Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.04.2020

(Ann) #1

KampfumWien


Nach offiziellerdeuts cher Lesartist
Wien zwar nureine großeund wich-
ti ge Stadt in „Südostdeutschland“.
Aber das an diesemTag gemelde te
Eindringen sowjetischerTruppen in
die ös terrei chischeHauptstadt mar-
kiertdocheinen wichtigen Punkt in
diesem Krieg.Der wirdbesonders
vonsowjetischer Seitehervorgeho-
ben. Schon am 6. Aprilhatteder ört-
liche Oberbefehlshaber,Marschall
Tolbuchin, einenAufruf an die Be-
völkerungWienserlassen. Darin be-
tont er ,dassdie sowjetischenTrup-
pen nicht dieAbsicht hätten,öster-
reichis ches Staatsgebietfür die So-
wjetunion zu erobern. Vielmehr
gehe es ausschließlichdarum ,die
„deutsch-faschistischenTruppenzu
vernichten“.Tolbuchin trittauch
„Gerüchten“ entgegen,wonachMit-
gliede rder nationalsozialistischen
Partei getöte twürden .Zwarwerde
die NSDAP aufgelöstwerden .Ihre
einfachen Mitgliederwürden aber
nicht behelligt, „sofernsie sic hzu
den sowjetischenTruppen loyalver-
halten“.Der Marschallruftzuverein-
tenAnstrengungen auf, um dieZer-
störung derStadt durch die Deut-
schen zu verhindern.Auf keinen Fall
solltendie Be wohner den Aufrufen
der Deutschenfolgen und dieStadt
verlassen. EineEvakuierung erleich-
tere die Zerstörung.


Dänen undNorweger


ziehen Bilanz


AusAnlas sdes be vorstehendenJah-
rest ages derBesetzung ihrer Länder
im Jahr1940 veröffentlichen derDä-
nischeFreiheitsrat und der norwegi-
sche König Haakon Proklamationen.
Darinkündigensie diebaldig eBe-
freiung an undliste nVerluste an
Menschenauf,die beide Länder
durch die deutsche Besatzung erlit-
ten. Seit der Besetzun gseien 1600
Dänen undNorweger ums Lebenge-
kommen. 36000 befänden sichin
deutschen Konzentrationslagern
oder Gefängnissen.Norwegen erin-
nertan320 Landsleute, dieauf-
grund deutscher Gerichtsurteilehin-
gerichtet wordenseien. Die materiel-
len Zerstörungen in beiden Ländern
summierten si ch auf vi ele hundert
Millionen Kronen. An Besatzungs-
kosten seienfür Dänemark7,5 Milli-
arden,für Norwegen 12 Milliarden
Kronen angefallen. InSchwedenhät-
tenbeide Länderwährend des Krie-
geseinigetausendPolizisten ausge-
bildet.Diese würdenimFall einer
Besetzung durch die Alliiertenmit
diesen zusammenarbeiten.


„Sowjetunion respektiert


die Kir che“


Der Metropolit derGriechis chen Or-
thodo xenKircheinA merik aberich-
tetinNew York über das,waserfür
dieLageder Kir cheind erSowjetuni-
on hält. Dort habe sichvielesverän-
dert. Die Menschenseienvonsowje-
tische mPatriotismus durchdrungen.
Die Kirchesei „einig und frei“ und
werdevon den sowjetischen Behör-
den respektiert.PolitischeAusfälle
gegendie Sowjetunion in den
Kirchen seien allerdings nicht zu-
lässig.
Während also in der Sowjetunion
offenbar alles gut ist, kritisiertder
Metropolit die katholischeKirche
scharf. Dieversuche nämlich, den
Faschismusvordem Untergangzu
retten .Plötzlic hhabe sie ihreFrie-
densliebe entdeckt.Sie rufe zuErbar-
men und Menschenliebegegenüber
demFaschismusauf. DieseFriedens-
lieb ehabe man zum Beispielwäh-
rend des SpanischenBürgerkrieges
vermisst,als die „faschistischen
Freunde“ der katholischen Kirche
Frauenund Kindergetötet hätten, so
der Metropolit. pes.


