Neue Zürcher Zeitung - 03.04.2020

(Tina Meador) #1

18 WIRTSCHAFT Freitag, 3. April 2020


«Wir arbeiten wieder Vollgas»


Die Fabriken von Schindler in China sind nach dem Unterbruch voll ausgelastet


GIORGIOV. MÜLLER


Seit zweiWochen befindet sich dieKom-
mandozentrale des Schweizer Industrie-
konzerns Schindler in einem 12 m^2 klei-
nen Kämmerlein.Das ist recht beschei-
den für einenWeltkonzern,der mehr als
66 000 Mitarbeiteran über 1000 Stand-
orten in gut 100Ländern beschäftigt.
Wie viele andere arbeitet auch derKon-
zernchefThomas Oetterli derzeit von zu
Hause aus.
Jeden Tag wendet sich der 50-jährige
Luzerner in einem Blog an die Mitarbei-
ter. Die Corona-Krise habe ihm bewusst
gemacht, wie wichtig dieKommunika-
tion mit Mitarbeitern,Kunden und Lie-
feranten sei.Das verlangt der Chef von
ein em der grösstenAufzugs- undFahr-
trep penhersteller derWelt auch von sei-
nen Kaderleuten; sie müssten täglich mit
jedem Untergebenen ein Gespräch füh-
ren,denn«imHome-Officefühltmansich
raschabgehängt».DasEchoderMitarbei-
ter sei überwältigend gewesen: «Jeden
Tag bin ich stolz», erzählt er amTelefon.
So eineReaktion habe er noch nie erlebt.


Zugeständnisse an Lieferanten


Eine ganz neue Erfahrung, und nicht
nur für den Schindler-Chef, war auch
der Produktionsstopp im grössten und
wichtigsten Markt, China.Fast 14% des
Umsatzes oder 1,55 Mrd.Fr. erzielte die
Luzerner Gruppe dort im vergangenen
Jahr. Wegen der Corona-Pandemie wur-
den die staatlichen Neujahrsferien um
drei Wochen verlängert. Gegen Ende
Februarkehrten die Mitarbeiter schritt-
weise in die Produktionsstätten zurück.
WeilvieleAufträgeliegenblieben,gibtes
nun genügend Arbeit: «Unsere Produk-
tionskapazitäten in China sind wieder
zu 100% ausgelastet», sagt Oetterli.Das
Unternehmen betreibt je eineFabrik in
Schanghai, Suzhou und Xuchang.
Engpässe bei der Beschaffung von
Komponenten hätten die Fabriken
keine:«Alle unsere Lieferanten sind wie-
der zurück», sagt Oetterli. Dafür musste
das Unternehmen aber auch einiges tun.
Damit alle Zulieferer überlebten, habe
es Anschubfinanzierungen undVoraus-
zahlungen gebraucht.Auch denKunden
kam Schindler entgegen.Weil Hotels
und Einkaufszentren zumTeil noch
immer leer sind, wurden die Zahlungs-
fristen verlängert und in gewissenFällen
Rabatte gewährt. DieKunden belohn-
ten diesen Effort mit Loyalität. In den
vergangenenWochen habe Schindler be-
reits wieder einige grössereAufträge ge-
wonnen. «Es zahlt sich aus, dass wir als
Familienunternehmen nicht den letzten
Zehntel der Marge herausquetschen»,
sagt Oetterli.
Noch etwas stotternd verläuft in
China indes dieWiederaufnahme der
Bautätigkeit.Das sei vor allem in der


MillionenstadtWuhan in der Provinz
Hubeider Fall, wo diePandemieihren
Anfang genommen hatte. Wie in der
Branche üblich, lassen die westlichen
Hersteller ihre Anlagen durch Subak-
kord anten montieren. Bei Schindler
kommen in China zu denTausenden von
Festangestellten ungefähr nochmals so
viele externeAuftragsfertiger hinzu. Das
hat denVorteil, dass sie in der Phase, in
der dieAktivitäten ruhten,nicht bezahlt
werden mussten.
Bei Kunden,die ihre neuenWohnun-
gen zuerst verkaufen müssen, bevor sie
Aufzüge bestellen,verlaufe das Geschäft
mit Neuaufträgen etwas schleppender.
Zudem agiertenKunden nach Krisen
generell etwas vorsichtiger, meint Oet-
terli. Deshalb achte er nun stärker auf
ihre Liquiditätssituation und auch die-
jenige von Lieferanten,«hier lauern ver-
steckte Gefahren». Projekte seien zeit-
lich zwar verzögert, aber nicht gestri-
chen worden.
«China ist der erste Markt, der wie-
der zurückkommt,under boomt.»Trotz-
dem geht Schindler davon aus, dass sich
das Geschäft diesesJahr etwas verlang-
samen wird; vor der Krise war derKon-
zern von einer stabilen Entwicklung in
China ausgegangen.Gesamthaftrechnet
das Unternehmen für 2020 mit einem
Umsatzwachstum in Lokalwährung von
–10 bis 0%, vor der Krise war eine Zu-
nahme um 0 bis 5% inAussicht gestellt
worden. Und der Gewinn werde sogar
um einenFünftel tiefer als imVorjahr
ausfallen, so das Unternehmen in einer
Mitteilung warnend.
Gegenüber demVorkrisenniveau ist
die chinesische Belegschaft von Schind-
ler weder verkleinert worden, noch hät-
ten die Anstellungskonditionen ge-
ändert. Entschädigung fürKurzarbeit
kennt China nicht.Weil etwa zwei Drit-

