Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.04.2020

(Ann) #1

SEITE N2·MITTWOCH,8.APRIL 2020·NR.84 Naturu nd Wissenschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


AlexanderBelow, 62Jah realt,mussein-
kaufen gehen, docherfürchtetsichund
verlässt nur nochunger ndie Wohnung.
HerrBelow, der seit einem Schlaganfall
körperlic heingeschränkt ist, fühlt sich
durch die Medienberichte zum Corona-
virus, die leerenStraßen und Regale
an seine Kindheit erinnert. Die innere
Sicherheitwarnicht gegeben, die Auto-
nomieeingeschränkt undderAlltagvon
Unsicherheit und Angstgeprägt .„Nun
scheint sichall das zu wiederholen.Ich
habe Angst, ausgeplündertzuwerden –
nochmehr alsvoreiner Infektion“,sagt
HerrBelow. Durch Hamsterkäufesind
die Rega le im Geschäftleer.Nun gibt es
nur nochdie teureren Produkte, die
HerrBelowsichmitseinerErwerbsmin-
derungsrenteselbstamMonatsanfang
eigentlich nicht leistenkann. DieTafel,
welche er bisherstetsbesuchte, um sei-
neVersorgungmitLebensmittelnsicher-
zustellen, hatgeschlossen.
Viele Jahrehat Her rBelowals Haus-
meistergearbeitet, bis es seine Gesund-
heit nicht mehr zuließ.Wieaus dem
Nichtsseierimmerwiedermitbeängsti-
gendenBildernausseinerKindheitkon-
frontiertworden. Inzwischen istklar:
HerrBelowleidetunter einer posttrau-
matischen Belastungsstörung und De-
pressionen, einhergehend mit Suizidge-
danken.Über seinen Suizidversuchim
Alter vonzwanzig Jahren habeseineFa-
milie damals nurgelacht.
Um mitseiner Situation besser zu-
rechtzu kommen, befindet sichHerrBe-
lowinpsychotherapeutischerBehand-
lung .Die persönlichenGespräche sind
ihmsehrwichtig.DochaufgrunddesCo-
ronaviruskann ihm seine Psychothera-
peuti nnur no ch Telefonate anbi eten.
Auch seinFacha rztfür Ps ychiatrie bietet
nurnochtelefonischeSprechstundenan.
Das TelefonierenfälltHerrn Belo wje-
doch auße rordentli ch schwer.Die Mi-
mikundGesti kdesGe genübe rsnichtse-
hen zukönnenverun sicher tihn stark.
Häufigsuchtererfolglosnachdenrichti-
genWorten. Deshalbwirderzuw ichti-
genTerminengernevon seiner Bezugs-
betreuerindes Ambulant Betreuten
Wohnensbegleitet.Dieregelmäßigenge-
meinsamenTermin egebenihm Sicher-
heit undStruktu r, insbesondere in per-
sönlichenKrisenzeiten.Bishertrugauch
dieTages stätte, welche Herr Belo wtäg-
lichbesuchte, zu seinem Sicherheits-
undWohlbefinden bei. Doch diese
bleibt für unbestimmte Zeit geschlo ssen.
EbensowiedasnahegelegeneCafé,wel-
ches He rrnBelowstets da sGefüh lver-
mittelte,irgendwiedazuzugehören.
HerrBelowist froh,dasssichbeimam-
bulan tenBetreuungsdienst noch nicht
allz uviel veränder that.Seine Bezugsbe-
treue ringebeihm Hoffnungund zei ge
ihm, dass er noch handlungsfähigsei,
undholeihninverzweifeltenMomenten
ausseine rOhnmacht.Aber auch sie
sprac hbereits vonschwereinzuhalten-
den Sicherheitsabständen undTelefona-
tenzur Überbrü ckung der Krisenzeit.
Viele der Isolationsmaßnahmen ha-
ben einschneidendeAuswirkungen auf
die Lebenslageund die Lebensqualität
chronischpsychischerkrankter Men-
schen. Bei vielen führtCovid-19 zuver-
mehrterSorge und seelischer Instabili-
tät.Aufgrund der Schließung wichtiger
sozialer Einrichtungen, wie beispiels-
weise derTagesstätten, derWerkstätten
für Menschen mit Behinderung sowie
der Kontakt- und Beratungsstellen, ver-
lierendieseMenschenwichtigeMöglich-
keiten derTagesstrukturierung und des
regelmäßigenAustausches mit anderen.
Beides führtimZusammenspiel mit
dem derzeitiggeltendenKontaktverbot
zu einerVerstärkung der ohnehinsehr
häufigen sozialen Isolation undVerein-
samung psychischkranker Menschen.
Der persönlicheKontakt zu dem meist
kleinenFreundes- und Bekanntenkreis
droht durch das Kontaktverbotnun
ganz abzubrechen.Viele Menschen mit
psychischen Erkrankungen verfügen
aufgrund vongesundheitlichen oderfi-
nanziellen Einschränkungen auchnicht
über die Möglichkeit, aufgemeinsame
Telefonateoderalternative Kommunika-
tionsmittel zurückzugreifen.

