Neue Zürcher Zeitung - 03.04.2020

(Tina Meador) #1

Freitag, 3. April 2020 INTERNATIONAL 5


Roboter und Drohnen gegen das Virus


Tunesiens Methoden im Kampf gege n Corona wecken bei manchen Erinnerungen an das alte Regime


SARAH MERSCH, TUNIS


Kläffend und ein wenig irritiertrennt ein
Strassenhund einem schwarzenRobo-
ter aufRädern nach. «Es ist untersagt,
das Haus zu verlassen, um die Infektion
einzudämmen», dröhnt aus dem Mikro-
fondes Gefährts in einemVideo.Auf-
genommen wurde es in der tunesischen
HauptstadtTunis, in dem nordafrikani-
schenLandistes zum Hitin den sozia-
len Netzwerken geworden. In anderen
Videos sieht man, wie derRoboter, der
die Einhaltung derAusgangsbeschrän-
kung durchsetzen soll,Ausweisekon-
trolliert und Genehmigungen, um vor
dieTür zu treten. Einenjungen Mann,
der Zigaretten holen will, herrscht er an,
er solle sich dabei beeilen.


«Immerhin schlägt er nichtzu»


Seit kurzem setzt die tunesischeRegie-
rung den Beamten aufRädern imKampf
gegen dieAusbreitung des Coronavirus
ein. DieVideos haben vieleTunesierin-
nen undTunesiern zum Schmunzeln ge-
bracht, lösen aber auch Irritationen und
Sorgen aus. Als sie die Bilder gesehen
habe, habe sie sich wie in einer Dystopie
gefühlt, sagt die tunesische Menschen-
rechtsanwältinWafa Ben Hassine, die
auchVizevorsitzende des GlobalFuture
Council für Menschenrechte undTech-
nologie desWeltwirtschaftsforums ist.
«Dastellt sich eine ganzeReihe von
Fragen: Wie werden dieAusweise vom
Roboter eingelesen?Werden diese In-
formationen gespeichert? Und wie wer-
den sie auch in der Zukunft genutzt?»


Wie vieleRoboter durch die Strassen
vonTunis fahren,wassie dabei aufneh-
men und wie diese Informationen genutzt
und weiterverarbeitet werden, dazu ver-
weigert das tunesische Innenministerium
bis jetzt jedeAuskunft.Auch der tunesi-
sche Hersteller EnovaRobotics will sich
dazu nicht äussern.Laut Angaben auf der
Website kann der einen Meter hohe und
anderthalb Meter langeRoboter unter
anderem 360-Grad-Videos undTon auf-
nehmen undTemperaturunterschiede
erkennen. «Immerhin schlägt er nicht
zu», kommentierte einFacebook-Nutzer
Videos des neuen Apparats sarkastisch.
ZehnJahre nach dem Ende der Dikta-
tur von Machthaber Zine al-Abidine Ben
Ali sind die Erinnerungen an die Über-
wachungstechniken des altenRegimes
mit seinem Spitzelsystem noch präsent.
Damals waren Zensur, das Abhören von
Telefongesprächen, die Überwachung
von E-Mails und die Gängelung von
Oppositionellen an derTagesordnung.
Wirddie Eindämmung derPandemie ge-
nutzt, um die noch jungenFreiheiten der
Bürger wieder einzuschränken?
Chawki Gaddes, Leiter der tunesi-
schenDatenschutzbehörde, hatkeine
grossen Bedenken. Er hält denRoboter
an sich fürrelativ nutzlos. DieRegierung
wolle damit vor allemAufmerksamkeit
heischen, glaubt er. Aber er gibt auch zu,
dass die Grenzen desrechtlichenRah-
mens ausgelotet werden. «Die Gesund-
heit ist im Moment prioritär», aber sol-
che Angewohnheiten dürften nicht zum
Normalzustand werden.«Wir wären die
Ersten, die Alarm schlagen würden», ver-
sichert er. Bis jetztsei dieRegierung in

Fragen desDatenschutzes sehr sensibel
gewesen und habe Anmerkungen seiner
Behörde umgesetzt,sagt derJurist.
Vielleicht sei die Nutzung derTech-
nologie im Moment noch völlig harmlos,
räumt auchWafa Ben Hassine ein. Doch
sie fürchtet, dass sie viel zu schnell, un-
kontrolliert und ohne eine öffentliche
Debatte über ihren tatsächlichen Nutzen
eingesetzt werden. Die Gesundheitskrise
müsse natürlich dringend angegangen
werden. «Aber in solchen Momenten wer-
den oftTür undTor geöffnet.Jetzt ist die
beste Gelegenheit,Technologien zu eta-
blieren, die später für ganz andereZwe-
cke genutzt werdenkönnen.»Dazu zählt
sie den Einsatz gegen Oppositionelle und
sexuelle Minderheiten oder die Nutzung
derTechnik bei Demonstrationen.

