FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft MONTAG, 6.APRIL 2020·NR.82·SEITE 17
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Die Justiz braucht sie,dochbislang
sind Anwältenicht als
systemrelevant eingestuft.
Der O2-Vorsta nd und der Chef der
Monopolkommission überweiße
FleckenimNetzund 5G-Ausbau.
CreditreformerwartetimHerbst
eine Insolvenzwelle.Was nutzt die
Staatsgarantie?
RECHTSANWÄLTESYSTEMRELEVANT? STREITGESPRÄCH „HILFSKREDITELAUFEN INSLEERE“
Z
umindestkurzfristig schien in
der EU der unfruchtbareStreit
über Corona-Bonds ent-
schärft zu sein.Auch die glühendsten
Anhänger dergemeinschaftlichen An-
leihen hatten eingesehen, dasssich
dieses Instrument kurzfristig nicht
einführen lässt –weil dafürtechni-
sche und institutionelleVorbereitun-
gennötig sind undweil die Einfüh-
rung vonEurobonds einegrundsätzli-
chepolitische Debatteinallen Mit-
gliedstaaten erfordert. Die nationalen
Parlamentemüssten sichkurzfristig
bereiterklären,teilweise ihr Budget-
recht–und damit ihrenationale Sou-
veränität–aufzugeben. Eskonntein-
sofernals Fortschrittgelten, dassdie
Eurogruppe in ihrerVideokonferenz
am Dienstagden Streit über die Ge-
meinschaftsanleihen erst einmal aus-
klammernund jeneFinanzhilfen be-
schließenwollte, die halbwegs unstrit-
tigsind: erweiter te Kreditlinien des
Euro-Krisenfonds ESM, einen neuen
Garantiefonds in der Europäischen In-
vestitionsbank und dasvonder EU-
Kommissionvorgeschlagene europäi-
scheKurzarbeitergeld.
Dochdie EU-Finanzminister, die
den ebenso schrillen wie sinnlosen
Streit über Eurobonds erst einmalent-
schärft zu haben schienen, haben die
Rechnung ohne die EU-Kommission
gemacht.Vielleicht mussman eher
sagen: ohne das französisch-italieni-
scheKommissarsduo Thierry Breton
undPaolo Gentiloni, das seine Che-
finUrsula vonder Leyenoffensicht-
lichüberfahren hat. Am Samstaghat
vonder LeyenihreIdeen für eineneu-
ropäischen „Marshallplan“ mit der
Überlegung unterfüttert, dassdie Mit-
teldafür vorallem aus dem EU-Haus-
halt kommenkönnten. Eurobonds er-
wähntesie wohlweislichnicht .Einen
Tagspäter istder Anscheinkaum
nochkorrigierbar,dassdie beiden
Kommissarevon der Leyenunge-
straft auf derNase herumtanzenkön-
nen. Es istnicht das ersteMal, dass
die Kommissionschefin den Ein-
druc khinterlässt,nicht mehr Herrin
des Verfahrens zu sein.
Es isterstein paarTage her,dass
vonder Leyenstolz verkündete,die
EU und die Mitgliedstaaten hätten im
Kampfgegen die Corona-Krise schon
jetzt zusammen einen Betragvon2,
Billionen Euromobilisiert. Dasvon
der Eurogruppe insVisier genomme-
ne Paketumfasst nachAngaben ihres
Vorsitzenden Mário Centeno einewei-
tere halbe Billion Euro. Das sind zwar
Schaufenstersummen, da darin Zu-
schüsse, Krediteund Garantienver-
mischtsind. Eine Größenordnungver-
mitteln sie aber allemal, auchmit
Blickdarauf, inwelchemUmfang die
Staatsverschuldung in denkommen-
den Jahrensteigen wird.
Dochnatürlichwollen Breton und
Gentiloni jetzt endgültig denFußin
die Türbekommen und die Einfüh-
rung vonEurobonds für dieZukunft
festklopfen. Siefolgen der Linie, die
in der vergangenen WocheFrank-
reichs FinanzministerBruno Le Mai-
re vorgegeben hat.Aucherfordertei-
nen aufgemeinsamen Anleihenberu-
henden„Wiederaufbau-Fonds“. Die-
ser sei nötig für Investitionen nach
der Krise.WasBretonund Gentiloni
vorhaben, istpolitischleicht zuver-
stehen. Sie wollen die andauernde
Debatteüber die–angeblichoder tat-
sächlich–ausgebliebene Solidarität
der nördlichen EU-Staaten mit Ita-
lien und Spanien dazu nutzen, die
Wirtscha ftspolitik in der EUgrundle-
gend neu auszurichten. Gemeinsame
Schulden sollen als Prinzipverankert
werden, auchüber das Ende der Kri-
se hinaus.
