Freitag, 3. April 2020 SPORT 31
Aus Be lgien erwächst ein Schreckgespenst
Xamax und Sitten beantragen Hilfe aus dem 50-Millionen-Topf des Bundes – andere Teile der Fussba ll-Lobby denken schon weiter
BENJAMINSTEFFEN, PETERB. BIRRER
Am Donnerstagnachmittag fiel der
erste Stein: Die Jupiler Pro League,
die höchste belgischeFussballliga, soll
weg en der Corona-Krise vorzeitig die
Saison beenden; der FC Brügge, mit
15 PunktenVorsprung an der Spitze,
würde Meister. Dieser Entscheid des
Liga-Vorstands bedarf der Zustimmung
an einer Generalversammlung. Zu lesen
war, der Vorstand finde, die Wiederauf-
nahme desWettbewerbs sei für die Spie-
ler ein zu grosses Gesundheitsrisiko.
DerSchweizer Profifussball hingegen
versucht zurett en, was zurett en ist.
Unter normalen Umständen wäre von
Hinterzimmer-Gesprächen die Rede.
Der Betrieb ruht, es fliesstkein Geld,
aber es wird telefoniert und verhandelt,
die Lösungsansätze unterscheiden sich.
50 Millionen Franken an zinslosen
Darlehen hat der Bundesrat vorgesehen
für die Unterstützung des Profi-Mann-
schaftssports und für professionelle
Veranstaltungen wie etwa dieTour de
Suisse. ZweiSchweizer Super-League-
Klubs lassenkeine Zweifel daran, dass
sie diese Unterstützung brauchen zur
Überwindung der Corona-Krise: Xamax
und der FC Sion. Der Xamax-Besitzer
Jean-François Colleträumt ein, dass es
viele Unbekannte gebe: wann die Meis-
terschaft wieder aufgenommen werde
oder ob überhaupt; und: mit oder ohne
Zuschauer. Aber: «Wir brauchen Hilfe.»
Christian Constantin, der Präsident
des FC Sion,rechnet vor, dass er in
anderenJahren zwischenFebruar und
Juni imDurchschnitt 20 MillionenFran-
ken eingenommen habe – mit Matchein-
nahmen, mit einer allfälligen Cup-Final-
Teilnahme, mit der legendären Gala, mit
Transfers. Und heuer? «Fast nichts, jetzt
sogar gar nichts mehr.Auch wir beantra-
gen Bundeskredite.»
ÜberraschendeWege
Mit anderenWorten: Xamax und Sitten
droht die Zahlungsunfähigkeit. Denn
auf derWebsite des Bundesamts für
Sport steht unter einem gelben Kasten
mit der Bemerkung «wichtig»: «Finan-
zielle Unterstützung für Sportorgani-
sationen ist ausschliesslich möglich bei
drohender Zahlungsunfähigkeit und
nachAusschöpfung der zumutbaren
Selbsthilfemassnahmen.» Und: Dro-
hende Zahlungsunfähigkeit bedeute,
dass die Geldschulden der nächsten
zwei Monate nicht durch Einkünfte und
Liquidität gedeckt seien.
Gerade imFall des FC Sion liegt die
Frage nahe, wie kreativ die Interpreta-
tion der Zahlungsunfähigkeit ist. Con-
stantin ist mehrere Millionen schwer,
viel Gewicht liegt in Immobilien. Aber
von ihm zu erwarten, dass er denFuss-
ballbetriebaus anderen Geschäftsberei-
chen quersubventioniert, wäre in die-
semFall viel verlangt. Constantin sucht
immer wieder überraschende Wege.
Letzthin entliess er neun Spieler fristlos,
weil sie eineVereinbarung betreffend
Kurzarbeit nicht unterschrieben hatten.
Die Anträge für Bundeshilfe wer-
den mehrstufig kontrolliert werden,
auch vonWirtschaftsprüfern von Ernst
& Young. Aber längst nicht alle gehen
in diesesVerfahren. Bei YB und beim
FC Basel ist der Entscheid schon ge-
fallen – es hätte erstaunt, wenn diesen
Klubs in dennächsten beiden Monaten
die Zahlungsunfähigkeit gedroht hätte.
Auch der FC St. Gallen versucht es vor-
erst ohne staatliche Hilfe, der FC Luzern
schreibt, es hänge von den Bedingungen
dieser zinslosenDarlehen ab und da-
von, ob und wann die Saison zu Ende
gespielt werde. Im FCThun ist die Situa-
tion angespannt, aber die Berner Ober-
länder versuchen es laut dem Sportchef
Andres Gerber vorerst ohne Antrag fü r
die 50-Millionen-Bundeshilfe; womög-
lichkommen sie auf diesen Entscheid
zurück,falls sich die Situation verschärft.
