Neue Zürcher Zeitung - 03.04.2020

(Tina Meador) #1

Freitag, 3. April 2020 WIRTSCHAFT 17


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Der IndustriekonzernSchindler hat die Produktionin


China bereits wieder auf volle Kraft hochgefahren SEITE 18


Seit rundhundert Jahrenkennt die Schweiz


die Kurzarbeitsentschädigung –wie wirksam ist sie? SEITE 19


«Ein Crash ohne Sicherh eitsgurt und Airbag»

ZKB-Chef Martin Scholl hat schon einige Krisen erlebt, aberkeine hatte aus seiner Sicht so gravierende Folgen wie die Corona-Krise.


Trotzdem blickt er im Gespräch mit Ermes Gallarottiund Daniel Imwinkelried verhalten optimistisch in die Zukunft.


Herr Scholl, alsBankmanager haben Sie
schon die Immobilienkrise der 1990er
Jahre, denSwissair-Konkurs und die
Finanzkrise von 2008 erlebt.Wie gra-
vierend ist die gegenwärtigePandemie
imVergleich mit diesen Ereignissen?
Die Vehemenz ist einmalig. Es handelt
sich um einen Crash ohne Sicherheits-
gurt und Airbag. Die Schweiz befindet
sich allerdings, um beim Bild zu blei-
ben, in einem prall gefüllten, gepanzer-
ten Geldtransporter. Finanziell steht das
Land gut da, was die Krise aber mit der
Psyche der Menschen anstellt,ist eine
andereFrage. Sehrviele Leute haben
existenzielle Ängste.


Welche Erfahrungen aus der Finanz-
krise helfen, die momentane Stressphase
zu bewältigen?
Ruhe bewahren. Und die Prozesse der
Bank funktionieren,das hat sich eindeu-
tig gezeigt.


Siehaben das Bild des Geldtranspor-
ters verwendet. Irgendwann geht diesem
aber dasBenzin aus. Was passiert dann?
DieVollbremsung, welche dieWirtschaft
vorgenommen hat,wird zu Schäden füh-
ren. Die angekündigten Hilfsmassnah-
men im Betrag von rund 40 Mrd.Fr.
werden gemäss aktueller Prognosen die
Verschuldungsquote der Schweiz von
40 auf 46% erhöhen. Im internationa-
len Vergleich ist das weiterhin ein sehr
niedrigerWert. Falls es sein muss, kann
die Schweiz die Hilfsmassnahmen also
noch ausweiten.


Was würde es für die ZKB bedeuten,
wenn diePandemie zwei, drei Quartale
andauern sollte?
Die Diversifikationsstrategie derBank
hat sich im März bewährt.Das Zins-
geschäft läuft, bei denKommissions-
erträgen haben wir eine kleine Delle.
Aber das Handelsgeschäft profitiert
durchaus, wenn dieVolatilität an den
Börsen wie derzeit hoch ist.Kurzfris-
tig ist alles okay. Mittel- und langfristig
hängt alles von den Annahmen ab. Und
es gibt durchaus Szenarien mitgravie-
rendenFolgen.


Etwa ein Lockdown von mehreren
Monaten?
Das ist das eine. Aber darüber hinaus
weiss niemand, wie die Erholung aus-
sehen wird.Wie wird sich die Krise
auf die Menschen auswirken? Sind sie
bald wieder bereit, zu investieren bezie-
hungsweise zukonsumieren?Wenn die
Menschen vorübergehend den Glau-
ben an die Zukunft verlieren, werden
sie möglicherweise mehr sparen und
wenigerkonsumieren.Das würde die
Wirtschaft treffen. Und für dieBan-
ken stelltsich zusätzlich dieFrage, ob
die Krise auch den Immobilienmarkt
erfassen wird.


Sind sie beunruhigt?
Nein.Für ein solches Szenario haben wir
nochkeine Anzeichen.Wenn ein Eigen-
tümer drei Monate auf den Mietzins
verzichten muss, reduziert das denWert
einer Liegenschaft an derBahnhof-
strasse noch nicht. Auch einAusfall von
sechs Monaten wäre wohl noch tragbar.


Viele Firmeninhaber, die nun einen vom
Bund verbürgten Kredit bekommen
haben, stehen zum ersten Mal in ihrem
Leben bei einerBank in der Schuld.
Könnte sie das nicht überfordern?
Das Gebot der Stunde war es, die-
sen Firmen sofort Liquidität zuzufüh-
ren. Wer über ein funktionierendes Ge-
schäftsmodell verfügt, sollte eigentlich
in derLage sein, den Kredit in fünf bis
siebenJahren zurückzuzahlen. Voraus-
setzung ist aber, dass die Unternehmen
mit der Liquidität vorsichtig umgehen.


