrankreichund arbeitete
schon baldals Ar rangeur für denFilm-
komponistenMiche lLegrand. Mit Be-


ginn der siebziger Jahreüberflügelt eCos-
madiePopularität allseiner Kollegen, in-
dem den Kassenschlagerndes Kinos
Geist, Herzlichkeit und zusätzlichenWitz
verlieh. Manfindetseine Musiknich tin
den Filmen vonFrançois Truffaut oder
AlainResnais; das mag ein Grund sein,
seineArbeit zu un terschätzen.Aber Cos-
ma is tnebenHenryMancini und Nino
Rota, neben seinem französischenKolle-
genPhilippe Sarde, der sicheng an den
Regisseur Claude Sautet gebunden hatte,
neben den Russ en Wjatscheslaw
Owtschinnikow und EduardArtjemjew
einer dergrößten Könner seinesFachs.
Er selbstsagte, dasserlieber denTon
eines Films mit definiere, alsdessen ein-
zelneSituationenzuuntermalen.Under
liebenichtsZusammengestückeltesinder
Musik.Als Yves Robertihn 1972 bat, für
„Der große Blonde mit dem Schwarzen
Schuh“(wodurchPierreRichar dzumStar

wurde) eineMusik imStil de rJames-
Bond-Filme zu erfinden,macht eCosma
etwasvöllig anderes: eineKombination
aus Zymbal undPanflö te,die einprägsam
und komisc hzugleic hwar,weil sie–wie
der Film selbst–das Genre des Agenten-
thrillershopsnahm.Für„Brus toder Keu-
le“mitLouisdeFunèsalsRestaurantkriti-
kerschuf CosmaeineMusik,diemit gera-
dezu genialer Einfachheit das Thema des
Films auf den Punktbrachte:Wie kann
die traditionelle französischeKüche, die
in derTradition der Aristokratieverwur-
zelt ist, unter den Bedingungen einer mo-
dernen Massengesellschaftfortexistie-
ren?Cosmabegannmiteinem pompösen
MenuettimStildesachtzehntenJahrhun-
derts undrastedann durch einen Pizze-
ria-Pop àlaRondoVeneziano:Plastik-Ba-
rock mit tackernden Beats und Synthesi-
zer,der klassischeKostgenauso inZello-
phan einschweißte wie derTricatel-Kon-

zernseineFertiggerichte. Aber Cosma
verbreit etedamit gute Laune.
Ob für „Rabbi Jacob“(mit LouisdeFu-
nès) oder „Ichbin schüchtern, aber in Be-
handlung“ (mit PierreRichard)–Cosma
definiertedenKlangdeseuropäischenFa-
milienkinos über eineganze Ära hinweg.
SeineTitelmusikzudem deutsch-briti-
schen Fernsehmehrteiler „DieAbenteuer
des David Balfour“ wurde als „David’s
Song“ ein Erfolg derKellyFamily. Die
Schmuseballade „Dreams aremyreality“
für „La Boum“ (DieFete), gesungenvon
RichardSanderson,stammt ebensovon
Vladimir Cosma wie der Kindergeburts-
tagslärmfür die animierte Version von
„Asterix –Siegüber Cäsar“. Cosma
schrieb fürNana Mouskouriund Mireille
Mathieu, begeisterteaber zugleich den
Trompe terChetBaker zu einem eigenen
Jazz-Album.
FüreinenMeilenstein des Bildungs-
fernsehens, den Sechsteiler „Richelieu“,
schrieb er eineMusik,die mit den histori-
schen TypenderfranzösischenOuvertüre
wie des Airdie Entstehung desfeudalen
Absolutismus wie die Artikulation der
modernen Subjektivitätreflektierte. Sei-
ne schönste Filmmusik istvielleicht die
HabaneramitihremraffiniertenChangie-
renvon Dur-und Moll-TerzzuYvesRo-
berts Film „DerRuhm meinesVaters“
nachden Kindheitserinnerungen von
MarcelPagnol.
Wenn dieser Großmeistereinprägsa-
mer Erfindung am Ostermontag achtzig
Jahrealtwird,istdaseinguterAnlass,die
QualitätvonGebrauchsmusik zu bewun-
dern, diekomplexist und erinnerungsbil-
dend wirkt.Die Konzerte im Pariser
„GrandRex“, die er selbstdirigieren soll-
te,sind vonApril auf September verscho-
ben. Cosma arbeitet unterdessen in sei-
ner Pariser Wohnunganden Or chester-
Arrangements–ind er Hoffnung,dasssie
besser würden.PerVideo wandteersich
vondortansein Publikum: „Ichdenkean
Euchalle. Bis bald!“ JAN BRACHMANN

