Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.04.2020

(Ann) #1

D


eutscheUnternehmen undRe-
gierungen, die dieserTage in
China Gesichtsschutz-Masken
bestellen wollten, müssen eine
Grundregelbeachten,weißMaklerMicha-
el Crotty aus Schanghai:„Wer nicht das
tut, wasder Fabrikantverlangt, istraus.“
Sehe er auf seinemKontokeine Über-
weisung aus Deutschland mit 50 Prozent
der Kaufsumme alsVorkasse, gebe es mit
dem Maskenproduzenten erst garkeinen
Deal, sagt Crotty im Gesprächmit der
F.A.Z.„Is tdieandereHälfte nicht beiFer-
tigstellung überwiesen,werden die Mas-
kenaus Chinagarnicht losgeschickt.“
Aufträgefür zwei Millionen Gesichts-
masken hat der Makler in denvergange-
nen Wochen beichinesischen Produzen-
tenfür ausländische Käufer plaziert.
Dochwas in denvergangenenTagenlos
ist, kann Cr otty,der aus denVereinigten
Staaten stammt, seit 16 Jahren Geschäfte
inChina macht undimVorstandderame-
rikanischen Handelskammer in Chinas
Wirtschaftsmetropole Schanghaisitzt,
kaum nochbewältigen. „Seit letzterWo-
chefliegen dieAufträgeaus demAusland
hereinwieverrückt.WasimMasken-Han-
del abgeht, istWahnsinn.“
Dass die Bundeswehr am Sonntag in
Berlin zwei Millionenchinesischer Mas-
kenablieferte,die aus demReichder Mit-
te am Flughafen Leipzig/Halle angekom-
men waren, wardem Senateine eigene
Pressemitteilungwert.„GuteNachrich-
ten“, jubelteder Regierende Bürgermeis-
terMichael Müller (SPD)auf Twitter.
Nach dem in denTagendavorbericht et
worden war, dassMasken in der Haupt-
stadtknappwerden,sollensielautSenats-
kanzlei nun an „Krankenhäuser,Pflege-
heime,Polizei und andereEinrichtun-
gen“ verteilt werden.
Masken sind in der Corona-Pandemie
zur heißgehandeltenWährunggewor-
den,das habennichtnurdie200 000Mas-
kengezeigt, die aus unerklärlichen Grün-
den am Flughafen in Bangkok abhanden
kamen und nicht in Berlin landeten. In-
nensenatorAndreas Geisel (SPD) hatte
den VereinigtenStaaten vorgeworfen, die
Maskenkonfisziertzuhaben –offenbar
fälschlicherweise.
Die französischeRegierung hatteauch
inder vergangenenWocheVorwür fe erho-
ben, dassdie Amerikaner nochauf dem
Flugfeld für andereLänder bestimmte
Maskenkonfisziertenoder einfacheinen
drei- bis vierfach höheren Preis böten.
Derweil beschuldigtedieschwedischeRe-
gierungFrankreich, eine für Italien und
Spanien bestimmteLieferung über vier
MillionenMaskenkonfisziertzuhaben,