Gentilonis Argument, esgehe nicht
um eine Schuldenvergemeinschaf-
tung,weil ja nurkünftig eSchulden be-
trof fenseien, istnicht nachvollzieh-
bar.Zubezweifeln istferner,dassdie
„Wiederaufbau-Bonds“ tatsächlich
sachlichund zeitlichbegrenzt aufge-
legtwerden. Auch der Euro-Krisen-
fonds EFSF solltebei seiner Grün-
dung 2010 nurwenigeJahreexistie-
ren. Mittlerweile heißt er ESM und ist
auf Dauer angelegt;mit der bevorste-
henden Bereitstellung erweiter ter
Kreditlinien wirdauchsein Verwen-
dungszweckausgedehnt.
Schließlichbleibt unklar,was ge-
nau mit Eurobondsfinanziertwerden
soll.Vonder Leyenwill ein neues
EU-Budget auf die Beinestellen, um
ihren „Marshallplan“ zufinanzieren.
Der Begriff istzwarunsinnig,weil es
derzeit in der EUkeine Kriegsverhee-
rungen,keine zerbombtenStädteund
–jedenfalls noch–eine intakte wirt-
schaftliche Infrastruktur gibt.Zur
Stunde istdie Wirtschafteingefroren,
aber nicht zerstört. Aber natürlich
müssenRegionen, die unter derPan-
demie besondersgelittenhaben,über-
proportional Hilfebekommen.Auch
müssen Wirtschaftszweigeund Ar-
beitnehmer,die unverschuldetinwirt-
schaftliche Schwierigkeiten geraten
sind, unterstütztwerden. Dassdafür
in der EUTransfersnötig sind, istab-
sehbar.Esgibt dafür aber–neben
den schon beschlossenen Instrumen-
ten–ein bewährtesMittel: den EU-
Haushalt.Von der Leyenwill ja in ein
paarWochen eine ArtPandemiebud-
getvorschlagen.Kann sie sichinSa-
chen Eurobonds nochzueiner Positi-
on durchringen?
hmk./tp./wmu. BRÜSSEL/ROM. Die
EU-Kommission istsichoffenbar nicht ei-
nig, ob zur Bewältigung der Corona-Kri-
se einegemeinsameVerschuldung nötig
ist. Der französische Binnenmarktkom-
missar ThierryBreton und der italieni-
scheWirtschaftskommissarPaolo Genti-
loni machen Druck, solche Eurobonds zu
schaffen. Angesichts der Summen, um
die es in der Krisegehe, brauche die EU
neben den Mitteln des Eurokrisenfonds
ESM, der Europäischen Investitionsbank
und demvonKommissionschefinUrsula
vonder Leyenvorgeschlagenen EU-Kurz-
arbeitergeld eine vierte Säule, begründen
die KommissareihrenVorstoßineinem
Gastbeitragfür dieF.A.Z. „DieZeit ist
knapp.Wirmüssen kreativ sein.“
Breton und Gentiloni denken an einen
gemeinsamenFonds, der langfristigeAn-
leihen, also Eurobonds ausgibt.Der Be-
griff„Corona-Bonds“fällt in dem Bei-
trag nicht. DerFonds solle ausschließlich
für den wirtschaftlichenAufbau nach der
Corona-Krisegenutztwerden. Das ent-
spricht dervomfranzösischen Finanzmi-
nisterBruno Le Mairevorgegebenen Li-
niefür dieVideokonferenz der Eurogrup-
pe am Dienstag. Demnachsollen erst ein-
mal die direktverfügbarenFinanzinstru-
mentebeschlossenwerden. Darüber hin-
aus soll aber ein aus Gemeinschaftsanlei-
henfinanzierter„Wiederaufbau-Fonds“
diskutiertwerden.