tel der Mitarbeiter imAussendienst tätig
sind, war Schutzbekleidung essenziell.
Frühzeitig und aufVorrat habe man
Handschuhe, Masken,Brillen und ganze
Schutzanzügeangeschafft, sagt Oetterli.
Einige Mitarbeiter hätten sich zwar mit
Covid-19 angesteckt,Todesfälle habe es
jedochkeine zu beklagen gegeben.

Schutzbekleidung gehortet
Weil sich diePandemie nun in andere
Weltregionen ausgebreitet hat, profi-
tiert das Unternehmen auch an den
dortigen Standorten davon, dass früh-
zeitig genug Schutzbekleidung ange-
schafft worden war. Dank diesenVor-
sichtsmassnahmen ist Schindler in allen
Weltregionen lieferfähig. Lediglich in
Pune (Indien) stehe dasWerk still, seit
die indischeRegierung vor einerWoche
einen landesweiten Shutdown verordnet
hab e. In dieser verhältnismässigkom-
fortablenLage befindetsich das Unter-
nehmen nur, weil es zahlreicheRegie-
rungen davon überzeugenkonnte, dass
es eine systemrelevante Dienstleistung
erbringt. Ebenso wertvoll sei aber auch
der rechtzeitigeAufbau vonVorräten
gewesen, meint Oetterli. Die Zulieferer
seien aufgefordert worden, grössereLa-
ger anzulegen.
Der Schindler-Chef geht davon aus,
das sich dasVerhalten derKunden nach
der Corona-Krise ändern werde und sie
voraussichtlich mehr digitale Dienstleis-
tungenverlangen würden.Auch intern
sei dies zu beobachten. AlsFolge der
aufgezwungenen Heimarbeit habe man
sich mit den technischenWerkzeugen
zur Kommunikation und für virtuelle
Sitzungen anfreunden müssen. «Und
man muss sagen, es läuft eigentlich sehr
gut », lautet Oetterlis vorläufigesFazit
seiner «Quarantäne».

Angst vor einer zweiten


Infektionswelle in China


Ausl ändische Firmen kehren langsam zur Normalität zurück


MATTHIAS MÜLLER, PEKING

«DasGeschäftinChinaerholtsich.Esist
jedoch noch weit davon entfernt,wieder
normal zu sein.» So lautet dieKernaus-
sage einer Studie der Deutschen Han-
delskammer in China,die zwischen dem
18.und24.Märzvonannähernd300Mit-
gliedsunternehmen Antworten aufFra-
gen erhaltenhaben,in welchemZustand
sich die chinesischeWirtschaft befinde.
Die Prognosen der in China aktiven
deutschenFirmen zeigen,wie einschnei-
dend die durch die neuartige Lungen-
krankheit Covid-19 ausgelöste Krise ist.
ZweivondreiUnternehmenrechnenda-
mit,dasssichderUmsatzeinbruchimers-
tenHalbjahr2020auf20%undmehrbe-
laufen wird;bei der imFebruar durch-
geführten Befragung war nicht einmal
jede zweiteFirma so negativ eingestellt.
Der Grund für diesen Bewusstseins-
wandelhängt mit der schwierigenWie-
derbelebung derWirtschaft und der
schwächelnden Nachfrage aus China
sowie demAusland zusammen. Gerade
einmal 57% der befragten deutschen
Firmen gaben an, die Produktion habe
wieder normales Niveau erreicht. Die-
ser Wert istjedoch deutlich höher als
derjenige einer jüngst von der Ameri-
kanischen Handelskammer in China
veröffentlichten Befragung unter deren
Mitgliedsunternehmen, die zwischen
dem 13.und18. März durchgeführt wor-
den war. Damals gab etwas mehr als
jede dritteFirma aus denVereinigten
Staaten an, dass Ende März die Aktivi-
täten in China wieder normales Niveau
erreichen würden.

