Die Welt - 04.04.2020

(Barry) #1


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Neuzulassungen Personenkraftwagen

Quelle: Kraftfahrt-Bundesamt

Fahrzeuge in Tausend in den Jahren:















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Die sinkenden Grenzwerte für CO�-Emissionen seit ����

Quelle: ICCT

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ie Corona-Pandemie
trifft die Automobilbran-
che wie kaum eine andere
Industrie. Fabriken in
Deutschland und Europa
sind flächendeckend geschlossen, der
stationäre Autohandel ruht ebenfalls.
Doch auch wenn der Betrieb in einigen
Wochen wieder anläuft, ist die Automo-
bilwirtschaft aus der Krise längst nicht
heraus. Denn zugleich steckt die Bran-
che mitten im Strukturwandel hin zu
einer weniger klimaschädlichen Mobili-
tät und zu einem deutlich geringeren
Ausstoß an Treibhausgasen aus den
Fahrzeugen.

VON TOBIAS KAISER UND OLAF PREUSS

Schon unter normalen Bedingungen
bedeutet die Senkung der Abgaslasten
eine enorme Herausforderung für die
Automobilwirtschaft – die Hersteller
müssen reine Elektrofahrzeuge und sol-
che mit Hybridantrieb nicht nur her-
stellen, die Kunden müssen sie auch
kaufen. Bislang aber liegt der Marktan-
teil solcher Fahrzeuge in Deutschland
insgesamt deutlich unter zehn Prozent.
Die Kunden halten sich, trotz erhöhter
Kaufprämien, zurück – weil teil- oder
vollelektrische Fahrzeuge nach wie vor
teurer sind als solche mit reinem Ver-
brennungsantrieb und weil die Autofah-
rer vielerorts keine überzeugende Lad-
einfrastruktur vorfinden.
Nun werden Forderungen lauter, die
Europäische Union müsse die Abgas-
grenzwerte lockern, um den Neustart
nach der Krisenicht komplett abzuwür-
gen – der frühere EU-Kommissar Gün-
ther Oettinger argumentiert in diese
Richtung ebenso wie der europäische
Herstellerverband ACEA. Seit diesem
Jahr gilt für die Flotten von Neufahr-
zeugen der Hersteller ein durchschnitt-
licher Grenzwert von 95 Gramm Koh-
lendioxid (CO 2 ) je Kilometer, zuvor wa-
ren es 130 Gramm. Wenn die Hersteller

die ihnen zugemessenen Werte über-
schreiten, drohen ihnen hohe Strafzah-
lungen – bei Volkswagen wären es für
dieses Jahr laut gängigen Kalkulationen
rund 4,5 Milliarden Euro, bei Daimler
rund eine Milliarde Euro, bei BMW et-
wa 750 Millionen Euro.
„Aus unserer Sicht gibt es drei Mög-
lichkeiten, um die Auswirkungen der
geltenden CO 2 -Grenzwerte auf die Au-
tomobilbranche zu lindern“, sagt Ger-
hard Wolf, Analyst für die Automobil-
wirtschaft bei der Landesbank Baden-
Württemberg (LBBW): „Die Strafzah-
lungen auszusetzen, die CO 2 -Ziele in
den kommenden Jahren stufenweise zu
reduzieren anstatt jetzt in einem
Schritt, oder eine Kombination beider
Möglichkeiten, ergänzt um ein Bonus-
system, das diejenigen Hersteller be-
lohnt, die trotz aktueller Widrigkeiten
die ursprünglich geplanten Ziele errei-
chen.“ Das alles würde einer Art tempo-
rärer CO2-Sünder-Begnadigung ent-
sprechen. Man könne der Industrie
zwar den Vorwurf machen, die Zeit zwi-
schen der Verordnung 2009 über die
CO 2 -Flottenziele und deren Umsetzung
2020 nicht ausreichend genutzt zu ha-
ben, sagt Wolf: „Die jetzige Krise dürfte
aber so schwerwiegend sein, dass es an-
gebracht ist, nicht dogmatisch kurzfri-
stig an politischen Zielen festzuhalten.“
Das Thema ist politisch hochsensibel.
Die Automobilbranche will nicht in den
Verdacht kommen, die Corona-Pande-
mie zu nutzen, um lästige Auflagen zum
Klimaschutz zu lockern. Zugleich muss
sie hohe Investitionen erwirtschaften,
um die Ansprüche an den Klimaschutz
erfüllen zu können. Ein Problem dabei:
Das Geld für die Transformation hin
zur Elektromobilität verdienen die Her-
steller bislang noch vor allem durch den
Verkauf von Fahrzeugen mit Benzin-
und Dieselmotoren. Die Pkw-Neuzulas-
sungen in Deutschland brachen im
März um 38 Prozent ein, verglichen mit
dem Vorjahresmonat, teilte der Auto-

