Die Welt - 04.04.2020

(Barry) #1

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04.04.20 Samstag, 4. April 2020DWBE-HP


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DWBE-HP

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04.04.2004.04.2004.04.20/1/1/1/1/Wir2/Wir2 PKRUEGE1 5% 25% 50% 75% 95%

10 WIRTSCHAFT DIE WELT SAMSTAG,4.APRIL


N


och immer ist die unwahr-
scheinliche, aber wahre Ge-
schichte von der Karriere des
Klopapiers nicht zu Ende. Hamsterkäu-
fer machten den einstigen Allerwelts-
artikel binnen weniger Tage zum ge-
fragtesten Produkt der Republik. Das
begann Ende Februar. So ist es nach wie
vor. „Eine Marktsättigung können wir
derzeit nicht feststellen. Die Läden se-
hen bei Toilettenpapier immer noch aus
wie leer gefegt“, sagt Volker Jung, Chef
und Inhaber des Herstellers Hakle.

VON MICHAEL GASSMANN

Doch schon heute ist klar, dass die
Corona-Pandemie, Auslöserin des
mehrlagigen Booms, eines hoffentlich
nicht allzu fernen Tages auslaufen wird
wie jede Seuche vor ihr. Was das für
den mittelständischen Düsseldorfer
Betrieb bedeutet, lässt sich erahnen.
Die Menschen haben in den vergange-
nen Wochen durch ihre Hamsterkäufe
Vorräte für viele Monate angelegt,
manche ihre Kellerregale bis zur Decke
mit Rollen vollgestopft.
Die werden sie nun erst einmal in al-
ler Ruhe aufbrauchen. Toilettenpapier
verdirbt nicht. Für die Branche der Hy-
gienepapierhersteller deutet sich damit
ein extremes Auf und Ab an. „Wir wer-
den jetzt mit Bestellungen geflutet. Ir-
gendwann sitzen die Leute auf Bergen
von Toilettenpapierund kehren zu ih-
rem gewohnten Alltagsverhalten zu-
rück“, so Jung. „Dann wird die Nachfra-
ge schlagartig abebben.“
Schon vor der Corona-Krisewar Toi-
lettenpapier ein Wachstumssegment.
Seit Langem verzeichnet der Markt
Jahr für Jahr ein stetiges, wenn auch
überschaubares Plus von gut einem
Prozent. So dürfte es auch weiterge-
hen. Im laufenden Jahr wird der Bran-
chenumsatz nach noch von der Seuche
unbeeinflussten Prognosen rund 1,
Milliarden Euro erreichen. Bis 2023 er-
warten Marktkenner ein Wachstum auf
1,84 Milliarden Euro.
Auch wenn der Trend langfristig in-
takt bleiben sollte, bekommt die Linie
in diesem Jahr durch die Pandemie hef-
tige Ausschläge. So lag der Verkauf von
Toilettenpapier in der 12. Kalenderwo-
che (15. bis 21. März) laut Statistischem
Bundesamt um 211 Prozent über dem
Vorjahreszeitraum – mehr als eine Ver-
dreifachung also.
„Wir versuchen, aus den Maschinen
alles herauszuholen, was möglich ist“,
sagt Volker Jung. „Wir haben konse-
quent auf Standardsorten umgestellt,
und wir arbeiten inzwischen 24 Stunden
am Tag, sieben Tage in der Woche.“ Da-
mit sei eine Produktionssteigerung um
50 Prozent erreicht worden – das Maxi-
mum. Auch andere Hersteller fahren am
Anschlag. Viele hätten das Personal auf-
gestockt, zum Teil seien die Wartungs-
intervalle der Maschinen verlängert
worden, die Lager seien ohnehin leer,
sagte ein Sprecher des Verbands der Pa-
pierfabriken (VDP).
Eine Produktion auf Hochtouren
saugt allmählich die Rohstoffmärkte
leer. Altpapier sei zunehmend schwerer
zu bekommen, doch bei Zellstoff – dem
für die Klopapierproduktion wichtige-
ren Rohstoff – seien keine Einschrän-
kungen in der Verfügbarkeit absehbar,
sagt Jung. Wichtig für einen mittelstän-
dischen Betrieb wie Hakle – knapp 230
Mitarbeiter – sei trotz drohender Voll-
bremsung der Produktion die finanziel-
le Flexibilität, beispielsweise angebote-
ne Rohstoffmengen kurzfristig erwer-
ben zu können.
„Bei der Rohstoffbeschaffung schla-
gen Geschwindigkeit und Verfügbar-
keit derzeit das Kriterium Preis“, so
der Firmenchef. Eine Möglichkeit sei
das sogenannte Finetrading, eine alter-