FrankfurterZeitung
Gründungsherausgeber ErichWelter †

VERANTWORTLICHE REDAKTEURE:für Innenpolitik: Dr.JaspervonAltenbockum; für
Außenpolitik: Klaus-DieterFrankenberger;fürNachrichten: Dr.RichardWagner,Andreas
Ross (stv.); für „Zeitgeschehen“:Dr.ReinhardMüller;für „Die Gegenwart“: Dr.Daniel De-
ckers; für Deutschland und dieWelt:Dr. AlfonsKaiser;fürPolitik Online: AndreasRoss; für
Wirtschaftspolitik: HeikeGöbel;fürWirtschaftsberichterstattung: JohannesPennekamp;
fürUnternehmen: Sven Astheimer;fürFinanzen: Inken Schönauer;fürWirtschaftundFi-
nanzen Online:AlexanderArmbruster, Christoph Schäfer;für Sport:Anno Hecker, Peter
Penders(stv.); für SportOnline:TobiasRabe; fürFeuilleton: Hannes Hintermeier,Sandra
Kegel, JakobStrobelySerra(stv. ); für Literatur und literarisches Leben: Andreas Platthaus;
fürFeuilletonOnline: Michael Hanfeld;für Rhein-Main-Zeitung: Dr.Matthias Alexander,
ManfredKöhler (stv.).


FÜRREGELMÄSSIG ERSCHEINENDEBEILAGEN UNDSONDERSEITEN:Berufund
Chance:NadineBös;Bildungswelten: Dr.h.c. HeikeSchmoll;Der Betriebswirt: Georg
Giersberg;DerVolkswirt:Maja Brankovic;Die Lounge: JohannesPennekamp; Die Ord-
nung derWirtschaft: HeikeGöbel;Forschung und Lehre: Thomas Thiel;Geisteswissen-


schaften:PatrickBahners; Immobilien: Michael Psotta; Jugend schreibt:Dr. UrsulaKals; Ju-
gend undWirtschaft:Lisa Becker;Kunstmarkt:Dr.Rose-Maria Gropp; Medien: Michael
Hanfeld; Menschen undWirtschaft: PhilippKrohn;Natur undWissenschaft: Joachim Mül-
ler-Jung;Neue Sachbücher:Helmut Mayer; Politische Bücher:Dr.PeterSturm;Rechtund
Steuern: Corinna Budras;Reiseblatt:Freddy Langer;Staat undRecht: Dr.ReinhardMüller;
Technik und Motor: Holger Appel.
Bildredaktion:Henner Flohr;ChefinvomDienst:Dr.Elena Geus;Grafische Gestal-
tung:HolgerWindfuhr (ArtDirector), Benjamin Boch(stv.);Informationsgrafik:Tho-
mas Heumann.
DIGITALE PRODUKTE:CaiTorePhilippsen (verantwortlicher Redakteur),KaiN.Pritz-
sche (Redaktionsleiter),RobertWenkemann (ArtDirector).
GESCHÄFTSFÜHRUNG:Thomas Lindner (Vorsitzender), Dr.Volker Breid.
VERANTWORTLICHFÜRANZEIGEN:Ingo Müller.
AnzeigenpreislisteNr.80vom 1. Januar 2020 an; fürStellenanzeigen:F. A.Z.-Stellen-
markt-Preislistevom1.Januar 2020 an. Internet:faz.media
HERSTELLER:Andreas Gierth.
MONATSBEZUGSPREIS: Inland:AbonnementFrankfurterAllgemeine Zeitung
69,90€; einschließlichFrankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 76,90 €.Abonnenten
dergedruckten Zeitunglesen für einenAufpreisvon10,00€die digitalenAusgaben