mobilverband VDA am Freitag mit. Der
internationale Automobilmarkt dürfte
in diesem Jahr um zehn bis 15 Prozent
schrumpfen – während die Kosten für
die Entwicklung und Markteinführung
neuer Elektrofahrzeugehoch bleiben.
Entsprechend der schwierigen Ge-
mengelage äußert sich der europäische
Dachverband ACEA eher vorsichtig. Der
aktuelle Stillstand mache die Pläne der
Branche zur Makulatur, sich den euro-
päischen Vorgaben anzupassen,

schreibt der Verband in einem Brief an
die EU-Kommission, ohne die CO 2 -
Grenzwerte explizit zu erwähnen. Man
glaube, es sei nötig, „einige Anpassun-
gen“ bei den Zeitplänen für die Umset-
zung der geltenden Vorschriften und
Richtlinien vorzunehmen.
Der VDA hält sich bei der Bewertung
der aktuell geltenden CO 2 -Grenzwerte
für die Branche noch deutlicher zurück


  • auch angesichts der Umweltverbände
    in Deutschland, die bereits vor einem


Rollback der Automobilbranche beim
Klimaschutz warnen. „Wir stehen auch
in Zeiten der Corona-Krise ganz klar zu
den CO 2 -Zielen, ohne Wenn und Aber“,
sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller.
Gleichzeitig nimmt sie allerdings das
Ziel der EU-Kommission ins Visier, die
heutigen Grenzwerte in diesem Jahr-
zehnt noch einmal um ein Drittel deut-
lich zu verschärfen, bis hin zu einem
Ausstoß von nur noch 65 Gramm CO 2 je
Kilometer. Vor der Corona-Pandemie
hatte die 2019 neu aufgestellte Kommis-
sion einen umfassenden „Green Deal“
angekündigt, eine Offensive für einen
besseren Klimaschutz in der Europäi-
schen Union. Das könnte auch eine
schnelle Absenkung der CO 2 -Grenzwer-
te für Neufahrzeuge in den kommenden
Jahren bedeuten: „Wir fordern, dass un-
serer Branche jetzt nicht weitere, zu-
sätzliche Lasten aufgebürdet werden,
wie wir das aktuell zum Beispiel im Rah-
men der Diskussion um den European
Green Deal sehen“, sagt Müller. „Wir
müssen die wirtschaftlichen Auswir-
kungen der Corona-Krise erst seriös be-
werten, bevor wir über zusätzliche Bela-
stungen sprechen.“
Aus der EU-Kommissionheißt es,
man habe die Situation der Automobil-
branche in Europa selbstverständlich
im Blick. Gegenwärtig gebe es aber kei-
ne Überlegungen hinsichtlich der Emis-
sionsziele. Auch ein Aussetzen der Stra-
fen sei bisher nicht im Gespräch gewe-
sen. „Die bisher präsentierten wirt-
schaftlichen Maßnahmen der EU-Kom-
mission sehen nicht vor, potenzielle
Strafen für Autohersteller aufzuschie-
ben, wenn und falls sie anfallen“, sagte
eine Sprecherin der EU-Behörde zu
WELT. „Im aktuellen Stadium können
wir nicht über mögliche Folgen der Kri-
se für einzelne Politikbereiche spekulie-
ren. Die Kommission wird normal wei-
terarbeiten und sicherstellen, dass wir
angemessene Antworten auf die Coro-
navirus-Pandemie finden.“ Tatsächlich
sind der Kommission derzeit in dieser
Hinsicht kurzfristig die Hände gebun-
den. Die derzeitigen europäischen Re-
geln erlauben es der EU-Verwaltung gar
nicht, auf Strafen zu verzichten oder sie
aufzuschieben, falls ein Hersteller die
Emissionsziele nicht erreicht. Das wäre
nur möglich, wenn das Europäische Par-
lament und die Mitgliedstaaten im Eu-
ropäischen Rat die derzeitigen Regeln
dementsprechend ändern. Der entspre-
chende Gesetzentwurf müsste
allerdings wiederum von der Kommissi-
on kommen.
Kommissionsvizepräsident Frans
Timmermans hatte erst in dieser Wo-
che unmissverständlich klargemacht,
dass die EU-Behörde bisher beim
Kampf gegen den Klimawandel, dem sie
bisher absolute Priorität eingeräumt
hatte, ungebremst am bisherigen Fahr-
plan festhält. Timmermans startete am
Dienstag eine öffentliche Konsultation
zu den Klimazielen für 2030 – es ist ein
weiterer Schritt zu einer Verschärfung
der Ziele. Auch auf der Basis der Ergeb-
nisse dieser Befragung wird die Kom-
mission entscheiden, welchen Vor-
schlag zur Verschärfung der Ziele sie
machen wird – ob auf 50 Prozent oder
55 Prozent des zugrundeliegenden CO 2 -
Ausstoßes. Derzeit ist vorgesehen, dass
die EU ihre Treibhausgasemissionen
um 40 Prozent gegenüber dem Wert
von 1990 reduziert.

