Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.04.2020

(Ann) #1
tjb. SÃOPAULO.Inder venezolani-
schen Hauptstadt Caracasstauen sich
seit einigenTagendie Autosvor den
Tankstellen.Die Armee bewachtdie
Zapfsäulenundachtet darauf,dassÄrz-
te,Sicherheitskräfte und Lebensmittel-
transporteurenicht leer ausgehen. Der
Treibstoffmangel istnicht neu inVene-
zuela. In einigen Regionen herrscht
schon seit Monaten eine akuteKnapp-
heit .DassdasBenzinauchinderHaupt-
stadt Caracas ausgeht,wo trotzder Ver-
sorgungskrise alleszufinden war, zeugt
vonder Schweredes Problems.
Dem Land mit dengrößten nachge-
wiesenen Erdölreservender Welt geht
das Benzinaus. Es istschon ein
Schwarzmarkt entstanden, auf dem der
Literfür1,50amerikanischeDollarver-
kauftwird. Vornicht allzu langerZeit
warBenzin inVenezuela nochbilliger
als Trinkwasser.Der Kollaps derTreib-
stoffversorgungwarabzusehen. Schon
vorden vonWashingtonverhängten
Sanktionengegendas Land und seine
Erdölindustrievorvierzehn Monaten
lang die Erdölindustrie des Landes am
Boden.MangelhafteWartung, fehlende
Investitionen undKorruption hatten ei-
nen Rückgang der Erdölproduktion zur
Folge. Gleichzeitig sank dieTreibstoff-
produktion desstaatlichen Energiekon-
zerns PdVSA schon im Jahr 2018 auf 24
Prozent desPotenzialsvonmehr als ei-
ner MillionFass proTag. Imvergange-
nen Dezemberwaren es nochrund 10
Prozent.Mehrer eRaffinerienstehen
komplett still, darunter einigeder größ-
teninSüdamerika.
Um den Rückgang der nationalen
Produktion auszugleichen, ging PdVSA
dazu über,Benzin imAustausch gegen
Rohöl zu importieren und botzuletzt
drei Fass Rohöl imTausch gegenein
Fass Benzin und Diesel an. Hauptab-
nehmerwarder russische Energiekon-
zernRosneftüber die Tochter gesell-
schaf tRosnef tTrading.Alsdieamerika-
nischeRegierung imFebruar ihre Sank-
tionenauchaufRosneftTradingauswei-
tete ,wurde dieserKanal gesperrt.
Der Absturzdes Ölpreises hatVene-
zuela einenweiteren Schlagversetzt.
Der Ölpreis liegt derzeit unter den Pro-
duktionskostenfür dasvenezolanische
Öl.Zudemwirdniemandunterdenmo-
mentanen Marktbedingungen das Risi-
ko vonSanktionen eingehen, indemer
mit Venezuela handelt. Einzig Russ-
land scheintweiterhinÜberlegungen

zuverfolgen, wie es die Sanktionenum-
gehen kann: Ende Märzkündete Ros-
neftdie Einstellung seiner Aktivitäten
in Venezuela an, um die dortigenVer-
mögenswerte an einreines russisches
Staatsunternehmen zu übertragen.
Laut internen Berichten undFracht-
daten sollen in denvergangenen fünf
Wochen keine Benzinlieferungen mehr
in denvenezolanischen Häfen einge-
trof fensein. Venezuela hatkeine Treib-

stofflager ,umden Engpasszuü berbrü-
cken. DieRegierung hat dieAusgabe
vonTreibstoff deshalb massiv ratio-
niert. Das führtnicht nur zu kilometer-
langen Schlangenvorden Tankstellen,
sondernauchzuProblemeninderohne-
hin prekären Lebensmittelversorgung.
In verschiedenenRegionenVenezuelas
klagen Landwirte darüber,nicht genü-
genTreibstoff zu haben, um ihrePro-
duktezuerntenund zu transportieren.

Wien im Stillstand
Mieterund Ladeninhaberzahlen
nicht mehr–schlecht eAussichten.

