Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.04.2020

(Ann) #1
Während Großbritannien um seinen Pre-
mierministerzittert, der am Coronavirus
erkranktistundseit Montagabendauf der
Intensivstation liegt,gerätder Versuchei-
nes Neuanfangs der Labour-Parteiinden
Hintergrund. Erstellt dennoch eine be-
merkenswer te Kursänderung dar.Labour
zieht unter dem neuenVorsitzendenKeir
Starmer einen Schlussstric hunter das
Corbyn-Kapitel. Die Gruppe der linksra-
dikalenUnterstützer desvorigenPartei-
chefsJerem yCorbyn wurdeweitgehend
entmachtet.
DasExperimenteinesCorbyn-Sozialis-
mus, das diePartei seit 2015 prägte und
britischeWirtschaftskreise beunruhigte,
istdamit beendet. Unterdem 70 Jahre al-
tenCorbyn, der diePartei mit einer klei-
nen GruppevonGetreuen, darunter Ex-
Kommunistenund Trotzkistengeführt
hatte, erlitt Labourbei derParlaments-
wahl imDezembereinevernichtendeNie-
derlage. PremierministerBoris Johnson
triumphierte.Die Labour-Parteiwill nun
einenNeustart,dochfällt dieser in eine
denkbar schwierigePhase für das Land
und diePartei.
Wiestark LabourmitderCor byn-Grup-
pe bricht, zeigt das neue Schattenkabi-
nett. Starmer hat eingeschworene Cor-
byn-Unterstützer entfernt, allen voran
den finanzpolitischen Sprecher („Schat-
ten-Schatzkanzler„) John McDonnell, die
graue EminenzvonLabour in den letzten
fünf Jahren. Der 68-jährigeMcDonnell
hattedas sozialistische Wirtschafts- und
Fiskalprogramm vonLabour zurWahl
2019 geschrieben, ein Mann,der einmal
sagte, seine wichtigstenintellektuellen
Einflüsse seien „Marx, Lenin undTrotz-
ki“ gewesen.
Stattseinerwirdnundienochwenigbe-
kanntemoderateAbgeordnete Anneliese
Dodds Schatten-Schatzkanzlerin. Sie
mussdem beliebtenFinanzministerder
Konservativen Rishi Sunak dieStirnbie-
ten, dergerade gewaltigeHilfsprogram-
me gegendie Corona-Krise aufgelegt hat.

Die4 2JahrealteDodds vertrittde nWahl-
kreis Ost-Oxford, sie sitzt erst seit 2017
im ParlamentvonWestminister. Davor
warsie drei JahreEuropaabgeordnete
und arbeiteteals Universitätsdozentin für
„PublicPolicy“. Fürdie Öf fentlichkeit ist
sie ein unbeschriebenes Blatt.AmTag
nachihrer Ernennung sorgtevor allem
für Aufmerksamkeit, dasssie, diegerade
Corona-bedingt im Homeoffice arbeitet,
während einerTV-Videoschalteplötzlich
vonder kleinenTochter überrascht wur-
de, die ins Zimmer spazierte.
Inhaltlichhat sie nochwenig Profil.
Doddsforder te in dem Interview, dassdie
Regierung eine „Exit-Strategie“ aus dem
Corona-Lockdownplane.Außerdem zeig-
te sie Sympathien für höhereSteuernfür
Reiche nachder Corona-Krise, um die
Kosten derRezession zu bezahlen. „Ich
habe schon langefür ein progressiveres
Steuersystem geworben“, sagt sie. Doch
ihreRhetorikklingt nicht klassenkämpfe-