native, bankenunabhängige Finanzie-
rungsform für das betriebliche Umlauf-
vermögen, also beispielsweise Roh-
oder Einsatzstoffe. Finetrading-Anbie-
ter kaufen die Vorprodukte oder ande-
re Waren selbst ein, bezahlen den Lie-
feranten sofort und geben dem Kunden


  • dem eigentlichen Nutzer – ein späte-
    res Zahlungsziel vor.
    VVVerdient wird an der Marge. Je län-erdient wird an der Marge. Je län-
    ger das Zahlungsziel, desto teurer
    wird die Finanzierung. Die Abnehmer
    müssen also erst zahlen, wenn sie die
    Rohstoffe zu Fertigprodukten verar-
    beitet haben. Das hält sie länger flüs-
    sig. „Wir stellen Liquidität bereit,
    wenn sie gebraucht wird, nicht erst in
    drei oder vier Monaten“, sagt Dirk Oli-
    ver Haller, Gründer und Chef der DFT
    Deutsche Finetrading.
    Die Corona-Krise beutelt derzeit
    nicht nur die Hersteller von Toiletten-
    papier durch absehbar extreme Produk-
    tionsschwankungen, sie bringt an vielen
    Stellen die routinierten Produktions-
    ketten durcheinander. So kommt es
    durch den langen Stillstand in China an
    vielen Stellen zu unterbrochenen Lie-
    ferketten. „Vielleicht fehlt einem Her-
    steller von Gartenmöbeln ein Scharnier

  • schon stockt die Produktion“, beob-
    achtet Haller.
    Das führe zu einem grundsätzlichen
    Umdenken in vielen Betrieben: Statt
    sich rückhaltlos auf das für lange Zeit
    eingespielte Funktionieren von Just-
    in-time Lieferungen auch über weite
    Entfernungen zu verlassen, bunkern
    die Firmenchefs nach seiner Beobach-
    tung zunehmend wichtige Teile (und
    verhalten sich damit ähnlich wie die
    Endverbraucher beim Toilettenpa-
    pier). „Alle füllen derzeit die Lager auf

  • dafür wird viel Liquidität benötigt“,
    freut sich Haller über zunehmende Ge-
    schäftsmöglichkeiten.
    Nicht alle potenziellen Geschäfts-
    partner sind seriös, weiß Haller. Mo-
    mentan seien angesichts der starken
    Nachfrageausschläge bei Hygiene-, Ge-
    sundheits- und anderen Produkten
    zahlreiche spekulative Aufkäufer unter-
    wegs, die zum Beispiel containerweise
    Atemschutzmasken in China in der
    Hoffnung bestellten, sie später mit ho-
    hem Gewinn losschlagen zu können.
    Doch wenn das Zeitfenster des Nachfra-
    gebooms sich schließe, bleibe der ver-
    meintlich clevere Unternehmer wo-
    möglich auf seiner Ware sitzen.
    Um solche Risiken zu vermeiden, ver-
    lässt sich der ehemalige Viehhändler
    Haller nicht zuletzt auf seine Intuition,
    wie er versichert: „Wir bewerten die Bo-
    nität eines Unternehmens, aber noch
    wichtiger ist die Persönlichkeit des Un-
    ternehmers.“ DFT habe 300 bis 400
    mittelständische Kunden und bewege
    schwerpunktmäßig Finanzierungsvolu-
    mina zwischen 200.000 und fünf Mil-
    lionen Euro.
    Für die produzierenden Unterneh-
    men bleibt die Planung in derart beweg-
    ten Zeiten trotz aller zur Verfügung ste-
    henden Instrumente zu einer flexiblen
    Anpassung schwierig. „Im Moment kön-
    nen wir nur auf Sicht fahren“, sagt Jung.
    Auch er habe Lagerbestände angelegt,
    etwa bei Verpackungsmaterial.
    Wenn der Hakle-Chef irgendetwas
    bedauert am gegenwärtigen Super-
    Boom bei Klopapier, dann die Tatsache,
    dass das atemlose Produzieren keiner-
    lei Zeit mehr für Experimente lässt.
    „Eigentlich ist Hakle eine Erfinderge-
    sellschaft, aber leider können wir der-
    zeit nicht so intensiv an Innovationen
    arbeiten, wie es wünschenswert wäre“,
    sagt er. So sollte im just begonnenen
    zweiten Quartal eigentlich ein neues
    Toilettenpapier auf der Basis von Gras
    in den Handel kommen – ungebleicht
    und grünlich. Damit wird es jetzt wohl
    etwas länger dauern.


