Neue Zürcher Zeitung - 03.04.2020

(Tina Meador) #1

INTERNATIONALIFreitag, 3. April 2020 Freitag, 3. April 2020 NTERNATIONAL


New Yorks heimlicher Politstar


Gouverneur Andrew Cuom o schafft als Krisenmana ger Vertrauen – Covid-19 droht das Gesundheitssystem des Gliedstaats zu überfordern


CHRISTOF LEISINGER, NEWYORK


Wenn ein riesigesLazarettschiff der Ma-
rine im Hafen von NewYork City einge-
setzt wird, wenn die Armee Hotels und
riesigeMessegebäude in provisorische
Krankenhäuser umwandelt, wenn sie
Lazarett-Zelte in öffentlichenParks er-
ri chtet und wenn überforderte Spitäler
Kühlcontainer ordern,um ungewöhnlich
vieleTote aufzubewahren – spätestens
dann lässt sich nicht mehr verleugnen,
wie sehr die Corona-Pandemie auf dem
nordamerikanischenKontinent grassiert.
Sie entfaltet dort nun trotz allen
Gegenmassnahmen ihreWucht. New
York City, die Megametropole am Hud-
son River mit gut achtMillionen Ein-
wohnern, ist mit etwa 50 000 Infizierten
und mit mehr als 1000 in Zusammen-
hang mit demAuftreten desVirus ge-
storbenenPersonen zu einem Zentrum
der Corona-Pandemie geworden. Beide
Zahlen nehmen schon seitTagen deut-
lich zu, und der Höhepunkt der Ent-
wicklung ist noch nicht absehbar.
Das musste inzwischenauchPräsi-
dent DonaldTrump begreifen. Der ge-
bürtige NewYorker hatte dieTragweite
der Krise lange Zeit ignorant herun-
tergespielt und warnende Stimmen so-
gar der Lächerlichkeit preisgegeben.
Arrogant argumentierte er anfänglich,
das Phänomen sei harmlos, und wenn
nicht,würden dieVereinigten Staaten
«locker» damit fertigwerden. Nun ma-
chen Kritiker ihn und seine Entourage
mas sgeblich dafür verantwortlich, dass
das ganzeLand wertvolle Zeit zurVor-
bereitung auf das verloren hat, was nun
den Grossraum NewYork überfordert.


Das Lavieren desPräs identen


Sinnvoll wäre es gewesen, möglichst
früh möglichst vieleTests zu machen
und möglichst viele Betten in Kranken-
häusern bereitzustellen, um denVerlauf
der Pandemie verfolgen, durch gezielte
Massnahmen eingrenzen und um dem
Ansturm der vielen plötzlich stark Er-
krankten auf Arztpraxen und Spitäler
gerecht werden zukönnen. DieRegie-
rung inWashington hat das versäumt.
Trump versucht sich nun im Hinblick
auf denWahlkampf als Krisenmanager
zu präsentieren. Er nutzt das Plenum


täglicher Pressekonferenzen imWeissen
Haus geschickt undverkauft sein inkon-
sistentesLavieren sowie die umstritte-
nenResultate oft spät und hektisch er-
griffener Zwangsmassnahmen als Er-
folg. In seiner inzwischen beinahe schon
allgemein akzeptierten Mischungaus
unverfrorenerFiktion und naivem Opti-
mismus stellt der «Chief-Showmaster
der Nation» seine Sicht der Dinge dar,
kanzelt gelegentlich unliebsameJour-
nalisten ab – und er wird nicht nur von
seinen Anhängern dafür gefeiert. Ge-
rade warnte er, der noch vor kurzem
alles verharmloste, Covid-19könnte in
denUSA Hunderttausende das Leben
kosten. Interessanterweise sind die Ein-
schaltquoten der wohlinszenierten Live-
Übertragungen aus demWeissen Haus
so rekordverdächtig hoch, dassTrump-
kritische Sender sie gar nicht mehr in
vollerLänge präsentieren mögen.