rischwie bei den Corbyn-Leuten, die of-
fendie Enteignung der Superreichen und
die Verstaatlichungweiter Teile derWirt-
schaf tfordern. Dobbs istaber auchkeine
ausgewiesene Corbyn-Gegnerin. Diesen
Rufhat eherRachel Reeves, eine frühere
Mitarbeiterin der Bank of England, die
Starmer nun ebenfalls in sein Schattenka-
binett berufen hat, als Schatten-Kanzle-
rinfür die Duchy of Lancaster(ein Minis-
terium ohne Geschäftsbereich). Einige
Corbyn-Sozialisten wiederverkehrspoliti-
sche Sprecher Barry Gardiner und der
Partei-Geschäftsführer (Chairman) Ian
Lavery müssen ihren Hut nehmen.
Starmer selbst, einKarriere-Jurist, der
erst vorfünf Jahren insParlamentkam,
hat sichals Br exit-Gegner einenNamen
gemacht .Der 57 JahrealtebisherigeBre-
xit-Schattenministerhat das Labour-Ma-
nifes tunterschrieben,dasfür weitreichen-
de Verstaatlichungen und einen „Green
NewDeal“ plädierte.Die innerparteili-

chehartlinkeBewegung „Momentum“
will ihn nun auf diesen programmati-
schenKurs festnageln. MancheRadikale
träumen angesichtsderstaatlichenReakti-
on auf Coronagarvon einem „Kriegs-So-
zialismus“, bei dem derStaat Unterneh-
men übernimmt und die Produktionsteu-
ert. Dochsehen Beobachter eher,dass
Starmer in die Mitteschwenkt.Schon
jetzt gibt es KlagenvonLinksaußen, dass
Starmer zu zahm ohne Bissauftre te.
Nach dem EndevonCorbynkommt
überrascht Ed Miliband zurück, Corbyns
Vorgänger an derParteispitze, der nach
der schwerenWahlniederlagevon Labour
2015 abtretenmusste.Starmer hat Mili-
band als Schatten-Ministerfür Wirt-
schaft, Energie und Industrie berufen.
Der Labour-Linken um Corbyngalt er als
zu gemäßigt;beispielsweiseforderte die
Parteiin seinerZeitnur einemoderateEr-
höhungdes Mindestlohns auf8Pfund bis


  1. Da habenihn dieKonservativen
    überflügelt .Der als „Red Ed“ bekannte
    Miliband bereiteteinseiner Zeit aller-
    dings schon eine Öffnung derPartei nach
    linksund dieAbkehr vonBlairs„NewLa-
    bour“ vor.
    Vondeneingefleischtensozialistischen
    Corbyn-Anhängernbleiben nurwenige
    im Schattenkabinett übrig. CorbynsFavo-
    ritin alsNach folgerin,Rebecca Long-Bai-
    ley, die als Schatten-Energieministerin
    die Verstaatlichung quasi des ganzen
    Energie- undVersorgungsbereichsvorbe-
    reiten wollte,darfnunfürBildungspolitik
    sprechen. Insgesamt gibt es viele eher un-
    erfahrene LeuteinStarmersMannschaft.
    Sein Schattenkabinett wirdsichschwer-
    tun, aus dem Schatten zu treten–zumal
    nun die gesamteAufmerksamkeit auf
    demerkrankenPremierunddessen Regie-
    rungruht.„S chreck lichtraurig eNachrich-
    ten“, twitterte der Oppositionsführer in
    Reaktion auf dieNach richt, das sJohnson
    in der Intensivstation liegt.„Die Gedan-
    kendes ganzen Landes sind mit dem Pre-
    mierministerund seinerFamilie in dieser
    Keir Starmer FotoAFP unglaublich schwerenZeit.“ ppl.


