Die Welt - 04.04.2020

N

icht in jedem schlummert

eine innere Lehrkraft. Ent-

sprechend fällt es einigen

Eltern schwer, den Unter-

richt für die Kinder daheim

zu übernehmen, während die Schulen in

der Corona-Krise geschlossen sind. Doch

das müssen sie auch gar nicht, sagt Eva

Odersky. Die promovierte Pädagogin ist

AAAutorin für Schul- und Kinderbücher undutorin für Schul- und Kinderbücher und

lehrt an der Ludwig-Maximilians-Univer-

sität in München. Niemand erwarte von

Eltern, dass sie jetzt die Rolle der Lehrer

üüübernehmen – im Gegenteil.bernehmen – im Gegenteil.

VON MARLEN DANNORITZER

Eltern sollten diese Phase als Chance

verstehen, das Lernen nun weniger ver-

schult anzugehen. Während Schüler hö-

herer Klassenstufen dies meist bereits al-

leine beherrschten, empfiehlt Odersky

Eltern jüngerer Kinder, sich dem Lern-

stoff spielerisch zu widmen. Dafür benö-

tigen sie gar nicht viel Platz, sondern le-

diglich etwas Kreativität.

Odersky, die selbst viele Lernspiele

und -materialien entwickelt hat, hält

Lernparcours für eine gute Idee. Sie ver-

binden Aufgaben mit Bewegung, und die

sei momentan besonders wichtig für Kin-

der. Besitzer einer kleinen Wohnung sind

dabei nicht unbedingt im Nachteil. Denn

ein guter Parcours sei nicht allein vom

Platz abhängig. Dabei müssen Kinder un-

terschiedliche Aufgaben bewältigen. Die

können von klassischen Spielen, Rätseln

und Denkaufgaben bis hin zu Sportübun-

gen reichen. Der Aufbau ist abhängig von

Platz und Geschmack, egal ob klassisch

als Zirkel oder einfach verteilt über die

WWWohnung, der Kreativität sind keineohnung, der Kreativität sind keine

Grenzen gesetzt.

Eine Station bei einem Lernparcours

kann unterschiedlich lange dauern. Oft

verlieren sich Kinder im Spiel, das sollte

dann auch nicht abrupt beendet werden.

Andere Ideen, die auf den ersten Blick

spannend erscheinen, tragen hingegen

nicht allzu lange. „Bei kleineren Kindern

sollte schon nach fünf bis zehn Minuten

AAAufgaben Bewegung folgen“, rät Oder-ufgaben Bewegung folgen“, rät Oder-

sky. Damit die Sportstationen nicht nur

aus Herumrennen bestehen, sondern ab-

wechslungsreich sind, schlägt Odersky

vor, auch andere Bewegungsformen ein-

zubauen. Zum Beispiel: Krabbeln oder

Robben unter einem Stuhl oder über das

Sofa, Seilhüpfen, Balancieren, Hampel-

männer, Trampolinspringen oder Gum-

mitwist, wenn das Kind allein ist, zwi-

schen zwei Stühlen.

Der wichtigste Hinweis von Odersky:

Es braucht keine teuren Spielsachen, häu-

fffig tun es einfachste Haushaltsmittel. Soig tun es einfachste Haushaltsmittel. So

könnte mit einer Schnur als Markierung

am Boden das Balancieren oder Rück-

wärtslaufen geübt werden oder mit Klebe-

band ein Hüpfspiel kreiert werden. Sinn-

voll ist es auch, sein Kind mit einzubin-

den. „Zum Beispiel gemeinsam überlegen,

welche Übungen man an und mit einem

Stuhl machen kann: darauf sitzen, darauf

stehen, darunter kriechen, ihn mit einem

Tuch als kleine Bühne nutzen und so wei-

ter.“ Kindern fallen dabei häufig auch we-

niger offensichtliche Alternativen ein.

WWWer mehrere Kinder hat, kann dieseer mehrere Kinder hat, kann diese

auch gemeinsam beschäftigen. Sind die

Kinder in einem ähnlichen Alter, können

sie problemlos gemeinsam einen Par-

cours bestreiten. Befinden sie sich in un-

terschiedlichen Lernphasen, ist es sinn-

voll, für die größeren Geschwister höhe-

re Schwierigkeiten einzubauen. Außer-

dem können die Älteren auch eine anlei-

tende Funktion einnehmen, indem sie

den Jüngeren vorlesen oder bei ihren

AAAufgaben helfen.ufgaben helfen.