derF. A.Z. undFrankfurterAllgemeinen Sonntagszeitung. Darinenthalten istaußerdem
dervollständige Zugang zurWebsiteFAZ.NET (F+).Mehr Informationen zu allenAnge-
botenund Preisen(z. B. für jungeLeserundStudierende,Geschäftskunden, Digital-
undAuslandsabonnements) im Internetunter abo.faz.net. IhreDatenwerden zum
Zweckder Zeitungszustellungan Zustellpartner und an die Medienservice GmbH &
Co.KG,Hellerhofstraße2–4, 60327FrankfurtamMain, übermittelt.Gerichtsstand ist
FrankfurtamMain.
NACHDRUCKE:DieFrankfurter Allgemeine Zeitungwirdingedruckter und digitaler
Formvertrieben und istaus Datenbanken abrufbar.EineVerwertung der urheber-
rechtlichgeschütztenZeitung oderder in ihr enthaltenenBeiträge undAbbildungen,
besondersdurchVervielfältigung oderVerbreitung,ist ohnevorherigeschriftlicheZu-
stimmung desVerlages unzulässig undstrafbar,soweit sichaus demUrhebergesetz
nicht anderesergibt. Besondersist eine Einspeicherung oderVerbreitungvonZei-
tungsinhalteninDatenbanksystemen,zum Beispiel als elektronischer Pressespiegel
oderArchiv,ohne Zustimmung desVerlages unzulässig.
SofernSie Artikel dieser Zeitung nachdrucken, in Ihr Internet-Angebotoder in Ihr Int-
ranetübernehmen oder per E-Mailversendenwollen,können Sie die erforderlichen
Rechtebei derF. A.Z. GmbH online erwerben unter http://www.faz-rechte.de.Auskunfter-
halten Sie unter [email protected] odertelefonischunter (069)7 59 1- 29 01.Für
dieÜbernahmevonArtikeln in Ihren internen elektronischen Pressespiegel erhalten
Sie die erforderlichen Rechteunter http://www.presse-monitor.de odertelefonischunter
(0 30) 28 49 30, PMG Presse-Monitor GmbH.

©FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG GMBH,FRANKFURTAMMAIN
DRUCK:FrankfurterSocietäts-DruckereiGmbH&Co.KG,Kurhessenstraße4–6,
64546 Mörfelden-Walldorf;MärkischeVerlags- undDruck-GesellschaftmbHPots-
dam,Friedrich-Engels-Straße24, 14473Potsdam; SüddeutscherVerlagZeitungs-
druckGmbH,ZamdorferStraße 40,81677 München.
Amtliches Publikationsorgander Börse Berlin, Rheinisch-Westfälischen Börse zu Düs-
seldorf,FrankfurterWertpapierbörse, HanseatischenWertpapierbörse Hamburg, Nie-
dersächsischen Börse zu Hannover,Börse München, Baden-Württembergischen
Wertpapierbörse zuStuttgart
ANSCHRIFT FÜR VERLAGUND REDAKTION:
Postadresse: 60267FrankfurtamMain, Hausanschrift:Hellerhofstraße2–4, 60327
FrankfurtamMain; zugleichauchladungsfähigeAnschriftfür alle im Impressumge-
nanntenVerantwortlichen undVertretungsberechtigten.
TELEFON:(0 69) 75 91- 0. Anzeigenservice:(069) 75 91-3 34 4.Kundenservice: (0 69)
75 91-1 00 0oder http://www.faz.net/meinabo.
Telefax: Anzeigen(0 69) 75 91- 80 89 20;Redaktion (0 69) 75 91-1 74 3;Kundenservice
(0 69) 75 91-2 18 0.
BRIEFE AN DIEHERAUSGEBER:[email protected]
DeutschePostbankAG,FrankfurtamMain;
IBAN: DE58 5001 0060 0091 3936 04; BIC: PBNKDEFF