Der «Anti-Trump»
Aber auch Andrew Cuomo verbucht Er-
folge. Der demokratische Gouverneur
des Gliedstaates NewYork hat das Heft
frühzeitig in die Hand genommen, weil
sich Krankheitsfälle aufgrund der Inter-
nationalität und Agilität der Metropol-
region im Süden des Gliedstaats häuf-
ten. Allerdingskönnte derKontrast sei-
nerPersönlichkeit und seiner Arbeits-
wei se zu jener DonaldTrumps kaum
grösser sein. DerJurist setzt zur Lösung
einer anspruchsvollen Situation neben
einer gewissen Professionalität, Trans-
parenz und gradlinigem Mitgefühl vor
allem aufAnstand,einen Plan und die
nötige Disziplin, um diesenauch umzu-
setzen.Tag fürTag erklärt der im Stadtteil
Queens Geborene den Mitbewohnern
von NewYork City und den umliegen-
denRegionen die aktuelleLage anhand
pädagogisch bestens aufbereiteterDaten
undFakten. Geduldig schlüsselt erkom-
plexe Details oder bisher weitgehend un-
bekannte Definitionen in mundgerechte,
leicht verdauliche Häppchen auf und prä-
sentiert sie auf verständlicheWeise.
Im Zeitalter derFehlinformation ver-
sucht Cuomo, Fiktion mitFakten zu be-
gegnen.Das kommt gut an.Viele Ame-
rikaner sehen zu ihm auf, wenn sie sich
in diesen unsicheren Zeiten nach Stabi-
lität undVerlässlichkeit sehnen. Inzwi-

schen gilt er hinter vorgehaltener Hand
als heimlicher Kandidat der Demokra-
ten für die Präsidentschaftswahl.
Cuomo selbst möchte nichts davon
wissen. Stattdessenkonzentriert er sich
da rauf, «Leben zurett en», wie er sagt.
Das ist derzeit anspruchsvoll genug.
Er glaubt, denDaten über die bis-
herige Entwicklung derPandemie ent-
nehmen zukönnen, dass diese in New
York erst in zwei bis dreiWochen ihren
Höhepunkt erreicht haben wird. Bis da-
hin wird die absolute Zahl der Kranken
immer weiter zunehmen, und um sie
vernünftig versorgen zukönnen, sind
drei Dinge nötig: mehr Spitalbetten,
mehr BeatmungsgeräteundmehrPer-
sonal. Allein in NewYork City müssen
in den nächstenTagen 20 000 Plätze zur
Intensivpflege geschaffen werden.
Cuomo geht weit, um das zu errei-
chen. So hat er DonaldTrump trotz allen
persönlichen Antipathien dazu bewegt,
dasLazarettschiff «USNS Comfort» mit
1000 Liegeplätzen sowie mit mehreren
Operationssälen in denHafen vonNew
York City zu schicken. Derumgebaute
Supertanker liegt seit Montag dort, wo
normalerweise die Kreuzfahrtschiffe an-
docken. Die Armee richtet zudem meh-
rerebehelfsmässige Spitäler in Hotels und
Messehallen ein. Diese sollen das ange-
stammte Krankenhaussystem der Stadt
entlasten. Am vergangenen Sonntag hat
Cuomo Ärzte und Krankenpfleger in
anderenRegionen desLandes aufgerufen,
NewYork im Kampf gegen die Corona-
virus-Pandemie zur Hilfe zu eilen. «Bitte
helfen Sie uns jetzt», sagte er im Notspital
im Jacob-K.-Javits-Konferenzzentrum im
Westen Manhattans staatstragend. Im
Gegenzug werde das medizinischePerso-
nal NewYorks in anderenRegionen ein-
springen, sobald diese zu einem späteren
Zeitpunkt Unterstützung benötigten.Das
sei schliesslich nur eineFrage der Zeit.
Diese wiederum ist teuer. Nachdem
der Gouverneur entschieden hatte, den
Bürgern ans Herz zu legen, möglichst zu
Hause zu bleiben und bis auf weiteres
alle nicht unbedingt notwendigen Ge-
schäfte, Restaurants und Hotels in New
York zu schliessen sowieVeranstaltun-
gen abzusagen, sind dieWebsites über-
rannt worden, auf denen sich arbeits-
los gewordenePersonen meldenkön-
nen. Bis vor wenigenTagen waren rund

zehn Prozent der fünf Millionen Ange-
stellten NewYork Citys in der Unter-
haltungsindustrie oder in der Gastrono-
mie tätig, genauso viele wie imFinanz-
bereich.Viele von ihnen stehen nun
plötzlich ohneJob und Einkommen da.
Möglicherweise sogar für länger, da ei-
nige der Betriebe, für die sie bisher ge-

arbeitet haben, die absehbare Durststre-
cke finanziell nicht überstehen werden.
TatsächlichsinddieHotel-undRestau-
rantbuchungen völligeingebrochen, und
«der Immobilienmarkt ist tot», sagt eine
Maklerinaus der Nachbarschaft.Manche
Cafés undRestaurants versuchen zwar,
sich mit Lieferdiensten und Angeboten

Ein Patient wird zur Notaufnahme desWyckoff Heights Medical Center in NewYorks Stadtteil Brooklyn gebracht. JUS TIN LANE / EPA

WirdankenunserenKunden, unseren Partnern,


unseren Mitbewerbernund besondersunseren


Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterndafür, dass


wirdiese Kriseg emeinsam meistern. Nichts ist


selbstverständlich. #GWmovesOn


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