Die Welt - 04.04.2020

(Barry) #1

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04.04.20 Samstag, 4. April 2020DWBE-HP


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DIE WELT SAMSTAG,4.APRIL2020* POLITIK 5


W


infried Kretschmann holte
tief Luft und blickte ernst in
die Kamera. „Wir sind uns be-
wwwusst, wie tief diese Beschränkungen inusst, wie tief diese Beschränkungen in
Ihre Freiheit und Grundrechte eingrei-
fffen!“, sagte er vor wenigen Tagen in eineren!“, sagte er vor wenigen Tagen in einer
Fernsehansprache. So wie der grüne Re-
gierungschef von Baden-Württemberg
hatten sich in den vergangenen Tagen al-
le Ministerpräsidentinnen und Minister-
präsidenten an ihre Landesbevölkerun-
gen gewandt. Die Botschaften waren
identisch.

VON CLAUS CHRISTIAN MALZAHN

In der schwersten Krise, die die Bun-
desrepublik je erlebt hat, verblassen die
politischen Färbungen. Original grün
war auch bei Kretschmanns Auftritt nur
seine Krawatte, die er zum dunklen An-
zug trug. Auf der Agenda steht momen-
tan der Kampf gegen das Virus – und
sonst nichts. Urgrüne Themen wie Kli-
mawandel, Kohleausstieg, Flüchtlings-
drama oder Energiewende scheinen in
der öffentlichen Diskussion bestenfalls
in die Ablagen für spätere Wiedervorlage
gelegt. Das bedeutet freilich nicht, dass
die grüne Partei plötzlich lahmgelegt
wwwurde. Die Partei ist an elf von 16 Lan-urde. Die Partei ist an elf von 16 Lan-
deskabinetten beteiligt und stellt Hun-
derte Stadtoberhäupter und Gemeinde-
chefs. „Wir sind Teil der gesamtstaatli-
chen Verantwortung“, betont Parteiche-
fffin Annalena Baerbock gegenüber WELT.in Annalena Baerbock gegenüber WELT.
Die aktuelle Rolle sehe man nicht partei-
taktisch – weder auf den Oppositions-
bänken im Bundestag noch in den Regie-
rungen der Länder.
Dennoch hat das Virus den Höhenflug
der Grünen in den Umfragen offenbar
gestoppt. Während die Union erheblich
zulegt und zwischen 33 und 36 Prozent
gehandelt wird, landeten die Grünen in
manchen Erhebungen wieder unter der
2 0-Prozent-Marke. Der Deutschland-
trendsah die Partei zuletzt immerhin bei
2 2 Prozent. Alte Polithasen wie den grü-
nen Parteilinken Jürgen Trittin ficht sol-
ches Auf und Ab freilich nicht an. Dass
CDU und CSU in den Umfragen gerade
starke Zugewinne verzeichnen können,
fffindet Trittin indet Trittin „nicht überraschend“.
Wichtiger sei jetzt die praktizierte ge-
meinsame Verantwortung von Oppositi-
on und Regierung. „Wenn das Haus
brennt, frag ich auch nicht, für welchen
Fußballverein ich bin.“
Diesem Mantra folgt die Partei in der
ganzen Republik. Faktisch regieren die
Grünen in der Krise auch im Bund längst
mit. Baerbock betont denn auch, dass
viele Vorschläge ihrer Partei in das Ge-
setzespaket der Bundesregierung zur
Eindämmung der Krise eingeflossen sei-
en. So habe man unter anderem auf ei-
nen Rettungsfonds für kleine Unterneh-
men, Soloselbstständige und Kultur-
schaffende gedrungen und eine Entschä-
digung für Eltern erreicht, die zu Hause
bleiben müssen, weil Schule und Kita ge-
schlossen haben. Dass Sozialverbände
unter dem Rettungsschirm landeten, war
auch eine Forderung der Grünen.
Doch auch diese Erfolgsmeldungen
können an einer entscheidenden Tatsa-
che nichts ändern: Weder Baerbock noch
ihr Kompagnon Robert Habeck sind Teil
der Exekutive. Das Führungsduo muss
sich mit Koordinierungsaufgaben begnü-
gen. Baerbock und Habeck legten aber ei-
nen politischen Kordon fest, innerhalb
dessen sich die grünen Staatspolitiker in
Land und Bund bewegen. Denn bei aller
Kooperationswilligkeit und Staatsräson
gibt es auch für die Grünen in der Coro-
na-Krise No-go-Areas. „Wir haben uns
erfolgreich dafür eingesetzt, dass die
Bundesregierung nicht einen nationalen
Epidemiefall im Alleingang ausrufen
kann, sondern dafür das Parlament
braucht“, sagte Baerbock WELT. Grund-
gesetzänderungen sind mit den Grünen
nicht zu machen. Handyortung, um In-
fffektionsketten zu identifizieren? Ja, aberektionsketten zu identifizieren? Ja, aber
nur auf freiwilliger Basis, betonen die
grünen Fachpolitiker.
An der Europapolitik der Regierung
üüübt Baerbock Kritik. „Coronabonds, wiebt Baerbock Kritik. „Coronabonds, wie
sie mehrere deutsche Ökonomen jüngst
vorgeschlagen haben, wären eine sinn-
volle Möglichkeit, die finanzielle Lage in
Ländern wie Italien oder Spanien zu ent-
spannen. Wenn Italien strauchelt, be-
trifft das auch Deutschland als starkes
Exportland“, so Baerbock. „Jetzt wäre
der Moment für europäische Solidarität.
Es ist mir unbegreiflich, warum die Bun-
desregierung hier so zögerlich ist.“ Die
Eindämmung der Krise könne nur ge-
samteuropäisch funktionieren.
Die grüne Funktionselite, so Ralf
Fücks, ehemaliger Vorsitzender der
Heinrich-Böll-Stiftung, denke inzwi-