1945


mwe. BERLIN.Die Abgeordne tender
AfD haben sichamDienstagals einzige
FraktionwährendderOsterpause zu ei-
nerSitzungimBundestaggetroffen,um
über dasweiter eVorgehen in der Coro-
na-Krise und eine Exit-Strategie zu de-
battieren.Für dieSitzunghatten sich
60de r89Abgeo rdneten angemeldet,zu-
sätzlichwollten einigesichper Telefon
zuschalten. DerFraktionsvorstand um
die Vorsitzenden Alice Weidel und
Alexander Gauland hattedie Sitzung
auchaus Gründen des Gesundheits-
schutzeserst nachOsternansetzenwol-
len. Docheine ausreichendgroße An-
zahl vonParlamentariernsetztedurch,
dieSitzung schonamDienstageinzube-
rufen. Grund dafür isteine Unzufrie-
denheit einesTeils derAbgeordneten
mitdemKursderFraktionsspitzein der
Corona-Krise. Sie wünschen sicheine
deutlicherePositionierung gegendie
Bundesregierung. Die AfD hatteinden
jüngstenUmfragen anZuspruc hverlo-
renund kommt gegenwärtig nur noch
auf neun bis elf Prozent.
In der Sitzung trafen dreiPositionen
aufeinander. Eine GruppevonParla-
mentariernumden AbgeordnetenDirk
Spaniel will eine sofortigeAufhebung
aller Beschränkungen. Ihrer Ansicht
nachist die Corona-Pandemie nicht
schlimmer als eine Grippe. Jederweite-
re Tagvon Einschränkungen würde nur
die Wirtschaf tschädigen. Ein zweiter
Vorschlag, hinter der der Arbeitskreis

Gesundheit der Fraktion steht,
schränkt diesenAnsatz durch gesund-
heitlicheAbwägungen ein.Versamm-
lungen sollten wieder bis 50Personen
zugelassenwerden, ab 1. Mai müssten
Tests, Schutzmasken undStichproben
für alle bereitstehen. DieFraktionsspit-
ze schlägt hingegen in einemPapier
vor, die Maßnahmen so schnell wie
möglichaufzuheben,wenn bestimmte
Bedingungengegeben sind. So sollen
ab dem 1. Mai dieVoraussetzungen für
Massentests für alle systemrelevanten
Gruppen der Bevölkerunggeschaf fen
werden. Zudem sollen zum selben Da-
tum für alle Bürgereinfache Mund-
schutzmasken zur Verfügung stehen,
für alle systemrelevanten Berufehinge-
genFFP2-Masken. AfD-Fraktionschef
Gauland lobteineiner Mitteilungvor
der Sitzungdie Ankündigung des öster-
reichischen Bundeskanzlers Sebastian
Kurz,die wegender Corona-Pandemie
beschlossenen Maßnahmen nach
Ostern zu lockern. Di eBundesregie-
rung müsse nun ebenfalls „schnell ei-
nenFahrplanaus derCorona-Quarantä-
ne präsentieren“, allerdings unter dem
Vorbehalt,„dasssichderAnstiegderIn-
fektionszahlenweiter verlangsamt“.
Die Sitzung der AfD-Abgeordne ten
stieß bei der FDP-Fraktion aufUnver-
ständnis. Gerade in der AfD-Fraktion
gebe es vieleAbgeordne te,die wegen
ihres Alterszue iner Hochrisikogruppe
gehörten, sagteder Parlamentarische
Geschäftsführer Marco Buschmann.

