Frankfurter Allgemeine Zeitung - 08.04.2020

(Ann) #1

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iele Israeliswerden einen der
wichtigstenFeiertage desJah-
resdieses Mal nur im engsten
Familienkreisverbringen. Die
Regierung hat zum Beginn desPessach-
FestsamMittwochabend einekomplette
Ausgangssperre bis zum nächstenMor-
genverhängt, umgrößereZusammen-
künfte und eineAusbreitung des Corona-
virus zuverhindern. Schon seit Dienstag
istdeshalb der Überlandverkehr zwi-
sche ndenStädten verboten.Familientref-
fensind nicht möglich, ausgerechnet
jetzt :"Bei Pessachgeht es nicht nur um
die Weiter gabe derTraditionen über Ge-
nerationen, im Laufeder Zeiten istes
auchdas zentrale Familienfestgewor-
den", sagt der orthodoxe RabbinerAvi-
chai Schmila in einem Gesprächüber das
Videokonferenzprogramm Zoom.
Während Feiertage wieJomKippurvor
allem in der Synagoge g efeier twerden,
findetder Seder-Abend anPessachzu
Hausestatt. "Esgeht darum, den Kindern
die Geschichtedes Volkes Israel zu erzäh-
len und wie es ausÄgyptenauszog. Es
geht darum, dieTraditionfortzuführen."
Unddie Geschichtemüsse erzähltwer-
den, selbstwenn keine Kinder dabei sei-
en: Vonder Unterdrückung der Juden
durchdenPharao,bis G ottsichseinesVol-
keserbarmte, Moses zum Pharaokam
und sagte: "Lassmein Volk ziehen."Und
das auserwählteVolk wurde in dieFrei-
heit geführtins eigene Land, dieNatio-
nenbildunggewissermaßenvollzogen.
Schmila sagt, "wir haben viele Krisen
in derGeschichteunseresVolkes gehabt",
und so sei die Corona-Krise nicht die ers-
te Begebenheit,in welcherdergrößer eFa-
milienkreisnichtzusammenkommenkön-

ne und Haushalteoder Einzelpersonen
unter sichbleiben müssen. Schmila
selbst, seineFrau und seine Kinderwer-
den zum ersten Mal nicht zu den Großel-
terngehen können. "Pessachist das einzi-
ge Fest,das wir bei den Großelternfei-
ern",sagtSchmila,derinderSiedlung
Efrat lebt."Meinen Elternfällt es wirk-
lichschwer, das zu akzeptieren."
Den Videochat am Seder-Abend haben
die Oberrabbinerverboten
Nunhat das Obberrabinat im Gegen-
satzzueinigenanderenRabbine rninIsra-
el auc hdie BenutzungvonVideokonfe-
renzen zum Seder-Abend untersagt, so
wie auchzum Schabbat unter orthodoxen
JudendieBenutzungelektronischer Gerä-
te vermieden wird. "Einsamkeit
schmerzt, und darauf sollteeine Antwort
gefundenwerden",schreibendersephar-
dische und der aschkenasische Oberrabi-
ner:"Vielleicht über einen Anruf mit dem
Computer amAbend desFests, be vores
beginnt." Die Betonung liegt auf "bevor".
Wiealso mit den Liebenkommunizie-
ren? Schmila hat eine Lösung: Erfeiert
SederamMittwochgleichzweimal. Um
halb zwölf amVormittag beginnt Schmila
ein Mini-Seder überZoom mit den Groß-
eltern. "Wir kleiden uns so wie am
Abend, bereiten dasgleiche Essenvor
und lesen die Haggadah-die Feier soll
eine exakteKopie desAbends sein."Nur
dassmanZoom benutzendarf ,weil Seder
offiziell erst gegenSonnenuntergang be-
ginnt.Eigentlich, sagt Schmila, spräche
wenig dagegen,vordem Beginn des wirk-
lichenFestseine Videokonferenz zu be-
ginnenund diese dann 24Stunden laufen
zu lassen. Dochkönnteeine Fehlfunktion
dazu verleiten, dann auchanSeder das

elektronische Gerät zu bedienen. "Viele
Rabbinernehmen wegenCorona liberale
Änderungen vor, und viele Gläubige
fürchten, dassdiese neuen Gewohnhei-
tenbleiben."
Pessachistauchdas Fest des ungesäuer-
tenBrotes. Im Corona-Jahr hat Schmila
nur einen kleinenTeil des Brots, das er
nochvorrätig hatte, imVorgartenseines
Hausesverbrannt, symbolisch. DenRest
hat er in den Müllgeworfen und eine Che-
mikalie darübergekippt, um es ungenieß-
bar zu machen. Denn derAufbruc haus
Ägypten verlief hastig, die Juden mussten
(in einerVersion der Geschichte) das Brot
aus den Öfen nehmen, bevoresaufgegan-
genwar.SosinddieMatzot,dieungesäuer-
tenBroteaus Mehl undWasser,das wohl
bekanntesteNahrungsmittel zuPessach.
AucheinEi gehörtaufjeden Seder-Tel-
ler,von welchem man eineReihe symbo-