Ähnlich verhält es sich im FC
Lugano. DieLage sei «existenzbedro-
hend», sagt der Präsident AngeloRen-
zetti, aberwenigstens habe der Klub
«keine Schulden undkeine Zinsen ab-
zuzahlen»; die Inanspruchnahmevon
Bundesgeldern wird erst erwogen.Wie
Servette vorgeht, ist unklar. Constantin
Georges, bis vor kurzem der Geschäfts-
führer, antwortet via SMS aus dem Spi-
tal, er ist Corona-infiziert und wird be-
atmet, die Situation sei «nicht schlimm,
aber ernst». Der Servette-PräsidentPas-
cal Besnard äussert sich nicht öffentlich.
Und der FC Zürich hat laut Ancillo
Canepa nochkeinen Antrag gestellt.
Der Präsident hatFragen zum bürokra-
tischen Prozedere und ist unsicher, ob
die Mittel die Klubs innert nützlicher
Frist erreichen.
Vieles ist im Fluss, die hiesige Szene
hofft,dass die belgische Liga nicht ein-
fach der erste Domino-Stein ist und
viele andere Ligennoch umfallen wer-
den. Aber in Insiderkreisen gibt es
durchaus auch dieFurcht, dass das bel-
gische Beispiel Nachahmer finden wird.
Vor allem in Osteuropa dürfte die Mög-
lichkeit weiterer Abbrüche bestehen,
weil die dortigen Ligen wenigerTV-Gel-
der und kleinere Chancen auf staatliche
Unterstützung hätten. In grossen Ligen
hingegen drohen mit einem frühzeitigen
SaisonendeTV-Geld-Verluste im drei-
stelligen Millionenbereich.
Was, wenn es nicht reicht?
In der Schweiz gehen die Gedanken
schon weiter. Offenbar gibt es Bestre-
bungen, dass sich der hiesigeFussball als
Einheit positioniert und eine Strategie
aufgleist, wie vorgegangen werden soll,
wenn währendetlicher weitererWochen
keine Spiele möglich sind – wenn die
Finanzlöcher noch grösser werden und
die 50 Millionen für denTeamsport
nicht ausreichen.
Teile der SchweizerFussball-Lobby
möchten dem Bund aufzeigen,wie gross
ihr Wert ist, über die Profiligen hinaus
bis in denAmateurbereich. Es wird von
einer Arbeitsgruppe geredet, vermut-
lichkommt die Idee aus demKomitee
der Swiss Football League (SFL). Aber
werkonkret darauf angesprochen wird,
gibt sich wortkarg. Doch wie sagte der
SFL-CEO Claudius Schäfer am Mon-
tag in der NZZ:«Wenn es zum Abbruch
kommt,reden wir von ganz anderen
finanziellen Schwierigkeiten.» Über das
Abbruch-Szenario wird öffentlich nicht
gesprochen – aber bei den Hinterzim-
mer-Telefongesprächen in den Home-
Offices geht es wohl auch darum, nach
demFall der Belgier erstrecht.
Mitarbeit: cov. /fcl.
Der Cup fährt im Seitenwagen mit
bir.· Bi s jetztsind drei Gesuche von
Amateurklubs zum Schweizerischen
Fussballverband SFV gelangt. DieVer-
eine beabsichtigen, wegen drohender
Zahlungsunfähigkeit Bundeskredite zu
beantragen. DerVerbandrechnet nicht
mit vielen weiteren Begehren, weil um-
fangreiche Unterlagen eingereicht wer-
den müssen und sich der Amateurfuss-
ball ökonomisch auf einem anderen
Niveau bewegt als die Profiabteilung.
Offen ist auch, was mitdem Schwei-
zer Cup geschieht. Einerseits wäre die
finale Phaserelativ schnell zu veran-
stalten (Viertelfinal, Halbfinal, Final),
anderseits versteht sich von selbst, dass
der Cup im Seitenwagen der unterbro-
chenen Meisterschaft mitfährt.Wird sie
abgebrochen, gibt’s zum ersten Mal in
der Geschichte auchkeinen Cup-Sieger.
Von alldem ist der SFV-Präsident Domi-
nique Blanc nur amRande tangiert. Der
70-Jährige hat das Coronavirus und ist
seit fünfTagen fieberfrei, bekämpft aber
derzeit mit Antibiotika eine bakterielle
Lungenentzündung.
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