Die beidenKommissarestellen ihre
Idee als Ergänzung zuvonder Leyens
Vorschlag dar,den EU-Haushalt 2021 bis
2027 zu nutzen,um denWiederaufbau
der EU zufinanzieren. DieKommission-
schefinwarb amWochenendeabermals
für ihreIdee eines „Marshallplans“,stell-
te aberkeine Verbindung zu Eurobonds
her.Kürzlichhattesie diese als „Schlag-
wort“bezeichnet,während Breton schon
voreiner Wocheinder F.A.Z. einen euro-
päischenFonds geforderthatte.
Jenseits dieser ideologischen Debatte
hat Griechenlands MinisterpräsidentKy-
riakos Mitsotakis einen neuenVorschlag
im Kampfgegen die Krisegemacht.Nach
seiner Meinung solltendie Europäerge-
meinsam diePatentefür neue Impfstoffe
kaufen und damit eine möglichstschnel-
le Verbreitungder Mittelgegendas Virus
fördern. Derzeit würden mindestens 20
Impfstoffe entwickelt, viele davonsub-
ventioniert voneinzelnenRegierungen
oderwohltätigen Organisationen, sagte
der griechische Ministerpräsidentder
F.A.Z. „Idealerweise sollten solche Impf-
stoffe,sobald ihreWirksamkeit erwiesen
ist, möglichstschnell undgerechtverbrei-
tet werden, und zuvernünftigenKosten“,
sagt Mitsotakis. Es sei schwierig und den-
nochvordringlich, das Problem der mög-
lichs tschnellenVerbreitungvonImpfstof-
fenzulösen. „Gegenüberdieser Heraus-
forderungkönnten die europäischenRe-
gierungen die HerstellervonImpfstoffen
belohnen, indem sie ihrePatentezuver-
nünftigen Preisen abkaufen“, sagt Mitso-
takis.Wenn dieses Prinziprichtig ange-
wandt werde, gebe esweiterhin Anreiz
für Forschung und Entwicklung in den
Pharmaunternehmen. Zugleicherzeuge
mangegenüber Europas Bürgern das Ge-
fühl, dassGelderder Steuerzahlersinn-
voll ausgegeben würden. („Wirbrauchen
eine vierte Säule“, Seite20.)
D
ie Lebensverhältnisse inKai-
ro,Lagos oder Neu-Delhi ent-
larvendie Forderung nach
Distanzierung als ein Konzeptder
wohlhabenden Länder.Slums erlau-
ben ArmenkeinenAbstand. Die An-
weisung, daheimzubleiben, schneidet
Menschen vonihren Einkommens-
quellen ab. Homeoffice is tfür die Hap-
py Few. Vielen Ländernfehlen die
Mittel, ihren Armen über Durststre-
cken hinwegzuhelfen. Schonvorder
Corona-Krise wurden Forderungen
nacheinem Schuldenerlassfür die
ärmstenLänder laut.Jetzt haben sich
die Probleme potenziert. Länder,die
als Rohstofflieferant,Tourismusdesti-
nationoder GliedglobalerWertschöp-
fungskette nihr Auskommenfanden,
erleiden schlimme Einbußen. DieKa-
pitalflucht aus Entwicklungsländern
istnur einVorbote.IhrekünftigeInte-
grationindie Weltwirtscha ft istinFra-
ge gestellt, wenn sie eswegenihrer fra-
gilen Gesundheitssysteme nicht schaf-
fen, diePandemie in den Griffzube-
kommen.ZurPost-Corona-Welt wer-
den Reise- und Lieferbeschränkungen
aus Ländernmit gefährlichen Infekti-
onskrankheitengehören. Das entkop-
pelt Länder vonder einzigen Auf-
stiegschance. Niewarensie so auf Hil-
fe angewiesen wie jetzt.
loe. BERLIN.Nochist die Bundesregie-
rung voll undganz damit beschäftigt,
ihr eilig beschlossenesCorona-Rettungs-
paket fürdie deutscheWirtschaftumzu-
setzen und in Detailfragennachzubes-
sern.Dochder RufnacheinemPlan für
die Zeit danach,nacheinemKonjunk-
turprogrammwirdlauter.Wie so oftin
diesenTagen mitvornedabeiist Bay-
erns Ministerpräsident MarkusSöder
(CSU). Er forderte am Wochenende
Steuersenkungen füralle, umdie In-
landsnachfragenachdem Ende des poli-
tisch angeordnete nStill standswieder
anzukurbeln.„DerSoli mussschneller
undfür alle abgeschafftwerden“, sagte
Söderder „Bild am Sonntag“. „Darüber
hinaussolltenwir die Einkommensteu-
erinsgesamtabsenken, damit möglichst
viele Arbeitnehmer mehr Geld in derTa-
sche haben.“
Zudemforderte Söder einspezielles
Stützungspaket für die Autoindustrie.