12


04.04.20 Samstag, 4. April 2020DWBE-HP


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12 WIRTSCHAFT *DIE WELT SAMSTAG,4.APRIL


Mittelstand mit zwischen zehn und 249
Beschäftigten dagegen bleibt nach Ver-
bandsangaben nur ein Sonderkreditpro-
gramm der staatlichen Förderbank KfW.
„Doch die Nachfrage ist immens, und
das Antragsverfahren läuft mehr
schlecht als recht“, beschreibt Günter
Althaus, der Leiter der „Taskforce Liqui-

ten Paket, auf dem ein dickes Fragezei-
chen steht. Die betroffenen Händler
wollen diese Plakate in den kommenden
Tagen in ihre Schaufenster hängen und
darüber hinaus Fotos davon in den so-
zialen Medien teilen als unmittelbares
Feedback für die Politik. „Damit geben
wir den wirtschaftlich Betroffenen die-
ser Krise ein Gesicht“, beschreibt
Schwarzer, der im Hauptberuf stellver-
tretender Vorstandschef des Software-
und IT-Dienstleisters Datev ist. Denn es
knirsche an allen Ecken und Enden bei
der Verteilung der Liquiditätshilfen.
„Die Arbeit ist nicht damit getan, ein
milliardenschweres Hilfspaket aufzu-
setzen. Solange das Geld nicht an-
kommt, ist keine Rechnung bezahlt, kei-
nem Unternehmen und vor allem kei-
ner einzigen Mitarbeiterin und keinem
einzigen Mitarbeiter geholfen“, mahnt
Schwarzer. Die Menschen seien aber
nicht nur in Sorge um ihre Gesundheit,
sondern auch um ihren Arbeitsplatz.
Betroffen sind vor allem die mittel-
großen Händler. Denn Kleinstfirmen
und Selbstständige bekommen eine di-
rekte finanzielle Unterstützung und
größere Unternehmen mit mindestens
249 Mitarbeitern oder mehr als 50 Mil-
lionen Euro Umsatz können den Wirt-
schaftsstabilitätsfonds nutzen. Für den

B


ei Deutschlands mittelständi-
schen Einzelhändlern steigen
VVVerzweiflung und Panik. „Dererzweiflung und Panik. „Der
Rettungsschirm der Bundesregierung
hat Löcher – und der Mittelstand
rutscht durch“, warnt Eckhard
Schwarzer, der Präsident des Mittel-
standsverbunds, der Dachorganisati-
on der Verbundgruppen in Deutsch-
land, zu denen zum Beispiel Unter-
nehmen wie Intersport und Expert
oder Vedes und Musterhausküchen-
fffachgeschäft (MHK) gehören.achgeschäft (MHK) gehören.