D


er Milliardärkommt auf dem
Fahrrad. Auch wenndie Sonne
am Ufer desRoten Meeres die
Temperatur schon außerhalb
des Sommersauf bis zu 30 Grad treibt,
scheut Samih Sawiris die Limousine. Das
Radfahren hat aus seiner Sicht denVor-
teil, das sermit den Menschen ins Ge-
spräc hkommt.Trotz seinesVermögens
und desvonihm aufgebautenUrlaubsim-
periums istder 63 JahrealteUnterneh-
mer sehr nahbargeblieben.Ständig winkt
ihm jemand zu, ergrüßt zurückoder hält
an. Gesprächspartner bittet er mitunter
zur Fahrtauf seiner Privatjacht aufs
Meer.Dann verstummt das Smartphone,
an dem er sonstinstetigem Wechsel Ge-
spräche auf Arabisch, Englischund
Deutschführt.
In El Gouna, dervonihm geschaf fenen
Ferienstadt in Ägypten, is terder Chef
über mehr als 200.000 Gäste,die sic him
Jahrin 19 Hotels mit fast 2800 Bettenein-
quartieren, und über mehr als 20000 Bür-
ger, die diekünstlicheStadt zu ihrer ers-
tenoder zweiten Heimatgemacht haben.
Straßen, Stromleitungen, Kanalisation,
Recyclinghof und der Flughafen–alles
aufdem 14 MillionenQuadratmetergro-
ßen Areal istprivat, vomRestÄgyptens
durc heinen langen Zaungetrennt .Bürger-
meisterwill sic hSawiris dennochnicht
nennen lassen. Das erspartÄrger mit Be-
hördenvertretern.Die lassen ihn aber
meistgewähren, weil es für dieWirt-
schaf tand erkargenKüstedesRotenMee-
resgut is t. Sawiris nennt sichselbst
„Städtebauer“. Das istunverfänglich.
WaserEnde derAchtziger Jahremit
dem Kauf eines Landstreifens mit Sand
und Geröllbegann, den sonstniemandha-
ben wollte, hat er amgegenüberliegenden
Ufer desRotenMeeres inTaba, im Emirat
Rasal-Khaimah, im Oman,inMontene-
ground im Schweizer BergdorfAnder-
mattwiederholt.Erbautmitderbörsenno-
tiertenOrascomDevelopmentHoldingUr-
lauberstädte. Nebenbei istermit seinem
PrivatvermögenzumBaumeistereinesRei-
seimperiumsgeworden. Sawirisstrebt nun
dieMehrheitamMünc hnerReiseveranstal-
terFTI an, der in der Corona-Krise inNot
geraten ist. Das Unternehmen, an demer
schon zu einem Drittel beteiligt ist, soll
weiter Urlauber in seineHotels schleusen.
Ein Zusammenbruchvon FTIwäre auch
zum Schaden für ihn. Eine 75-Prozent-
Mehrheit an der Muttergesellschaftvon
DeutschlandsnachStandortengrößten
Reisebüro-VerbundRTKhält er ebenso.
Sawiris hat einen Bezug zu Deutsch-
land und sprichtfließend deutsch. Sein

Vaterschickt ihn auf die Deutsche Evan-
gelische Oberschule inKairo. DasWirt-
schaftsingenieur-Studiumabsolvierte er
in Berlin, dieTechnis cheUniversität hat
mit seinerUnterstützung eineAußende-
pendance in El Gouna bekommen.Vor
dem Eingangsteht eineFigur des Berli-
nerBären,wiesieinderdeutschenHaupt-
stadt zuhaufzusehenist. InÄgyptenwur-
deseineFamilieimmerwiederkritischbe-
äugt .SeinVatermusstenacheinerEnteig-
nung neu anfangen. Alle in derFamilie
sind koptische Christen. Beim BauvonEl
Gounagehörte für Sawiris einekoptische
Kirchedazu. Den ägyptischen Militär-
diensthat Samih Sawiris auchnie absol-
viert. Grund dafürwaraber eine Muskel-
verletzung. Deshalb hält er sichauf dem
Fahrradfit,längereStrec kenjoggenkönn-
te er nicht.
Im Geschäfthat Sawiris einen langen
Atem. Keine seinerFerienstädte is tend-
gültig fertig, immer wiederwirderweitert
wie inrealen Siedlungen.Künstlich er-
scheinende Betonburgenlehnt er ab.
Auch durch herbeRückschläg elässt er
sichnicht vomeingeschlagenenKurs ab-
bringen. InÄgyptenbrachte voreinigen
Jahren der Umbruc him„Arabischen
Frühling“ denTourismusvorübergehend
fast zum Erliegen. In Andermatt sollten
rund um einen ehemaligen Truppen-
übungsplatz sechs Hotels, 42 Apparte-
menthäuser,25Villen sowie ein Golf-