D


eutschland geht ins Home Of-
fice –zuHause zu arbeiten ist
für Millionen das Gebotder
Stunde.Aber gilt das auch für
die Bundesministerien und die öffentli-
cheVerwaltung in Länder undKommu-
nen? Seit Jahrenschlepptsichdie Digita-
lisierungdahin, allenPakten undVerein-
barungen zumTrotz. Das giltvorallem
für diestaatlichen Verwaltungen. Man-
cheBehörde und Einrichtungen sind
jetzt besonders gefragt, aber leider auch
besonders schlecht ausgestattet.Jetzt
rächt es sich, dassviele Dienstleistungen
für Staatsaufgaben tr otzjahrelanger Be-
mühungenbei derrasantenDigitalisie-
rung nicht mitgekommen sind.
Der Rückstand betrifft sogar denBun-
destag,wodie Fraktionensehr unter-
schiedlichaufges tellt sind.Während die
FDPunter demVorsitz vonChristian
Lindner MitteMärzeine komplett eSit-
zung perSchaltkonferenz abhaltenkonn-
te,weildafürdie technischenVorausset-
zungengescha ffen waren, wu rden ande-
re Fraktionenlediglichinformiert,was
kleine re Kreiseaus Obleuten oderFrakti-
onsvorstand erörtert hatten. DieSPD-
Fraktiontagte„analog“ in zweiRäu-
men, damit zwischenden Abgeordneten
jeweils genug Platzgelassen werden
konnte.
In den Office-Systemender Bundesre-
gierung erschwerenstrengeSiche rheits-
vorschriften of fenbarmitunter dieKom-
munikation.Weil nämlichüber dieNet-
ze des Bundes(NdB) vieles miteinander
verbundenist,müssen alleEnden des
Verbundesgleich starkgesichertsein.
Sonst entstehen schwache Hintertür-
chen für Angreifer .Inmanche nMiniste-
rien is tdaherauf Möglichkeiten zum
HomeOffice überwiegend verzicht et
worden.Natürlichspielt aucheine ideo-
logisch begründete Skepsis eineRolle:
HomeOffice klang in vielen Ohren wie
eineAusrede fürs FernbleibenvomPrä-
senzarbeitsplatz.
Nach Auskunf tder Fachzeitung „Be-
hördenspiegel“kamesjetzt im konserva-
tiv geführten Innenministerium selbst
mitkleinerAusstattungschon zuSystem-
zusammenbrüchen. Das Ministerium

wolltedas aber nichtexplizitbestätigen.
Die „technischen Komponenten“ im
Netz des Bundesseien „ausbaufähig“
und würden derzeit ausgebaut,hieß es
aberimmerhin doch. Eventuelle Engpäs-
seseien bislang„immerinkurzer Zeit be-
hoben“worden.
Besondersgut auf die Pandemie-Krise
vorbereitet scheintdas Familien-Ministe-
rium zu sein. Dorthabenüber achtzig
Prozentder Mitarbeiterinnen und Mitar-
beitervonMinisterinFranziskaGiffey
(SPD) die MöglichkeitvonzuHause zu
arbeiten. Das bedeutet,sie wurdenvom
Minis teriu mbereits mit zertifizierten
RechnernundDiensttelefonenausgestat-
tet. Di eoptimaleAufstellung liegtdort
aberwenigeramhohenPandemie-Be-
wusstsein dieses Hauses, als an dem Be-
stre ben, in SachenVereinbarkeit vonBe-
rufund Familie fortschrittlichzusein. In
gewisser Weise also: GlückimUnglück.
Davonkann auchinden Ländernspre-
chen, werjetzteine guteAusstattung hat.
Im Wirtschaftsministerium vonNord-
rhein-Westfalen können Minister Andre-
as Pinkwart(FDP) und sämtlichrund
520 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
vonzuHause aus arbeiten. Dasgeht, wie
ein Sprecher sagt, seitetwa einemDrei-
vierteljahr. Den Angabenzufolg esind in
Nordrhein-Westfalen etwa 38 000 Mitar-
beiter derLandesverwaltungmitTele-Ar-
beitsplätzenausgestattet,davon alleine
18 000 in derFinanzverwaltung. Sowohl
die Finanzverwaltung, als auch die hier
nicht mitgezähltePolizeiverfügen über
eigeneIT-Infrastruktur. WasdieRechner-
kapazitäten betrifft,sokönnennachAus-
kunftdes Ministeriums,das auchfür Digi-
tales zuständig ist, 11 000 Bedienstete
gleichzeitig arbeiten.
Bislang ungelöst istnachAuskunftdes
Deuts chenBeamtenbundes(dbb)dieFra-
ge einer staatlichenCloud.Da man sensi-
ble Datendes Staates ja nicht bei Ama-
zon oder Apple lagernkönne, brauche
der Staat eine eigene Speicherlösung. Al-
lerdings wirdimWirtschaftsministerium
andereuropäischen Cloud„GaiaX“gear-
beitet,die für Behördengeöffne twerden
könnten.
Wenn Europas Firmen damit dem-
nächs t„datensouverän“ undgesichert
wären, warumdann nicht auf seine Be-
hörden? DerVorsitzende des Beamten-
bundes,UlrichSilberberg, sagtekürzlich:
„Seit Jahrenforder nwir ein eDigitalisie-
rungsoffensivefür den öffentlichen
Diens t. Sc hauenSie mal in Bürgeräm-
tern,Schulen, Finanz-,Kommunal- oder
Polizeibehörden vorbei.Die technische
Ausstattun gund IT -Architektur sind oft
furchtbar veraltet.“
Das trifft jetzt vorallem ärmereKom-
munen.Auto-Zula ssung aus dem Home
Office, oderauchnur ein eAbsper rerlaub-
nis für Baumarbeiten–nicht möglich,
heißt es jedenfalls in Berlin. Im Bezirk
Mitte wurde Antragstelle rn bei derStra-
ßenverkehrsbehörderechtruppig mitge-

