Die Welt - 06.04.2020

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18 GESCHICHTE DIE WELT MONTAG,6.APRIL


E


ntscheidungen treffen zu
dürfen ist Last und Lust
gleichermaßen. Vielleicht
genoss der römische Ritter
Pontius Pilatus den Mo-
ment, als er zu einem ihm vom Hohen
Rat des Tempels zu Jerusalem vorge-
führten Gefangenen sagte: „Weiß du
nicht, dass ich die Macht habe, dich zu
kreuzigen, und die Macht, dich freizu-
geben?“ Jesus von Nazareth, Sohn des
Joseph und Zimmermann, antwortete –
jedenfalls dem Evangelisten Johannes
zufolge – kryptisch: „Du hättest keine
Macht über mich, wenn sie dir nicht von
oben gegeben wäre.“

VON SVEN FELIX KELLERHOFF

Es handelte sich bei der Unterstel-
lung, der Statthalter habe gar keine ei-
gene Macht, sondern nur eine von oben
geliehene, um nichts anderes als eine
Provokation. Trotzdem wollte Pilatus,
den Zeugnissen aller vier neutestamen-
tarischen Evangelien zufolge, Jesus
nicht verurteilen.
Was wäre wohl passiert, wenn Roms
Mann in Judäa diesem Impuls nachge-
geben hätte? Darüber hat sich der Berli-
ner Alt- und Kulturhistoriker Alexander
Demandt immer wieder Gedanken ge-
macht. Denn der Prozess Jesu gehört zu
den wichtigsten Wendepunkten der
Weltgeschichte, an denen man als Ge-
dankenexperiment „ungeschehene Ge-
schichte“ (im Englischen „virtual histo-
ry“ genannt) durchspielen kann.
Demandt hat die apodiktische Be-
hauptung, Historiker sollten nicht spe-
kulieren, widerlegt – das gehört zu sei-
nen grundsätzlichen Verdiensten für
die Geschichtswissenschaft. Denn er
zeigte, dass – im Gegenteil – jeder, der
sich mit Entscheidungssituationen be-
fasst, stets die Alternativen (die es im-
mer gibt; nichts ist „alternativlos“) be-
denkt, ob nun bewusst oder unbewusst.
Man kann dabei, ganz allgemein ge-
sprochen, zum Ergebnis kommen, dass
eine gefallene Entscheidung oder eine
handelnde Person keine große Auswir-
kungen auf den weiteren Verlauf der Er-
eignisse gehabt habe. Dann allerdings
war diese Entscheidung oder diese Per-
son eben nicht wichtig – also irrelevant.
Die Konfrontation von Pontius Pila-
tus und Jesus von Nazareth am Morgen
(oder Vormittag) des Freitags vor Pes-
sach vermutlich des Jahres 30 (oder 31)
war wichtig. Denn der Statthalter folgte
dem Wunsch des jüdischen Hohen Rats
(Sanhedrin) unter Vorsitz des Hohe-
priesters Kaiphas und ließ den Gefange-
nen kreuzigen.
Allerdings sprach er selbst kein aus-
drückliches Urteil, sondern überließ die
Entscheidung der mehr oder minder
aufgehetzten Volksmenge vor seinem
Amtssitz in Jerusalem. Die entschied
sich, den Räuber und Aufrührer Barab-
bas freibekommen zu wollen statt Je-
sus, für den das den Tod am Kreuz be-
deutete. Pilatus wusch stattdessen sei-
ne Hände „in Unschuld“.
Was aber, wenn Pilatus an jenem
Freitag seine Macht (ob nun von „oben
gegeben“ oder nicht) anders genutzt
hätte als im Neuen Testament beschrie-
ben? Demandt hat in mehreren seiner
zahlreichen Bücher drei wesentliche Al-
ternativen skizziert, falls die symbolhaf-

