Die Welt - 06.04.2020

(nextflipdebug2) #1

W


ährend in Europa
die Bänder weitge-
hend stillstehen,
Tausende VW-Mit-
arbeiter ihren Ar-
beitsplätzen fernbleiben müssen, berei-
tet sich der Autokonzern in China, wo
das neuartige Coronavirus seinen An-
fang nahm, bereits auf einen neuen
„Hochlauf“ vor. Wann es hierzulande
weitergehen kann, darauf will sich Kon-
zernchef Herbert Diess noch nicht fest-
legen. Im Interview erklärt er, worum
es in den nächsten Wochen vor allem
geht – und wie er sich Volkswagens Zu-
kunft nach der Krise vorstellt.

VON GABOR STEINGART

WELT:Schönen guten Tag, Herr Diess.
Vielen Dank, dass wir hier bei Ihnen
sein dürfen.
HERBERT DIESS:Sehr gerne.

Ein bisschen still hier, oder?
Nein, kann man nicht sagen, wir sind
eigentlich recht geschäftig. Es gibt we-
nige Präsenz-Meetings, aber den gan-
zen Tag über Telefon- und Skype-Kon-
ferenzen.

Sie haben kürzlich bei einer Rede vor
Ihren Managern gesagt, dass Sie auf-
passen müssen, nicht zu einem Indus-
triedenkmal zu werden. Und Sie ha-
ben dazu ermuntert, Einsicht zu ha-
ben in die Radikalität des Wandels.
Dem gegenüber steht jetzt der Still-
stand aller Werke, aller Lieferketten.
Wie fühlt sich das an für einen, der ei-
gentlich nach vorne stürmen, die
Transformation vorantreiben wollte?
Es ist kein Stillstand. Wir versuchen,
die Krise zu managen. In China mana-
gen wir schon den Hochlauf, hier berei-
ten wir uns organisatorisch für eine
Zeit nach dem Stillstand vor. Wir müs-
sen sicherlich in der Fertigung und den
Büros Vorkehrungen treffen, um die
Gesundheit der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sicherzustellen. In einer
Produktion, in den Büros treffen sich
viele Menschen, da muss man Abstände
einhalten, wir brauchen Schutzausrüs-
tung, wir müssen Prozesse umstellen,
wir machen neue Schichtmodelle. Das
alles wird vorbereitet. Und dann haben
wir natürlich alle Zukunftsprojekte, die
sowieso weiterlaufen: Fahrzeuganläufe,
Strategiethemen. Es fühlt sich nicht
nach Stillstand an.

Eine Gewinnwarnung ist noch keine
draußen. Aber die kommt noch?
Dazu kann ich jetzt nichts sagen. Das
wird sehr stark davon abhängen, wann
wir wieder anlaufen und wie sich die
Lage in verschiedenen Weltregionen
entwickelt. Aktuell gibt es Szenarien –
wenn man davon ausgeht, dass man die
Krise ähnlich schnell bewältigt wie Chi-
na, – dass wir mit einem blauen Auge
davonkommen. Wenn man davon aus-
geht, dass wir hier monatelang einen
Shutdown haben, wird es schwierig.

Sie haben 21 Milliarden Euro, sagt der
Finanzvorstand, im Cash-Manage-
ment. Sie haben weitere 20 Milliarden
Euro als Kreditlinie. Trotzdem: Wenn
Sie zwei Milliarden Euro pro Woche
brauchen, ist auch dieser Vorrat
schnell verbraucht.
Das gilt für jedes Unternehmen mit ho-
hen Fixkosten und ist immer eine Frage
der Skalierung. Im Querschnittsver-
gleich sind wir schon relativ robust.
Erstens haben wir ein größeres China-
Geschäft als viele unserer Wettbewer-
ber oder auch andere Industrien. Zwei-
tens hatten wir ein sehr gutes letztes
Jahr, in dem wir Substanz aufgebaut ha-
ben. Und ich glaube, dass wir auch jetzt


  • insbesondere mit dem Schwerpunkt
    in Deutschland etwa durch Kurzarbei-
    tergeld oder Kostensenkungen – auch
    am Thema Liquidität arbeiten können.


Trotzdem: Sind Staatsbeteiligungen
schon ein Thema?
Nein.

Warum nicht?
Wir glauben, dass wir sie nicht benöti-
gen. Wir haben in China im Prinzip ei-
nen Monat verloren. Auch wenn man
davon ausgeht, dass wir hier vielleicht
etwas länger brauchen, sind wir ausrei-
chend robust aufgestellt.

