Frankfurter Allgemeine Zeitung - 06.04.2020

(WallPaper) #1

SEITE 18·MONTAG,6.APRIL 2020 ·NR.82 Wirtschaft FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Im ersten Satz des Buches bekennt Her-
mann Simon: „Ich bin für Gewinnmaxi-
mierung!“ In den letzten zwei Sätzen be-
kennt er:„MeinFazit lautet deshalb,
dassesfür privateUnternehmenkeine
Alternativezur Gewinnorientierung
gibt.Denn am Gewinn istnochkeine
Firmakaputtgegangen.“ Dazwischen be-
leuchtet er auf 260 Seiten das Thema Ge-
winn. Der Gewinn isteine zentrale
volks- wie betriebswirtschaftliche Grö-
ße. Der Gewinn istder bekannteste Er-
folgsmaßstab–und sehr umstritten, zu-
mindestinder Zuspitzung der Gewinn-
maximierung. Gewinn wirdvon den ei-
nen als Risikoprämiegepriesen,von an-
deren neutral alsRestgrößeaus Ertrag
abzüglichAufwand beschrieben, aber
vonGegnernauchals unanständiger
Profitverteufelt.Die aktuelle Diskus-
sion um Shareholdervalue einerseits
undStakeholdervalue andererseits ist
aucheine Diskussion darüber,wie viel
Gewinn angemessen ist.
Diese wenigen Aussagen deuten
schon denFacettenreichtum des The-
mas an. Es erstaunt daher,dassdie Wis-
senschaftden Gewinn eher amRande
behandelt.Sie vermittelt die Gewinnbe-
rech nung, also die Gewinn- undVerlust-
rech nung, und beschreibt die Gewinn-
verwendungspolitik (Einbehaltung oder
Ausschüttung). Simon istaber der erste
Aut or,der dem Thema einganzes Buch
widmetund vorallem jene Aspekteher-
vorhebt, die in klassischen BWL-Bü-
chernnur kurzeErwähnung finden.
Ihm geht es darum, in dergesellschaftli-
chen Diskussion um den GewinnStel-
lung zu beziehen und Argumentezulie-
fern.Damit isteraktueller alsgedacht.
Werjetzt in der Corona-Krise nicht
Rücklagen ausvergangenen Gewinnen
hat, der brichtganz schnell zusammen
und hält nicht einmalwenigeWochen
Umsatzausfall durch.
Simonkann der aufPeter Druckerzu-
rückgehenden Definition viel abgewin-
nen,wonachGewinn als einTeil der
vomPreis zu deckendenKosten anzuse-
hen ist. Auf jedenFall is tGewinn für
ihn die einzigesinnvolle Zielgröße für
ein Unternehmen. Denn im Gewinnfin-
den alleKonsequenzen unternehmeri-
schen Handelns ihrenquantitativenAus-
druc k. Daher solltedie absolute Ge-
winnhöhe das entscheidende Ziel sein,
der sogenannte„echt eGewinn“, wie er
den Nettog ewinn (Jahresüberschuss)
nachAbzug allerKosten nennt.
Mit großerBerechtigungwendeter
sich geg en diemodischenverwässer-
tenGewinng rößen,vondenen Mana-
gergernschwadronieren. Dasreicht
vom„GewinnvorSteuern“ bis hin zu
„Gewinn vorSteuern,Zinsen undAb-
schreibungen“ odergarzu„bereinig-
temGewinn vorSteuern,Zinsen und
Abschreibungen“. Im letztenFall blei-
benauchnoch Einmalaufwendungen
oder Restrukturierungskostenunbe-
rücksichtigt. JewenigerKostenberück-
sichtigtwerden oder demNettog ewinn
wiederhinzugerechnetwerden, um so
aussageloser wirddie Kennzahl.Ein
Unternehmen,das seineAbschreibun-
gennicht verdient, vernicht et jeden
TagVermögen.