Man konnteaneinen Aprilscherzglau-
ben: Aufden 1. April hattedie Pariser
„Cinémathèque“ die Eröffnung einer
Ausstellung über den Schauspieler Louis
de Funès angekündigt–vier Jahrzehnte
nachseinemTod. DieWahrscheinlich-
keit einer Klassikerweihe desKomikers
im Tempel derAvantgardewaretwaso
groß wie derAusbruc heiner weltweiten
Epidemie.Kaum ein Schauspieler wurde
vonder kulturellen Elitesosehr verach-
tetwie der „Gendarmvon SaintTro-
pez“, der nurFilme für mindestens eine
halbe MillionenZuschauer machte.
Dassdie EintrittskartenimVorver-
kauf zum halben Preis angebotenwur-
den,ließ auchnicht geradeeineernsthaf-
te kulturelle Veranstaltung erwarten.
DochvierTage vorderVernissag estrahl-
te der europäische Kultursender Arte
eine abendfüllende Dokumentation aus.
In verschiedenenZeitungen schilderte
Alain Kruger,der die Ausstellung konzi-
pierte,wiegroßdieWiderständetatsäch-
lichwaren. DerKuratorist nicht der ers-
te Filmk ritiker ,der Louis deFunès‘ Ta-
lent entdeckt. Aber wievonKrugerist
sein „komisches Genie“wohl nochnie
beschriebenworden: Mit seiner „Ge-
sichts-Gymnastik“, in der sichdas „anti-
ke Theater und die Commedia dell‘arte“
vermischenwürden,seiderSchauspieler
fähig gewesen, „innertSekunden die un-
terschiedlichstenGefühle“ zu mimen:
„Worte brauchteerkeine.“
Aber auchsein tempostarker Rede-
schwall–seine „Diktion“–war „einma-
lig“. Alain Kruger bescheinigt Louis de
Funèseine „seltene Humanität und Ele-
ganz“. Inkeiner einigen Szene will er
auchnur „eineUnze Vulgarität“ ausma-
chen, dieweniger subtileZuschauer für
sein Erfolgsrezepthielten: „Nicht ein-
mal in derRolle des furzendenOpas“.
Über die Jahrehinwegerreicht eseine
Kunsteine „außergewöhnliche Genauig-
keitundSubtilität“. Dummerweisemuss-
te die Eröffnung derAusstellung aus ak-
tuellem Anlassverschobenwerden.
Dassder Volksschauspieler ausglei-
chem Anlassauf die heimischen Bild-
schirme zurückkehren würde,warindes
zu er warten. Dierund hundertfünfzig
Filme mit ihm in der Hauptrolle sind bil-
lig undgarantieren hohe Einschaltquo-
ten. Seitdem inFrankreichein strenges
Ausgehverboterlassen wurde, haben die
TV-Anstalten ihreProgramme umge-
stürzt .5,2 MillionenZuschauer sahen
„DreiBruchpiloteninParis“imNachmit-
tagsprogramm von„France 2“. Der Pri-
vatsender „M6“ setzt auf die Gendar-
men. „Canal+“ hat für denKomikervor-
übergehend einen eigenenKanal aufge-
schaltet. „Louis das Schlitzohr“rettetdie
eingeschlossenen Franzosen praktisch
täglichvor der Depression.
Vergeblichpropagiertdie Regierung
die nationale Einheit.Eine neue Einmü-
tigkeit istumLouis deFunès festzustel-
len, sie istdas prägendekulturelle Phä-
nomen der Corona-Krise. Mit seinen
Lehrmeistern BusterKeaton und Char-
lieChaplinwirdderSchauspielerimPro-
gramm der Ausstellung verglichen.
Gleichzeitig plantedie „Cinémathèque“