Kostenloses Probeabo:
069 7591-3359; http://www.faz.net/probeabo

M


it seinem berühmten Buch
„Der schwarze Schwan“ (2007)
hatderStatistikerundWissens-
forscher Nassim Taleb denjenigen eine
Steilvorlagegeliefert, die schweren und
plötzlicheintretenden Krisen eine Art
Schic ksalshaftigkeit und dadurch Unver-
meidbarkeitunterstellen. Dashättedielo-
gischeFolge,da ssesdannauchkeineindi-
viduelle oder institutionelleVerantwort-
lichkeit für dieFolgen gibt. 2016 hat der
damaligeChef der MünchenerRück,Ni-
kolaus vonBomhard, diese angebliche
Unvorhersehbarkeit vieler Ereignisse an-
gezweifelt.Krisen dürften nicht automa-
tischinhöhereGewalt, Leichtsinn in
Pech undVerantwortungslosigkeit in
Schic ksal umgedeutet werden, wo dochin
Wirklichkeit of tnurungenügendesRisiko-
management dieUrsache handfesteröko-
nomischer Verluste sei. DieseUmdeu-
tung, so schrieb er in dieserZeitung, füh-
re zu Forderungen nachder Solidarität
des Staates, der dann dieVerlustewähler-
wirksam zu Lastendes Steuerzahlersso-
zialisiere.
GenaudiesenMechanismus habenwir
mehrfachbeobachtenkönnen, sei es in
derFinanzkrise 2007/2008, demFukushi-
ma-Unglück oder denFolgen des Klima-
wandels,der langebekanntwarund zu
langeignoriertwurde. Es braucht nicht
viel Phantasie, um sichimFall eines
längsterwarteten, wirklichschwerenCy-
berangriffsdie Überraschungvorzustel-
len, mit derinder Öf fentlichkeit auf die-
ses „völlig unerwartete“ Ereignisreagie-
renwürde .Denn jetzt erleben wirgenau
das. Covid-19ist nicht ausheiterem Him-


mel überuns hereingebrochen.Pande-
miensind bekannt;siehaben einestatisti-
sche Wieder kehrperiodevon weniger als
25 Jahren. Man erinnertsich nochgut an
Ebola,SARS, oder die erstesogenannte
„Vogelg rippe“ 2006. Professionelle Risi-
komanagerkönnenmitPandemienumge-
hen,die Folgen prognostizieren undsie
überRisikotransfermodelle im Markt di-
versifizieren. Das istnur diefinanzielle

Dimension, aber die soziale istjanur die
andereSeiteder gleichen Medaille.
Es dürftealso niemand ernsthaftüber-
rascht sein über dieVerletzbarkeit unse-
rerLiefer ketten, die offensichtlicheAb-
hängigkeit der Medikamentenprodukti-
on vonRohstoffen aus China oder den
Ausfall populärer Sportveranstaltungen
wie derOlympiade.Wer selbst wie ein
„Vogel Strauss“ denKopf in den Sandge-
steckt hat,solltejetzt nicht irgendwel-
chen Schwänen,egalwelcherFarbe, die
Schuld indie Schuheschieben.Um ein
Missverständnis auszuschließen:Natür-
lichist es richtig, de nBetroffenenunmit-
telbar Hilfe zukommenzulassen und die
nochnicht Betroffenen zu schützen. Es
istauchnichts gegendie Liquiditätshilfe
für Unternehmen einzuwenden, auch
wenn diese mit einer offensichtlichen

Lust am Krisenmanagement eingesetzt
wird, die zuvor lange vermisst wurde.
Fatalwäreesaber,wenn jetzt nicht die
richtigen Vorkehrun genfür die nächste
Krise getrof fenwerden. DieVerant wor-
tung dafür liegt bei denUnternehmen.
Denn sie sind es ja, die Produktion im
Übermaßverlager tund Abhängigkeiten
geschaf fenhaben, die wirjetzt beklagen.
DieseVerantwortung erstre cktsichaber
auchauf Aktionäre, diestetsnachdem
größtmöglichenShareholderValue schie-
len und aufKunden, die sichnur am
Preis einesProduktes orientieren.
Über die notwendigeBekämpfungder
Krisensymptome hinausgilt es jetzt, drei
Dingezutun:


  1. Vorstand undgegebenenfallsAuf-
    sichts ratmüssen sicherstellen, dassder
    bisherigeBetrachtungshorizontdes je-
    weiligenChief Risk Officersdeutlic her-
    weiter twird. DiekonventionellenGefah-
    renszenarien wurden offensichtlich zu
    eng gefasst.Eskann ein neues Virus auf-
    treten, oder der erwähntewirklic hgroße
    Cyberangriff tatsächlichstattfinden.
    Oder eskönnen globalpolitische Ausein-
    andersetzungen mit direktenFolgen für
    Produktion undVertrieb eintreten. Das
    sind nur einigeBeispieleunter vielen.

  2. Wirmüssen „Nachhaltigkeit“ neu
    definieren und die bisherigenNarrative
    dazu verän dern. DasFundamentechter
    Nachhaltigkeit (im Sinne der 17 „Sustai-
    nableDevelopmentGoals“ derVerein-
    tenNationen) isteben auchdie Wider-
    standsfähigkeitgegenerwartbar eexter-
    neSchocksin der globalvernetzten Wirt-
    schaft .Diesgiltbesonders für Unte rneh-


men,die unsereGrundbedürfnissebefrie-
digen .Nachhaltigkeit in diesemSinne
solltegemessen undbewertet werden
können, inRankingsveröffentlicht, von
Kunden und Investorenhonoriertwer-
den.


  1. DieVorbereitungen für eine empa-
    thische, zeitnaheund kompetenteKom-
    munikation imKrisenfall müssen aktuali-
    siertund geschär ft werden. Dann
    herrschtnicht Sprachlosigkeit,wenn die
    nächs te Krise eintritt.Der einzigeWeg
    zur BeibehaltungvonVertrauen istscho-
    nungslose Ehrlichkeit überdieFakten.
    Das konfligiert mit demstarken Impuls
    vielerManager,unterkeinenUmständen
    einen Kontroll verlustzuzugebenoderUn-
    sicherheit zu zeigen. Deshalb istdie ge-
    genwärtig eKrise auc hein Charaktertest,
    fürden je weilsVerantwortlichen wi efür
    die ihn umgebendeUnternehmenskul-
    tur. Auchhier wieder:Der angeblich
    „schwarzeSchwan“ hatkeine Schuld.
    Diese dreiVorschlägesind herausfor-
    dernd und mögen lästig erscheinen. Sie
    sind aber notwendig. DieWelt is tdurch
    die Globalisierung in vielerlei Hinsicht
    gestärkt worden.Sie istaber auchverletz-
    licher gewo rden. Die diversifizierte Pro-
    duktion, die schnellereVerbreitungvon
    Nachrichten und Krankheiten,das enor-
    meWachstumderMenschheitfordernih-
    renPreis.Wir müssen bereit sein, besser
    und schneller aufHerausforderungen
    vonaußen zureagieren. Denn nach der
    Krise istvor der Krise.


Christian LawrenceistPartner bei der
BrunswickGroup.

Immobilienboom am Ende
Derlangjährige deutsche
Aufschwungscheint zureißen

KeineÜberwachung
Vermieterdürfennichtzu Spionen
werden. Immobilienurteile.

Nachder Krise istvor derKrise


VonChristian Lawrence

Herr Steinmüller, häufig sind derzeit
Vorhersagen zu hören,denen zufolge
nach der Pandemie quasi eine neueZeit-
rechnungbeginnt. Ändert sich alles?
Ichkenne dieZukunftnicht undversuche
daher in derRegel, in Szenarien zu den-
ken. Allgemein aber gilt:Krisen sind
Trendverstärker, weil sie alteStrukturen
aufbrechen und Prozesse beschleunigen.