Klopapierhersteller fürchten


KKKehrseite des Hamsternsehrseite des Hamsterns


Nach Corona wird die Nachfrage deutlich einbrechen


A


uch EU-Wirtschafts- und
-Währungskommissar Pao-
lo Gentiloni hält sich an die
Regeln für Social Distan-
cing – und gibt Interviews
am Telefon. „Diese Videokonferenz-Ta-
ge sind schon komisch“, sagt der italie-
nische Politiker. „Der einzige Vorteil ist,
dass niemand das lange aushält und die
Meetings deshalb oft kürzer sind. Und
das ist überaus praktisch.“ Das Inter-
view mit WELT dauert trotzdem länger,
denn es geht um ein derzeit viel disku-
tiertes Thema: Corona-Bonds und die
Frage danach, wie die europäische Wirt-
schaft möglichst unbeschadet aus der
Krise kommt.

VON TOBIAS KAISER
AUS BRÜSSEL

WELT:Einige EU-Staaten, allen voran
Italien, beschweren sich, dass wirt-
schaftlich starke Staaten wie
Deutschland in der Corona-Krise zu
wenig solidarisch sind. Haben sie
recht?
PAOLO GENTILONI:Das Bewusstsein
dafür, dass Solidarität nötig ist,
scheint mir jeden Tag ein wenig mehr
zu wachsen. Und das ist gut. Wie Bun-
deskanzlerin Merkel gesagt hat, diese
Krise ist die schlimmste seit dem
Zweiten Weltkrieg, und es wird in Eu-
ropa weder Gewinner noch Verlierer
der Krise geben. Entweder bewältigen
wir diese Herausforderung gemein-
sam, oder wir werden gemeinsam
scheitern. Deshalb ist Solidarität wich-
tig. Dazu gehört nicht nur die absolut
notwendige Hilfe bei der Versorgung
der Kranken, sondern auch wirtschaft-
liche und strategische Solidarität.

Bisher sorgt die Krisenbewältigung
allerdings vor allem für Vorwürfe und
Streit. Hat Covid-19 das Zeug, Europa
zerbrechen zu lassen?
Wenn wir keine gemeinsame Antwort
auf diese Krise finden, dann ist das Eu-
ropäische Projekt in Gefahr. Antieuro-
päische Kräfte werden die Krise für
sich nutzen und werden dafür in Ita-
lien und Frankreich ganz andere Argu-
mente nutzen als in Deutschland oder
den Niederlanden. Deshalb ist es so
wichtig, eine gemeinsame Antwort auf
diese Krise zu finden. Europäische
Staaten haben auf sich allein gestellt
keine Zukunft. Wir brauchen Europa,
den gemeinsamen Binnenmarkt, die
gemeinsame Währung und alles, was
wir in den vergangenen Jahrzehnten
aufgebaut haben. In dieser Krise müs-
sen wir auch die EU retten.

Von solcher Stärke scheint der Konti-
nent derzeit weit entfernt. Stattdes-

sen geht die Angst vor einer neuen
Schuldenkrise in der Euro-Zone um.
Wir sollten diese Krise nicht mit der
von vor zehn Jahren vergleichen. Diese
Krise trifft die ganze Welt und jedes eu-
ropäische Land, und deshalb brauchen
wir eine gemeinsame Antwort.