platzund eineKonzert- undKongresshal-
le entstehen. Nach anfänglichemWider-
stand gelang es demwagemutigenUnter-
nehmergleichsam im Handumdrehen die
Einwohner vonseinemkühnen Vorhaben
zu überzeugen. Dabei halfen ihm sein
Charisma und seine joviale Art. Sawiris
istein hemdsärmeligerTyp, derstetslä-
chelt, wenn er spricht, undstatt Kr awatte
das Hemdweit of fenHemd trägt.Der In-
vestor is tder Gegenentwurfzum glatten
Finanzhai, den man ausWall-Street-Fil-
men kennt.
Das Milliardenprojekt in den Alpen
bremsten dann nochdie Finanzkrise und
die Erstarkung des Frankens, Umwelt-
schutzauflagen und Planungsfehlerverzö-
gerten den Ausbau des Skigebiets. Nicht
wenigeimOrtunkten, dasssichder Ägyp-
terzurückziehen und eine Invest itionsrui-
ne hinterlassen würde. Nichts dergleichen
geschah:„Ichhaue nichtab.Warumauch?
Im Übrigenbin ic hdazu viel zustur“, sag-
te er vorvier Jahren im Gesprächmit der
F.A.Z. Daskann er sichauchleisten. Die
Familie istzueiner der reichsten Ägyp-
tens aufgestiegen. Das „Forbes„-Magazin
schätztederen Vermögen auf mehr als 20
Milliarden Dollar.ImSommervergange-
nen Jahres eröffnete Sawiris sogar mit ei-
nem Konzertder Berliner Philharmoniker
die versprocheneKonzerthalle. Sowolle
er verhindern, dassAndermatt in der Zwi-
schensaison zu einer Geisterstadt werde,

gabder ambitionierte Hobby-Pianistsei-
nerzeit zu Protokoll.
Dochnun is tder Or tgenau das: eine
Geisterstadt.MitteMärzmusste das mit
130 MillionenFranken aufgedonnerte
Skigebiet wegender Corona-Krisekom-
plett schließen.EineWochespäter sperr-
te auchSawiris ́ Luxushotel „The Che-
di“ die Pfortenzu. Die Einnahmeverlus-
te inmitten der Hochsaisonsindbeträcht-
lichund werden dievonSawiris kontrol-
lierte BeteiligungsgesellschaftOrascom,
dieseit JahrenVerluste macht,weiter be-
lasten.
„Ichhabe Erfolg, weil ic haus Krisen
lerne“, sagteSawiris einmal. Eine seiner
Lehren aus dem MassakervonLuxor ,das
1997 denTourismus inÄgyptenzum Er-
liegen brachte,war, den Kredithebel in
seinen Investitionen nicht bis zum An-
schla gdurchzudrücken.Sofernsichderri-
sikofreudigeTausendsassa danachauch
tatsächlichandiese selbstaufges tellteRe-
gelgehaltenhat, könnteerdie derzeitige
Durststreckewohl überstehen. ZurNot
könnte derVatervon fünf Kindern,der in
zweiter EhemiteinerEcuadorianerinver-
heirat et ist, auchseine BrüderNassef und
Naguibanzapfen,diealsUnternehmer ih-
rerseits ein Milliardenvermögen ange-
häufthaben. DieFamilie Sawiris gilt als
Ägyptens Rockefeller.
TIMO KOTOWSKI
JOHANNES RITTER