Wann rechnen Sie denn mit einem er-
neuten Anlaufen der Produktion?
Wir bereiten uns technisch auf einen
Wiederanlauf nach drei, vier oder fünf
WWWochen vor. Das kann man heute nichtochen vor. Das kann man heute nicht
sagen. Ich möchte aber betonen, dass
ich das Vorgehen der Bundesregierung
zu 100 Prozent unterstütze. Ich glau-
be, wir können nur anlaufen, wenn wir
ein sicheres Gefühl haben, dass wir die
Pandemie beherrschen – also die Fall-
zahlen zurückgehen und unsere Kapa-
zitäten in den Krankenhäusern ausrei-
chen. Nur dann kommen wir in eine Si-
tuation, in der auch die Wirtschaft

wieder anlaufen kann. In einer Situati-
on wie zurzeit noch in Italien und Spa-
nien wäre ein Anlaufen der Wirtschaft
nicht möglich. In der Gesellschaft wür-
de es eine Spannung geben, wenn wir
einfach Menschen sterben sehen,
wenn in der Notaufnahme selektiert
wird. Ich glaube, dass die Politik der
Bundesregierung, insbesondere der
Kanzlerin, absolut richtig ist. Wir soll-
ten uns jetzt darauf konzentrieren, die
Pandemie unter Kontrolle zu bekom-
men. Und dann laufen wir hoch – am
besten gleichzeitig und solidarisch in
Europa.

Wie viel Prozent Ihres Umsatzes ma-
chen Sie derzeit eigentlich in Ameri-
ka? Dort greift das Coronavirus jetzt
erst richtig um sich.
Wir haben in den USA rund vier Pro-
zent Marktanteil – und in China rund
20 Prozent.

Muss es da nicht ein strategisches
Ziel sein, in Balance zu kommen?
Absolut. Wir waren leider in den letz-
ten Jahrzehnten mit der Marke Volks-
wagen nicht erfolgreich, sind jetzt aber
auf einem guten Weg.

Warum nicht?
Wir hatten eine sehr erfolgreiche Zeit
in den USA, sind auch eine bekannte
Marke und waren mit dem Käfer und
dem VW-Bus für einige Jahre der größ-
te Importeur in den USA. Wir haben
diese Position verloren und haben
nicht geschafft, zum wirklichen Volu-
menhersteller in den USA zu werden –
anders als unsere Premiummarke Por-
schein ihrem Bereich. Auch Audi hat
sich in den letzten zehn Jahren hervor-
ragend in den USA entwickelt, hat auf-
geschlossen zu unseren deutschen
Wettbewerbern. Bei Volkswagen haben
wir Nachholbedarf. Ich glaube, dass wir
jetzt auf einem sehr guten Weg sind,
mit einem guten Team und Fahrzeugen
speziell für den US-Markt. Unsere
SUVs kommen dort sehr gut an – auch
Fahrzeuge, die wir hier in Europa gar
nicht verkaufen. Wir haben den Plan,
relativ schnell die Gewinnschwelle zu
erreichen und dann kontinuierlich zu
wachsen.

Gewinnschwelle? Das ist ja ein biss-
chen niedlich bei einem Weltkonzern,
der schon so lange existiert.
Für uns wäre das ein großes Signal. Wir
kommen wieder an in den USA, nach ei-
ner Zeit hoher Verluste. Wir haben
auch eine Krisensituation in Latein-
amerika in den letzten fünf Jahren hin-
ter uns gebracht. Auch dort sind wir na-
he an der Gewinnschwelle.

In den USA haben Sie sich mit Ford
zusammengetan. Vielleicht hätten Sie
sich mit Blick auf die Zukunft besser
mit einem Digitalkonzern wie Google
zusammentun sollen? Sie brauchen
bei Ihrem ehrgeizigen Vorhaben, die
anspruchsvollste, komplexeste, tech-
nologisch wertvollste Form der Mobi-
lität zu entwickeln, Datenströme im
Auto.
Und dafür brauchen wir die Tech-Un-
ternehmen ganz wesentlich – in unse-
rem Fall Microsoft, mit dem wir zusam-
men die Automotive Cloud aufbauen.
Europa ist abhängig in diesem Bereich,
wir haben keine eigene Internet-Indus-
trie und deswegen müssen wir uns in
den USA mit amerikanischen Tech-Un-
ternehmen und in China mit chinesi-
schen Firmen zusammentun.

Aber ist das nicht traurig für die deut-
sche Volkswirtschaft?
Wir können uns jetzt auch in Trauer be-
geben. Besser ist es, wenn wir mit der
Situation umgehen.