Simonstrebt nicht nurNettog ewinn
an, er bekennt sichganz klar zur Maxi-
mierung des Gewinns als Unterneh-
mensziel. Erstens sei das Gewinnzielals
solches und die Maximierung des Ge-
winnsimBesonderen der Hauptgrund
dafür, dassdie Marktwirtschafteffizien-
tersei als andereWirtschaftsordnungen.
„Gewinnmaximierung istaber auchMi-
nimierung derVerschwendung und inso-
fern vomAnsatz herRessourcen scho-
nend,nicht Ressourcenverschwendend
und führt damitgleichzeitig zur optima-
len Wohlstandsleistung.“ Dassgerade
deutscheUnternehmen im internationa-
len VergleichniedrigeGewinneerwirt-
schaften–im Durchschnitt nur4Pro-
zentvomUmsatz, liegt nachSimonsAn-
sichtvoralleman drei Ursachen; in ers-
terLinie an derVerfolgungfalscher Zie-
le, aber auchanÜberkapazitätenineini-
genBranchen und an einer zu hohenAb-
hängigkeit voneinzelnen Lieferanten
oderKunden. Das sind seinerMeinung
nachdie dreigrößten Gewinnkiller.
Vorallem das beliebte Ziel hoher
Marktanteileverurteilt er.Esgebe bis
heutekeinen Beweis dafür,dassein ho-
her Marktanteileinen Einflussauf die
Höhe des Gewinns habe. Einweiterer
Grund für die niedrigen Gewinne sieht
er in der gesellschaftlichenVerteufe-
lung des Gewinnsals Profit,wobei die
meistenKritiker dietatsächliche Höhe
des Gewinnsweit überschätzen, alsoge-
genWindmühlenkämpfen.Viele Unter-
nehmenverdienen nicht einmal ihreKa-
pitalkosten,jedenfalls die für das Eigen-
kapital. DieserVorwurfist aber schwer
objektivierbar,weil der Renditean-
sprucheines Eigenkapitalgebersunter-
schiedlich hochsein mag inAbhängig-
keit vonanderen Zielen.DassUnterneh-
mer bei einemUnterschreiten einerbe-
stimmtenEigenkapitalverzinsungihr
Geld aus dem Unternehmen ziehen,
lässt sichinder Praxiskaum beobach-
ten. Unternehmerverfolgen meist ande-
re Ziele wie jene,ihrenKindernein ge-
sundesUnternehmen übergeben zukön-
nen, in derRegion eine bedeutendeRol-
le zu spielen, den Mitarbeiternsichere
Arbeitsplätzezugeben oder ein be-
stimmtesProduktproduzierenzuwol-
len. Esgehen daher auchviel weniger
Unternehmen in die Insolvenz als Si-
mon in seinemVorwort glaubt.
AufsicheremTerrain befindetsich
der Autordann wieder, wenn er über
das ZusammenspielvonGewinn, Preis
und Kosten berichtet.Simon wirdnicht
müde, darauf hinzuweisen, dassPreis-
veränderungen sofortauf den Gewinn
durchschlagen,währendKostenverände-
rungen dies erst mit einerZeitverzöge-
rung tun.
Der Unternehmer,Berater und Theo-
retiker Simon möchteüber den Gewinn
diskutieren, ihm denRücken stärken
und seine Gegner überzeugen. Dazu
gibt das Buchviele und guteAnregun-
gen. GEORG GIERSBERG

Hermann Simon:AmGewinn ist
nochkeineFirmakaputtgegangen.
260 Seiten, Campus Verlag, Frankfurt 2020,
34 Euro.