eineRetrospektivevon GérardOury, der
mit Louis deFunès einigeseiner besten
Filme drehte. Zu ihnengehören „Die
Abenteuer desRabbi Jacob“.
Es is tein Film, der seit demAttentat
auf „Charlie Hebdo“ nicht mehr denkbar
ist. Nach den Maßstäben vonAlain Kru-
germüsstemanihnaufdieStufevonLes-
sings „Nathan der Weise“ stellen und
sein Spiel mit den Klischees denReligio-
nen und Identitäten zur Ringparabel der
Komik verklären.Noch wareserlaubt,
sichüber die Zöpfedes echten undfal-
schenRabbinerszumokieren. Louis de
Funèsverkörpertden Rassismus, den

Antisemitismusund auchnoch den
scheinheiligenKatholizismus und führt
sie gleichzeitig ad absurdum.
Noch warder Islam alsReligionkein
Thema,der Terrorismus derPalästinen-
ser beherrscht edie Aktualität.Der Film
wurdeimJahr desAttentats bei der
Olympiade in Münchengedreht .Inspi-
rierthat ihn die Entführung des algeri-
schen OppositionspolitikerBenBarkain
Paris. AusAnlassdes arabischenFrüh-
lings nahm ihn „tf1“Weihnachten ins
Abendprogramm. Seit Jahren plant die
Tochter vonGérar dOuryeine Fortset-
zung. Danièle Thompson hat erfolgrei-

cheDrehbüchergeschrieben.Auch ge-
gendie politischeKorrektheit desFemi-
nismusverstößt„RabbiJacob“:Er istmi-
sogyn. DerFabrikant, der seinen jüdi-
schen Fahrerentlässt,freutsich,dasssei-
ne Tochter ih re katholische Heirat plat-
zen lässt und mit dem algerischen Dissi-
denten abhaut, den die Putschistengera-
dezu mStaatspräsidentenausgerufenha-
ben.DenTitelihresSzenarioshat Daniè-
le Thompson bereits: „Rabbi Jacqueli-
ne“. Frankreichfreut sic hauf denFilm
unddieAusstellung.Sieistbiszum3.Au-
gustprogrammiert, wirdaber zweifellos
verlänger t. JÜRGALTWEGG