lischer Speisen in bestimmterReihenfol-
ge verzehrt. Dazu wirddie Geschichte
vomAuszugausÄgyptengelesen, zusam-
mengefasst in der Haggadah. In Israel
sinddie Eier zuletzt so knappgeworden,
dass die Regierung zusätzlicheFracht-
flugzeuge mit Eiernaus Europa anflie-
genließ.Der Eie rverbrauch nimmt auch
zu,weil überdie Feiertagswochekein
Mehlverbacken werden darf. Deshalbha-
ben manchegehor tet, so dassander eleer
ausgingen.
In TelAviv erzählt die imStartup-Be-
reich tätigeMorena Montag, wie sie als
Kind während des Golfkriegs 1991 eben-
fallszuHausebleibenmusste. "Ic herinne-
re mich, wie ichdiese Zeit geliebt habe,
ichwar dieganze Zeit mit meinen Ge-
schwistern und Elternzusammen, und
wenn die Sirenen heulten und wir in den
Schutzraum gingen, bekamen wir Süßig-

keiten." Wasist dagegen schon Corona?
Morena Montag sagt,Pessachkomme ihr
inderKrisegelegen.DietraditionelleRei-
nigung des HausesvongesäuertenBack-
warenvor Pessachseieineweiter eAktivi-
tätmit ihren KinderninZeiten derAus-
gangsbeschränkungen, imvergangenen
Jahr habe sie das nichtgemacht.
Undihreaus Iranstammenden Eltern
haben einRezeptfür besonderes Charos-
setmitgebracht:Bei derZubereitung ha-
ben die Großelterndiesmal die Kinder
über Zoom zusehen lassen, wie sie einen
Brei aus Datteln,Nüssen, Äpfeln und an-
deren Früchten machten. So gut er
schmeckt,sosehrsieht derBreinachMör-
telaus, der an die Sklavenarbeit unter
dem Pharao erinnernsoll. Morena Mon-
tags Seder-Teller sei "fastvegan", erzählt
sie. Ein Ei müsse zwar sein,weil die Kin-
der das sogern essen, aber dasStück

Fleischlassen sieweg. So vielfältig Israel
ist, soverschieden auchder Umgang mit
den religiösenVorschriften. Montag wird
Zoom vielleichtauchzum Seder-Abend
nutzen. "Jeder soll das machen,waserfür
richtig hält."
Auch in jüdischen Gemeinden in
Deutschland gibt es Debatten darüber,ob
ein Seder-Abend perZoom erlaubt sein
sollteoder nicht.Der FrankfurterRabbi-
nerJulian-ChaimSoussanistwie dieübri-
genorthodoxenRabbiner inDeutschland
der Auffassung, dasseine virtuelleFeier
nicht statthaft sei. "A priorisollteman
daraufverzichten", sagt er.LiberaleRab-
binerhierzulandehabenkeine Einwände.
Aber auc hSoussan berichtet,ersei schon
wiederholtvonGemeindemitgliedernan-
gesprochenworden, diegesagt hätten:
"Ichbin allein, ichwerde das mitZoom
machen." In solchenFällen verzicht et der
Rabbiner aufweiter eBelehrungen. "Ich
sagedann, dasssie ein gutes Gefühl ha-
ben könnten,weil es in IsraelRabbiner
gibt, die sagen, dasssie es dochsoma-
chen dürfen".
DochauchJuden, für die eine virtuelle
Feier grundsätzlichnicht infragekommt,
stehen vorerheblichen Schwierigkeiten.
In normalenZeiten trafen sich300 bis
350 Personen imFrankfurterGemeinde-
zentrumzumSeder-Abend.Hierwaralles
vorbereitet.Einen Seder-Abend vor-
schriftsgemäß zu Hause selbstauszurich-
ten, is teine komplizierte Angelegenheit.
Das fängt mit der Sprache an. Die Anwei-
sungen fürdieRitualewareninderFrank-
furterGemeinde bisvorkurzem nur auf
Hebräischverfügbar.DieGemeinde muss-
tesie er st ins Deutsche übersetzen lassen,
weilvorallemdieausRusslandeingewan-
dertenJuden kein oder nur bruchstück-
haftHebräischlesen können, wie Sous-
san berichtet.
Selbstdann sei es für Juden, die bislang
nur passiv an einem Seder-Abend teilge-
nommen hätten, oftzuschwer, diesen
jetzt selbstzugestalten, sagt Soussan. Da-
mitwenigstens die füreinen Seder-Abend
vorgeschriebenen Speisen,etwadie unge-
säuerte Brotfladen oder das Bitterkraut
nicht fehlen, bietetein jüdischesRestau-
rant in Frankfurt die Hauslieferung eines
kompletten Seder-Mahls an.
Das Coronavirus erschwertnicht nur
das jüdische Gemeindeleben, es ver-
stärkt auchden Antisemitismus. "Noch
schneller als dasVirusverbreitet sichdie
Suche nachdem Schuldigen, und das
sind im Zweifelsfall wir Juden", sagt
Soussan.Persönlichsei er bislang mit
solchen Theorien jedochnochnicht kon-
frontiertwurden,berichtet derFrankfur-
terRabbiner.

Stillstand:Soldaten unterstützen diePolizei in Israel bei der Durchsetzung derAusgangsbeschränkungen. FotoImago

Nurimengsten


Familienkreis


Eine sder wic htigs tenFeste des Judentums


kann wegendes Coronavirus nur


mitEinschränkun genbegan genwerde n.


VonThomas Jansen und JochenStahnke


FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik MITTWOCH, 8.APRIL 2020·NR.84·SEITE 7

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