Selbstbestimmung
erhalten
Umsowichtigerwirddiezuverlässige
Unterstützung durch soziale Dienste,
wie jene des Ambulant BetreutenWoh-
nens. FürpsychischerkrankteMen-
schen istdiese Hilfeformwichtig,weil
sie die Menschen darin unterstützt, ihre
Interessen (wieder) eigenmächtig und
selbstbestimmt vertreten zu können.
Die Förderung vonAutonomie und
Selbstbestimmungsteht imFokusdes
professionellen Handelns.
DieBetreue r, meis tSozialarbeiter, ste-
hen den Klienten hierfür in allen Belan-
gendes täglichen Lebens als zuverlässi-
gerund vertrauensvoller Ansprechpart-
nerzurSeite.Daserklärende,ent-lasten-
de und selbstreflektierende Gespräch,
die wertschätzende Beratung und Psy-
choedukation, gehören ebenso zur
Dienstleistung wie die Begleitung psy-
chischerkrankter Menschen zu Ärzten
undBehörden.Derkontinuierliche,per-
sönliche Austausc herscheint in der ak-
tuellen Situation als besonderswichtig.
Denn viele Klienten fürchten eine im-

menseVerschlechterung ihres Gesamt-
befindens,wenn die Corona-Krisewei-
teranhält.
Das Empfinden innerer Anspannung
steigt.DieMöglichkeiten,dieseAnspan-
nung durchAktivitäten zu reduzieren,
sind gleichzeitigbegrenzt.Längstnicht
alle Menschen mit psychischen Erkran-
kungen verfügen über ausreichend
Kraft, um mit den neuenUmständen
selbstbewusst und kreativ umgehen zu
können .AuchÄngste,dieindenvergan-
genen Monaten durchregelmäßiges
Training reduziertwerden konnten,
scheinen nun wieder zuzunehmen.
Gleichzeitig erfordertdieSituation, sich
mutig mit Befremdlichem,Neuem und
vielleicht auchmit der Unsicherheit an-
derer auseinanderzusetzen. Fürviele
durch psychische Krankheit belastete
Menschen wirdmomentan jedoch
schon der Einkauf zum Hürdenlauf:
Wasist zu beachten?Wieurteilen die
Menschen über mich,wenn ic hetwas
falsch mache?Werdeich mit den Ein-
käufen überhauptsicher nach Hausege-
langen? Eng verbunden mit diesen
Ängsten sind Sorgenüber den mögli-
chen Verfall dergesellschaftlichen Mo-
ral und vorweiteren wirtschaftlichen
Einschränkungen.