teilt, dasseventuelle Anträge im Müllei-
mer landen würden nachdem 20. April
neu zustellen seien .Dassbericht eteder
„Tagesspiegel“. Undauchdann werde
man länger nichtsvonseinen Anträgen
hören.„Von Rückfragen zu einzelnenBe-
arbeitungsständen wirdgebetenAbstand
zu nehmen." Sogeht Corona-Manage-
ment in der Hauptstadt.
Bei der Investitionsbank Berlin muss-
tenwegen des digitalen Ansturms auf
Notgelder vorübergehend "Antragsan-
nahmepausen"verhängtwerden .Doch
dashattevor allem mit dem enormen An-
dran gzutun:Innerhalb einerWoche wur-
den 1,34 Milliarden Euroan151.
Solo-Selbständigeund Kleinstunterneh-
mer angewiesen, eine beachtliche Leis-
tung, quasi aus demStand heraus.
Abgesehenvonder üblichen Berliner
Liebenswürdigkeit liegtdas Dilemmavie-
lerorts in der mangelhaftenAusstattung
der Behörden. Angeblichverfügen im
Stadtstaat Berlinvonmehr als 100.
Verwaltungsmitarbeiternnur 2500 über
sicher eDatenzugänge,weiter e
könntenüber technisc he Hilfsmittel
gleichzeitigZugang erhalten. Das sind
vier Prozent. In München sind es nach
Angabeneines Sprechersder Stadt unge-
fähr ein Viertelder etwa 42.000Behör-
denmitarbeiter,die zu Hause arbeiten
können, wobei die Daten nichtexakt ver-
gleichbar sein müssen.
DieKrisebietetaberauchdie Gelegen-
heit,bestehende Barrieren aus demWeg
zuräumen.Vielesistplötzlichauchdem
kleinenDienstweg-oder unterfallweiser
Umgehung derRechtslagemöglic hge-
worden. Deutschland machtgeradeei-
nen Riesensprung in Sache Digitalisie-
rungundes solltedanachnicht wieder zu-
rückgehen, sondernweiter voran. Der
FDP-Politiker JohannesVogel sagtdazu:
„Zum Beispiel istese igentlichgesetzlich
vorgeschrieben, sichpersönlicharbeits-
loszu melden, nicht digital-von anderen
Behördengängen ganz zu schweigen.
Ebensoistesunklar, obdigitale Betriebs-
ratssitzungen wirksam Entscheidungen
tref fendürfen,zum BeispielüberKurzar-
beit.“ Er schlägtvor, bald ein modernes
Arbeitszeitgesetzeinzuführen, „damit
freier entschiedenwerden kann, wann,
wie undvonwoaus gearbeitet wird“.
Und, so Vogelweiter :„Wirbrauchen ein
‚RechtaufHomeoffice‘nachniederländi-
schemVorbild,währendgleichzeitig die
Unternehmen in denFällen vonden ex-
trem starren Vorgaben der Arbeitsstätten-
veror dnungentlastetwerden sollten.Na-
türlic hauchimöffentlichen Dienst.“
InwelchemAusmaß derzeitbei Behör-
denundin der Privatwirtschafttechnisch
nachgerüstetwird, zeigt eineZahl, die
das Online-Portal guenstiger.de am Mon-
tag veröffentlichhat.Demnachsei die
Nachfrag enachLaptops, Monitoren und
anderenGeräten für das Home Office
um 6500 Prozentgestiegen. Auf den Plät-
zen zwei und dreifolgen Fieberthermo-
mete rn und Gefriertruhen.