Kann das gut gehen für unser traditi-
onsreiches Industrieland? Wenn ich
sehe, dass ein einzelnes Unternehmen
in den USA, Apple oder Microsoft
zum Beispiel, mehr wert ist als alle
Dax-30-Konzernezusammen. Vor
zehn Jahren wäre das ein Skandal ge-
wesen!
Das müssen wir angehen. Wir haben
gute Hochschulen, es ist ja nicht so,
dass wir das Thema intellektuell nicht
stemmen könnten. Viele deutsche Ab-
solventen arbeiten bei Google oder bei
anderen Tech-Unternehmen in den
USA. Es fehlen bei uns die Kristallisati-
onspunkte für diesen Bereich. Software
bedeutet heute mehrere Tausend Leu-
te, die an einem Projekt arbeiten – mit
einer Vielfalt von Fähigkeiten, die man
dazu braucht, eine ganze Software-Kul-
tur, die wir so in Deutschland nicht ha-
ben. Es gibt ein paar Software-Konzer-
ne, SAP ist ganz vorne zu nennen, aber
in der Breite können wir da nicht mit-
halten. Ich glaube schon, dass das Auto
der Kristallisationspunkt so einer Do-
mäne werden kann. Autos sind heute
hochkomplex, basieren auf zehnmal so
viel Software-Code wie ein Smartpho-
ne. Es fällt ja übrigens auch Internet-

konzernen nicht leicht, ein Auto zu
bauen.

Google hat es versucht.
Es gibt weltweit Versuche an mehreren
Stellen, aber es zeigt sich, dass es eben
nicht so einfach ist. Deswegen haben
wir eine Chance, wenn wir schnell neue
Fähigkeiten aufbauen, uns dem Wettbe-
werb stellen, uns weltweit mit Tech-
Firmen verbünden. Wenn wir die
Schnelligkeit in China an der einen
oder anderen Stelle nutzen, dann haben
wir eine Chance, das „Device Auto“ für
uns zu legitimieren und zu verteidigen.

Die Automobilindustrie könnte ein
deutsches Silicon Valley werden.
Ja und nein; kein Silicon Valley, aber ein
Kristallisationspunkt für den Wandel.
Da würde ich Deutschland nicht verlo-
ren geben.

Trotzdem sind Silicon-Valley-Firmen
für Investoren eine Alternative. Wenn
ein Anleger an der Wall Street die
Wahl zwischen Tesla und VW aus
Wolfsburg hat, entscheidet er sich an-
ders als in den vergangenen Jahrzehn-
ten. Tesla hat mit minimalen Ver-
kaufszahlen beim Börsenwert mit
Volkswagen fast gleichgezogen.
Tesla ist das Unternehmen, das diesen
Wandel am besten darstellt. Da geht es
weniger um das Thema Elektrifizierung
des Antriebsstrangs – das ist eine Kom-
ponente –, sondern es geht darum, dass
sie das Auto grundsätzlich als „Internet
Device“ verstehen. Und auch Tesla hat
gezeigt, dass der Einstieg nicht einfach
ist. Durch die hohe Bewertung ist es für
Tesla jetzt deutlich einfacher gewor-
den, in der Kapitalbeschaffung auch die
nächsten Stufen der Unternehmens-
entwicklung zu finanzieren. Deswegen
nehmen wir Tesla sehr ernst.

Aber wie wollen Sie da mithalten?
Wenn man Ihr Werksgelände sieht,
bekommt man ein Gefühl dafür, wie
schwierig es ist, die Trägheit der Mas-
se in Bewegung zu setzen.
Sie sind in Wolfsburg, an einem beson-
ders traditionsreichen Ort. Sie müssen
den gesamten Konzern betrachten, die
großen Mannschaften, die unsere Soft-
ware entwickeln – in Ingolstadt, in Ban-
galore, an der US-Westküste, in China.
Das zeigt klar in die Zukunft, auch vom
Umfeld her. Wir haben die Software-
Aktivitäten im Konzerngebündelt, eine
neue Führungsmannschaft zusammen-
gestellt. Wir statten sie mit neuen Ar-
beitsformen aus, damit sie Tempo auf-
nehmen können. Wir bewegen uns
schrittweise in eine Welt mit Elektro-
fahrzeugen, die jetzt auf den Markt
kommen, die hoch vernetzt sein wer-
den, all das können, was man von einem
„Internet Device“ erwartet. Das lernen
wir und erarbeiten wir uns von Fahr-
zeugprojekt zu Fahrzeugprojekt.