schen ohnehin aus der Perspektive der
Exekutive. „Der Staat ist kein Gegner
mehr, Regierungsbeteiligung ist ein In-
strument für politischen Wandel.“
Dass die Erben der 68er-Bewegung,
die einst gegen deutsche Notstandsge-
setze auf die Straßen ging, 52 Jahre spä-
ter in Ländern und Kommunen die här-
testen Notstandsverordnungen mit exe-
kutieren – nun, das war zumindest so
nicht geplant. Der Markenkern der Grü-
nen liegt schließlich nicht nur bei Um-
weltthemen, sondern – nicht erst seit der
Fusion mit der DDR-Oppositionsbewe-
gggung Bündnis 90 – auch bei der Verteidi-ung Bündnis 90 – auch bei der Verteidi-
gggung von Bürgerrechten. Fücks, Vorden-ung von Bürgerrechten. Fücks, Vorden-
ker der Partei, erkennt dort keinen Wi-
derspruch. „Die Unversehrtheit des Ein-
zelnen ist die Voraussetzung für alles an-
dere, auch für die Ausübung unserer
Freiheitsrechte.“ In den aktuellen Maß-
nahmen sieht er „keinen Sündenfall, so-
fffern sie zielgerichtet, zeitlich befristetern sie zielgerichtet, zeitlich befristet
und unter parlamentarischer Kontrolle
sind“. Trotzdem ist es erstaunlich, wie
geräuschlos die Grünen restriktive Ver-
ordnungen durchwinken. „Diesen CSU-
Style hätte ich Rot-Rot-Grün gar nicht
zugetraut“, wunderte sich Bernd Schlö-
mer, FDP-Sprecher für Bürgerrechte, im
„„„Tagesspiegel“Tagesspiegel“, als er auf das jüngste
Maßnahmenpaket des Berliner Senats
angesprochen wurde. Nur in Bayern sei
die Regelung ähnlich streng.
Dabei haben die Grünen in ihrer Ge-
schichte von so mancher krisenhaften
Großlage durchaus profitiert. Als es am
2 6. April 1986 im ukrainischen Atom-
kraftwerk von Tschernobyl zur bisher
größten Katastrophe in der Geschichte
der Kernenergie kam, änderte das für die
Grünen fast alles. Zuvor hielt man sie in
weiten Teilen der Bevölkerung für einen
zusammengewürfelten Haufen von Polit-
romantikern und linken Spinnern. Als
die radioaktive Wolke dann über Europa
zog, wurde das öffentliche Bild der jun-
gen Partei völlig revidiert: Die Utopisten
galten plötzlich als Realisten. Die 1980
gegründete Partei schaffte nach Tscher-
nobyl den Einzug in die Landtage. Und
natürlich wäre auch die erste Wahl von
Kretschmann zum bislang einzigen grü-
nen Ministerpräsidenten ohne die Nu-
klearkatastrophe von Fukushimanicht
denkbar.
AAAber die Corona-Krise wirkt jetzt an-ber die Corona-Krise wirkt jetzt an-
ders. Die Gefahr ist nicht weit weg, sie
lauert auf Türklinken, sie liegt nicht –
wie beim Klimawandel – in der näheren
Zukunft, sondern im Hier und Jetzt. Es
geht aktuell nicht um die Bewohner von
Pazifikinseln, die Überflutung fürchten
müssen – sondern um nahe Verwandte
und Freunde. Dennoch wittern manche
Klimaaktivisten – weniger in der grünen
Partei als im grünen Kosmos – in dieser
Krise eine Chance. Da wird im Magazin
von Greenpeaceein „positiver Nebenef-
fffekt“ der Pandemie gefeiert. Weil dieekt“ der Pandemie gefeiert. Weil die
Wirtschaft in aller Welt auf Talfahrt ist,
könnten „zum ersten Mal seit der Fi-
nanzkrise die globalen CO 2 -Emissionen
wieder fallen“, heißt es da. Ein Aktivist
von Fridays for Future fordert in der
„taz“, „dass die Politik auf die Klimakrise
so reagiert wie auf die Corona-Krise und
entsprechend schnell und konsequent
handelt“.
AAAber was heißt das? Ausgangssperren,ber was heißt das? Ausgangssperren,
Fahrverbote und Kurzarbeit, um den
CO 2 -Ausstoß zu reduzieren? „Ich war im-
mer skeptisch, wenn in den Kommunen
unter grüner Beteiligung der ‚Klimanot-
stand‘ ausgerufen wurde, weil es unernst
war“, kritisiert Fücks. In der Corona-Kri-
se zeige sich, was Notstand wirklich be-
deutet. Fücks warnt zudem vor politi-
schen Schnellschüssen und schiefen Ver-
gleichen. „Von dem Gerede, die Corona-
Krise sei ein Muster, wie man mit staatli-
chen Restriktionen den Klimawandel be-
kämpfen könne, halte ich überhaupt
nichts.“ Im Moment gehe es vor allem
um die Bekämpfung des Virus – „und um
fffinanzielle Liquidität für Unternehmen“.inanzielle Liquidität für Unternehmen“.
Im nächsten Schritt müsse die Wieder-
belebung der Wirtschaft auf den „Green
Deal“ ausgerichtet werden. Aber das An-
schieben von ökologischen Investitionen
sei eher eine mittel- bis langfristige Auf-
gabe. Und noch eine Erkenntnis schreibt
Fücks seiner Partei ins Stammbuch: „Die
Natur ist von Natur aus nicht nett.“ Die
Impfstoffforschung sei so wichtig wie die
CO 2 -Reduzierung. „Aus der Mikrowelt
der Viren können genauso Attacken auf
die Zivilisation erfolgen wie aus der Ma-
krowelt des Klimas.“ Daraus folgt für
ihn: „Wir müssen mithilfe von Wissen-
schaft und Forschung versuchen, die Na-
tur besser zu verstehen, um ihre Risiken
zu begrenzen.“ Also „nicht raus aus der
Moderne“, wie sich das mancher Klima-
schützer wünscht – sondern mitten rein.