D


ie Finanzmärktehaben die erste
Corona-Panik abgeschüttelt.
Entgegen vielerUnkenrufe, die
Notenbanken seien am Endeihrer Mög-
lichkeiten, haben diese einmal mehr de-
monstriert, überwelche mächtigen In-
strumente zur Beeinflussung des Finanz-
systems sieverfügen.Aber dabei tritt
das gleiche Problem wie schon nachder
Finanzkrise auf.Die unmittel-
bareReparatur des laufenden
Betriebs istnicht gleichzuset-
zen mit einem einwandfreien
Zustand der Apparatur.Daher
machen sichdie Marktteilneh-
mer nunverstärktGedanken
über die mittelfristigenAus-
wirkungen des Corona-
Schocks für dasFinanzsystem.
Eines derFelder dabei ist
die Entwicklung derStaatsver-
schuldungimEuroraum. Es istabseh-
bar,dassdie Corona-Stützungspakete
der Euromitgliedstaaten zusammen mit
den zu erwartendenSteuerausfällendie
Verschuldungsquotenebensoviel in die
Höhe treibenwerden wie die Finanzkri-
se, wenn nicht sogar mehr.Insbesondere
für Italien würde damit eineZone er-
reicht, in der man Ende des Jahres um
den Finanzmarktzugang des Landes
fürchtenmuss, wenn nämlichdas pande-
miebedingteAnleihekaufprogramm der
EZB ausläuft. DerRuf, endlichEuro-
bonds einzuführen wirdimmerlauter.
Dabeisind die entsprechendenVor-
schläge nicht zu Endegedacht.Ein „au-
ßerordentliches“, „strikt begrenztes“ge-
meinschaftliches Finanzierungspro-
gramm istnicht so leicht wieder einzu-
stellen.Was hilftes, wenn nachfünf Jah-
renalle Corona-Bonds,auchder italieni-
sche Anteil daran, zurückgezahlt sind,
das Land die hierfür notwendigen Mittel
aberwegeneiner dann offenbarenVer-

schuldungvon150 Prozent inRelation
zum eigenenBIP ni chtamMarkt refinan-
zierenkann? Das Problemdes Landes in
den vergangenen Jahren lag darin, dass
es tr otzdes höchstenPrimärüberschus-
ses im Haushaltaller Euroländer man-
gels wirtschaftlicher Dynamik seine
Schuldenquote nicht in den Griffbekam.
DieAussichten, dassesItaliensWirt-
schaftnachCorona anders
geht, sindgering. Das „vor-
übergehende“Gemeinschafts-
prog rammverlangte nachei-
nem Anschlussprogramm.
Reine Finanzierungspro-
gramme,umItalien den
Marktzugang offenzuhalten,
sind notwendig, ob über Ge-
meinschaftsanleihen,über Ga-
rantien oder über den ESM.
Die Instrumentenwahl is thier
ehertechnischen und politischenÜberle-
gungengeschuldet. Damitwirddas ei-
gentliche Problem jedochnur die sprich-
wörtlicheStraße hinuntergekickt.Woll-
te man dieUnfähigkeit zurReduzierung
der Schuldenquote angehen,müsste
man entweder wachstumsfreundliche
Reformen veranlassen oderstärkere
Transferelementeindie Finanzverfas-
sungdes Währungsraums einbauen. Am
bestenwärebeidesgleichzeitig, denn So-
lidarleistungen müssen mit Souveräni-
tätsabtretungen derNehmerländer ein-
hergehen. Mankann dabei immerweiter
abwarten, bis die dafür notwendigenVor-
aussetzungeninGestalteinereuropäi-
schen Verfassung zur demokratischen
Kontrollegegeben sind. Dabeisteigen je-
dochdie finanziellen Spannungen und
damitdie Sprengkraftfür den Euro–
und Krisen wie diegegen wärtigekön-
nen gefährliche Zündfunken abgeben.

Der Autorist Chefvolkswirtder Deka-Bank.