Das sagen auch Italien, Spanien,
Frankreich und einige andere Länder
und begründen so die Forderung nach
gemeinsamen Anleihen, sogenannten
Corona-Bonds.
Wir dürfen den Kampf gegen die wirt-
schaftlichen Folgen der Krise nicht der
Europäischen Zentralbank alleine über-
lassen. Wir haben uns in den vergange-
nen sieben Jahren zu sehr auf die Geld-
politik verlassen. Die EZB hat bereits
getan, was nötig war, aber das genügt
nicht. Wir brauchen eine gemeinsame
koordinierte fiskalische Antwort, und es
genügt nicht, dass die einzelnen Mit-
gliedstaaten getrennt voneinander
Hilfsprogramme auflegen. Es geht bei
der fiskalischen Antwort auf die Coro-
na-Krise nicht darum, existierende
Schulden zu vergemeinschaften, das sa-
ge ich ganz deutlich. Es geht darum, die
Last der Corona-Krise gemeinsam zu
schultern und Schaden von der europäi-
schen Wirtschaft fernzuhalten.

Genügen dafür nicht die Instrumente,
die es bereits gibt, etwa der Euro-Ret-
tungsschirm ESM? Der wurde doch
dafür geschaffen, Euro-Ländern zu
helfen, die mit Krisen finanziell über-
fordert sind.
Der ESM kann Teil einer Lösung sein,
aber eben nur ein Teil. Der ESM wur-
de in einer völlig anderen Situation
geschaffen. Damals waren einige Län-
der in großen Schwierigkeiten und
hatten den Zugang zu den Märkten
verloren. Der ESM hat ihnen damals
geholfen, mit Hilfen, die an Bedingun-
gen geknüpft waren und für die die
Staaten Überwachungsprogramme
akzeptieren mussten. Das ist in der
derzeitigen Situation völlig inakzep-
tabel, schließlich sind alle Staaten von
der Krise betroffen, und zwar unver-
schuldet. Der ESM ohne Bedingungen
wäre deshalb ein sinnvolles Instru-
ment, aber nur eines von vielen.

Momentan wird ein ganzes Patch-
work aus verschiedenen Maßnahmen
diskutiert, weil Deutschland und an-
dere Staaten gemeinsame Anleihen
ablehnen.
Die europäischen Finanzminister wür-
den ihre Sache nicht gut machen, wenn
sie sich auf eine einzige Krisenantwort
festlegen. Wir brauchen eine Kombina-
tion aus Instrumenten, die Kredite der
Europäischen Investitionsbank EIB um-

fassen muss, genauso wie Kredite aus
dem ESM und neue Vorschläge wie das
Europäische Kurzarbeitergeld SURE.
Aber zu sagen, wir haben alles, was wir
brauchen, wir brauchen keine neuen In-
strumente wie gemeinsame Anleihen,
diese Haltung bringt uns nicht weiter.
Schauen Sie doch mal aus dem Fenster!
Die Straßen sind menschenleer, und die
Wirtschaft steht still. Diese Rezession
ist mit der Krise von vor zehn Jahren
nicht vergleichbar.

Sie nehmen das Wort Corona-Bonds
zwar nicht in den Mund, aber Sie
scheinen keine Alternative zu ge-
meinsamen Anleihen zu sehen.
Wir brauchen ein europäisches Kon-
junkturprogramm, und das sollte
durch die Ausgabe von Anleihen finan-
ziert werden. Die können von den In-
stitutionen begeben werden, die wir
bereits haben, der EIB, dem ESM, der
EU-Kommission oder auch gemeinsam
von den EU-Ländern. Meine Botschaft
an Deutschland und andere Länder ist
klar: Die Ausgabe von Anleihen soll
zweckgebunden sein und eine einmali-
ge Maßnahme in außergewöhnlichen
Umständen. Ich denke, Deutschland
und andere nordeuropäische Länder
können das akzeptieren.

Die Corona-Anleihen, oder wie immer
sie heißen werden, sollen also zeitlich
begrenzt sein?
Ganz genau. Man kann die Höhen fest-
legen, die Dauer, den Namen, das Label,
wie auch immer. Man könnte sie zum
Beispiel Recovery Bonds nennen, das
hat Frankreich vorgeschlagen. Die Bot-
schaft nach Nordeuropa lautet aber:
Wir reden nicht über die Vergemein-
schaftung von Schulden. Es ist durchaus
legitim, über die Vergemeinschaftung
von Schulden in der Euro-Zone zu re-
den, verstehen Sie mich nicht falsch.
Aber jetzt ist dafür der falsche Zeit-
punkt. Jetzt geht es um gemeinsame
Schulden im Kampf gegen das Corona-
virus und seine Folgen, nicht um die
Schulden der vergangenen 30 Jahre.