Das heißt, die Werksferien bei VW fal-
len diesen Sommer aus?
Ich würde mich freuen, wenn wir dann
schon wieder eine entsprechend hohe
Nachfrage hätten. In China ist das be-
reits fast gelungen, wir sind noch nicht
wieder auf Vorkrisenniveau. Aber das
Ziel ist, schon in Kürze daran anzu-
schließen und dann im Rest des Jahres
aufzuholen. Und was sich die Chinesen
vornehmen, erreichen sie aus meiner
Sicht. Ich akzeptiere die Hinweise der
Politik, insbesondere der Kanzlerin,
dass man über den Wiederanlauf bei
uns jetzt noch nicht zu stark sprechen
sollte. Es geht in den nächsten Wochen
um die Bewältigung dieser Krise, da-
rum, weitere Tote zu vermeiden und
den Zusammenhalt der Gesellschaft
und die europäische Solidarität zu er-
halten. Wenn das gelingt, dann haben
wir das Virus auf ein beherrschbares
Niveau zurückgedrängt. Dann sollten
wir an die Wiederbelebung und den
Aufbau der Wirtschaft denken. Und das
ist aus meiner Sicht ein durchaus mög-
liches Szenario.

TDieses Interview wurde von Gabor
Steingart geführt, Gründer und He-
rausgeber von Media Pioneer. Es er-
schien ebenfalls in Auszügen in seinem
werktäglichen Newsletter „Morning
Briefing“ und als Gespräch in „Morning
Briefing: Der Podcast“.

VW-Chef Herbert
Diess unterstützt das
Vorgehen der Bun-
desregierung in der
Corona-Krise „zu
100 Prozent“

BLOOMBERG

/ SIMON DAWSON

12



  • Zeit:----Zeit:Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Zeit:-Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: ---Zeit:---Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: :Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: Zeit:Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe: -Belichterfreigabe:
    Belichter: Farbe:Belichter: Farbe:Belichter:


DW_DirDW_DirDW_Dir/DW/DW/DW/DW/DWBE-HP/DWBE-HP
06.04.2006.04.2006.04.20/1/1/1/1/Wir2/Wir2 GVOLLBOR 5% 25% 50% 75% 95%

12 WIRTSCHAFT DIE WELT MONTAG,6.APRIL


D


ie Reisebranche liegt aktuell auf
der Intensivstation. Für Zehn-
tausende Urlauber platzen we-
gen der Corona-Pandemie die Träume
von Erholung und Reisen, während den
Unternehmen die Einnahmen fehlen –
sie kämpfen um ihr Überleben. Zwar
springt für die Rettung der Branche teil-
weise der Staat ein. Doch nach der Krise
könnten die Eigentumsverhältnisse bei
Schlüsselunternehmen andere sein als
davor. So möchte nach WELT-Informa-
tion der ägyptische Touristikunterneh-
mer und Milliardär Samih Sawiris beim
FTI-Reisekonzern die Mehrheit und al-
leinige Kontrolle an der Dachgesell-
schaft FTI Finanzholding übernehmen.

VON GERHARD HEGMANN

Das Vorhaben wurde bereits beim
Bundeskartellamt angemeldet. Die
Münchener FTI-Reisegruppe ist mit zu-
letzt 4,2 Milliarden Euro Umsatz und
12.000 Beschäftigten die Nummer drei
in Europa, nach TUI und DER, und der
einzige große inhabergeführte Touris-
tikkonzern. Bislang hat der in Öster-
reich aufgewachsene 60-jährige Diet-
mar Gunz die Mehrheit und damit das
Sagen bei FTI. Die FTI-Gruppe geriet
wie viele aus der Branche durch die Rei-
sebeschränkungen in eine Notlage und
musste jüngst 65.000 Urlauber zurück-
fliegen. Vorübergehend wurden alle Rei-
sen gestoppt. Wie der Wettbewerber
TUI, der einen Staatskredit über 1,8 Mil-
liarden Euro bekommt, bat auch FTI
den Staat um Hilfe. Jetzt wurde ein Fi-
nanzpaket in unbekannter Höhe ge-
schnürt. An ihm beteiligen sich nach
Unternehmensangaben der Bund, das
Land Bayern und die Gesellschafter. So
sei die Finanzierung für zwölf Monate
gesichert, teilte FTI mit.
Beim Bundeskartellamt gibt es zu-
gleich ein neues Aktenzeichen, das auf-
horchen lässt. Demnach plant die
Luxemburger Beteiligungsgesellschaft
SOSTNT die Mehrheitsübernahme und
alleinige Kontrolle bei der FTI-Dachge-
sellschaft. Hinter SOSTNT steht der
ägyptische Touristik- und Hotelunter-
nehmer Sawiris. Er stieg schon vor
sechs Jahren bei FTI ein und hält inzwi-
schen gut 33 Prozent. 2014 beteiligte
sich Sawiris auch an der Reisebürokette
Raiffeisen Touristik Group.
Der 63-jährige Milliardär ist also be-
reits jetzt eine Schlüsselfigur im deut-
schen Touristikmarkt. Über seine in der