Während Ös terreichs Kanzler Sebasti-
an Kurz ein bisweit in den Maigeplan-
tesAusstiegsszenario aus den massiven
EinschränkungeninÖsterreichverkün-
dethat, tun sichdie Verantwortlichen
in Deutschland damit schwer.Alle Ein-
schränkungen sollen mindestens bis
zum19. Aprilbestehen bleiben.„Daran
wirdsichauchnichts ändern“, hatte
Bundeskanzlerin MerkelamMontag-
abend nocheinmal bekräftigt.Der
Ethikrat hatauf dieseKommunikations-
strategien kritischreagiertund hält sie
für „verbesserungswürdig“.
AnstattdieDiskussionüberdenZeit-
punkt einer schrittweisen Lockerung
nur abzuwehren, solltenverantwortli-
chePolitiker die sachlichen Gründe für
die Aufrechterhaltung des Lockdowns
und dieteils gravierenden sozialenFol-
geninden Vordergrund stellen.Wenn
es immer wieder heiße, dassdie Loc ke-
rungen aufgeschobenwerden müssten,
bedrohedas„dieweiterhin bewunderns-
wert hohenZustimmungsraten“, so der
Ethikrat in einer ergänzendenStellung-
nahme zu seinem am 27. Märzveröf-
fentlichtenPapier zur Corona-Krise.
„Esis tderzeit nochzufrühfürLocke-
rungen, aber es istnie zu früh für eine
öffentliche Diskussion über Öffnungs-
perspektiven“, sagteder Vorsitzende
desEthikrats,der Erlanger TheologePe-
terDabroc kamDienstaginBerlin. Die
Menschen brauchten dievonPsycholo-
gengeforderten„Hoffnungsbilder“, um
die massiven Einschränkungen durch-
zuhalten. Es müsseständig kritischund
ehrlic hüberprüftwerden, ob die Maß-
nahmen für alle oder einzelne Gruppen
„verhältnismäßig“ seien. Neben den
jetzt schon sichtbaren wirtschaftlichen
ProblemengebeestiefeSolidaritätskon-
fliktezwischen Gesundheit und Leben.
„Offensichtlichist es schwer,Gesund-
heitsschutz undFreiheitsschutz zusam-
menzubringen“, sagteDabroc k. Die
Notwendigkeit, den mit Covid-19 Infi-
ziertenzuhelfen, verleitezuweilen
dazu, die Opfer des Lockdowns aus
dem Blickzuverlieren. Dabrock erin-
nerte an dievonabgesagten Operatio-
nen Betroffenen, an die unterbroche-
nen Therapien zurÜberwindung psy-
chischer Probleme, Alkoholsucht, De-
pression oder Gewalttendenz. „Kranke
undSterbendewerden nichtmehrsobe-
gleitet,wie es die Menschlichkeit erfor-
dert“, heißt es in der zweitenStellung-
nahme. „Existenzen zerbrechen in Ein-
samkeit oder angesichts empfundener
Ausweglosigkeit aus wirtschaftlichen
und anderen Zwangslagen.“
Das Ziel, dieZahl de rschwerEr-
krankten unterhalb der intensivmedizi-