Auch die Hausaufgaben können in

diese Spiele integriert werden. Lernpsy-

chologisch besonders sinnvoll ist es, die

Arbeitsmaterialien an verschiedene Or-

te zu verteilen und kurze Bewegungs-

einheiten zwischendurch einzufügen:

Das Blatt zum Abschreiben liegt auf

dem Bett, das Kind balanciert auf einem

Seil vom Schreibtisch dorthin, merkt

sich eine Aufgabe oder einen Satz, ba-

lanciert zurück zum Schreibtisch und

schreibt die Lösung oder den Satz auf.

Alternativ kann das Kind seine Schreib-

übungen beispielsweise auf dem Tep-

pich absolvieren, oder es liegt eine

Wellpappe unter dem Blatt. Dabei lernt

es, je nach Unterlage unterschiedlichen

Druck auf den Stift auszuüben. So kön-

nen Eltern dabei helfen, flüssige Schrift

zu lehren, erklärt Odersky, die selbst

zum Thema Schreibenlernen und

Handschriftentwicklung forscht.

Wichtig ist es aber, nicht zu viel zu er-

warten, um die Kinder nicht zu überfor-

dern. „Momentan bekommen Kinder

bergeweise Hausaufgaben. Das ist kaum

am Stück zu schaffen“, sagt der Ergothe-

rapeut und Moderator André Gatzke. Er

zeigt in der WDR-Sendung „Der etwas

André Unterricht“ unter anderem lustige

Beschäftigungen für daheim, bei denen

Kinder etwas lernen können. „Deshalb

sollten Eltern darauf achten, dass sie ih-

nen ausreichend Pausen gönnen und das

Ende immer klar definieren. Entweder

als Uhrzeit oder indem das Kind weiß,

‚nach diesem Blatt bin ich fertig‘.“

AAAus seiner Erfahrung als Ergothera-us seiner Erfahrung als Ergothera-

peut weiß Gatzke, dass viele Eltern oft

gar nicht genau wissen, worin ihre Kin-

der gut sind. Durch die momentane Lage

bekämen sie die Chance, Zeit mit ihren

Kindern zu verbringen und mehr über sie

zu lernen. „Dabei erfahre ich dann auch

gleich, worin ich als Elternteil gut bin

und was ich noch verbessern kann“, sagt

Gatzke. Mancher sei beispielsweise sehr

geduldig, dafür fehle es ihm vielleicht an

Improvisationstalent. Bei anderen sei es

dafür umgekehrt.

Entscheidend für den Lernerfolg ist

neben dem Spaß, der seiner Ansicht nach

nicht vergessen werden sollte, eine ge-

wisse Struktur. Die muss nicht identisch

mit dem Stundenplan in der Schule sein,

sollte aber beibehalten werden. Gatzkes

persönliche Empfehlung sind Schulstun-

den, die täglich zur gleichen Zeit begin-

nen. Als Richtwert für die Länge nennt er

2 0 bis 25 Minuten. Über diesen Zeitraum

hinweg könnten Kinder die Konzentrati-

on gut aufrechterhalten. Aber: „Da müs-

sen sich Eltern ganz nach ihren Kindern

richten.“

WWWährend der Lernzeit sollten sowohlährend der Lernzeit sollten sowohl

Kinder als auch Eltern das Handy aus-

schalten, rät er. Denn Kinder seien durch

digitale Medien so viel Ablenkung ausge-

setzt, dass die Konzentrationsfähigkeit

darunter nachhaltig leide. Wer mag, kann

das Handy in Ausnahmefällen für Spiele

nutzen. Zum Beispiel: „Was ist der

kleinste Gegenstand bei uns zu Hause?

WWWas der größte? Und wie viele gibt es da-as der größte? Und wie viele gibt es da-

von?“ Dann müssen die Kinder sich auf

die Suche begeben und Fotos davon ma-

chen. Das sei didaktisch wertvoll, weil

der Auftrag das neue Medium mit Bewe-

gggung und Spaß verbinde.ung und Spaß verbinde.

Klar ist, dass es gerade im Spiel auch

lauter zugehen kann, sodass es schwer

wird, nebenbei zu arbeiten. Das heißt

aaaber nicht, dass Eltern im Homeofficeber nicht, dass Eltern im Homeoffice

darauf verzichten müssen, ihre Kinder

mit Parcours zu unterhalten. „Es gibt im-

mer auch eine leisere Alternative“, ver-

spricht Odersky, „man kann im Parcours

nicht nur laufen, sondern auch schlei-

chen, robben, krabbeln, mit einem Buch

auf dem Kopf balancieren ...“

Und auch, wenn sich Kinder einmal al-

leine beschäftigen müssen, heißt das

nicht, dass der Lernerfolg verloren geht.