VON CARSTEN DIERIG

Die Politik spreche zwar immer wie-
der von einem beispiellosen und histo-
risch einzigartigen Hilfsprogramm.
„Der Mittelstand wartet aber noch im-
mer auf Kredite.“ Und das wollen die
Unternehmen der Politik nun mit einer
Plakataktion verdeutlichen, die auch
vom Handelsverband Deutschland
(HDE) unterstützt wird.
„Danke liebe Bundesregierung für
das Hilfspaket“, steht in großen weißen
Buchstaben am oberen Rand eines grü-
nen Posters. Darunter folgt dann der
Satz „Bei unserem Betrieb mit ___ Be-
schäftigten ist noch nichts angekom-
men“, untermalt mit einem gestrichel-

dität für den Mittelstand“ des Mittel-
standsverbunds. „Aber die Zeit drängt:
Mittlerweile gibt es eine sechsstellige
Zahl an Unternehmen in der höchsten
Gefährdungsstufe.“ Und für viele davon
werde es schon im April ganz eng.
Am schlimmsten trifft es die Händler
mit Saisonware, also vorrangig die Ver-
käufer von Mode, Schuhen und Sportar-
tikeln. Denn sie haben im Januar und
Februar flächendeckend neue Ware be-
kommen – samt Rechnung. „Die Liqui-
dität ist also weg, und neue kommt der-
zeit nicht rein wegen der Geschäfts-
schließungen“, beschreibt Althaus. „Al-
so laufen jetzt jeden Tag hohe Verluste
auf.“ Und damit nicht genug. „Mode ist
eine verderbliche Ware“, sagt Steffen
Jost, der Präsident des Handelsver-
bands Textil (BTE). „Denn Hosen oder
Schuhe aus der Frühjahrskollektion
kann der Modehandel im Sommer kaum
noch verkaufen.“ Allenfalls mit hohen
Rabatten. „Dann verdienen die Händler
aber nichts“, erklärt Taskforce-Chef
Althaus, dem zufolge auch noch ein
dritter Hammer auf die Händler wartet:
„Was nicht verkauft werden konnte,
muss am Jahresende abgeschrieben
werden und steht dann ergebniswirk-
sam in der Bilanz.“ Spätestens das wer-
de vielen Unternehmen den Rest geben.

Dem Vernehmen nach überlegen da-
her erste Händler, ob sie überhaupt noch
Staatshilfen beantragen – weil absehbar
ist, dass sie mit oder ohne Hilfe am Ende
überschuldet sein werden. Aus Sicht von
Althaus ist eine flächendeckende Rekapi-
talisierung der einzige Weg aus der Kri-
se, also sofortige Liquiditätshilfen ohne
spätere Rückzahlung. „Derzeit gehen
ganze Lebensentwürfe innerhalb weni-
ger Wochen den Bach runter“, heißt es
aus der Branche. „Nun wollen die Betrof-
fenen zumindest noch ihr verbliebenes
Privatvermögen retten.“
Wer noch nicht resigniert, hat enor-
men Zeitdruck. „Es geht jetzt wirklich
um jeden Tag bei den Fördergeldern“,
mahnt der HDE, der auch andere Bran-
chen und Verbände zur Teilnahme an
der Plakataktion ermuntert. „Damit
sichtbar wird, wie es an der Basis wirk-
lich aussieht.“ Der Mittelstandsverbund
rechnet damit, dass die Mehrzahl der
mittelständischen Handelsbetriebe in-
nerhalb der nächsten vier bis sechs Wo-
chen zahlungsunfähig sein wird. Denn
es hapere nicht nur bei den KfW-Kredi-
ten. Auch das hilfreiche Kurzarbeiter-
geld werde nur wirksam, wenn es
schnell ausgezahlt wird. Dies sei aller-
dings bei Bearbeitungszeiten von sechs
bis zehn Wochen nicht in Sicht.