Nehmen wir die Gastronomie:Viele
Restaurants sind nur schon froh,wenn
sie die laufendenKosten deckenkön-
nen.Was passiert nun mit Branchen, die
selbst in normalen Zeiten spitz kalku-
lieren müssen?
Es gibtFirmen, die keine Reserven auf-
bauenkonnten. Sie erhalten jetzt aber
auch Erleichterungen,beispielsweise bei
den Mieten, durch dieKurzarbeitsent-
schädigung und längere Amortisations-
fristen bei den Krediten.Das sind aber
mittelfristigeThemen.Kurzfristig gab
und gibt es zur Sicherung der Liquidität
keine Alternative.

Die Finanzmarktaufsicht Finma er-
wartet von denBanken einevorsichtige
Dividendenpolitik.Wirddie ZKB den
Kantonen und Gemeinden trotzdem
eine Dividende ausschütten?
Wir haben bereits imJanuar über die
Dividende für 2019 entschieden.Da-

her sind wir von den jüngsten Erklärun-
gen derFinma nicht betroffen.Ein Divi-
dendenausfall wäre auch nicht sinnvoll.
Immerhinprofitieren von derAusschüt-
tung der Kanton und die Gemeinden,
die nun grosseLasten tragen müssen.

Wie sehen Ihre bisherigen Erfahrungen
mit dem Bürgschaftsprogramm aus?
In vierTagen haben von unseren rund
50 000Klei nst- und Kleinfirmenkunden
über 6000 ein Gesuch eingereicht und
eine Kreditsumme von zirka 500 Mio. Fr.
erhalten. Überraschenderweise ist die
Ablehnungsquote mit rund 25% hoch.

Wohapert es?
Es geht meistens umrein formaleFeh-
ler. Wir haben etwa nicht damit gerech-

net, wie viele falsch ausgefüllteFormu-
lare wir erhalten würden. Zudem haben
manchmalPersonen unterschrieben,die
nicht zeichnungsberechtigt sind.Das
und weitereFehler haben zu einer Ab-
lehnungsquote geführt, die viel zu hoch
ist. Viele Formulare machen deshalb
eine Zusatzschlaufe, und daskostet Zeit
und macht uns viel Arbeit. In der Spitze
sind bei uns bis zu 130Angestellte damit
beschäftigt, die Gesuche abzuarbeiten.

Reicht der bereitgestellte Kreditbetrag
von 20 Mrd.Fr.?
Der Bundesrat wollte in einer ersten
Phase nicht einen möglichst grossen Be-
trag in dieRunde werfen, sondern mög-
lichstrasch einen funktionierenden Pro-
zess aufsetzen.Allenfalls braucht es nun
mehr Mittel. Und möglicherweise wird
man in der zweiten Phase die Gesuche
genauer anschauen müssen.

Inwiefern würden sich dieVergabekrite-
rien verschärfen?
Wir sehen bereits jetzt in denSyste-
men, ob dieKunden ehrlich sind. Und
ich kann denFirmen in dieser Hinsicht
nur raten, die IT-Systeme derBanken
nicht zu unterschätzen. Zumal bei Be-
trug im schlimmstenFall eineFreiheits-
strafe droht. In einer zweiten Phase hät-
ten wir mehr Zeit, und wir würden uns
die Anträge, auch im Nachhinein, ge-
nauer anschauen. Denn letztlich geht es
um Steuergelder. Aber eines kann klar
gesagt werden: Die absolute Mehrheit
der Unternehmen handelt sehrkorrekt
und will sich nicht zulasten der Allge-
meinheit bereichern.

Viele Politiker sprechen inzwischen
allerdings davon, man solle den Fir-
men nicht verbürgte Kredite geben, son-
dern A-fonds-perdu-Beiträge. Was hal-
ten Sie davon?
Kredite sind das richtige Instrument.
Sie stellen eine Hürde dar, damit nicht
der Anreiz entsteht, mankönne nun bei
der Bank beziehungsweise beim Bund
einfach Geld abholen. Zudem erhalte
ich viele Mails von Unternehmern. Sie
schreiben, dass siesich auf denTag
freuen würden, an dem sie das Geld zu-
rückzahlenkönnten. Sie wollenkeine
Almosen. Selbstverständlich kann sich
diese Einschätzung aber je nach dem
weiterenVerlauf der Krise ändern.

Derzeit redet man fast nur von kleinen
und mittleren Firmen.Doch wie geht es
den grossen Unternehmen?
Bei grossen Unternehmen suchen wir
Lösungen vonFall zu Fall. In einer ers-
ten Reaktion schöpfen dieseFirmen
ihre Kreditlimiten aus, um sich zusätz-
liche Liquidität zu sichern. Zudem stellt
die Bank unter Umständen nicht ganz so
strenge Anforderungen an gewisseVer-
gabekriterien oder gewährt ihnen mehr
Zeit, um einen Kredit zu amortisieren.