reits jetzt eine Schlüsselfigur im deut-
schen Touristikmarkt. Über seine in der

reits jetzt eine Schlüsselfigur im deut-

Schweiz ansässige Dachgesellschaft
Orascom Development Holding ist er in
sieben Ländern engagiert, baut Hotels,
Ferienressorts, Yachthäfen, in Ägypten,
Montenegro und dem Oman sogar gan-
ze Städte, Luxushotels in der Schweiz.
Die Gruppe betreibt 33 Hotels mit über
7200 Zimmern und kontrolliert nach ei-
genen Angaben 101 Millionen Quadrat-
meter Land. Sawiris selbst pendelt zwi-
schen den Welten des Nahen Ostens
und Europa. Er ist koptischer Christ,
besuchte in Kairo eine deutsche Schule,
studierte in Berlin und spricht seitdem
fließend Deutsch.
Zu einem möglichen Machtwechsel
bei FTI ist vom Münchener Unterneh-
men selbst wenig zu hören. Wie es auf
Anfrage heißt, ist „zum gegenwärtigen
Zeitpunkt keine Übernahme durch den
Gesellschafter Sawiris vollzogen“. Soll-
te sich an den Beteiligungsverhältnissen
etwas ändern, werde dies mitgeteilt, er-
klärte eine Sprecherin. Die Antwort
deutet darauf hin, dass in den turbulen-
ten Zeiten in der Branche vieles in Be-
wegung und schwer vorhersehbar ist.
Zudem ist nicht bekannt, mit welchen
Auflagen die aktuell vergebenen öffent-
lichen Kredithilfen an FTI verbunden
sind. Offen ist auch, welche wirtschaft-
lichen Konsequenzen der Ägypter selbst
in seinen Touristikaktivitäten zu ver-
kraften hat.
Ausländische Beteiligungen an gro-
ßen deutschen Reiseveranstaltern sind
keine Besonderheit. So ist die russische
Milliardärsfamilie Mordaschow über ih-
re Gesellschaft Unifirm mit knapp 25
Prozent Anteil größter Einzelaktionär
der TUI und seit 13 Jahren an dem Kon-
zern beteiligt. Die Familie Mordaschow
ist in verschiedensten Geschäftsfeldern
tätig, von Stahlherstellung bis zum
Goldbergbau. Ob bei FTI der Ägypter
Sawiris tatsächlich die Mehrheit über-
nimmt, bleibt abzuwarten. Der Mün-
chener Konzern bereitet sich bereits auf
das Ende der Coronavirus-Reisebe-
schränkungen vor und hofft auf einen
Nachholeffekt. Die Auswahl und das
Angebot würden bereits für den Herbst
aufgestockt, teilt der Veranstalter mit.

Ägypter plant


ÜÜÜbernahme vonbernahme von


FTI-Reisen


Milliardär Sawiris möchte
Mehrheit und Kontrolle

Herbert Diess(Jahrgang 1958)
ist seit April 2018 Vorstands-
vorsitzender der Volkswagen AG
und seit 2015 der Marke Volks-
wagen Pkw. Zuvor arbeitete der
Diplom-Ingenieur unter anderem
für BMW und Bosch.

Zur Person

„„„Wir können Wir können


nur anlaufen,


wenn wir die


PANDEMIE


beherrschen“


Die Corona-Krise kostet VW Milliarden, die


Zukunft ist vor allem in Europa ungewiss.


Konzernchef Herbert Diess hält den baldigen


Wiederaufbau der Wirtschaft dennoch für


realistisch – unter einer Bedingung


© WELTN24 GmbH. Alle Rechte vorbehalten - Jede Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exclusiv über https://www.axelspringer-syndication.de/angebot/lizenzierung DIE WELT -2020-04-06-ab-22 52117d653d629d448e26eb950eec8f

UPLOADED BY "What's News" vk.com/wsnws TELEGRAM: t.me/whatsnws
Free download pdf