Dieses Plakat zeigt die Verzweiflung


Der mittelständische Handel fällt bei Staatshilfen oft durchs Raster, beschweren sich Verbände. Mit einer Aktion soll Druck gemacht werden


Das Plakat können Unternehmen aus-
fffüllen und ins Schaufenster hängenüllen und ins Schaufenster hängen

M
ITTELSTANDSVERBUND ZGV

W


enn Sie in diesen Tagen
vor die Tür treten, wer-
den Sie schnell feststel-
len, dass viel weniger Menschen und
Autos unterwegs sind als sonst, und
das vollkommen unabhängig von der
Tageszeit. Sie werden nicht lange
überlegen müssen, warum das so ist.
Es hat, natürlich, mit der Corona-
Pandemie zu tun. Deswegen wurden
auch alle Bundesligaspiele, der Euro-
vision Song Contest, die Bayreuther
Festspiele, die Passionsspiele in
Oberammergau und die Leipziger
Buchmesse abgesagt. Das ist bitter,
aber unvermeidlich, so wie im Fall ei-
ner Sturmflut die bedrohten Gebiete
zu Sperrzonen erklärt werden.
Dieses Phänomen ist nun auch
von Fachleuten einer Gesellschaft
für Marktforschung untersucht wor-
den. Diese kamen zu folgendem Er-
gebnis: „Die aufgrund der Corona-
Pandemie erlassenen Maßnahmen
zur Reduzierung der Mobilität zei-
gen Wirkung: Die Deutschen bewe-
gen sich deutlich weniger. Auch die
16- bis 29-Jährigen haben ihre Mobi-
lität stark eingeschränkt und ihre Ta-
gesdistanzen in den vergangenen
zwei Wochen mehr als halbiert.“
Kein Wunder, werden Sie jetzt
denken, wo doch alle Discos und Ki-
nos geschlossen und auch die Fri-
days-for-Future-Demos abgesagt
wurden. Wohin sollen sich die jun-
gen Menschen zwischen 16 und 29 in
diesen Tagen denn noch bewegen?
Doch nicht etwa in eine städtische
Bibliothek, um dort „Die letzten Ta-
ge der Menschheit“ von Karl Kraus
zu lesen? Sie können sich ja nicht
einmal in einem Park treffen, weil
auch das grundlose Herumlungern
inzwischen untersagt wurde.

Nun wissen Sie wenigstens, dass
Sie sich nicht getäuscht haben. Es
sind tatsächlichviel weniger Autos,
Menschen und Radfahrer in
Deutschland unterwegs als noch vor
14 Tagen. Die Mobilität nimmt ab,
aber das Coronavirus breitet sich
weiter aus. Wäre jetzt nicht der rich-
tige Moment gekommen, um Mobili-
tät „neu zu denken“?
Das Virus reist huckepack. Es mel-
det sich nicht an und nicht ab, es
braucht keinen Pass, kein Visum,
keine Aufenthaltserlaubnis, nicht
einmal eine Google Map. Es passiert
unbemerkt jede Grenzkontrolle und
jede Straßensperre. Und es ist „sozi-
al gerecht“, befällt Arme und Reiche,
Alte und Junge, Feinschmecker
ebenso wie die Freunde der Haus-
mannskost. Es lehrt die Menschen,
vorsichtig miteinander umzugehen,
auf ausreichend Abstand zu achten
und sich regelmäßig die Hände zu
waschen. Alles Selbstverständlich-
keiten, sollte man meinen, aber dann
doch auch irgendwie nicht. Und in-
dem es uns zwingt, immobil zu wer-
den, macht es uns den Wert der Mo-
bilität bewusst. Würde es nicht in so
vielen Fällen zum Tode führen, son-
dern nur, sagen wir, leichte Übelkeit
verursachen, würden wir es lauthals
begrüßen: „Kein Virus ist illegal!“
Bis vor Kurzem noch war Mobili-
tät der Inbegriff der Moderne. Quali-
fizierte Arbeitskräfte pendelten zwi-
schen Ingolstadt, Tampere und
Zaandam. Ein Wochenende auf den
Kapverden war so alltäglich wie ein
Ausflug an den Altmühlsee. Jetzt
sagt man uns, dass wir an Ostern
nicht einmal mehr die Eltern und
Großeltern in Kleve besuchen dür-
fen. Das werden keine frohen Feier-
tage, egal, ob wir die Auferweckung
Jesu von den Toten feiern oder den
Auszug der Israeliten aus Ägypten.
Wir werden zu Hause herumhocken,
„Mensch, ärgere dich nicht“ spielen
und uns an den Spaß erinnern, als
wir auf der A8 bei Rosenheim in ei-
nem zehn Kilometer langen Stau
steckten.