Leben wir dann ganz andersals zuvor?
ErinnernSie sic hnoch, als es nachden
Terroranschlägen vom11. September
2001 hieß, diese würden dieWelt für im-
mer ganz grundlegendverändern?Tat-
sächlich ging danachvieles weiter wie zu-
vor, die wirtschaftliche Verflechtung
rund um den Globus, die internationale
Vernetzung der Menschen.Neuetablierte
sichhingegen ein Bedürfnis nachSicher-
heit,genauererKontrolleundÜberwa-
chung,wir sprechen heutevoneiner„Ver-
sicherheitlichung“ vieler Lebensbereiche:
Alles wirdunter Sicherheitsgesichtspunk-
tenbetracht et.Ich kann mir gutvorstel-
len, dassab2020 die „Security“ auchals
„Health Security“ buchstabiertwird,
nicht allein die Gesundheitsversorgung
dauerhaftstärker ausgebautwerden wird,
sonderndas Alltagslebens nochstärker
alsbisher unterderGesundheitsperspekti-
ve betrachtet werden wird.


Also mehr Krankenhäuser?
Mehr Geld jedenfalls für ein Sicherungs-
netz gegenweiter ePandemien zum Bei-
spiel. Gesundheitsgefährdungenwerden
künftig ein zentraler Bestandteil jeder
Diskussion um Sicherheit sein, die bis-
lang ebenvonTerrorismus und militäri-
schen Konflikten dominiertwerden.


Woran denken Sie dabei?
Ganz konkret wäre ichnicht überrascht,
wennin ZukunftandiesenlästigenSicher-
heitsschleusen im Flughafen auchGe-
sundheits-Parameterüberprüftwürden.
Heuteschon führen uns asiatische Län-
der vor, dasseine durchgängigeKontrolle
auf Fieber möglichist. In Zukunftkönn-
tenauchbiochemische Schnelltests–wie
die Sprengstoff-Schnelltests –möglich
sein. Werauffällig ist, wirdzurückgehal-
ten, zumindestohne ärztlichen Attest.
Nein, das istkeine Vision, die mirgefällt.
AberstellenSiesichvor,wirerlebenmeh-
rereWellen vonimmerneuenCorona-Va-
rianten.


Gegenwärtigarbeiten viele Menschen
von Zuhause aus,mussten unzählige Ge-


schäftsreisenabsagen, kommunizieren
überohnehinimmer bedeutenderwer-
dende Internetdienste. SogarPolitiker
auf höchster Ebenenutzen dies anstelle
der sonst üblichenSpitzentreffen. Än-
dertsich da etwas dauerhaft?Fliegen
wir geradeaus beruflichen Gründen
künftig deutlichweniger?
Gut möglich, dassesnachder Pandemie
weniger Geschäftsreisen mit dem Flug-
zeug gibt.Grundsätzlichvertr eteich die
These, dassverstärkt eOnlinekontakte
stetsauchzueinem Wunschnachver-
stärkten physischen Kontakten führen.
Physische und virtuelle Mobilitätgehen
Hand in Hand. Daran wirdsichnichts än-
dern.

Wieso eigentlich?
Weil wir sozialeWesen sind. Als Prima-
tenist uns derWunschnach„Tuchfüh-
lung“ eigen, evolutionär einprogram-
miert. Witziger weise verwenden wir den
Begriff „Face-to-Face“ für den persönli-
chen Austausch, eben nicht für Skype
oder Zoom, wo wir nurvonBildschirm-
Gesicht zu Bildschirm-Gesichtkommuni-
zieren. Eigentlichmüssten wir bei physi-
scher Anwesenheitvon„Body-to-Body“
sprechen.

Privat kann ich das verstehen, aber war-
um ist das geschäftlich so wichtig?
Weil wir auchdae ben anderekörperlich
nah erlebenwollen, kleine Bewegungen
wahrnehmen, merken, ob jemand ver-
krampftist oder nicht, dengesamten Ha-
bitus, inklusiveder meistnicht bewusst
wahrgenommenen olfaktorischen Signa-
le.

Ist das hilfreich, wenn es um klarefunk-
tionaleZiele geht?
Ja. Unddann kommt mancheskulturelle

Spezifikum hinzu:Ausmeiner Erfahrung
mussteman in Osteuropa, um das für Ge-
schäf te notwendigeVertrauen aufzubau-
en, schon kräftig miteinander anstoßen.