Politisch grünt es


in Corona-Zeiten nicht


Die Virus-Katastrophe spielt den Grünen nicht in die


Hände – anders als frühere Krisen wie Tschernobyl


E


s war wieder eine jener Run-
den, die sich derzeit überall
in der Republik zusammen-
finden. Mediziner, Wirt-
schaftsexperten, Politiker,
Ministeriale, Wissenschaftler, eher will-
kürlich berufen als repräsentativ zu-
sammengesetzt. In einem Konferenz-
saal einer deutschen Landesregierung,
in regelkonformem Abstand voneinan-
der platziert, berieten die Experten am
Mittwoch über Bedingungen und Ablauf
eines Ausstiegs aus dem Corona-Aus-
nahmezustand. Über die Frage des
Wann und des Wie, über die Reihenfol-
ge, in der man die in den vergangenen
Wochen verhängten Notstandsmaßnah-
men wieder zurückfahren könne in
Richtung Normalität.

VON ULRICH EXNER, KRISTIAN FRIGELJ UND
THOMAS VITZTHUM

Überlegungen würden in diesen Run-
den, häufig auch in Telefon- oder Video-
konferenzen angestellt, mit denen man
eben „nicht erst am Karfreitag anfan-
gen“ könne, wie es einer der Teilnehmer
mit Blick auf die in der Woche nach
Ostern fälligen Entscheidungen formu-
liert. Unmittelbar nach den Feiertagen
will sich die Bundeskanzlerin mit zu-
ständigen Ministern ihres Kabinetts
und den Ministerpräsidenten der Län-
der zu einer Videokonferenz zusam-
menschalten. Dort soll beraten werden,
ob und wenn ja wie das gesellschaftliche
Leben in Deutschland wieder hochge-
fahren werden soll.
Schritt für Schritt wird das gehen, so
viel steht heute schon fest, nicht in ei-
nem großen Sprung. Vermutlich werden
es sehr, sehr kleine Schritte; die Öff-
nung weiterer Einzelhandelsgeschäfte,
auch Elektronikmärkte, bei gleichzeiti-
ger Einhaltung der Distanzvorschriften,
könnte eine der Lockerungsmaßnah-
men sein, auf die sich die Runde der Re-
gierungschefs womöglich einigen könn-
te. Ob die Schulen, womöglich nur die
Oberstufen, wieder öffnen können, er-
scheint dagegen mehr als fraglich.
Zwar basteln die zuständigen Kultus-
ministerien an entsprechenden Szena-
rien, doch die Antwort auf die Frage, ob
man die Wiedereröffnung dieser poten-
ziellen „Infektionsbrücken“, wie ein Mi-
nisterpräsident die Schulen im Ge-
spräch mit WELT nennt, zum Ende der
Osterferien tatsächlich ins Auge fasst,
ist derzeit völlig offen.
Wenn, darüber ist man sich auch un-
ter den Ländern mittlerweile einig,
dann würde ein solcher Schritt nur im
bundesweiten Gleichklang erfolgen.
„Wir wollen als Bundesrepublik
Deutschland gemeinsam herausgehen.
... Wir lassen hier keinen Flickenteppich