Verbändenfehlen
Rücklagen

Nicht wenigefürchten zudem eine Zu-
nahmevonhäuslicher Gewalt in den ei-
genen vierWänden, denn der eigene
Wohnraum istmeistklein und beengt.
WichtigeTermine bei derPaar-, Famili-
en- und Suchtberatung, die der Gewalt-
anwendungvorbeugenkönnten, entfal-
len oderwerden aufgrund des Infekti-
onsschutzes für unbestimmteZeit nur
nochinFormvonTelefongesprächenan-
geboten. Konflikt eund Auseinanderset-
zungenkönnen dadurch nicht mehr in
gleicherWeise wie bisherfachlichbe-
gleitet und reflektiertwerden.Füreini-
ge Klienten sind dieFachkräf te des Am-
bulantBetreutenWohnen sdanndieei n-
zig verbleibendenvertrauensvollen An-
sprechpartner.
Um dieKlienteninallen Lebenslagen
effektiv unterstützen zukönnen, sind
die Sozialarbeiter auf die engeKoopera-
tion mit anderen sozialen Dienstleis-
tern angewiesen. Dies sind zum Bei-
spiel dieWerkstätten für Menschen mit
Behinderung, dieTagesstätten, die All-
gemein- undFachärzt esowie dieKon-
takt- und Beratungsstellen. Ein Groß-
teil dieser sozialen Hilfensteht gegen-
wärtig, aufgrund entsprechender Erlas-
se, jedoch nicht zurVerfügung.
Insbesonderedie freienWohlfahrts-
verbände leiden unter der Corona-Krise
und der notwendigen Schließung der
vonihnen bereitgestellten Hilfsangebo-
te.Dennander salskommerzielleAnbie-
terdürfensie kaum finanzielleRückla-
genbilden. KleineregemeinnützigeIn-
stitutionen und Vereine sehen sich
durch Covid-19 sogar in ihrer Existenz
gefährde tund drohen bei derVersor-
gung psychischerkrankter Menschen
gänzlichwegzufallen.
DasSozialschutz-PaketderBundesre-
gierung soll auchsoziale Dienstleister
undEinrichtungenunterstützen.Diege-
planten Maßnahmen undfinanziellen
Hilfen sind jedoch nicht ausreichend,
um auf die erheblichen Auswirkungen
vonCovid-19 auf die Gruppe derchro-
nischpsychischerkrankten Menschen
angemessen reagierenzukönnen.Um
sozial schwachen, psychischund of tzu-
sätzlich körperlic herkrankten Men-
schen dauerhafteine zuverlässigever-
trauensvolle undvomUmfang herange-
messene Hilfegewährleisten zukönnen,
werdendringendweiter efinanzielleHil-
fenbenötigt.
ZurSicher stellung der Hygienemaß-
nahmenundzurVerringerungdesInfek-
tionsrisikos sowohl fürFachkräfte als
auchKlienten müssen Desinfek-
tionsmittel, Atemmasken und Hand-
schuhe in ausreichender Mengevorrätig
sein. Ferner muss eine zuverlässigeund
moderne technische Ausstattung zur
Verfügunggestellt werden, um sowohl
den Fachkräften als auchden Klienten
regelmäßigeTelefonateundVideokonfe-
renzen ermöglichen zukönnen.Nurso
kann die Aufrechterhaltungder profes-
sionellen Beziehunggewährleistet, die
notwendigeZusammenarbeitallersozia-
len Dienste zumWohle der Klienten si-
chergestelltund Isolationsowie Suizida-
lität vorgebeugtwerden.
Ferner mussfür Kinder,deren Eltern
aufgrund vonpsychischen Einschrän-
kungen schnell an ihreBelastungsgren-
ze kommen, einekurzfristig zurVerfü-
gung stehendeNotbetreuung eingerich-
tetwerden.Weiterhin benötigen diesta-
tionären psychiatrischen Einrichtungen
finanzielleUnte rstützung, um diejeni-
genMenschen angemessen auffangen
zu können, für die die ambulanten Hil-
fenaufgrund vonCovid-19 und den da-
mit verbundenenFolgen zurzeit nicht
mehr genügen.

JenniferPeschmannistSozialarbeiterin und
wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für
Sozialwesen,UniversitätKassel.

ReinhardLindneristPsychiater und
Professor für soziale Therapie am Institut für
Sozialwesen,UniversitätKassel.

„Lucys“ trägesGehirn


Der Australopithecus afarensis, zu dem
das berühmteFossil Lucy gehört, besaß
offensichtlichein af fenähnlichesGehirn,
dessenWachstumsgeschwindigkeit aber
eherder des späteren Homo sapiens ent-
sprach. Damitwaren dieNachkommen
dieserUrmenschenvermutlichlangeauf
die Fürsorge ihrer Elternangewiesen.
Der Australopithecusafare nsis besitzt
eineSchlüsselstellungimStammbaum
derHomininenund is tvermutlichder
Vorfahrealler späterenVertr eter.Philipp
Gunzund SimonNeubauervomMax-
Planc k-Institut fürevolutionäreAnthro-
pologie in Leipzigund ihr eKolle genver-
muten, dasssein langsames Gehirn-
wachstum die Grundlage für die spätere
Hirnstrukturund das Sozialverhalten des
Menschengelegt hat,auchfürunserelan-
ge Kindheit.Weildas Gehirn nicht ver-
steinert, basieren die Schlussfolgerungen
auf dendreiMillionen Jahre alten Ge-
hirnabdrückeninden fossilen Schädeln
vonachtIndividuen. Eineswarein Kind.
An dessen Gehirnabdr ückenwurde das
verzöger te Wachstum festgemacht .Er-
schienensind die Ergebnisse in derFach-
zeitschrift„Science Advance“. hka.