Gewöhnen wiruns privat mehrAus-
tausch übermoderne Technologien an?
Gegenwärtig schaffensichauchdie letz-
tenOmas Whatsapp an.Trotzdem wollen
sie ihre Enkelkünftig weiterhin knud-
deln, das istdochklar.Fliegen wirweni-
gerinden Urlaub? Das Bedürfnis danach
zu reisen, raus in dieWelt zu gehen, das
wirdbleiben.

Weil wir Neues erlebenwollen?
Teilweise. DerRentner,der denWinter
seit Jahren auf Gran Canariaverbringt,
will nicht unbedingtNeues erleben, das
warme, sonnigeKlima gehörteinfac hzur
erweiter tenindividuellenWohlfühlatmo-
sphäredazu. Übrigens gelegentlichauch,
um in seiner Altersgruppe mitzuhalten.
Ichbin vorsichtig mit Prognosen, aber ich
würde daraufwetten, dasswir nac hder
Krise unsereLebensstile höchstens mini-
mal, punktuell ändern.

Wächst die Welt näherzusammen,weil
nun allevon derselben Gefahr bedroht
werden und es nicht, wie in der Finanz-
krise, verschiedene Grade der Betroffen-
heit gibt? Und weil sich die Länder un-
tereinander helfen?
Dasis teinSzenario,daspositiveKoopera-
tionsszenario. Das Alternativszenario be-
steht darin, dassdie Welt fragmentiert.
Wersind denn die handelnden Akteure
heute? Die Nationalstaaten. Siegehen
mit der Krise um. Nicht die internationa-
lenOr ganisationenundauchnichtdieUn-
ternehmen.Nach der Krisekönnten die
Nationalstaaten einegrößereRolle spie-
len, vorallem, wenn wir in eine Depressi-
on, in eineZeit der Austerität schlittern.

Gut möglich, dasssichdann Donald
Trumps Kurs,„my nationfirst“, jeder
Staat denkt nur an sich, durchsetzt gegen
die gutealteneoliberaleGlobalisierung
und den Multilateralismus.UndChina
nochmächtiger wird.

Das Ende der Globalisierung?
Der Megatrend Globalisierung istsehr
fest veranker t. Icherwarte nicht, dasses
zu einerweitgehenden Entflechtung,Re-
Regionalisierung derWertschöpfungsket-
tenkommt.Einzelne Produktionenwer-
den sehrwahrscheinlichzurückgeholt
werden, Re-Shoring beobachten wir ja
schon heute. DieKonzentration im Phar-
mabereichhat mic hbisweilen an sowjeti-
sche Verhältnisse erinnert,wo man ganze
Städteumeine Megafabrik errichtete,die
das gesamteLand mit einem bestimmten
Produktversorgten und auf die dann alle
angewiesen waren. So, wie dasteilweise
heutemitmanchen medizinischen Grund-
stoffenund manchen Arzneimitteln der
Fall ist, die aus Indien oder Chinastam-
men. Das istnicht meineVorstellung von
Marktwirtschaft. WenndieseArtvonMo-
nopolismus endete,wäredas durchaus
wünschenswert.

Die marktwirtschaftliche Spezialisie-
rung auch über Ländergrenzen hinweg
macht vieles günstiger.
Dafüristdas Sy stem anfälliger für Krisen,
weniger widerstandsfähig. Das aufextre-
meEf fizienzgetrimmteMusterohneZwi-
schenlager,Speicher,Puffer, in dem
höchs tenFrachtschif fe oder Lastwagen
als eine Artmobiles Lager dienen,stößt
trotzaller Flexibilität an seine Grenzen,
wiewirderzeiterleben.Unte rnehmersag-
tenmir,sie brauchten einstzehn bis 15
Jahre ,umallesaufJust-in-Timeumzustel-
len, den Speckherauszuschneiden–und
nun brauchten sie ähnlich lange, um wie-
der mehr Puffereinzurichten. Ichbin
nicht so sicher,obdas wirklichsolange
dauernmuss. Undfür jede Branche wird
einewirklichvorausschauende,antizipati-
ve Liefer ketten-Planung andersausse-
hen.