Unternehmen können den Kapitalmarkt
derzeit nicht anzapfen,weil die Anleger
nicht investieren. Gibt es eineVerlage-
rung vom Kapital- zum Kreditmarkt?
Ja. Es kommt immer wieder vor, dass
Finanzierungsquellen gleichsam über
Nacht versiegen.Und dann springt – wie
schon in anderen Krisen – dieBank mit
Krediten in die Lücke.

GewisseBanken propagieren immer
wiederdasangelsächsische Modell: Die
Firmen sollen sich verstärkt über den
Kapitalmarkt und nicht über dieBank
finanzieren. Irren diese Spezialisten?
Die ZKB hat einen solchenKulturwan-
del nie propagiert, obwohl wir im Kre-
dit- und im Kapitalmarktgeschäft tätig
sind.Als ehemaligerFirmenkundenchef
kann ich den Unternehmen nurraten,
sich jederzeit alleFinanzierungsmög-
lichkeiten offenzuhalten. Eine solche
Strategie bewährt sich, leider geht das
in guten Zeiten oft vergessen.

Krisen sind immer auch Katalysato-
ren:WirddiePandemie auch gewisse
Entwicklungen imBankgeschäft be-
schleunigen?
Das bargeldlose Bezahlen benötigt der-
zei t keine Werbung mehr, die Kunden
nutzen die entsprechenden Angebote
von selbst. Und die digitalenVertriebs-
kanäle haben sich bewährt und werden
zusätzlichenAuftrieb erhalten.

Schweizer sind Anhänger desBargeldes.
Wirdsich das nun ändern?
Alle Läden bieten mittlerweile die Mög-
lichkeit des bargeldlosen Bezahlens an,
und dies, anders als vor der Krise, unab-
hängig vom fälligen Betrag. Die Schwei-
zer werden zwar noch langeBargeld auf
sich tragen, die Gewohnheiten werden
sich aber nachhaltig verändern.

Gilt das auch für die Home-Office-
Arbeit, zu der die Unternehmen über-
gehen mussten?
TechnischfunktioniertdasHome-Office,
das zeigt sich nun. Es wird aber nicht im
grossen Stil zur Norm werden. Home-
Officeistnichtimmereffizient.AlsBank
leben wir zudem von der Interaktion mit
den Kunden.Wir sind die naheBank;
Video-Chats erfüllen diesen Anspruch
aber in vielenFällen nicht. Und eine E-
Mail hat man zwarrasch geschrieben,
aber bei dieser Art derKommunikation
entstehen häufig Missverständnisse. Zu-
dem glaube ich, dass die meisten Ange-
stellteninsBürozurückkehrenmöchten.

Woarbeiten Sie derzeit?
Ich habe zwei sichere Arbeitsplätze,
zu Hause und im Büro. Man kann eine
Bank nicht allein mitTelefonkonferen-
zen führen.

Wenn die ZKBweiterhineine nahe
Bank sein will, wie Sie betonen:Was be-
deutet das für das teure Filialnetz?
Da wir künftig weniger Bargeld nutzen,
werden wir die Zahl der Schalter weiter
reduzieren müssen.Wir gehen aber wei-
terhin davon aus, dass dieKunden das
persönliche Gespräch suchen, wenn sie
vor gewichtigen finanziellen Entschei-
den stehen.Dafür benötigen wirRäum-
lichkeiten. Ob das aber stets nochFilia-
len sein werden oder eineForm von Be-
gegnungszonen, ist eine offeneFrage.

Smartphone-Banken haben anders als
traditionelle Institute keine Filialen.Wie
wirkt sich diePandemie auf dasKon-
kurrenzverhältnis aus?
Die Smartphone-Banken durchlaufen
derzeit einen Härtetest. Ein Geschäfts-
modell, das auf der Einlagensicherung
und Gratisdienstleistungen beruht,funk-
tion iert nur, wenn die Anbieter schnell
wachsenundesihnengelingt,auchhöher-
wertige Dienstleistungen anzubieten.
Doch solche offerieren wir schon seit lan-
gem.Die Smartphone-Banken waren uns
zwa r bei gewissen Dingen voraus, etwa
beiderdigitalenKontoeröffnungoderder
Bedienerfreundlichkeit. Die etablierten
Banken leben aber auch nicht hinter dem
Mond.Wir analysieren die Prozesse und
DienstleistungenderneuenAnbieterund
adaptieren sie an unsere Bedürfnisse.

Martin Scholl ist seit 20 07 Chef der Zürcher Kan-
tonalbank (ZKB).Zuvor hatteder 59-jährige
Managerbeimgleichen Institutdas Firmen-
kundengeschäft geleitet und warkurze Zeitauch
für die Einheit Privatkundenzuständig gewesen.

«Die Prozesse derBank funktionieren», betont Martin Scholl. KARIN HOFER / NZZ

«Unternehmer schreiben
mir, dass sie sich auf
denTag freuten, an dem
sie das Geld zurück-
zahlen könnten. Sie
wollen keine Almosen.»

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