Killerzellen helfen Embryo


Dienatürlichen Killerzellen des Immun-
systemsbeseitigennichtnurinfizierteZel-
len,sondernsorgenimerstenTrimesterei-
ner Schwangerschaftauchdafür,dassder
Embryo im Bauchder Mutter heran-
wächst.Eine chinesische Arbeitsgruppe
um HaimingWeivon derUniversität He-
feizeigt in der neuenAusgabe derFach-
zeitschrift„ScienceTranslational Medi-
cine“, wie dies bei Mäusengelingt.Eine
spezielle Gruppe dieserZellenbildetof-
fensichtlichein Pr otein mit demNamen
PBX1,dasdieSynthesevonwachstumsför-
dernden Botenstoffen induziert. Fehlt die-


ses Protein, entwickeln sic hdie Embryo-
nen der Maus nichtrichtig. Gibt man den
schwangerenTierenentsprechendeKiller-
zellenmitPBX1insBlut,gehtdieEntwick-
lung weiter.Frauen ,die aus bisher unge-
klärten Gründen immer wieder eineFehl-
geburterlitten haben, bilden offensicht-
lichauchzuwenig oder defektes PBX1.
Der Mangel an diesemProte in könnte
demnacheinwichtigerMarkerfürdasRisi-
ko wiederkehrenderFehlgeburtensein. Al-
lerdings sindweitereUntersuchungen nö-
tig, um diese These zu erhärten. hka.

Infrarote Lichtquanten
Eine neuartigeLichtquelle für die abhör-
sicher eQuantenkommunikation hat eine
Forschergruppe aus Deutschland, Eng-
landundJapanentwickelt.DieQuellepro-
duziertingroßer Zahl verschränktePaare
vonPhotonenindembislangnichtzugäng-
lichenSpektralbereichvon zwei Mikrome-
tern.Damit istesnun möglich,verschlüs-
selteDaten auf Basisvonverschränkten
Lichtquanten zuverlässig auchamTag
überweiteStreckenzuübertragen.Infraro-
te Photonen in diesemWellenlängenbe-

reichwerden vonatmosphärischen Gasen
nicht sostarkabsorbiertund können sich
unges törtausbreiten.Daskommtderkünf-
tigen satellitengestützten Datenübertra-
gung zugute, bei der einzelne Photonen
großeDistanzeninderErdatmosphärezu-
rücklegenmüssen,schreibenMatteoCleri-
ci vonder Universität Glasgowund seine
Kollegenin „ScienceAdvance“ .Diebishe-
rigenPhotonenquellen liefernLichtteil-
chen vorallem im nahen Infrarotbereich.
Diese erlauben die Übertragung von
Quantenschlüsseln überwiegend nur
nachts.Nunwill man die Lichtquelle mi-
niaturisieren. mli

Mode alsUmweltsünde
Die Modeindustrie istfür zehnProzent
derglobalenUmweltverschmutzungver-
antwortlichunddamit der zweitgrößtein-
dustrielleUmweltsünder nach der Luft-
fahrt–dasrechnenzumindestinternatio-
nale Forscher um KirsiNiinimäkivon
der finnischenAalto-Universität in ei-
nemReviewin„NatureEarth &Environ-
ment“vor. 92 MillionenTonnen Abfall
würden demnachvon der Modeindustrie

jährlichproduziertund 1,5Billionen Li-
terWasser verbraucht.Die gegenwärti ge
Geschäftslogik sei aufein ständiges
Wachstum vonProduktion undVerkäu-
fenausgerichtet, so wohl diePro duktion
als auchder Konsum vonMode müssten
sichdaher ändern, mahnen dieForscher.
DerÜbergang zu einem System „langsa-
merMode“sei abe rnicht einfach :„Kun-
den müssen Modestärker als ein funktio-
nales Produktstatt al sUnterhaltungver-
stehenund bereit sein, mehr zu bezah-
len,umfür die Umwelteinflüsse von
Mode aufzukommen.“ sian