Die EU-Kommission arbeitet auch an
einer Strategie für den Ausstieg aus
den Krisenmaßnahmen. Wie könnte
die aussehen?
Der Ausstieg aus den Krisenmaßnah-
men wird sich wahrscheinlich über ei-
nen sehr langen Zeitraum ziehen und
muss wissenschaftlich begleitet sein.
Gleichzeitig müssen wir den wirtschaft-
lichen Erholungsprozess massiv unter-
stützen. Wir brauchen einen europäi-
schen Marshallplan. Der Marshallplan
kam zwei Jahre nach dem Ende des
Zweiten Weltkriegs; so viel Zeit haben
wir diesmal nicht. Wir müssen den Plan
für den Wiederaufbau schon während
der Krise und parallel zum Ausstieg aus
den Krisenmaßnahmen anlaufen lassen.
Deshalb brauchen wir eine Entschei-
dung für einen Plan dieses Frühjahr,
nicht erst in zwei Jahren. Und dazu
müssen auch gemeinsame Anleihen als
Finanzierungsquelle gehören. Auch der
Haushalt der EU wird dabei eine Rolle
spielen, deshalb überarbeiten wir unse-
re Haushaltsplanung.

Wie kann solch ein neuer Marshall-
plan aussehen?
GENTILONI:Wir müssen beim Wieder-
aufbau Lehren aus der Krise berücksich-
tigen. Unsere Gesundheitsversorgung
muss gestärkt werden, die Sozialsyste-
me aufgerüstet. Gleichzeitig müssen
wir Europas Wirtschaft nachhaltiger
machen und die Digitalisierung voran-
treiben. Wir sind alle in den vergange-
nen Wochen digitaler geworden; diesen
Schub müssen wir nutzen, um die Digi-
talisierung zu beschleunigen. Der Staat
wird nach der Krise eine wichtigere Rol-
le in der Wirtschaft spielen. Das ist un-
vermeidlich. Aber das darf nicht bedeu-
ten, dass die unausweichliche stärkere
Rolle des Staates in der Wirtschaft dazu
führt, dass wir in Europa mit autoritä-
ren Staatsformen liebäugeln, weil die
angeblich in der Pandemie besser funk-
tioniert haben. Dies ist nicht die Zeit für
demokratische Verwirrung.

Sie drücken sich sehr diplomatisch
aus. Sie sprechen von Ungarn.
Die gegenwärtige Politik der ungari-
schen Regierung testet die Grenzen
dessen aus, was nach unseren europäi-
schen Prinzipien in einer Demokratie
noch möglich ist. Aber Ungarn ist poli-
tisch sehr gespalten. Die ungarische Be-
völkerung ist weitgehend proeuropä-
isch. Wir müssen deshalb klar einfor-
dern, dass Ungarn unsere Regeln ein-
hält, ohne einen Bruch mit Ungarn he-
raufzubeschwören. Das sind wir den
Ungarn schuldig. Wir Europäer lieben
unsere Demokratien, und das zu Recht,
und jedermann sollte sie in diesen Ta-
gen hochhalten.

EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Paolo Gentiloni: „Der Staat wird nach der Krise eine wichtigere Rolle in der Wirtschaft spielen“

BLOOMBERG

/ DARIO PIGNATELLI

„„„Wir müssen auch die EU retten“Wir müssen auch die EU retten“


EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni warnt vor dem Auseinanderbrechen der Union in der


Corona-Krise. Er fordert von den Nordeuropäern Solidarität mit wirtschaftlich schwächeren Staaten


Unser Pensionär

Otto Knop


verstarb am 23. Februar 2020 im Alter von 93 Jahren.

Er gehörte unserem Hause von 1954 bis 1989 an
und war zuletzt in der Abteilung Leitung Druck tätig.
Wir werden sein Andenken stets in Ehren halten.

Axel Springer SE

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Paolo Gentiloni, 6 5, ist seit De-
zember EU-Kommissar für Wirt-
schaft, Währung, Steuern und
Zollunion. Der Politikwissen-
schaftler war von 2016 bis 2018
Ministerpräsident von Italien,
zuvor war er Außenminister.

Zur Person

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