A


didas möchtehelfen, durch
Sportdas Leben vonMen-
schen zuverändern,Henkel
nachhaltigenWert für alle An-
spruchsgruppen schaffen, Pricewater-
houseCoopers (PWC) Beiträgezum Auf-
bau vongesellschaftlichem Vertrauen
undzur Lösung wichtiger Probleme leis-
ten: Drei plakativeBeispiele für den neu-
en Trend vonUnternehmen, offensiv
auchihren gesellschaftlichen Daseins-
zwecküber einfinanzielles Gewinnziel
hinaus zu kommunizieren. Protagonist
der Purpose-Debatteist auchLarry Fink,
der beimVermögensverwalter Blackrock
ein Anlagevolumenvonrund 6,5 Milliar-
den Dollarverantwortet. Er fordertinsei-
nem jährlichen Brief an dieVorstände
börsennotierter Unternehmen, dassne-
ben derfinanziellenStrategi eauchein ge-
sellschaftlicher Beitrag definiert und um-
gesetztwerden muss.
Macht Purpose ausKapitalistenWelt-
verbesserer? Oder istesnur wieder eine
neue Managementmode:werbewirksam,
aber inhaltsleer? DennKonfliktezwi-
schen finanziellen und gesellschaftli-
chen Zielen sindvorprogrammiert, bei-
spielsweise wenn auflukrativeGeschäf-
te verzicht et werden muss,weil sie nicht
zum Purpose passen oderweil zugunsten
des gesellschaftlichenBeitragsKosten-
oder garQualitätsnachteilegegenüber
Wettbewerber ninKauf genommenwer-
den müssen.
Schmerzlichmerkt edies zuletzt der
Siemens-Konzern, einer der deutschen
Vorreiter in der Purpose-Debatte. Denn
ganz offensichtlichstehtder vorkurzem
unterzeichneteAuftrag zurLieferung
vonBahntechnikfür denKohleabbau in
Australien nicht nurimWiderspruchzu
Umwelt- und Klimaschutz, sondernauch
zur eigenenVerpflichtung zu denNach-
haltigkeitszielen der Global-Compact-In-
itiativeder VereintenNationen. DassSie-
mens an demAuftrag trotzweltweiter
Proteste festhält, liegtwohl weniger an
dessenfinanziellerBedeutung,die mit ei-
nemVolumenvon18Millionen Euro
ehergering ist, sondernander Sorge,an-
derelukrativeGeschäfte im öffentlichen
und privaten Sektor zuverlieren. Der
enorme Reputationsschaden, den Sie-
mens derzeit erleidet, istjedochein Indi-
katordafür,dassgesellschaftlicherBei-
tragund finanzieller Erfolg in der be-
triebswirtschaftlichen Theorie engerver-
zahnt sind, als es der Anscheinvermuten
lässt,und Purposenicht allein auf ein Mo-
dethemareduziertwerden darf.
Noch vorwenigen Jahrenwäre diese
Sichtweise mit hochgezogenen Augen-
brauenquittiertworden. Esgalt dasPostu-
lat MiltonFriedmans, der 1970 im „New
York Times Magazine“schrieb, Unterneh-
men würden ihrer sozialenVerantwor-
tunggerade danngerecht, wenn sie allein
auf ihrefinanzielle Profitabilität setzten.
Dahintersteht dieÜberzeugung, dassGe-
winnmaximierung effizienteRessourcen-
nutzung,produktivenWettbewerb und da-
mit wirtschaftliches Wachstum fördert.
Letzteres istwiederum eines der einfachs-
tenund effektivsten MittelgegenArmut
und Ungleichheit.
Allerdings istdas auf diesemPostulat
basierende Shareholder-Value-Konzept
heutegescheitert–auchweil es inweiten
Teilen ignorierthat, dassdie Gütermärk-
te in gesellschaftlichrelevanten Dimen-
sionen beiweitem nicht sovollkommen
und vollständig sind wie dieKapitalmärk-
te,nachderen Logik dasKonzeptentwi-
ckelt wurde. HoheUnternehmensgewin-
ne und damitverbunden auchein hoher
Unternehmenswertander Börse bedeu-
teneben nicht automatisch, dassesmit al-
len Stakeholderneinen angemessenen
Austauschzufairen Marktpreisen gibt:
Erstens aufgrund vonTransaktionskos-
ten, also beispielsweiseweil Arbeitneh-
merregionalgebunden sind und ihre Ar-
beitskraftnicht beliebigverschiedenen
Unternehmengleichzeitig anbietenkön-
nen. Zweitens,weil vielegesamtgesell-
schaftlich bedeutsame Güter wie Klima-
schutz oder Erhalt der Biodiversität eben-
so wenig wie derweltweiteSchutz von
MenschenrechtenkontrahierbareTausch-
güter sind.Unddrittens,weil die hoheUn-
gewissheit aus schnellen und disruptiven
Änderungenvon Technologien undMärk-
ten, aber auchaus wachsenden politi-
schenVerwerfungen bis hin zu Brexit
oder Handelskriegen, sichamMarkt
kaum in angemessene Risikozuschläge
vonGüterpreisen transformieren lässt.
Werhätteschon die vielfältigen positiven
wie dystopischen Auswirkungen der
Smartphone-Technologiein2007 vorher-