„Eltern müssen sich frei machen von

dem Gedanken, dass Kinder stets kon-

trolliert werden müssen!“ Zum Beispiel

können Kinder ihren Kuscheltieren vor-

lesen. Fehler seien dabei nicht unbedingt

ein Problem. Denn: „Dabei geht es nicht

darum, dass das Kind jedes Wort richtig

liest. Selbst wenn das Kind gar nicht

wirklich liest, sondern sich die Geschich-

te zum Teil selbst ausdenkt, übt es dabei

kreatives Denken und steigert sein Er-

zählvermögen.“

Gatzke rät Eltern im Homeoffice,

den Kindern die Situation zu erklären.

Gegebenenfalls könnten auch Schilder

an der Tür dabei helfen, den Kindern zu

zeigen, ob es gerade passt. Eine Art Uhr

ist schnell gebastelt. Steht der Zeiger

auf „Videokonferenz“ oder „qualmen-

der Kopf“, wissen die Kinder, dass sie

nur in wichtigen Ausnahmen klopfen

sollten. Steht der Zeiger auf „Arbeit“,

wären diese Ausnahmen schon dehnba-

rer. Die Uhr und die Begriffe darauf

könne jeder mit seinen Kindern indivi-

duell gestalten.

Zudem sollten Eltern nicht unter-

schätzen, wie viel Kinder auch bei tradi-

tionellen Spielen lernen können, so

Odersky. In den meisten Haushalten gibt

es verschiedene Spiele oder eine Spiele-

sammlung, aber selbst, wenn nicht: Kin-

der können sich durchaus alleine be-

schäftigen und dabei lernen. Viele Lern-

spiele sind sogar komplett ohne Vorbe-

reitung möglich. In den meisten Haus-

halten gebe es Rätselblöcke, alternativ

schlägt Odersky vor, sich selbst Fragen

auszudenken.

Eine besondere Schwierigkeit lasse

sich in den Parcours integrieren, indem

Bewegung mit den Fragen oder dem Lö-

sen von Aufgaben verbunden werde. Et-

wa, indem das Kind während der Liege-

stützen eine Schätzfrage gestellt bekom-

me. Auch das Händewaschen, das derzeit

besonders wichtig sei, werde durch Rät-

sel am Waschbecken aufgelockert – alter-

nativ zum Singen von Liedern wie „Hap-

py Birthday“.

Für Zwischendurch empfiehlt Gatzke

lustige Experimente. Eines seiner liebs-

ten Experimente ist: „Was schwimmt

und was geht unter?“ Dafür braucht es

nur einen Behälter mit Wasser und un-

terschiedliche Gegenstände. Erst über-

legt man gemeinsam, ob der Gegenstand

schwimmt oder untergeht, anschließend

probiert man es aus. „Interessant ist zum

Beispiel, dass Orangen mit Schale

schwimmen, geschält aber untergehen“,

erklärt Gatzke. Je nach Alter könnten un-

terschiedliche Gegenstände ausgewählt

werden. Außerdem könne man gemein-

sam nach der Lösung suchen, warum ein

Gegenstand sich so verhält.

Und mit dem Preise-Schätzen-Quiz

können auch Jugendliche unterhalten

werden. Dafür braucht es nichts als ein

paar Prospekte. Gatzkes Übung ist

schnell vorbereitet. Eltern schneiden

Produkte aus und schwärzen die Preise.

Die Aufgabe besteht dann darin, die Aus-

wahl zunächst zu sortieren: Was ist am

gggünstigsten, was am teuersten? Anschlie-ünstigsten, was am teuersten? Anschlie-

ßend müssen die Preise geschätzt wer-

den. „Für Kleinkinder dürfen das ruhig

Milch und Eier sein. Für Teenager kön-

nen es Sportwagen oder Laptops sein.“

So werden Kosten und Preise vermittelt.

Und ein weiterer positiver Effekt: „Kin-

der lernen die Dinge zu schätzen, die sie

teilweise als selbstverständlich hinneh-

men.“

Die Schulen sind

geschlossen,

die Kinder sollen

daheim lernen.

Doch gerade

jüngere Schüler sind

mit dem Pensum

oft überfordert.

WELT hat Experten

gefragt, wie Eltern

ihrem Nachwuchs

spielerisch helfen

können

GETTY IMAGES; BEARBEITUNG: PHILIPPE KRUEGER/ WELT

Ein bisschen

SPASS muss seinuss sein

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04.04.20 Samstag, 4. April 2020DWBE-HP

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