die vomHersteller Mölnlycke aus Göte-
borgstammten.Zu guter Letzt hat die
Schweiz wiederumdem deutschenZoll
vorgeworfen,einefürdieEid genosse nbe-
stimmteMaskenlieferungtagelangfestge-
halten zu haben.ZumindestinHamburg
warenamWochenendeTausende Mas-
kenaus Chinaangekommen, diederFlug-
zeughersteller Airbus über eineLuftbrü-
ckemit Zwischenstation inToulouse aus
dem Reichder Mittegeholt hatte.
Während außerhalb Chinas an vielen
Ortender Welt die Angst vorder Anste-
ckung mit dem Coronavirus dieFabriken
zum Stillstand gebracht hat, sind Masken
zum neuen Ölgeworden. Undgefördert
wirddas hauptsächlichinder Volksrepu-
blik,dievorzweiMonatennochunterei-
nem eklatanten Mangel darangelitten
hatte. China hatteschon vorAusbruch
derViruskrise dieHälfte aller Masken auf
der Welt her gestellt.Laut of fiziellenSta-
tistikenkauftedasLandindener stenWo-
chen, nachdem die zentralchinesische
Stadt Wuhan unter Quarantänegestellt
worden war, zudem imAusland knapp 60
Millionen Masken undAtemschutzgerä-
te,während viele Länder wie Deutsch-
land und AmerikaMasken als Spenden
nachChina schickten. Als Covid-19 Ende
JanuarimReich der MitteLeben und
Wirtschaf tfastvollständig zumStillstand
brachte,verzwölffachte si edagegen die
ProduktionvonMasken.
Für die Steigerung sindweniger tradi-
tionelleMaskenproduzentenwieda same-
rikanischeUnternehmen 3Mverantwort-
lich, das diese in Schanghai herstellt und
wo auchdie kanadische Medicom drei
Millionen Masken amTagfertigt .Essind
vorallem chinesische Betriebe aus allen
möglichen Branchen, die dem Schlacht-
rufderRegierunggefolgtsind, sichmital-
len Mitteln in den„Volkskrieg“gegendas
Viruszuwerfen.
Schon am 27. Januar zogetwa der Win-
delhersteller Daddy Babyaus der Ostküs-
tenprovinzFujiandieHälfte seinerBeleg-
schaf tabund ließ siefortan Maskenferti-
gen. Knapp zweiWochen später lag seine
Produktionskapazitätschonbei1,4Millio-
nen Stück.
Am 3.Februar stellteder Schanghaier
Textilfabrikant MercuryHome innerhalb
von48Stunden zehnFertigungsbänder
auf die Produktion vonMasken und
Schutzkleidungum. EineWochespäter
teilteder Autohersteller BYDaus Shenz-
hen mit, dasserfortanMasken anstatt
Elektrovehikel herstelle. Auch das chine-
sisch-amerikanischeGemeinschaftsunter-
nehmenvonGeneral Motors und SAIC,
daszuvorindersüdlichenProvinzGuang-
xi Chinas meistverkauftesAuto, den
KleintransporterWuling baute, begann
mit der Maskenproduktion–MitteMärz
teiltedas Unternehmen mit, esstifte der
chinesischen Bevölkerungvonder her ge-
stellten Mengesechs Millionen Stück.
Werein Paketwolle, müsse sichnur über
die App des Herstellersbewerben.
Da galt in China nochein Exportver-
botfür Masken wie nun in Deutschland
und Amerika. Mittlerweile is tdie Kurve
derCoronavirusinfektionen nachoffiziel-
len AngabenPekings jedoch starkabge-
flacht .Während dasVirusnun denWes-
tenlahm legt und denWert vonChinas
ExportenimAprilundMailaut Schätzun-
genbis zu 45 Prozentgeringer ausfallen
lassenkönnteals imVorjahr,kommen

jene Unternehmen, die auf Maskenpro-
duktion umgestellt haben, mit ihrenAus-
fuhren insAusland garnicht mehr nach.
Joyson Electronic aus derStadt Ningbo
naheSchanghaietwa hatvorderKriseAu-
tohersteller in allerWelt mitFahrassis-
tenzsystemen undUnterhaltungselektro-
nik beliefert, die in 300Fahrzeugmodel-
len steckenund von50000 Mitarbeitern
auf derganzen Welt gefertigt wurden.
AnfangFebruar stellteauchdieses Un-
ternehmen auf Masken um. Ein befreun-
deterHersteller lieferte zwei gebrauchte
Produktionslinien nachNingbo und half,
die Fertigung zustarten. EineWoche spä-
terliefen statt Elektronikbauteilen zum
automatisiertenFahren die ersten Mas-
kenvom Band.
Die Umst ellung sei nicht zu schwerge-
wesen, berichtet Unternehmenssprecher
Zhang Chuanqing im Gesprächmit der

F.A.Z.SchonvordenMasken seidieElek-
tronik fertigung instaubfreien Räumen
mit sehr hohem Reinheitsgraderfolgt.
Weil dasUnternehmen Niederlassungen
überall auf derganzen Welt besitze, habe
man sichfrüh um eine CE-Kennzeich-
nung für die Masken bemüht, die den
Richtlinien der EuropäischenUnion ent-
spricht.Auchdie amerikanischenZertifi-
zierungsanforderungen der FDAerfüll-
tendie Masken.
Mittlerweile liegt die Produktionskapa-
zität bei 800 000 Masken amTag, bald
will derAutozuliefererauchN95-Masken
herstellen, die selbstkleinste Pa rtikel aus
derLuftfilter nundvomPersonalinKran-
kenhäuserngetragenwerden. Bis heute
hat Jo yson nacheigenen Angaben mehr
als fünf Millionen Masken nachDeutsch-
land, Spanien, Italien und in andereLän-
der exportiert.