DIE ACHSE DES GUTEN

MMMensch, ärgereensch, ärgere


dich nicht!


HENRYK M. BRODER

CORONAVIRUS


MACHT UNS WERT


DER MOBILITÄT


BEWUSST


Der Automarkt in Deutschland ist
wegen der Corona-Krise im März
eingebrochen. Im vergangenen Mo-
nat sanken die Pkw-Neuzulassungen
um 38 Prozent auf 215.100 Fahr-
zeuge, wie der Verband der Auto-
mobilindustrie (VDA) mitteilte. Dies
sei der stärkste Rückgang in einem
Monat seit der Wiedervereinigung.
Hauptgrund waren die wegen der
Ausbreitung des Virus erlassenen
Einschränkungen des öffentlichen
Lebens. „Wir haben das Problem,
dass der Kfz-Handel nicht geöffnet
werden darf und viele Zulassungs-
stellen nicht geöffnet sind. Der Rest
ergibt sich“, sagte ein Branchen-
vertreter. In Krisenzeiten denke oh-
nehin kaum jemand an den Kauf
eines Autos. Experten erwarten,
dass sich der Rückgang in den kom-
menden Wochen noch beschleunigen
wird. Von dem Einbruch im März
wurden laut Kraftfahrt-Bundesamt
alle größeren Hersteller erfasst. Die
Spanne reichte von minus 20,7 Pro-
zent beim BMW-Mini bis zu 84,
beim Kleinwagen Smart von Daim-
ler. Praktisch alle Pkw-Marken ver-

buchten ein dickes Zulassungsminus.
Ausgenommen waren lediglich
Wohnmobile, deren Absatz im ver-
gangenen Monat um 2,3 Prozent
zulegte.Kräftige Zuwächse erziel-
ten dagegen Elektroautos,die
wegen der staatlichen Förderung
gefragt sind. So verdreifachten sich
die Neuanmeldungen von Plug-in-
Hybriden, deren Akkus an der Steck-
dose aufgeladen werden können.
Rein batteriegetriebene Wagen
legten um 56 Prozent zu. Entspre-
chend stark sank der durchschnitt-
liche CO 2 -Ausstoß aller neu zugelas-
senen Fahrzeuge um 4,9 Prozent auf
1 49 Gramm pro Kilometer. Tiefe
Bremsspuren hinterließ die Krise
auch in der Produktion und im Ex-
port von Fahrzeugen. Der Auftrags-
eingang aus dem Inland sank im
März binnen Jahresfrist um 30 Pro-
zent. Noch stärker war der Rück-
gang bei den Auslandsorders, die um
3 7 Prozent schrumpften. Der Ab-
satzrückgang dürfte sich in den
kommenden Wochen noch verschär-
fen, da die Produktion in den Fahr-
zeugwerken seit Mitte März ruht. rtr

Neuzulassungen brechen um 38 Prozent ein

WWWerden Europas Autobauer erden Europas Autobauer


in der Krise begnadigt?


Hersteller müssen strengere Abgasgrenzwerte einhalten oder hohe Strafen zahlen. Zurzeit fehlt


ihnen aber Geld für Investitionen in saubere Antriebe. Es gibt erste Rufe nach einer Lockerung


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