Die Gefühle der Mäuse
Freude, Ekel, Schmerz,Unwohlsei nund
Angs tlasse nsich auch in den Gesichtern
vonMäusen ablesen. Das berichtet eine
ForschergruppeumNadine Gokollavom
Max-Planck-Institutfür Neurobiologie in
Martinsried in „Science“. DieWissen-
schaftlerhabenfür ihreGesichtsaus-
druc ks-AnalyseKünstliche Intelligenz
verwendet, die an Bildern derMäusege-
sichter trainiertwurde. Mitspeziellen
Reizen, etwa zucker- oder salzhaltigem
Trinkwasser,haben sie die unterschiedli-
chenEmotionenausgelöst. MitdenAlgo-
rithmenkonnten sie daraufhin im Bruch-
teil einer Sekunde die Intensität undArt
einerEmotion imjeweiligenGesichtsaus-
druc kder T iere ermitteln.Parallel dazu
ließe nsichdie dafürrelevanten Neurone
mit Zwei-Photonen-Mikroskopenidenti-
fizieren. jom

Erratum
In unserem Artikel „Der schale Duftder
Chemie“ (F.A.Z.vom1.April) wurde ein
falsches Datum angegeben: Seit dem 19.
Dezember (nichtSeptember) 2018 darf
ImidaclopridindergesamtenEUnurnoch
in Kulturen eingesetztwerden, die bis zur
Freude, Angst, Ekel–bei MäusenimGesichtsausdruckablesbar FotoMPI Neurobiologie/Kuhl Ernt eineinemGewächshaus bleiben.

D


ie im Pariser Klimaab-
kommengesteckten Zie-
le zurVerringerung der
Konzentrationvon Koh-
lendioxid(CO 2 )inder At-
mosphärelassen sichnur
durch eine KombinationvonMaßnahmen
erreichen. Dabei spielt neben der drasti-
schenReduzierung der Emissionen auch
die langfristigeSpeicherung des Treib-
hausgases imUntergrund eine wichtige
Rolle. Während es in Deutschland nach
dem Abschlus sder ArbeitenamCO 2 -Test-
speicherimbrandenburgischenKetzinder-
zeit kein lau fendes Speicherungsprojekt
gibt,wirdinandere nLändernaktiv an der
SequestrierungvonKohlendioxid unter
Tage gearbeit et.InI sland beispielsweise
wirdKohlendioxid im Rahmen eines
Großprojekts in das Gestein einer vulka-
nischbesondersaktiven Region einge-
speist.Eine internationaleForschergrup-
pe hat nun untersucht, wie gut das Gas im
Untergrund gebunden ist. Sandra Snaeb-
jörnsdottir und ihreKollegenwarenüber-
rascht, wie schnell das Gaschemisch mit
dem Basaltgestein reagiert.
Das Ziel jederCO 2 -Speicherung unter
Tage istes, dasTreibhausgas auf Dauer
dem Kohlenstoffkreislaufzuentziehen
unddamitdessenKonzentrationinderAt-
mosphärezuverringern. Zurzeit gibt es
weltweit achtzehnGroßprojekte,ind enen
jeweils jäh rlichmindestens 400 000Ton-
nen Kohlendioxid in tiefeGesteinsschich-
tengepumpt wird. Die meisten dieserPro-
jektehängen direkt mit der Produktion
vonRohöl zusammen.Kohlendioxid wird
dabei in ein Erdölreservoir gepumpt,mit
dem Effekt, dassdas Öl aus den Gesteins-
porengepres st wird.Während derfossile
Energieträger an die Erdoberfläche geför-
dertwird, verbleibt das Gas im Gestein.