sehen und auf dieser Basis einen ökono-
misch‚angemessenen‘ Preis für das erste
iPhone ermittelnkönnen?
An dieser offenen Flanke im Sharehol-
der-Value-Konzeptsetzen nun die be-
triebswirtschaftlichen Argumentean, die
das Stre ben nachgesellschaftlichem Bei-
trag in diefinanzielle Erfolgslogikvon
Unternehmen einbettenund zeigen, dass
aus Purpose tatsächlichstrategische
Wettbewerbsvorteile resultierenkönnen
–und zwar ohne dieReduktion auf die tri-
vialeFormel, Kunden, Anleger oder Mit-
arbeiter würden mit dem Purpose-State-
ment lediglichüber das ‚wahre‘ Gewinn-
stre ben getäuscht.
ZwingendeVoraussetzung istaller-
dings, dassder einmal identifizierte
Purpose ganzheitlichals zentrales
(Leit-)Prinzip in dieUnternehmenssteue-
rung integriertwird: angefangen mit der
expliziten Einbettung in dieUnterneh-
mensphilosophiebis hin zurÜberset-
zung inkonkreteSachziele, Maßnahmen
und nichtfinanzielleKennzahlen, so dass
alle Entscheidungenvonder Strategie
bis zumTagesgeschäftindie gewünschte
Richtunggelenktwerden. Das bedeutet
einerseits: Profitable Projektewerden
nur in solchenFelderngesucht, die im
Einklang mit dem angestrebtengesell-
schaftlichen Beitragstehen (Purpose als
handlungsleitende unternehmerische
Grundüberzeugung).Andererseitswird
Handlungsspielraum spürbar begrenzt:
Projekte, die nicht im Einklang mit dem
Purposestehen, dürfennicht umgesetzt
werden, selbstwenn siefinanziell profita-
bel sind(Purposeals unternehmerische
Selbstbeschränkung). Plakatives Beispiel
für dieganzheitlicheUmsetzungvonPur-
pose als Prinzip istdie ‚Green Loan‘, die
vonHenkel als erstem deutschen Unter-
nehmen in 2018 aufgenommen wurde:
ein Kredit imUmfang von1,5 Milliarden
Euro, dessen Zinskostenannichtfinan-
zielleNachhaltigkeitserfolgevon Henkel
gebunden sind. Purpose als Prinzip trägt
dann über dreiverschiedene Effektezu
Wettbewerbsvorteilen undfinanziellem
Erfolg bei.

Aufbau vonVertrauenskapital
gege nüberStakeholdern
Der ersteEffekt bezieht sichdarauf, dass
bei wachsender Ungewissheit immer
mehr Leistungen zu Vertrauensgütern
werden: Kundenkönnen wichtigePro-
dukteigenschaftennicht (oder nur zu pro-
hibitiv hohenKosten) beurteilen. Ob ein
Auto beispielsweise diegeford ertenAb-
gasgrenzwerte einhält, istdurch den Käu-
ferebenso schwierig überprüfbar wie die
Frage, ob die imZuge vonElektromobili-
tätverwendetenSoftwarepaketeden ver-
sprochenen Schutzvorkünftigen Cyberat-
tacken bietenoder ob bei der Herstellung
einer Batterietatsächlichnur solcheRoh-
stoffe verwendetwurden, die aus Minen
mit einem Mindeststandardanmenschen-
würdigen Arbeitsbedingungenstammen.
Märktefür Vertrauensgüter sindwenig lu-
krativ beziehungsweise brechen zusam-
men (adverse Selektion),wenn das Risiko
für den Missbrauchdes Vertrauens aus
Sicht derKunden zu hochist.
Nungibt es fürUnternehmenverschie-
dene Möglichkeiten, dennochVertrauen
in ihre Produktezuerzeugen. Dazuge-
hörtbeispielsweise,glaubwürdigeund be-