In Deutschland hat derKonzerninden
vergangenen Jahren die Preh-Gruppe im
fränkischen BadNeustadt an der Saale
übernommen,weiter eKäufeinder Bun-
desrepublikwarendie Robotikfirma IMA
und der Lenkradhersteller Quin. Am An-
fang habe man nur Masken für die Mitar-
beiter in den Niederlassungen in 30ver-
schiedenen Ländernauf derWelt her stel-
len wollen, sagt Sprecher Zhang. „Damit
Profit zu erzielen, daran hatten wirgar
nicht gedacht.“
Auch jetzt wolle man mit der Masken-
produktionvorallem derWelt bei der Be-
kämpfung der Pandemie helfen, auch
wenn das sogarnichts mit dem ursprüng-
lichen Autozulieferergeschäftzutun
habe. Aber das sder Autoabsatz inChina
und imRest der Welt eingebrochen ist,
seit die Menschen zu Hause bleiben müs-
sen, dürfteJoysons Entscheidung, Mas-
kenzuexportieren,vermutlichnicht er-
schwerthaben.
„Chinas Maskenproduzenten sitzen
nun auf einmal amSteuer“, sagt Crotty.
Früher hätten dieKäufer dieKonditionen
bestimmt und die erstemickrig eRatege-
rade mal nach60Tagen überwiesen.
„Jetzt gibt es darübergarkeine Verhand-
lungen mehr“, sagt Crotty.„Der Produ-
zententscheidetgänzlichalleine, ob erei-
nen Auftrag annimmt oder nicht.“
Händler aus Deutschland berichteten
der F.A.Z., dasschinesische Produzenten
nacherfolgreichen Preisverhandlungen
tagelangmitderÜbermittlungvonfürdie
Einfuhrnotwe ndigen Dokumentenzöger-
ten, „nur um den Preis dann um 25 Pro-
zent anzuheben.“ Dann bleibe nur noch,
die Verteuerung an die Endkunden in
deutschenUnternehmen und Kranken-
häusernweiterzugeben oder das Ge-
schäf tplatzen zu lassen.
3,86 Milliarden Masken habe China
seit dem Beginn des Märzin50verschie-
dene Länderexportiert, behauptete die
Regierung inPeking am Sonntag. Schutz-
kleidung, Ventilatoren und Co-
vid-19-Testseingerechnet,käme dieAus-
fuhraufeinenGesamtwertvon10,2Milli-
arden Yuan (1,3 Milliarden Euro).
Ein gutes Geschäft, auchwenn es in ei-
nigenFällen Kundenbeschwerden hagel-
te.Soerklärte die niederländischeRegie-
rung, 600 000geliefer te Masken aus Chi-
na seien nutzlos,weil sie nicht den Quali-
tätsstandards entsprächen.Auch vonden
Philippinen, aus Kroatien, derTürkei und
Spanien wurde Kritik an aus Chinagelie-
ferten Masken und anderem medizini-
schem Schutzmaterial laut.
PekinghatdieVorwürfestetszurückge-
wiesen.DerFehler liegenichtin derFerti-
gung in China, sonderninder falschen
Nutzungder Masken. DerWesten solle
die Masken aus derVolksrepublik nicht
„politisieren“.
Dassauchder engeVerbündetePakis-
tanmit seiner Maskenlieferung aus China
nicht ganzzufriedenwar, obwohlihmChi-
nas Präsident Xi Jinping erst im Oktober
die „unzerbrechliche und felsenfeste“
Freundschaftversprochen hatte, sagte
der Sprecher desPekingerAußenministe-
riums freilich nicht .Die Masken made in
China, die eigentlichfür den Gebrauchin
einemKrankenhaus in Karatschi be-
stimmt waren, seien aus einemganz be-
sonderen Material gefertigt gewesen, be-
hauptete der pakistanischeNach richten-
sender NBTVineinem Filmb eitrag: näm-
lichaus „Unterwäsche“.