MENSCHEN UND WIRTSCHAFT


tko.FRANKFURT.DürfenUrlauber
wegenausfallender Reisen mit Gut-
scheinenstatt Bar geld abgefundenwer-
den -imStreit um die Entschädigung
für Kunden in der Coronakrise gibt es
eine neueWendung. Der Düsseldorfer
Reiseveranstalter Alltourshat deutlich
gemacht, sichnichtanderAuseinander-
setzung zubeteiligen.Alltourskündigte
an, sämtlicheZahlungen für abgesagte
Reisen bis zum 30. April zu erstatten.
ErsteRückzahlungensollten schon am
Dienstagfließen. Dabei würden zu-
nächs tKunden ihr Geld bekommen,
vondenen dieReisepreise per Last-
schrif teingezogenwurden.Eingegange-
ne Überweisungen würden schrittweise
nachgeplantemReisedatum bearbeitet.
Die Branchehattezuletzt vorge-
bracht, nicht alleReisenerstatten zu
können ,daUnternehmenvorher das
Geldausgehe. DieZahlungenvonKun-
denbefändensichvielfach nichtmehr
in denUnternehmenskassen,sondern
seien scho nanFluggesellschaften
oder Hoteliers weiter gereicht .Daher
istdas Rätselraten nungroß,wie sich
Alltours dieErstattungsaktion leisten
kann. Ob dasUnternehmenStaatshil fe
beansprucht hat, istbislangnichtbe-
kannt .InBranchen kreisen istzuhö-
ren, das sAlltoursgerad eeine größere
Steuerrückzahlung erhalten haben soll
-für die nach einemUrteilde sBundes-
finanzhofs über J ahrezuviel gezahlte
Gewerbes teuer. Das dürftesichmin-
destensauf einenhöheren zweistelli-
genMillionenbetragsummieren. All-
tourswaram Dienstagdazu nicht zu er-
reichen.

EinGutachten, mitdemder Deut-
sche Reiseverban d(DRV) argumen-
tiert,schätztfür diegesamte Branche
die Erstattungen auf3,5 Milliarden
Euro,unter derAnnahme, dass ab Mit-
te AprilwiederReisen stattfinden.Das
scheint aber ausgeschlossen. DerDRV
hatte sichdaher zuletzt fü reine Gut-
scheinlösungstarkgemacht.Urlauber
sollensoneuePauschalreisenimglei-
chen Wert erhal ten. Werbis Ende
2021bucht, solltesein Geldzurückbe-
kommen.Die Bundesregierung hatte
nach erstemZöger nden Vorschlag
übernommen,stößtaber auf Beden-
kender EU-Kommission.Die pocht
darauf, dassdie eur oparechtlichvorge-
sehene Erstattungsfristvon 14Tagen
eingehaltenwird.
In der Urlaubsbranche wäch st im
Gutscheinstreit derUnmut.Auchder
DRVhatteursprünglichnicht zuvor-
derst das Sonderrechtfür Gutscheine
verlangt. "Ein Schutzschirmfür die Rei-
sewirtschaftist dringend notwendig.
DiePolitikis tgefordert,dieUmsatzaus-
fälle mit einer Beihilfeauszugleichen",
sagteDRV-Präsident NorbertFiebig
vorknappdreiWochen.Gutscheinegal-
tendamals alsNotinitiative. Dochnach
Informationen derF.A.Z. bedeutete der
Bund, dergebeutelten Branche nicht
mit der Beihilfebeispringen zuwollen.
Dänemarkging diesenWegund stockte
den dortigenReise-Garantiefonds mit
einemStaatskredit auf, damitUrlauber
Geld zurückkommen. Andersals bei
Gutscheinideen hattedie EU-Kommis-
sion nichts dagegen einzuwenden.