FrüheGrenzschliessung
Bis jetzt hat dieRegierung von Minister-
präsident ElyesFakhfakh, die erst drei
Tage vor dem ersten inTunesien ver-
zeichneten Covid-19-Fall ihr Amt an-
getreten hat, dieLage nochrelativ gut
im Griff. 326 Erkrankungen wurden bis
zum 30. März bestätigt, die meisten tra-
ten nachAuslandreisen oder im persön-
lichen Umfeld vonReisenden auf. Frü-
her als viele europäische Staaten hat
Tunesien seine Grenzen geschlossen und
Rückkehrende in Quarantäne geschickt.
Seit dem18. März gilt eine nächtliche
Ausgangssperre, seit dem 22. März dür-
fen dieTunesier nur noch zum Einkau-
fen oder für Notfälle das Haus verlas-
sen. Nur in bestimmten Berufszweigen
darf überhaupt noch gearbeitet werden.

Tr otz Sorgen um die massivenAuswir-
kungen auf dieWirtschaft bewerteten in
einer UmfrageamvergangenenWochen-
ende mehr als zwei Drittel der Befrag-
ten die Massnahmen des Gesundheits-
ministeriums positiv. Ob sie ausreichen,
ist allerdings ungewiss. Das öffentliche
Gesundheitswesen war schon vor Beginn
der Corona-Krise in desolatem Zustand
undkommt mit jedem schweren Krank-
heitsverlauf demKollaps ein Stück näher.
Neben demPolizeiroboter will die
tunesischeRegierung in Zukunft noch
weitere Hochtechnologie einsetzen,
um dasVirus zu bekämpfen. So hat
AnisYoussef, Innovationsdirektor des
UnternehmensTelnet,derRegierung
zwei Drohnen mitThermokameras ge-
spendet, wie sie auch in China einge-
setzt wurden. In wenigenTagen sollen
sie in Betrieb gehen.Youssef erklärt, da-
mitkönnten zum Beispiel in Menschen-
ansammlungenPersonen mit erhöhter
Temperatur identifiziert, fotografiert
und nach ihrer Identität gefragt wer-
den. DieseDatenkönnten dann direkt
vomInnen- ans Gesundheitsministe-
rium übermittelt werden.
Das tunesische Startup MakerLab hat
dem Krisenstab einen Prototyp eines Be-
atmungsgeräts, aber auch seine GPS-Tra-
cker angeboten, die alsFussfesseln einge-
setzt werdenkönnen.DerGründer Anis
Tr igui sah dasals seine Bürgerpflicht an, als
dieRegierung nach technischen Lösungen
im Kampf gegen das Coronavirus fragte.
Ob diese auch zum Einsatzkommen sol-
len, ist unklar. «Aber ganz ehrlich, mir per-
sönlich wäre es lieber, wenn sie dieTr acker
nicht nutzen würden», sagtTr igui.

IN KÜRZE


Demokratenin den USA
verschieben Parteitag
(afp)· Wegen der Coronavirus-Pande-
mie verschiebt die DemokratischePartei
in den USA ihren fürJuli geplantenPar-
teitag zur Nominierung ihres Präsident-
schaftskandidaten. DerParteitag in Mil-
waukee im StaatWisconsin soll nun in der
Woche vom17. August stattfinden. Dies
teilte die Oppositionspartei am Donners-
tagmit. An derKonferenz soll der Her-
ausforderer von PräsidentTr ump bei der
Wahl im November gekürt werden.

Polen, Tschechien und
Ungarn brechenEU-Recht
DSt. Brüssel· Polen, Ungarn und Tsche-
chien haben mit derWeigerung, Asyl-
bewerber in der Migrationskrise aufzu-
nehmen, gegen EU-Recht verstossen.
Die Mitgliedstaaten hätten ihr damali-
ges Nein zurAufnahme vonFlüchtlingen
und Migranten weder mit derAufrecht-
erhaltung der öffentlichen Ordnung noch
mit dem «Nichtfunktionieren» des Um-
siedlungsmechanismus begründenkön-
nen, heisst es in einem Urteil des Euro-
päischen Gerichtshofes am Donnerstag.

Russland schickt den USA
medizinische Güter
(afp)· In NewYorkist am Mittwoch ein
russisches Militärflugzeug mit medizi-
nischen Gütern gelandet.Wie die russi-
sche Uno-Vertretung in NewYork mit-
teilte, hat die wegen der Coronavirus-Pan-
demie entsandte Maschine auch medizi-
nische Masken an Bord. Die Präsidenten
Putin undTr ump hatten dies vereinbart.

Leichter


als


Luft


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