Mit einer „Innovationsprämie“ solleder
Staat den Kauf umweltfreundlicher
Fahrzeugeunter stützen. „Daskann uns
nachCorona sogar nachvornkatapultie-
ren.“ Offenblieb, wie sich diese Prämie
vonder schonexistierendenKaufprä-
miefür Elektroautos unterscheidensoll.
Diese wurdegeradeerstangehoben, je
nachFahrzeug gibteseinenZuschuss
vonbis zu 6000Euro. Wieviel Geldins-
gesamt in einKonjunkturprogramm flie-
ßensoll, sagte Södernicht .Nur so viel:
Es müsse eine ähnliche Größenordnung
wiedie jetzt beschlossenen Soforthilfen
undBürgschaften haben. Damitwürde
es auf einen dreistelligen Milliardenbe-
trag hinauslaufen.
Auch Bundesfinanzminister Olaf
Scholz (SPD) schmiedetPläne für ein
Konjunkturprogramm, äußertsichdazu
aber bislang nurvage.„Wirwollen die
technologische Modernisierung unseres
Landesvoranbringen und dieVorausset-
zungen dafür schaffen, dasswir 2050 kli-
maneutral wirtschaftenkönnen“, sagte
er denZeitungen derFunkeMediengrup-
pe. Die GrößenordnungwollteScholz
ebenso wie Söder nicht beziffern.„Jetzt
kommt es darauf an, dasswir nichtge-
gendie Krise ansparen“, sagteer. Steuer-
senkungen für Spitzenverdiener erteilte
er allerdings eineAbsage. Der Solidari-
tätszuschlag solle wie beschlossen zum
- Januar 2021 „für die allermeisten“
Steuerzahler abgeschafft werden. Auch
SPD-ChefNorbertWalter-Borjansstell-
te sichgegen SödersVorstoß.
Der schon langeschwelendeKonflikt
zwischen CDU/CSU und SPD über den
Soli geht damit in eine neueRunde.Die
Union will die einstzur Finanzierung der
deutschen Einheiteingeführte Abgabe
für alle Steuerzahler abschaffen, die SPD
nur für 90 Prozent.Die obersten 10 Pro-
zent in der Einkommensskala sollen den
Soli zumindestteilweiseweiter zahlen.
Dies betrifft viele Mittelständler.Scholz
will derWirtschaftjetzt auf andereWei-
se entgegenkommen. DieRegierung ar-
beitegerade „an einem unbürokratischen
Weg, dassUnternehmen in begrenztem
Umfang ihreVerluste aus diesem Jahr
schon mit dem Gewinn 2019verrechnen
können“.FürdiesesVorgehen gibt es of-
fenbar Einigkeit mit derUnion. Auchdie
CDU-Finanzpolitikerin AntjeTillmann
sprachsichfür eine solcheRegelung aus.
Aus allen Rohren
VonWerner Mussler,Brüssel
E
swar nur eineFrageder Zeit,
bis derRufnacheinemKon-
junkturprogramm für dieZeit
nachdem Corona-Stillstandkommt.
Nunist es soweit.InBerlin sind sich
der Wirtscha fts- und derFinanzminis-
terindieser Frageausnahmsweise
mal ganz einig, und auchder bayeri-
sche Ministerpräsident drückt aufs
Tempo. Frei nachdem Motto:Wenn
wir schon beim Geldausgeben sind,
dann aber richtig. Die alten politi-
schen Reflexefunktionieren dabei
auchimKrisenmodus nocheinwand-
frei. Dieeinenfordernniedrigere Steu-
ernfüralle,dieanderendenUmbau
hin zu einer klimaneutralen Wirt-
schaftund eine Investitionsoffensive
für bessereStraßen,Schulen und Inter-
netleitungen. Es istein munteres
Wünschdir was, fast wie vordem Aus-
bruch des Coronavirus. Dochklar ist
auch: In einerZeit, in der dieSteuer-
einnahmen rapide sinken und dieNeu-
verschuldung schon ein historisches
Niveau erreicht hat,werden sichnicht
alle Wünsche erfüllen lassen.Umso
sorgfältiger mussdie Bundesregie-
rung abwägen, welche Maßnahmen
der Wirtschaftwirkli ch langfristighel-
fen–eine Entscheidung, für die sie
sichmehr Zeit nehmen sollteals für
das Rettungspaket.