bü. DÜSSELDORF. N udeln,Reis,
Mehl oder Zucker:Das ganz große
Hamstern istnachEinschätzungvon
BernhardSimon vorüber. "Die meisten
Vorratsschränkeund Keller scheinen
voll zu sein", sagteder Vorstandsvorsit-
zende der Logistikgruppe Dachser.Der
größtedeutsche Lebensmitteltranspor-
teur berichtet dafür über einesteigende
Nach frag enachhöherwertigen Frisch-
produkten. Auchder Verbrauchvon
haltbarenLebensmitteln seiweiterhin
ungewöhnlichhoch, weil derAußer-
Haus-Verzehr weitgehendweggefallen
ist. "Die Mengen haben sichauf einem
neuen Niveau eingependelt", sagteSi-
mon. Der BedarfanTransport- und La-
gerkapazität liegeteils um einViertel
über demVorkrisen-Stand. Die Bran-
chekomme damitvorläufig gut zu-
rech t,dieLieferketteninderLebensmit-
tellogistik funktioniertenreibungslos.
Dabei hilftder starke Rückgang der In-
dustrielogistik.Weil sehr vielweniger
Material in dieFabrikengeschaf ft wird
und weniger neueAutosund Maschi-
nen zu transportieren sind, seien trotz
derallgemeinenPersonalknappheitvor-
erst nochgenügend Lastwagenfahrer
verfügbar.Während Dachser in der Le-
bensmittellogistik in diesen Wochen
größereMengenzuwächseverzeichnet,
geht es bei den Industriegüternsteil
nachunten. Besonders betroffensei
das GeschäftinSpanien undFrank-
reich, wo rund die Hälfte der Transpor-
te weggefallen seien.
Simon mahntedie Branche, in der
Krise zusammenzuhalten.Wenn Logis-
tikunternehmen oder Marktkettenjetzt
versuchten, dieNotvon unterbeschäf-
tigtenFuhrunternehmenauszunutzen,
seidies "dasschlechteste Signal,dasses
in dieser Lagegeben kann". Neben fai-

renPreisen seienkurzeZahlungsfristen
wichtig, um die Liquidität derTrans-
portunternehmen zu sichern. Simon
verlangte aucheinen anderenUmgang
mit denFahrern, denen an den Lade-
stellen aus Angstvor Ansteckungen oft
sogar die Benutzung einerToilett ever-
botenwird. "Die Art, wie dieFahrer be-
handeltwerden, is tunwürdig", sagteer.
Für eine Entwarnung auf derPersonal-
seitesei es zu früh.Durch Reisebe-
schränkungen und Quarantäneaufla-
genfür Fahrer aus Osteuropakönnten
sichraschneue Engpässe auftun, sagte
Simon.
Nach 16 Jahren an der Spitze desFa-
milienunternehmens mit knapp 31 000
Mitarbeiternund zuletzt 5,66 Milliar-
den EuroUmsatz will er 2021 in den
Verwaltungsratwechseln. Sein letztes
Jahr alsVorstandsvorsitzenderkönnte
eines der schwierigstenwerden. Mit ei-
ner auf 57,5 Prozentgestiegenen Eigen-
kapitalquote ste ht dasUnternehmen
mit Hauptsitz inKempt enim Allgäu so-
lide da. Die Corona-Krise werdewie
schon in denvergangenenWochen vor
allemaufdasIndustriegütergeschäf tso-
wiedie Luft-und Seefracht durchschla-
gen, während die Lebensmittellogistik
möglicherweise weiter zulegenkönne.
Sie warschon im vorigenJahr der
Wachstumsmotormit einemUmsatz-
plus von5,1 Prozent auffast eine Milli-
arde Euro,wobei der Zuwachszum
größten Teil aus Preiserhöhungen
stammte.ImübrigenStraßengütertrans-
portgingesum2,4Prozentauf 3,63Mil-
liarden Euroherauf. In derLuft-und
Seefracht schrumpfte das Geschäftin-
folgeder allgemeinenKonjunktur-
schwäche und der handelspolitischen
Spannungen um 4,1 Prozent auf 1,14
Milliarden Euro.