Wird dasInternet künftig noch wichti-
ger, dessen Infrastruktur-Eigenschaften
gerade auch in dieserPandemie noch
stärker hervortreten?Alle großen Tech-
Konzerne melden eineintensivere Nut-
zung ihrer Angebote, Amazon beispiels-
weise hat gerade angekündigt, 100 000
zusätzliche Stellen zu schaffen.
Der Megatrend Digitalisierung wirdganz
augenscheinlichdurch die Krise ver-
stärkt, Innovationenwerden –beispiels-
weise auf dem Gebietvon eHealth–be-
schleunigt, überRegulationetwa im Be-
reich vonPrivacy und Datenschutz wird
frisc hnachgedacht.Allerdings hängt der
Fortschrittetwa bei öf fentlichen Investi-
tionen auchdavon ab, ob die Corona-Kri-
se lediglichimgünstigen Szenario eine
kur ze Rezession mit schneller Erholung
erzeugt oder eben imNegativszenario
eine andauernde Depression hervorruft.
Dann geht es auchmit der Digitalisierung
langsamervoran.

Sie sind Zukunftsforscher, haben aber
auch in diesemGespräch schongesagt,
dass Sie die Zukunft nicht kennen. Was
erforschen Sie dann?
Um miteinemWitz zuantworten:Ic hken-
ne dieZukunftnicht, dies aber auf einem
sehr hohen Niveau.

DasGesprächführteAlexander Armbruster.

STANDPUNKT


Wohin geht es für Deutschland in den kommenden Jahren? FotoDiana CabreraRojas

MORGEN


IN IMMOBILIEN


„Wir werden den Stil kaum ändern“


ami. WIEN.Ungarns PremierViktor
Orbán hat langemit einem staatli-
chen Hilfspaket zur Abfederung der
Coronakrisegewartet.Nun hat er ei-
nesvorgelegt,dasnachseinerDarstel-
lung „insgesamt 18 bis 20 Prozent des
Bruttoinlandsproduktes“ ausmachen
soll. Eswäre damit dasgrößteind er
Region. Das Haushaltsdefizitwerde
in derFolgefastdreimal so hochaus-
fallen wiegeplant.Zum Paketgehö-
rendie ÜbernahmevonLohnkosten
bei Kurzarbeit und dieFörderung ar-
beitsplatzschaffender Investitionen in
Höhe vonumgerechnet1,2Milliarden
Euro. Mitstaatlichgarantierten, zins-
subventionierten Krediten von5,
Milliarden Eurowerde man zudem ei-
nen „Neustart“ in Branchen wieTou-
rismus, Gesundheit, Lebensmittelin-
dustrie,Bau-undLandwirtschaft,Ver-
kehrundLogistikbefördern.Auchdie
Rentner sollen profitieren. Sie erhal-
tenvier Jahrelang je eine zusätzliche
Zahlung, die einerWocheRenteent-
spricht.InOrbans Worten:„Wirins tal-
lieren die 13. Monatsrentewieder im
System.“ Zwar müssten Arbeitsplätze
gerettetwerden. „Dochdürfenwir
auchnicht dieRentner vergessen“, so
der Premierminister.

niza. FRANKFURT. Während in
Deutschland immerweniger Geld in
neueWindkraftprojektefließt,istSpa-
nien in punctoAusbau neue europäi-
scheSpitze-unddü rfte esindenkom-
menden Jahren auchbleiben.Das
geht aus einem Marktbericht hervor,
dendieBranchenvereinigun gWindeu-
rope am Dienstagveröf fentlicht hat.
19 Milliarden Eurowurden im Jahr
2019 demnachindie Er richtung neu-
er Anlagen investiert. 2,8 Milliarden
entfielen auf Spanien,wo die Regie-
rung laut neuestenVorhaben einen
Ökostromanteil von74Prozent im
Jahr 2030 mitgroßen Onshore-Aus-
baumengen anpeilt.
Mit Frankreich, Großbritannien,
den Niederlanden und Schwedenfol-
genallesamt Länder ausNordwesteu-
ropa. Deutschland hingegen rangiert
abgeschlagen auf Platz 14. Als Haupt-
grund gilt der hiesigeAusbauein-
bruc hanLand. Nachdem schon im
Jahr 2018 nur 800 Millionen Euroin
neue Onshore-Windräder geflossen
waren, sank dieserWert im vorigen
Jahr nochmal auf 300 Millionen Euro;
in der Boomphase der Jahre2013 bis
2017 warenesjährlic h2,5 bis 3Milli-
arden Euro.