wachsen“, fasste die Bundeskanzlerin
diesen – alles andere als selbstverständ-
lichen – Willen zur Gemeinsamkeit von
Bund und Ländern zusammen.
Vielleicht, auch das erscheint man-
chem Teilnehmer der jüngsten Video-
konferenz von Bund und Ländern nicht
gänzlich ausgeschlossen, müssen die
derzeit geltenden Ausnahmeregeln aber
auch noch einmal verlängert oder sogar
verschärft werden. Eine kolportierte

Aussage Angela Merkels, nach der die
Verdopplungszeit der Infektionszahlen,
die derzeit nach Berechnungen der
Johns-Hopkins-Universität bei rund elf
Tagen liegt, wegen der vielen schweren
Krankheitsverläufe zunächst auf 14 Tage
steigen müsste, deutet darauf hin –
ebenso wie die Tatsache, dass die wis-
senschaftlichen Erkenntnisse über die
Umstände der Verbreitung des Corona-
virus auch zu Ostern noch vage sein
werden. Die Zahl der Erkrankten aber,
die wird mit Sicherheit hoch sein über
die Feiertage. Auch die Zahl der Opfer
wird bis dahin absehbar noch einmal
deutlich ansteigen.
Es geht also um Leben und Tod bei
den Beratungen über mögliche Auswege
aus dem aktuellen Corona-Ausnahme-
zustand. Um das Schicksal Tausender,
vorwiegend älterer und mit Vorerkran-
kungen belasteter Menschen, für die
das Virus am gefährlichsten ist. Aber
auch um das Überleben vieler kleiner,
mittlerer, auch großer Unternehmen,
um die Zukunft von Hunderttausenden
von Arbeitsplätzen. Um den Wohlstand
eines Landes, das sich seit dem Zweiten
Weltkrieg in einer Art permanentem
wirtschaftlichen Höhenflug befand,
dem auch die kräftigsten Krisen unter
dem Strich wenig anhaben konnten.
Und es geht um ein politisches System,
das auch wegen dieses anhaltenden
Wohlstands so stabil erscheint. Eines
Systems, das durch die Corona-Krise,
wie es der Berliner Politologe Herfried
Münkler Mitte der Woche in einem
WDR-Interview ausdrückte, einem „un-
geheueren Experiment“ ausgesetzt ist.
Folgt man seinen alles andere als ab-
wegigen Gedanken, seiner These, nach
der die Bewältigung dieser Krise mit ei-
ner „Evaluation der Effektivität“ der
politischen Systeme weltweit einherge-
he, dann entscheidet der Kampf gegen
das Coronavirus auch über die Zukunft
des verfassten demokratischen Rechts-
staates westlicher Prägung. Gelingt es
zum Beispiel dem föderal organisierten
Deutschland, diese Aufgabe zu meis-
tern? Oder erweisen sich die autoritä-
ren, zentralistisch strukturierten Re-
gime Osteuropas und Asiens als diejeni-
gen, die die Corona-Pandemie und ihre
Folgen besser und effizienter in den