Teures Gut:Schutzmaskeaus China FotoReuters

tko. FRANKFURT. Die Corona-Kri-
se führtzum vorzeitigenAusfür die
Lufthansa-Tochter gesellschaftGer-
manwings. „Der Flugbetrieb der Ger-
manwings wirdbeendet“,teilteder
Konzernmit.Der Schritt istTeil ei-
nes Sparprogramms, das der Vor-
stand der DeutschenLufthansa am
Dienstagbeschlossen hat,nochbevor
Diskussionen über eine mögliche
Staatshilfezum Abschlus sgekom-
mensind.AußerdemverkleinertLuft-
hansa die Flotte, indem Flugzeuge
nicht bloßvorübergehend geparkt,
sondernstillgelegtwerden. Betroffen
davonsind unter anderem sechs
GroßraumjetsvomTyp A380.Nach
Einschätzung desVorstands werdees
„Monate dauern,bisdieglobalenRei-
sebeschränkungenvollständig aufge-
hoben sind.“ Bis dieglobale Nach fra-
ge nachFlugreisen wieder demVor-
krisen-Niveau entspreche, würden
Jahrevergeben.
Voreinem nahen EndevonGer-
manwingshattendieFlugbegleiterge-
werkschaf tUfo und die Pilotenverei-
nigung Cockpit seitTagengewarnt.
Weil für nahezu alle Konzernteile
Vereinbarungen zurKurzarbeit ge-
schlossen wurden,nicht aberfür Ger-
manwings, sahensie dasAusder Be-
triebseinheit schon als ausgemachte
Sache an.Nunsind ihreBefürchtun-
genbestätigt.OhnehinwollteLuft-
hansadenGermanwings-Betrieb ein-
stellen, dierund 30 Flugzeugeflogen
nicht mehr unter der eigenen Marke,
sondernwareninderEurowings-Flot-
te eingegliedert. Um dieProfitabilität
zu erhöhen, sollteEurowings in
Deutschland auf einen Betriebkon-
zentriertwerden, ohne die mit höhe-
renPersonalkostenarbeitende Ger-
manwings. In der Coronakrise wird
dieser Schritt im Eiltempovollzogen.
Dabei istnicht fest ausgemacht,
dassalle Beschäftigten ihre Anstel-
lung behalten, denn auchEurowings
soll schrumpfen.Vorallem das Euro-
wings-Langstreckengeschäft, für das
der Konzernseit längerem an Alter-
nativen arbeitet und das schonkom-
merziellvonderMuttermarke verant-
wortet wird, wirdverkleinert. „Für
alleMitarbeiter,dievondemRestruk-
turierungspaket betrof fensind, gilt
weiter das Ziel, möglichstvielen eine
Weiterbeschäftigunginnerhalb der
LufthansaGroup zu bieten“, teilte
der Konzernmit.Zur Sicherung „von
möglichstvielen Arbeitsplätzen“ soll
es zügig mit Arbeitnehmervertretern
Gesprächeüberneue Beschäftigungs-
modellegeben.
Auch das Ausfür sechs A380-Flug-
zeugefolgt einem Plan, der nun be-
schleunigt wird.Lufthansa hattemit
Airbus schonvereinbart, diese Flug-
zeuge2022 an den Hersteller zurück-
zuver kaufen. Solangewill man nicht
mehrwarten. In derKonzernflotte
bleiben nur nochachtExemplaredes
größtenPassagierflugzeugs derWelt.
Insgesamt sollen in deutschen Be-
triebseinheitendesKonzerns42Flug-
zeugedauerhaftaus dem Betriebge-
nommenwerden.

„Der Masken-Handel istWahnsinn“


„Du


musst


auch


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können.“


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Er be herrschtdie
Kunst, im Int erview
guteFragenzu stellen,
wieka umei nanderer:
F.A.Z.-Redakteur
Timo Frasch.

Lufthansa


schließt


DieWelt braucht Germanwings


Masken.China stellt sie


her–und verkauft sie


ausschließli ch per


Vorkasse zu hohen


Preisen insAusland.


VonHendrik


Ankenbrand, Schanghai


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Unternehmen MITTWOCH,8.APRIL 2020·NR.84·SEITE 25

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