nischen Kapazitätsgrenzenzuhalten,
müsse mit den schwerengesellschaftli-
chen,sozialenundpsychischenFolgen
des Stillstands abgeglichenwerden ,je
länger desto stärker. „Das wirdvermut-
lichnicht bruchfreigelingen, aberwir
müssenalles versuchen, den Schaden
auf beiden Seitenmöglichstgering zu
halten“, so derEthik rat. Er plädiert
für einen Ideenwettbewerb um die bes-
tenVorschläge.Politikersollte nkeine
Angst davorhaben, viele Menschen
mit unterschiedlichenKompe tenzen,
aberauchlegitimenInteressen zu
Wort kommen zulassen. Einerweiter-
hin notwendigen entscheidungsstar-
kenPolitik schadees nicht zuzuhören,
zu be teiligen und auch Grenzen der ei-
genen Kompetenz anzuerkennen.
„Das stärkt vielmehr ihreAutorität.“
Genau deshalb sei die Corona-Krise
„die Stundeder demokratischlegiti-
mierten Politik“.
Die drastische Darstellung der soge-
nanntenTriage, also der Entscheidung
über Leben undTodbei knappenKapa-
zitäten, in der ersten Stellungnahme
des Ethikrats hatvorallem ältereMen-
schen in Angstund Schreckenversetzt.
Nicht wenigefürchteten, im Falle einer
Infektion aufgrund ihres Altersvon
vornherein „aussortiert“ zuwerden.
Der GießenerStaatsrechtlerSteffen
Augsberg, Sprecher der Arbeitsgruppe
RechtimDeutschenEthikrat,sagtedes-
halb, „wir wissen, dassdie Beschäfti-
gung mit solchen Triage-Szenarien
ganzrealeÄngste auslöst“.Dasbetreffe
nicht nur die Ärzte, die in die tragische
Situation einer Entscheidung über Le-
ben undTodkämen, sondernauchdie-
jenigen, dievoneiner lebensrettenden
Maßnahme ausgeschlossen zuwerden
fürchten.„Beiden Gruppengegenüber
istuns die Botschaftwichtig, dassunse-
re GesellschaftihreNöteundSor genan-
erkennt und sie nicht imStichlässt.“
Auch in der Krise gebe es keinen
Grund,„Vertrauen in unserenRechts-
staat oder unser Gesundheitssystem zu
verlieren“.Wenn tatsächlichalle Beat-
mungsplätze belegt sind und deshalb
einneuerPatientnurdanngerettetwer-
den kann, wenn die begonnene Beat-
mung eines anderen beendetwird, wer-
de eine im Ergebnis tödliche Handlung
vorgenommen. „Daskann und muss
rechtli ch verurteilt werden.“ Gleichzei-
tig sei dasRechtssy stem flexibel genug,
umde rtragischenEntscheidungssituati-
on Rechnung zu tragen. Ärztesollten
die rechtlic hen und medizinethischen
Empfehlungen bedenken–das gesche-
he am besteninmultiprofessionellen
Teamsund beratendurch örtlicheEthik-
komitees.

Erschwerte Bedingungen


DIE LETZTEN
KRIEGSWOCHEN

27.JANUAR


AfDallein im Bundestag


Die Fraktion kritisiertdie Parteiführung


Schaden gering halten


Der Ethikrat mahnt,auchdieOpfer des Lockdowns


zu beachten /VonHeikeSchmoll, Berlin


Für die Herstellung derFrankfurterAllgemeinen Zeitung wirdausschließlichRecycling-Papierverwendet.

In der Corona-Pandemie


rächt si ch,dassdie


Digitalisierung der


Verwaltung so langsam


vorangegangen ist.


Manche Ministerien


sind weiter als andere.


VonPeter Carstens,


Berlin


SEITE 4·MITTWOCH, 8.APRIL 2020·NR.84 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG

Free download pdf