lastbareinterne Prozesse zuetablieren,
die signalisieren, dassSpielräume bei der
Entwicklung und ProduktionvonVertrau-
ensgüterngerade nicht zumNachteilder
Kunden ausgenutzt, sondernvielmehr die
gesellschaftlichenVerpflichtungengegen-
über den Anspruchsgruppen ernsthaft
wahrgenommenwerden. Die dadurch ver-
ursachten höherenAusgaben sind nichts
anderes als Investitionen in ein immate-
riellesVertrauenskapital, dessenRendite
zusätzlichefinanzielle Gewinne durch hö-
herePreisbereitschaftoder stärkere Kun-
denbindung imVergleichzuWettbewer-
bernsind, die ein solchesVertrauenskapi-
taleben gerade nicht aufbauen,wenn ih-
nen Purpose als Prinzipfehlt.
EineVariantedieses Arguments liegt
vor, wenn derKostendruckdurchden Auf-
bau vonVertrauenskapital dazu führt,
dassverstärkt Effizienz und Effektivität
der Wertschöpfungsprozesse verbessert
werden müssen, sichUnternehmen also
gegenüberWettbewerberndurch die Mo-
bilisierung internerRessourcenfaktisch
stärken. Die durchgängigeImplementie-
rung vonPurposeals Prinzip in derUnter-
nehmenssteuerung signalisiertdann auch
größereManagementkompetenz sowie
eine bessereWiderstandsfähigkeitgegen-
über krisenhaftenEntwicklungen und
existenzbedrohenden Ereignissen.

Ergänzung der ökonomischen durch
gesellschaftliche Legitimität

Der zweiteEffekt stellt weniger auf die
Differenzierung gegenüber Wettbewer-
bernab, sondernbezieht sichauf die not-
wendigegesellschaftliche Legitimitätvon
Unternehmen. Sie istnebender ökonomi-
schen Legitimität, die sichinProfitabili-
tätund finanziellem Gleichgewicht aus-
drückt, Grundvoraussetzung derUnter-
nehmensexistenz. Denn erst aus derge-
sellschaftlichen Legitimität ergibt sich
die sogenannte „Licenseto operate“, das
heißt diegesellschaftliche Akzeptanz und
damitKooperationsbereitschaftvon Kapi-
talgebern, Lieferanten,Kunden oder Mit-
arbeiternzum ökonomischenAustausch.
Die Licenseto operateist nicht unabhän-
gig vonzeitlichen oderräumlichen Gege-
benheiten: Geschäftsmodelle, die in ei-
nem Land und zu einer bestimmtenZeit
gesellschaftlichlegitim sind, wie beispiels-
weise die Erzeugungvon Atomstrom,kön-
nen schleichend oder–wie imFall derRe-
aktorkatastrophe vonFukushima–plötz-
lichihreLegitimitätverlieren.
Gesellschaftliche Legitimität bildet
für Unternehmen jedochdie Grundlage
für finanzielle Profitabilität.Kurzfristig,
weil in Zeiten desFachkräf temangelsUn-
ternehmenstärkerdenn je darauf ange-
wiesen sind, Mitarbeiter für das eigene
Geschäftsmodell zu begeistern,umso
mehrals die Millennials der Generation
Y, die in den letzten zehn Jahren ins Ar-
beitsleben eingetreten sind,für ihreeige-
ne Tätigkeit ausdrücklicheinensinnstif-
tendenUnternehmenszweck und Beiträ-
ge jenseitsvonProfitstreben einfordern.
Langfristig, weil Unternehmen in der
Lagesein müssen, frühzeitig schwache Si-
gnale zu identifizieren, die einen mögli-
chen Verlustder Licenseto operatean-
kündigen, um im Sinne einesproaktiven
gesellschaftlichen Risikomanagements
rechtzeitiggeeignete strategischeMaß-
nahmen anzustoßen beziehungsweise kri-

tische Aktivitäten und Prozesse in ihrem
Geschäftsmodell anzupassen.