Der Arbeitsmarkt macht Sorgen
Ein besonderes Hindernis stellt für die
amerikanischen und deutschen Fir-
mendie derzeit bestehendenReise-
beschränkungen dar. So hat China für
unbestimmte Zeit selbst jenenAuslän-
dern die Einreise untersagt, die über
eine gültigeAufenthaltsgenehmigung
verfügen. UndPersonen, die innerhalb
Chinasreisen, müssen sich bei ihrer An-
kunft in vielen Provinzen zunächst für
zweiWochen in Quarantäne begeben.
Davon sind selbst Chinesen betroffen.
So ist derFall einer Arbeitskraft be-
kannt, die ausRussland zurückgekehrt
ist und an ihrem chinesischenAnkunfts-
ort zunächst für zweiWochen in Qua-
rantäne musste. Nac h ih rer Weiterreise
nachPeking wird sie auch in der chine-
sischen Hauptstadt abermals für zwei
Wochen kaserniert.
Ob Peking bereit sein wird,dieReise-
beschränkungensoschnellwiederaufzu-
heben,istungewiss.InChinaistdieAngst
vor einer zweiten Infektionswelle gross.
Die Rating-AgenturFitch schätzt denn
auch, dass die Kapazitäten der chinesi-

schenWirtschaft zunächst nur zu 80 bis
90%ausgelastetseinwerden,weildieBe-
wegungsfreiheit eingeschränkt bleiben
wird.Undwenneszueinemabermaligen
Ausbruch von Covid-19 kommen sollte,
würden die wirtschaftlichenAktivitäten
einzweitesMalempfindlichgestört,wor-
unter vor allem die bereits geschwächten
kleinen und mittelständischenFirmen zu
leiden hätten,hiesses bei einemWebinar
von Fitch am Donnerstag.
Erschwerendkommt hinzu, dass die
gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu-
rückgegangen ist. 211 der 293 antwor-
tendendeutschenFirmen erwähnten
dieses Problem bei derFrage, vor welche
Herausforderungen sie die Covid-19-
Krise stelle. In den vergangenenWochen
ist die Nachfrage nach chinesischen Pro-

dukten ausAmerika und Europa wegen
der dortigen wirtschaftlichen Schwierig-
keiten eingebrochen.
Nachteilig wirkt sich aus, dass auch
der Arbeitsmarkt in China Probleme
hat. Aus dem jüngst vomWirtschafts-
magazin «Caixin» ermittelten Einkaufs-
managerindex PMI für das verarbei-
tende Gewerbe geht hervor, dass die
kleinen und mittelständischenFirmen
als Rückgrat der chinesischenWirtschaft
sich bei derPersonalsuche zurückhal-
ten. Zuvor war imFebruar die offizielle
Arbeitslosenquote von 5,3 auf 6,2% ge-
stiegen. Dieser Befund ist ein schlech-
tes Omen, weil mit sinkendem verfüg-
barem Einkommen die Haushalte sich
beimKonsumeinschränken werden.

Abkehr ist kaum eine Option
Trotz denWidrigkeiten bekennen sich
die amerikanischen und deutschenFir-
men zum chinesischen Standort.Auf die
Frage, welcheAuswirkungen Covid-
auf die Geschäftsstrategie haben werde,
gaben laut der Deutschen Handelskam-
mer gerade einmal 4% der Unterneh-
men an, dass sie ihre Produktion aus
China inTeilen oder gänzlich abziehen
wollten. Auf eine ähnlicheFrage sagten
gerade einmal 2% der amerikanischen
Firmen, sie würden es sich überlegen,
den chinesischen Markt zu verlassen.

Schindler-CEO ThomasOetterli sieht den Liftbauer gutaufgestellt.ALEXANDRA WEY / KEYSTONE
Nur 57% der befragten
deutschen Firmen
gaben an,
die Produktion
habe wieder normales
Niveau erreicht.

JosefHöger,«BlickvomGartenauf Burg undSchlossLiechtenstein beiMödling», 1844
©LIECHTENSTE IN.ThePrincelyCollections ,Vaduz–Vienna

lgt.ch/values


«UnsereFamilieinvestiert


langfristig –seit1136.»


S.D. PrinzPhilipp vonund zu Liechtenstein ,LGT Chairmanseit 1990

VALUES WORTHSHARING

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