Obwohl es auf demTestgeländevon
KetzinniemalseineÖl förderun ggab,wur-
de dortebenfalls eine inetwa 650 Meter
Tiefeliegende, sehr poröse Gesteins-
schicht alsCO 2 -Speicher angebohrt. Die-
ser Sandstein wurdevoretwa220 Millio-
nen Jahren imZeitalter desKeupersabge-
lager tund befindetsichunter einer mehr
als 150 MetermächtigenTonschicht. Die-
ser Tondichte tdie darunter liegenden
Schichten ab undverhindertdamit, dass
das in denUntergrund gepumpteKohlen-
dioxid entweichenkann. Typischfür sol-
cheSpeicherungsverfahreninSedimentge-
steinen ist, dassdas CO 2 in denPorenfest-
sitzt, jedoch nicht signifikantchemisch
mit dem Gestein reagiert.
Völlig andersverhält es sichdagegen,
wenn dasTreibhausgasinGesteine inji-
ziertwird, dieKalzium- oder Magnesium-
ionenenthalten. Die Metallionenreagie-

renmit demCO 2 un dverbinden sichdabei
zuKalkspat,DolomitoderMagnesiumkar-
bonat.Diese Mineralienexistieren im tie-
fenUnter grund selbstüber langegeologi-
sche Zeiträume. DasKohlendioxidkann
deshalb für viele Millionen Jahreunter
Tage gebundenbleiben.Weilvulk anisches
Basaltgesteinbesondersviele Bestandtei-
le enthält, die mit inWasser gelöstem CO 2
reagieren, hat man auf derVulkaninselIs-
land einen Großversuchunternommen,
das Treibhaus in basaltigeGesteinsforma-
tionen zu pumpen.
Dieses Experimentfindetamdrittgröß-
tenGeothe rmalkraf twer kder Welt in Hel-
lisheidi im SüdwestenIslandsstatt.Dort
wirdzunächstjenes Kohlendioxid abge-
schieden, das mit demvomvulkanischen
Untergrund erhitzten Grundwasser an die
Erdoberfläche gefördertwird. Anschlie-
ßendpumpt man das Gasin eineetwa500

Meter tiefeBasaltschicht.Um zu überprü-
fen,wasmitdemeingepumptenKohlendi-
oxid geschieht,ist diese Basaltschicht im
Laufe der vergangenen Jahremehrmals
angebohrtworden
Die Geologen um Sandra Snaebjörns-
dottir ,die Leiterin einesvonisländischen
Energieversorgern und vonder Universi-
tätvonIslandsowievonmehrerenUniver-
sitäten inFrankreichund denVereinigten
Staaten betriebenenForschungsprojektes,
haben nun die bei den verschiedenen
Bohrungen gesammelten Gesteinsproben
untersucht. Wiedie Forscher in der
Zeitschrift„NatureReviews Earth and
Environment“(doi: 10.1038/s43017-019-
0011-8) berichten, hatteder größte Teil
desindenUntergrund gepumptenKohlen-
dioxids überraschend schnell mit dem Ba-
saltgestein reagiert.
Nach nur zwei Jahrenwaren über
90 Prozent des injiziertenGases fest im
Gesteingebunden.InderNaturlaufensol-
cheMineralisationsvorgängeerheblich
langsamer ab undkönnenZehntausende
vonJahren dauern. Ähnlichrasche Mine-
ralisationsraten wurden auchbei einem
vergleichbarenFeldversuchinder Nähe
vonWallulaimamerikanischen Bundes-
staatWashingtonentdeckt.Dortwurdeal-
lerdingskein aktives vulkanischen Gebiet
angebohrt. Vielmehr wurden etwa
1000 TonnenKohlendioxidineinemächti-
ge Basaltschichtgepumpt,die voretwa
zehnMillionen Jahrendie Region als Flut-
basalt überschwemmthatte. Die jüngsten
Ergebnissedieser Feldversuche in Island
unddenVereinigtenStaatenmachendeut-
lich, dassesdurchaus möglichist,das
Treibhausgas schnellund langfristig unter
Tage zu binden und so der Atmosphäre zu
entziehen.

Corona-Verlierer sind


dieseelisc hKranken


DieSicher stellungder sozialenDienste istinGefahr


VonJenniferPeschmannund ReinhardLindner


Basaltgestein prägt dieVulkanlandschaftinHellisheidi, im Hintergrund ist das Geothermalkraftwerkzuerkennen. FotoGolli Thorbjornsson


Wissen inKürze


Verwandlung


im Untergrund


In Island macht man Ernstmit dem Klimaschutz.


DortwirdKohlendioxid inKarbonateverwandelt


und auf dieseWeise unschädlichgemacht.


VonHorst Rademacher

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