Koordination und Motivation in
der strategischen Führung

Das Argument für den dritten Effekt steu-
ertdie Wirtschaftssoziologie unter dem
Stichwort„imaginierte Zukunft“ bei, des-
sen Konzeptualisierung auf denKölner
Soziologen Jens Beckert zurückgeht:Un-
ternehmen leiten demnachihre Erfolgs-
dynamikweniger aus derVergangenheit
ab, auchwenn die Pfadabhängigkeit un-
ternehmenshistorischer Prozesse wie das
Besetzen einer marktführendenPosition
oder derAufbaustabiler Liefer-und Kun-
denbeziehungen wichtigeVoraussetzung
ist. Viel bedeutsamer istesjedoch, die un-
gewisse und damit auchnochnicht greif-
bareZukunftdurch Imaginationen, also
fiktionale Bilder,zubeschreiben und ihr
so in denAugender verschiedenen An-
spruchsgruppen, hier insbesondereder
Mitarbeiter,Greifbarkeit und Transpa-
renz zuverleihen. Purpose als Prinzip be-
antwortetauf allenSteuerungsebenen die
Frage, waswünschenswertist und waser-
reicht werden kann, wenn die Beteiligten
gemeinschaftlichdas Notwendigedafür
tun. Im Sinne derPerformativität derarti-
gerBilder wirddamit dieRealisierung der
imaginiertenZukunfterstermöglicht.
Abstrakten Gewinnvorgabenfehlt da-
für die Kraft. Der Schlüssel istvielmehr
Purpose als inhaltlichüberzeugendes und
konkretisierendesNarrativ,das die Mitar-
beiter zu den notwendigen eigenen Hand-
lungsbeiträgen motiviert. In der betriebs-
wirtschaftlichen Theorie der strategi-
schenFührung wirdindiesemZusam-
menhang auchvon Koordination oder ein-
heitlicherstrategischerAusrichtung der
Mitarbeitergesprochen, die auf intrinsi-
sche Motivation und Begeisterung für die
imaginierte Zukunftsetzt, die mitrein fi-
nanziellen Anreizschematanicht erreicht
werden können.
Um sichPurpose als Prinzip und die da-
mit verbundenenEffektezunutze zu ma-
chen, sind inUnternehmen umfangrei-
cheAnpassungsmaßnahmen notwendig,
die fordernd und langwierig sind, aber
eben nicht unmöglich. Das zeigt das Bei-
spiel des ArmaturenherstellersHansgro-
he, einemHidden Champion aus dem
Schwarzwald, der sichauf einem hartum-
kämpften Weltmarktsegment mit hohem
Preis- undWettbewerbsdruckerfolgreich
behauptet. Da dieUnternehmensphiloso-
phie bei Hansgrohe schon seitvielen Jah-
renUmwelt- undRessourcenschutz im
Umgang mitWasser alsgesellschaftli-
chen Beitrag hervorhebt,nutzt dasUnter-
nehmenein umfassendes Nachhaltig-
keitscontrolling, um diesen Purpose als
Prinzip in die erforderlichen Maßnah-
men auf allenSteuerungsebenen zu über-
setzen.Sogar die Buchungslogiken im
Rechnungswesen wurden angepasst,da-
mit relevanteUmwelt- und Sozialkenn-
zahleninden gleichenReportingzyklen
berichtet und überwachtwerdenkönnen
wie die für die Profitabilität relevanten
Finanzdaten.

BarbaraE. Weißenberger ist Professorin für
BWL, insbesondere Controlling undAccoun-
ting, an der Heinrich-Heine-Universität Düssel-
dorfsowie Vorstan dsmitglied der Schmalen-
bach-Gesellschaftfür Betriebswirtschaft e. V.

ZündfunkeEuropa


VonUlric hKater

DERBETRIEBSWIRT EUROPLATZFRANKFURT


WIRTSCHAFTSBÜCHER


Plädoyerfür den Gewinn


Hermann Simonverteidigt eine umstrittene Größe


IllustrationPetervon Tresckow

„Purpose“ heilt FriedmansFehler


BeiSiemens hates nicht


funktioniert.Macht


Purpose ausKapitalisten


doch keine


Weltverbesserer? Steckt


hinter demAnglizismus


doch nur Machtstreben


in neuemGewand?


VonBarbara


E.Weißenberger

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