enn. BERLIN.Bundesverkehrsminister
Andreas Scheuer (CSU) erwartet,dass
sichdasVerhalten vonGeschäftsreisen-
dendurch dieCorona-Krisestarkverän-
dert.„BesondersDienstreisen fürkurze
Besprechungen werden vermutlich
nicht mehr wie bisherstattfinden“, sag-
te er derF.A.Z. in einertelefonischen
PressekonferenzamDienstag.„Diedigi-
tale Kompetenz der Leutehat sic hver-
bessert, da isteine Barrieredurchbro-
chen worden.“ Jeder habe jetzt eine
App, die eine Teilnahme an Video-
oder Telefonkonferenzen erlaube. Die
Akzeptanz solcherFormatesei in Un-
ternehmenundPolitikdeutlichgewach-
sen. Diesgelteauchfür sein Ministeri-
um mit den zweiStandortenBerlin und
Bonn.„Es is tklar geworden, dassnie-
mand mehrextra für einen einstündi-
genTermin im Ministerium vonBonn
nachBerlin reisen muss“, sagteScheu-
er.Zuden wirtschaftlichenAuswirkun-
genauf Anbieterwie die Lufthansa
oder die Deutsche Bahnwolltesichder
CSU-Politiker nochnicht äußern.
Abzuwar tensei, ob sichdas Verhal-
tender privat Reisendenändere. Er

schließe eineRückbesinnung auf nahe,
heimische Ziele ebensowenig aus wie
einen großen Nach holbedarfanReisen
nachder Krise.VorReisen undVer-
wandtenbesuchen zu Ostern warnte
Scheuer eindringlich. Aktuellwollteer
sichnicht dazu äußern, ob es zu einer
allgemeinen Schutzmasken-Pflicht in
Verkehrsmittelnkommenwerde.
Scheuerwarb ferner angesichts nicht
mehr funktionierender Lieferketten in
der Autoindustrie für eine „industriepo-
litische Strategie in Europa“. Dassdie
Zulieferer in Italien und Spanien ihre
Produktiongestoppthätten,sei„einech-
tesProblem“ für die deutschen Herstel-
ler.Gebe eskeine europäischen Lösun-
gen, müssten sic hdiese verstärkt Anbie-
teraußerhalb Europas suchen. Scheuer
ließ erkennen, dasserdies angesichts
der Debatteüber eine ausreichende kri-
tische Infrastruktur undVersorgung in
Europa nicht für wünschenswerthielte.
Zugleichzeigteersichfroh,das sdieVor-
produktioninChinawiederangelaufen
sei und bald wieder Schiffe in Hamburg
ankommen dürften. Die Bahn-Gesell-
schaf tDBCargo sei daraufvorbereitet.

Beginntnachder


Corona-K rise wi rklich


eine neueZeit?Fliegen


wir weniger? Endetetwa


dieGlobali sierung? Der


Physiker und


Science-Fiction-Autor


Hein zSteinmüller ist


sich da ni chtsosicher.


Einspekulatives


Gespräch.


Orbans Herz


für Rentner


Spanien


machtWind


Scheuer erwartet Rückgang


vonGeschäftsreisen


ForderungnacheuropäischerZuliefer-Strategie


Benzinmangel inVenezuela


ImerdölreichstenLand werden Tankstellen bewacht


Pandemien sind bekannt;
sie haben einestatistische
Wiederkehrperiode
vonweniger als 25 Jahren.

SEITE 20·MITTWOCH, 8.APRIL 2020·NR.84 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

Free download pdf