Kommen Eurobonds?
EU-KommissareBretonund Gentiloni sind dafür /
GriechenlandfordertInitiativefür Impfstoffe
Gemeinsame Schulden in
der EU sollenoffenbar
als dauerhaftesPrinzip
veranker twerden.
D
as Coronavirus trifft schon die
industrialisierteWelt mitvoller
Wucht, in den Entwicklungslän-
dernaber droht eine humanitä-
re Katastrophe.Die ärmstenLänder sind
nicht für die Krisegewappnet,weder de-
renGesundheitswesen nochderenVolks-
wirtschaften. „Dies isteine Krise wiekei-
ne andere, dieglobaleWirtschaftist zum
Stillstandgekommen“, sagtedie General-
direktorin des InternationalenWährungs-
fonds, Kristalina Georgiewa,inGenf.
Mehr als 90 Länder haben beimWäh-
rungsfondsFinanzhilfebeantragt.
Die Volkswirtscha ften armer Länderre-
gistrieren aktuelleine Kapitalflucht,wel-
chedie Abflüssewährend derFinanzkrise
deutlichüberschreitet. Mit dem Ziel, das
Geld sicher anzulegen, sind nach Anga-
ben desWährungsfonds 90 Milliarden Dol-
lar aus den Schwellen- und Entwicklungs-
länderntransferiertworden. Ins Marktref-
fe einigeLänder auchder Kollaps derRoh-
stoffpreise, sagtedie IWF-Chefin.
Dochdamit nichtgenug: DerTouris-
mus, deretwa für Tunesien, Senegal, die
Seychellen,Mauritius und Kenia eine
wichtigeDevisenquelle darstellt, istzu-
sammengebrochen. Kenia exportiert
auchfastkeine Blumen mehr.Afrikani-
scheTextilienfinden in Europa und ande-
renindustrialisiertenLändernkaum
noch Absatz. Die Ölexporte Nigeriaswer-
den ebenfalls schwer in Mitleidenschaft
gezogen. Selbstimweiter entwickelten
Südafrikadroht eine schwereRezession.
Der südafrikanischeRand hatgegenüber
dem Dollar vielWert verloren.Ausländi-
sche Direktinvestitionen in Subsahara-
Afrikadürften durch die Corona-Krise
mindestens um 15 Prozent sinken, schätzt
die OrganisationUnctad. Millionen Ar-
beitsplätzegehenwahrscheinlichverlo-
ren. Es dürftenochviel mehr Flüchtlinge
geben. „Dies istdie dunkelste St unde der
Menschheit in meiner Lebenszeit“, sagte
Georgiewa auf einer Pressekonferenz mit
Vertretern der Weltgesundheitsorganisati-
on. Sierief dazuauf, die besonders gefähr-
detenMenschen in armen Ländernzu
schützen. Für sie seien die klassischen
Empfehlungen, soziale Distanz zuwah-
ren, nicht praktizierbar,vor allem nicht in
den mit Menschenvollges topftenurba-
nen Slums.
Die Gesundheitssysteme in vielen ar-
men afrikanischen Ländernsind jetzt
schon überfordert, obwohl diePandemie
in demKontinent erst an ihrem Anfang
steht.Das illustriertdas Beispiel Nigerias:
So arbeiten nachAngaben des deutschen
Ökonomen und Afrika-Spezialisten Ro-
bertKappel in dem Land mit einer Bevöl-
kerung vonmehr als 200 Millionen Men-
schengerade 200 BeschäftigteinsechsLa-
boratorien, dieTestsdurchführenkönnen.