D

ieKlagedesHio bhalltseitJahr-
hunde rten durch denErinne-
rungsraumdes Abendlandes.
Er repräsentiert den Menschen
in existentieller Quarantäne,der si ch von
Gott verlassen sieht,weil er keine Erklä-
rung fü rsein Leidfindet–wenn Gott doch
allmächtigist und dieWelt gutgemacht
hat.Hioblässtsichnichteinreden,dass
seinLeidschon einenGrund haben wird
oder imNachhinei nnochSinn macht.
Mehrnoch: HiobleistetWiderstand gegen
seine beredtenFreunde ,die ihn trösten
wollen ,indem sie seinLeid, etwa alsStrafe
Gottes, plausibel machen.SeineFreunde
stehenihm bei, schaffenesabernicht zur
Sprache zu bringen, wieGottdie Welt re-
giert unddie Aufrechten behütet.Hiob be-
stehtda rauf,dassGottesist,dersichrecht-
fertigen muss.
Deshalbist Hiobuns modernen Men-
schen so nah, wiewohl keineandere bibli-
sche Figur.Erbesteht er darauf, dasser
sichdieWeltund wasdarin geschiehterklä-
renkann.Das scheint–inder Tradition
biblischerWeisheit –der modernenWelt-
sichtzuähneln,dieallesausdenimmanen-
tenZusammenhängen derNaturund der
Geschichte erklären will.
Solche Erklärungengehen davonaus,
dass sichKausalitätenfinden lassen, oder
Zwecke, die ein Geschehen wie die Coro-
na-Pandemie erklären. Wersie riskiert,
musssichjedoc hden Vorwurfdes Zynis-
musgefallen lassen. Dennwasnütztdies
den MillionenToten, welche die spanische
Grippe Anfang deszwanzigsten Jahrhun-
dert sforde rte, wenn wi rGründefür den
Verlauf derPandemienennenkönnen?
Wasnütztesden Corona-Opfern, wenn
dergesells chaftli cheZusammenhaltdurch
die Krise wiederstärkerwird?
AusSicht deschristli chen Glaubens
lässt sich kein Leid begründen oderrecht-
fertigen .Woimmer einhöhe rerSinn darin
gesuchtwird, dass Menschen zu Opfern
(vonViren oder denTatenanderer Men-
schen )werden, isttheologischzuwider-
sprechen.Die Freundeversuchen Hiob da-
gegeninseinerexistentiellen Quarantäne
unentwegtmoralischeundrational eErklä-
rungen anzubieten, dievölligimmanent
bleiben.Eswirdschon seine Gründe ha-
ben,dassdeineFamilieausgelöschtwurde.
Dubistselbstschuld, dass duallesverloren
hastbis au fdas nackteLeben.
Weil Hiob das nichtgelten läs st,versu-
chen sie es mit dem anderen Argument:
Werweiß, wozu es gutist, dass du leiden
musst.Dochfür Hio bist daskein Tost.Er
besteht darauf, dass er sinnlosleidet. Mehr
noch: Der Erzähler des Hiob-Buches führt
unsvor Augen, da ss so einTrostzynis ch
ist. Durch die Rahmenerzählun gwirkt
jede Erklärung des Leidskaltblütig. Denn
wirerfahren dort, dass dasLeid Hiobs auf
eine Wette Gottes zurückzuführen sei,die
Gott mit Sataneingegangen ist. Gott wet-
tet,das sderfrommeHiobseinGottvertrau-
ennichtverlieren wird, selbstwennih mal-
les genommen wird.
Unserer modernen Wohlfahrtsgesell-
schaf tist dieser Hiob in einer bestimmten
Hinsichtganz nah.Wir hal tenesfür unser
Recht, das sesuns gutgeht. Wirbestehen
darauf, dassguten Menschen nichts
Schle chteswiderfahrendarf.Wir,dieMen-
schen desreichenNord ens, fordernGott
auf, sichzur echtfertigen,wenn unser eige-
nesLebenbrüchi gwird. Oder wirhadern
mit eine mominösen Schicksal.
Im biblischenHiob-Buchantwortet
Gott mitzweiErwiderungsreden,die
HiobsVorstellung erschüttern, dass eine
geordne te Welt auc heine heileWelt sein
müsse. Hiob–und damit auchuns –wird
vorAugen geführt ,dassdie Schöpfung
nicht dazu da ist,den Bedürfnissen des
Menschen zu dienen.Sie is tfragil und
bleibtvonlebensfeindlichen Kräftenbe-
droht .Die zwei Gottesredensind vonima-
ginativer Kraft. In de rerstenwirdHiob an-
hand vonwildenTieren wiedem Wildesel
vorAugen geführt ,dasszur Schöpfung Le-
bensbereich egehören,die dem Menschen
frem dsindund die nicht seinerVerfügung
unterworfensind.
Im Zeitalter des Anthropozän sind
nicht mehrdie großen Wildtier eSymbol
für die ungezähmteNatur,sondernjene
kleinenWesen, die wir Viren und Bakte-
rien nennen.Wobeidie Viren auchnoch
die Grenze zwischen belebter und unbe-
lebterNatur auflösen.Auch diese sind
GeschöpfeGottes. Sie gehören zum Le-
ben. Dasssie krank machen undtöten
können, auchdas gehörtzur Schöpfung.
So wie der Mensch, der anderen Kreatu-
renGewalt antunkann.
Die Natur is tnicht um des Menschen
willen da. Krankheit undTodgehören
zumLeben. Selbstwenn sichdie mensch-
liche EingriffstiefeindieNatursoweiter-
höhthat, das sscheinbaralleLebensberei-
chedem Menschen unterworfen sind, so
istesd ochein fundamentaler Irrtum an-