Griff bekommen? Für das Vertrauen der
Menschen in „ihren“ Staat werden die
Antworten auf diese Fragen von ent-
scheidender Bedeutung sein.
Insofern ist es nicht verwunderlich,
dass Bund und Länder sich schwertun.
Dass viele Politiker und Entscheidungs-
träger unter dem enormen Druck, den
die Pandemie aufgebaut hat, extrem
vorsichtig agieren. Wieder und wieder
um „Geduld“ bitten, wie es die Kanzle-
rin Mitte der Woche noch einmal in ei-
ner Audiobotschaft tat. Am Freitag be-
kräftigte ihr Sprecher Steffen Seibert
dann, dass es für eine öffentliche Debat-
te über Exit-Szenarien auch aus Sicht
der Bundesregierung zu früh sei. Der-
zeit sei es „absolut notwendig“, die be-
schlossenen Einschränkungen „unver-
mindert fortzusetzen“. Es ist der Ver-
such der Verantwortlichen, bloß keine
falschen Hoffnungen zu wecken; bloß
nicht den Zustand überwiegend stiller
Disziplin aufs Spiel zu setzen, der das
Land seit 14 Tagen prägt. Was Deutsch-
land, was die meisten Länder weltweit
in diesen Tagen erlebten, so fasste Nie-
dersachsens Ministerpräsident Stephan
Weil (SPD) zusammen, sei „ein einzig-
artiger Versuch, ein Alle-Mann-Manö-
ver“ mit ungewissem Ausgang. Man
müsse jetzt „durchhalten“.
Weil gehört zu der Mehrheit derjeni-
gen Politiker, die in diesen Tagen öf-
fentlich die Devise ausgeben, dass es
noch viel zu früh sei, über eine Locke-
rung des geltenden Ausnahmezustands
zu sprechen. Dass man sich jetzt „auf
etwas anderes konzentrieren“ müsse,
nämlich auf die Einhaltung der beste-
henden Regeln. Wie Weil argumentier-
ten in dieser Woche die meisten Lan-
desregierungschefs, von Markus Söder
(CSU) und Winfried Kretschmann
(Grüne) im Süden über Reiner Haseloff
(CDU) im Osten bis hin zu Manuela
Schwesig und Peter Tschentscher (bei-
de SPD) im Norden. Allesamt rückten
die Verabschiedung und Veröffentli-
chung von Bußgeldkatalogen in den
Mittelpunkt ihrer Politik, nicht die De-
batte über die Frage, wie die dazu gehö-
renden Einschränkungen des öffentli-
chen Lebens wieder aufgehoben werden
könnten. Haseloff ließ sich sogar mit
der Bemerkung zitieren, dass die Wahr-
scheinlichkeit einer Lockerung der Be-
schränkungen nach den Osterferien
„sehr, sehr gering“ sei.
Eine Ausnahme in dieser Phalanx der
Schweigsamen bildete in dieser Woche
lediglich Armin Laschet (CDU). In ei-
nem Beitrag für WELT AM SONNTAG
warb Nordrhein-Westfalens Regie-
rungschef dafür, in offenem Dialog Exit-
Strategien zu entwickeln – es ist ein Plä-
doyer gegen die aktuelle Vorherrschaft
der vertraulichen Videokonferenzen,
der Intransparenz im Prozess der politi-
schen Entscheidungsfindung.
Es sei dringend notwendig, bereits
jetzt „Maßstäbe für die Rückkehr ins so-
ziale und öffentliche Leben zu entwi-
ckeln“, damit die notwendigen tiefgrei-
fenden Entscheidungen anhand „trans-
parenter Kriterien“ erfolgen könnten,
schrieb der Christdemokrat in seinem
Beitrag und setzte kurz darauf, eben-
falls sehr öffentlichkeitswirksam, einen