Samih Sawiris FotoReuters

Labour sagtAdieu zum Corbyn-Sozialismus


Ägyptens Rockefeller


smo. FRANKFURT.Ineiner derweni-
genÜbernahmeprozesse, die durch die
Corona-Krise eher begünstigt wird,
gibt es eineVorentscheidung:Über den
Desinfektionsmittelhersteller Schülke
verhandelt die Beteiligungsgesellschaft
EQT jetztexklusiv mit dem französi-
schen GasekonzernAir Liquide, wie
beide Seiten am Dienstagmitteilten.
Schülkestellt Hygienemittel her,wel-
chedie meistenBürgeraus den Spen-
derninKrankenhäusern, Arztpraxen
und anderswokennen. Produktnamen
sind Desderman, Octenisept, Kodan
und andere. Den jüngstenverfügbaren
Zahlen zufolgeliegt der Jahresumsatz
bei 335 Millionen Euro. DasUnterneh-
men istsogar Erfinder desweithin be-
kannten Desinfektionsmittels Sagro-
tan. Es verlor diese Marke aber imZuge
zweierEigentümerwechseli ndenneun-
ziger Jahren, sie liegt nun beiReckitt
Benckiser.
Air Liquide hatteden Verkaufspro-
zess imvergangenen Jahrvorbereitet,
als vomneuen Coronavirus nochkeine
Rede war. Durch die Krise istdie Trans-
aktion in denVordergrund gerückt, der
Eigentümer hat demVernehmen nach
deswegen seine Preiserwartungen er-
höht (F.A.Z.vom27. März). Das Pro-
jekt is tmindestens Hunderte Millionen
Euroschwer, Angaben zum Preis wur-
den nichtgemacht, es soll jedochum
900 MillionenEurogehen. Zwischen
dem Eigentümer einerseits und den In-

teressenten anderseits sollen sichdie
Diskussionen zuletztdarumgedrehtha-
ben,obder jetzterhöh teBedar fanDes-
infektionsmitteln dauerhaftbleibt-was
den Gewinn und damit denKaufpreis
beeinträchtigt.AlsBie terwurdendieFi-
nanzinvestoren PAI, Ardian und EQT
gehandelt, das skandinavische Private-
Equity-Haus istnun als alleiniger Inter-
essentverblieben.WiederIn vestor mit-
teilt, speisterdie Transaktion aus sei-
nem Fonds EQT VIII, dessen Mittel
nachAbschlussder Transaktion zu 70
bis 75 Prozent investiertsein werden.
Als Finanzberater fungieren Goldman
Sachs und Deloitte. Air Liquide hatte
die In vestmentbank JP Morganmanda-
tiert. Die Transaktionstehe unter dem
Vorbehalt, dasseine endgültigeVerein-
barungmitEQT un dGesprächemitAr-
beitnehmervertretern nochabzuschlie-
ßen seien,teilteAir Liquide mit.Auch
müssten Kartellbehörden zustimmen.
Schülkemit SitzinNorderstedtbeschäf-
tigt 1250 Mitarbeiter undvertreibt sei-
ne Produkteinmehr als 100 Ländern.
Air Liquide hatteSchülkeinden
neunziger Jahren erworben, als Indus-
triekonzerne ihreProduktportefeuilles
nochverbreiterten, um Geschäftsrisi-
kenzustreuen. Heuteforder tder Kapi-
talmarkt das Gegenteil: DieUnterneh-
men sollen sichdemzufolgeauf ein Ge-
bietkonzentrieren, imFall Air Liquide
das Gasegeschäft. Nach heutigen
Maßstäben gilt Schülkeindem Kon-
zerndaher alsFremdkörper.

Nach dem großen Hamstern


Dachser siehtstabile Lieferketten


Sami hSawiris willFTI


vordem Untergang


bewahren .Damit sichert


derwagemutige


Millia rdär sein eigenes


Touristikgeschä ft ab.


Finanzinvestor willHersteller


vonDesinfektionsmittelnkaufen


Schülkesoll an EQTgehen


Alltourserstattet Reisen


Absageandas umstrittene Gutscheinmodell


SEITE 24·MITTWOCH,8.APRIL 2020·NR.84 Unternehmen FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

Free download pdf