zunehmen, die Menschheitkönntedas
Lebenkontrollieren.
Diese nicht-anthropozentrische Imagi-
nationderSchöpfungwecktmoralischeIn-
tuitionen, wie jenevonAlber tSchweitzer,
wir Menschen seien „Lebeninmittenvon
Leben, daslebenwill“. DemLebenPriori-
tätzugeben, enthebt unsjedoc hnicht von
der ethischen Reflexion,wenn Lebenge-
genLebenaufgewoge nwerden muss.
Ebendas is tgegen wärtig de rFall. Egal,
welche Entscheidungengetroffen werd en,
sie werden da smenschliches Lebenbeein-
trächtigen undMenschenlebenkosten.
Damit wirddie herrschende post-he-
roische Lebenshaltung als trügerischent-
hüllt .Die Annahme,wir könnten immer
auf der Seite des Lebensstehenund un-
zweifelhaftmoralischguthandeln,erweist
sichals Selbsttäuschung.Wirlebenauf
Kosten vonanderemLeben.Wir sind im-
mer auchTäter .Dazu reicht es oft, einfach
nur zuzuschauen.
Die zweiteAntwo rt Gottesstelltge-
wohnte BildervonderWeltalsguteSchöp-
fungGottesnochviel stärkerinFrage.
Gott entwirft vorden AugenHiobs das
Bild zweier mythis cher Tiere, die die Mög-
lichkeit einerKontrolledes Lebens und
derGeschichtenegieren.SieheißenLeviat-
han und Behemothund figurieren imRah-
men deraltorientalischen Weltvorstellung
als lebensfeindliche Chaosmächte,welche
die Schöpfungständig bedrohen.Aller-
dingsistderLeviathankeinteuflisc herGe-
genspieler,sondern ebenfalls einGe-
schöpf G ottes.
Auch unser modernes Weltver ständnis
wirddadur ch herausgefordert. Es fällt uns
Modernenschwer, die Ambivalenz der
Welt auszuhalten.Wirwollen siegernheil
haben und heil machen. Dochalle Versu-
che, dieWelt eindeutigzumachen ,sind
tendenzielltotalitär.Das gil tgleicherma-
ßen für dietechnischeKontrolle, wiefür
einemoralisch-ideologischeKontrolle der
Welt.Das gilt auchfür Thomas Hobbes
und seinBild vomLeviathan-Staat, der die
Wolfsnatur des Menschen, alsodie selb st-
zerstörerischenKräfte derGesellschaftbe-
grenzt. Er nennt den neuzeitlichenStaat
zwar einensterblichenGottund einkünst-
liches Wesen,öffnetdamit aberdieTürfür
eine mythischeÜberhöhung desStaates.
Wieschnell derStaat selb st seine Wolfs-
natur entfaltenund zur Chaosmachtwer-
denkann,dashatderPolitolog eFranzNeu-
manninseinerAnalysedes Nationalsozia-
lismus klargesehen. Deshalb derTitel sei-
ner Analyse im Jahr 1942: „Behemoth“.
Als Jude, dernochindie VereinigtenStaa-
tenemigrieren konnte, nutzt er dasmythi-
sche Bild,umdem abgründigenWesendes
nationalsozialistischenStaates einenNa-
men zugeben. An solche Erfahrungen mit
dem modernenStaat anknüpfend,versu-
chengegenwärti gdieamerikanischenÖko-
nomenDaronAcemogluundJamesRobin-
son („Gleichgewicht derMacht“. Derewi-
ge Kampfzwischen Staat undGesell-
schaf t; F.A.Z. vom17. März) denidealen
Staat als „gefesseltenLeviathan“zu be-
schreiben .Mit ih rerNarration voneiner
notwendigen Balance zwischen der freien
Entfaltung gesellschaftlicherKräfteund
derKontrolledurcheinenStaat,dergleich-
wohl ni chttotalitär wird, treffensie einen
Nerv derZeit.