„Expertenrat Corona“ ein, in dem darü-
ber beraten werden soll, „unter welchen
Voraussetzungen wir wie und wann wie-
der schrittweise in das zurückkehren
können, was für uns vor wenigen Wo-
chen ,Normalität‘ war“.
Laschet, einer der potenziellen
Kanzlerkandidaten der CDU, bedient
mit seinem Vorstoß zweifelsfrei die
Hoffnung vieler Bürger auf ein baldiges
Ende, zumindest eine deutliche Locke-
rung des Ausnahmezustands. Zumal er
mit dem Bonner Professor Hendrik
Streeck einen Virologen in sein Bera-
tergremium berufen hat, dessen Unter-
suchungen im besonders belasteten
Kreis Heinsberg womöglich einen Weg
zur Lockerung nahelegen könnten.
Streeck geht aufgrund des bisherigen
Infektionsgeschehens davon aus, dass
„Restaurants, Geschäfte, Supermärkte
und so weiter kein Infektionsrisiko
darstellen“, dass „Veranstaltungen mit
vielen feiernden Menschen auf engem
Raum“ hingegen noch lange Zeit unbe-
dingt zu vermeiden seien.
AAAuch in den anderen Bundesländernuch in den anderen Bundesländern
haben sich, meist ohne großen Trom-
melwirbel, diverse Arbeitsgruppen und
Expertenkreise zusammengefunden, in
denen über mögliche Exit-Strategien
nachgedacht wird – mit durchaus un-
terschiedlichen Ergebnissen. Während
die eine Runde jeden Gedanken an eine
VVVerlängerung des Ausnahmezustandserlängerung des Ausnahmezustands
über das Ende der Osterferien hinaus
mit Verweis auf die wirtschaftlichen,
sozialen und auch grundrechtlichen
Folgen als „absurd“ verwirft, verweisen
andere auf die für einen solchen Schritt
noch immer mangelhafte epidemiolo-
gische Datenlage. So sieht die Mainzer
Staatskanzlei angesichts der anhalten-
den „Dynamik der Virusverbreitung“
keinerlei Möglichkeit, die geltenden
Beschränkungen zu lockern. Eine Prog-
nose, wann dies der Fall sein könnte,
sei „zum jetzigen Zeitpunkt kaum mög-
lich“, hieß es am Freitag auf WELT-An-
fffrage. Eine Einschätzung, die auch et-rage. Eine Einschätzung, die auch et-
was weiter nördlich vertreten wird.
Man befasse sich natürlich auch in
Wiesbaden damit, wie es weitergehen
könne, so ein Regierungssprecher. „Wir
beraten uns informell mit Experten,
aber für einen konkreten Zeitplan ist es
noch viel zu früh.“ Oder, wie es ein
Mitglied der Hamburger Landesregie-
rung ausdrückt: „Wir sind noch nicht
beim Entscheiden, sondern beim klü-
ger Werden.“
Eine Devise, der sich am Freitag auch
Söder anschloss. Bayerns Ministerpräsi-
dent stellte der Presse ein „Corona-
Team“ vor, das zum einen die „spezi-
fisch bayerische Situation“ analysieren,
aber auch die Bundesebene bei der Be-
wältigung der Pandemie unterstützen
soll. Sowohl in München als auch im be-
sonders betroffenen Kreis Tirschen-
reuth haben die Bayern darüber hinaus
Covid-19-Studien angeschoben, die
bundesweit nutzbar gemacht werden
sollen, um sie zur Grundlage einer Exit-
Strategie machen zu können. Erste Er-
gebnisse, so machte Söder sich selbst
und allen anderen verantwortlichen Po-
litikern ein wenig Mut, könnten schon
in einigen Tagen vorliegen.

Mitten am Tag und
doch fast menschenleer:
Straße des 17. Juni in Berlin

D
PA
/ CARSTEN KOALL

„Alle-Mann-Manöver“


Über nichts reden


Politiker in diesen


Tagen öffentlich


weniger gern als über


eine mögliche


Lockerung der


Corona-Regelungen.


Was auch immer


nach Ostern passiert



  • es geht womöglich


auch um die Zukunft


der Demokratie


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