In den Krankenhäusernfinden sichnur
350 Intensivstationen mit jeweils maximal
zwanzig Betten.InKeniastehen 130 Inten-
sivbetten und 200 Arzt- und Pflegekräfte
zur Verfügung.Auf10000 Menschenkom-
men in den afrikanischenStädten durch-
schnittlichzweiÄrzte.Zum Vergleich: In
Italien sind es 41.
Viele Länder haben in Afrikaüberdies
schon mit anderen Epidemien zukämp-
fen, etwa Gelbfieber,Malaria, Lassa-Fie-
ber oder HIV.Die Mehrheit der auf 15 Mil-
lionengeschätzten HIV-Patienten lebt in
Afrika.Rund 2,5 Millionen Menschenste-
cken sichjedes Jahr mitTuberkulose an.
SelbstEbola istnochnichtkomplett be-
siegt.IWF-Chefin Georgiewa wies darauf
hin, dassder Währungsfonds überfinan-
zielleFeuerkraftinHöhe voneiner Billion
Dollarverfügeund gewillt sei, die Mittel
zu bewilligen imKampfgegen die Krise.
Sie forderte,dassdie Sicherstell ung der
Bezahlungvon Ärzten und Schwestern,
die Ausstattung mit Schutzkleidung und
die Errichtung vonNotlazaretten erste
Priorität haben müsse.
Das IWF-Budget für dieNothilfeinden
ärmsten Ländernist auf 100 Milliarden
Dollarverdoppeltworden. Zudem sind ei-
nigearmeLändervomSchuldendienstan
den Währungsfonds befreit,reiche Länder
springen für sie ein. DieWeltbank hat am
vergangenenFreitag HilfsprojekteimVo-
lumenvon1,9 Milliarden Dollar in 25 ar-
men Ländernbewilligt.Projekteinweite-
ren40Ländernwerden nachAngaben der
Organisation schnellgeprüft. DieWelt-
bankrechnetdamit, binnen der nächsten
15 Monate160 Milliarden Dollar im
Kampfgegen diePandemie und derenFol-
genzuinvestieren.
MehrerewestlicheRegierungenwollen
denEntwicklungsländernebenfalls zu Hil-
fe eilen. Bundesentwicklungsminister
GerdMüller (CSU) hat einen Schulden-
schnitt für Entwicklungsländergefordert.
Zuvorhatten die G-20-Staaten angekün-
digt, insgesamt 5000 Milliarden Dollarin
die Weltwirtschaftzuinvestieren. Darin
müsse ein Schuldenerlassfür die ärmsten
Länder enthalten sein,forderte Müller
und versprach, dassauchDeutschland sei-
ne entwicklungspolitischen Anstrengun-
genverstärkenwerde.Frankreichbefür-
wortet den Vorschlag, den Entwicklungs-
ländernbeim InternationalenWährungs-
fonds neue SonderziehungsrechteinHöhe
von500 Milliarden Dollar sowie neue
Möglichkeiten für Swap-Geschäfte einzu-
räumen. Ebenso müssteein Schuldenmo-
ratorium für die ärmsten Länderverein-
bartwerden.Fürein Schuldenmoratorium
machen sichauchWährungsfonds und
Weltbankstark. Der Pariser Klub, in dem
staatlicheGläubiger und Schuldner zusam-
mentreffen, sollteaufgrund seiner langen
Erfahrung mit diesenFragen anvorders-
terFront arbeiten,forderte der französi-
scheWirtschafts- undFinanzministerBru-
no Le Maireinder vergangenenWoche.
„Wir haben dieVerantwortung, ein Dra-
ma in den Entwicklungsländernzuverhin-
dern, besondersinAfrika“, sagteer.
Hilf efür Konjunktur
Söder:NachCorona mussein Konjunkturprogramm
her und der Solivollständig abgeschafft werden
Leidtragende: ArbeiteraufeinerBlumenfarminKeniaverladenBlumenfürdieEntsorgung. FotoAFP
Entwicklungsländerndroht Tragödie
Kein Abstand im Slum
VonWinandvonPetersdorff
Wünschdir was
VonJulia Löhr
Corona könnte in den
ärmstenLänderneine
humanitäre Katastrophe
verursachen. Der IWF
sieh tdie „dunkelste
„Stunde“ und mobilisiert
Hilfenmit derWeltbank.
Gibtesbald ein
Schuldenmoratorium?
VonWinandvon
Petersdorff,Washington,
und Christian Schubert,
Paris