G

enau das zeigt die Corona-Kri-
se. Plötzlich wirdzur Infekti-
onsbekämpfungeinimmerwei-
tergehender „Ausnahmezu-
stand“ geduldet, dervorkurzem nochals
totalitär gegolten hätte. Der Leviathan
scheint entfesselt.Sogar der „Krieg“ge-
gendas Viruswirdausgerufen. Dochin-
zwischen mehren sichStimmen, die dar-
anerinnern,dassderStaatvonwirtschaft-
lichen,sozialenundmoralischenGrundla-
genlebt, die er selbstnicht garantieren
kann. Dasgesellschaftliche Lebenstillzu-
stellen, wirdihn in kurzer Zeit um seine
Handlungsfähigkeit bringen. Es wirddar-
an erinnert, dassdie Gesundheitkein ab-
solutes Gut ist, sondernmit anderen Gü-
tern abgewogen werden muss.
Hier zeigt sich, wieriskan tesist,politi-
schenVerhältnisse undgesellschaftliche
Herausforderun genwie die Corona-Krise
mitdermythischenImaginationdesLeviat-
hantheologischaufzuladen undeineArt
endzeitliche Schlachtzukonstruieren. Es
geht ja nicht um Letztes,sondernumVor-
letztes. Esgeht um dieAbwägung vonGü-
tern,esgehtumeineBegrenzungderSchä-
den,die diese Pandemieverursacht, es
geht um harte Entscheidungen.Aberes
gehtnichtdarum,dieSchöpfungzubewah-
renoder mit demLeviathanzuspielen.
Das Spiel mitdem Leviathan,soweiß es
derPsalmbeter, istalleinGottvorbehalten.
Das BuchHiob bleibtoffen.Eserzählt
vomEnde dieses einenLeidens. Hiob
kann ein neues Leben anfangen, siehtsich
reichgesegnet mitKinder nund Besitz. Er
stirbtalt un dlebenssatt. Mit keinem Wort
wird aufdie Opfer eingegangen, die die
göttlicheWetteauf de nGlauben Hiobsge-
forderthat.Frauen, Kinder, Tiere–so viel
Leid. Darfessoenden?Nein.Über Hiob
hinaus–und gegenseineFreunde –müs-
senwir Gott das beschädigt eLebenund
die Totenvorhalten. Ob derSturmwind
desLebens überdie Gräberfelder der Ge-
schichtebraustund alles in eineerneuerte
Schöpfunghinein wirbelt, wieesder Pro-
phet Ezechiel imaginiert,kann allein Gott
bewahrheiten.

DerAutorleitetdas Theologische Seminar
Schloss Herbornder Evangelischen Kirchein
Hessen undNassau.

Der Geizigeist der Verrückte: Louis deFunès 1980 unter derRegie vonJean Girault in derRolle vonMolières Harpagon FotoAFP

VonGott reden


in derKrise


Meister der Einprägsamkeit


Er denkt an unsalle: DemFilmkomponis tenVladimir CosmazumAchtzigsten


Wieaus Kulinarik Musik wird: Vladimir Cosma Fotodpa

Die Fürze eines Humanisten


Louis deFunès rettet die Franzosen im Hausarrest und wirdrehabilitiert


Es geht nicht um


Letztes, sondernum


Vorletztes :Woher


kommtdie ber edte


Sprachlosigkeitder


Freunde Hiobs?


VonPeter Scherle


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton MITTWOCH,8.APRIL 2020·NR.84·SEITE 13

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