te Kreuzigung ausgeblieben wäre (und
daher die Auferstehung Jesu): ein Ver-
sinken in der Bedeutungslosigkeit; eine
friedliche Fortsetzung seiner Tätigkeit;
schließlich eine Radikalisierung von Je-
su Anhängerschaft hin zur Gewalt. Alle
drei Denkmöglichkeiten lassen sich vor
dem Hintergrund der politisch-religiö-
sen Verhältnisse im Judäa jener Zeit
recht klar durchspielen.
Dabei ist unerheblich, ob Pilatus Je-
sus umgehend freigegeben oder ihn
doch vorher hätte geißeln lassen. Laut
dem Evangelisten Lukas hatte der Statt-
halter den Mitgliedern des Sanhedrins
gesagt: „Darum will ich ihn schlagen las-
sen und dann umgehend freigeben.“
Dieses Urteil hätte Pilatus verbinden
können mit dem Verbot künftigen öf-
fentlichen Auftretens. Jesus hätte dann
seine Lehrtätigkeit eingestellt und wäre
vermutlich nach Nazareth zurückge-
kehrt, in seine Vaterstadt, um hier als
Zimmermann zu leben – was zu jener
Zeit mehr oder weniger lang dauern
konnte. Er wäre vermutlich alsbald ver-
gessen worden.
Demandts zweite Denkvariante geht
dahin, dass Pilatus Jesus freigegeben
und ihm kein Lehrverbot auferlegt hät-
te, weil er sah, dass Jesu Botschaft eben
nicht aufrührerisch war, sondern fried-
lich – darauf deutete ja allein schon sei-
ne Empfehlung: „Gebt dem Kaiser, was
des Kaisers, und Gott, was Gottes ist.“
Hier ergeben sich zwei weitere mögli-
che Wege. Denn wenn man den Evange-
listen glaubt, so hatte Jesus bereits vor
der Festnahme im Garten Gethsemane
den Jüngern und anderen wiederholt
sein Schicksal angekündigt. Wäre Pila-
tus nun milde gewesen, hätte Jesus
plötzlich als falscher Prophet dagestan-
den. „Sein Charisma wäre dahin, seine
Sendung erledigt gewesen“, schreibt
Demandt.
Dramatischer hat es der französische
Denker Ernest Renan formuliert: „In
Freiheit belassen, hätte Jesus sich in ei-
nem verzweifelten Kampf für das Un-
mögliche aufgerieben.“ Tatsächlich war
das bewusste Opfer der Kern seiner
Botschaft.
Wären Jesus aber dennoch einige
oder sogar viele Anhänger geblieben, so
hätten sie sich als Nazarener wahr-
scheinlich zu einer der zahlreichen
mehr oder minder jüdischen Sekten
entwickelt, die damals in Palästina exis-
tierten – nur von wenigen kennt man
Namen oder Details ihres Glaubens. Da
gab es die Caelicoli, die Essener, die
Sadduzäer, die Therapeuten und, viel-
leicht am rätselhaftesten, sicher aber
heute am bekanntesten, die Bewohner
der Siedlung Qumran.
Denkt man diese Alternative weiter
und nimmt an, dass die Friedensbot-
schaft Jesu trotz der ausgebliebenen
Kreuzigung überzeugend gewirkt hätte,
dann wäre es naheliegend, dass der gro-
ße Jüdische Aufstand ab dem Jahr 66 ge-
gen Rom ausgeblieben wäre – und damit
die Zerstörung des Tempels von Jerusa-
lem. Es hätte keine Diaspora des Juden-
tums gegeben.
Genau in die entgegengesetzte Rich-
tung weist Demandts dritte spekulative
Variante. Denn heute wird meist ausge-
blendet, dass es im Neuen Testament
auch Textstellen gibt, die mit der –
großartigen – Botschaft der Bergpredigt

nun gar nicht zusammenpassen. Im
Evangelium nach Matthäus zum Bei-
spiel sagt Jesus: „Ihr sollt nicht wähnen,
dass ich gekommen sei, Frieden zu sen-
den auf Erden. Ich bin nicht gekommen,
Frieden zu senden, sondern das
Schwert.“ Fünf Verse weiter folgt dann
eine Formulierung, die man als dem
Denken von islamistischen Dschihadis-
ten ähnlich verstehen kann: „Wer sein
Leben verlieret um meinetwillen, der
wird’s finden.“
Noch härter ist ein anderer Vers aus
dem Lukas-Evangelium; Jesus habe ge-
sagt: „Doch meine Feinde, die nicht
wollen, dass ich über sie herrsche,
bringt sie her und schlachtet sie vor
meinen Augen!“ Demandt hält diese
Aussage für authentisch, denn tatsäch-
lich: Warum hätte Lukas (oder der Au-
tor des nach ihm benannten Evangeli-
ums) sie erfinden sollen? Stilisiert ha-
ben seine Anhänger nachweislich stets
nur die pazifistische Seite von Jesu Bot-
schaft. „Wenn sie die Bekenntnisse zur
Gewalt nicht unterdrückt haben, kann
das nur aus Respekt vor ihrer Echtheit
erfolgt sein“, schließt der Althistoriker.
Offenbar gab es also ein Radikalisie-
rungspotenzial bei Jesus. Und ebenso
bei seinen Jüngern. So trug Judas, der
ihn verriet, den Beinamen Iskarioth,
was mit dem lateinischen Wort „sicari-
us“ für „Dolch“ verwandt ist. Und einer
seiner Gefolgsleute, laut dem Evange-
listen Johannes sogar Petrus selbst,
griff im Garten Gethsemane zum
Schwert und hieb einem der Sanhedrin-
Wächter ein Ohr ab, als sie Jesus verhaf-
teten.
Was wäre also passiert, wenn Pilatus
Milde hätte walten lassen und trotzdem
mit einem von Jesus angeführten Auf-
stand konfrontiert gewesen wäre? Wie-
der gibt es zwei weitere Wege: Pilatus
hätte den Aufstand bru-
tal unterdrücken und
die Täter bestrafen, also
kreuzigen lassen kön-
nen. Ob daraus aller-
dings das Christentum
mit seiner Botschaft der
Liebe und des Friedens
entstanden wäre, ist zu-
mindest zweifelhaft.
Oder Jesus hätte Er-
folg gehabt und die rö-
mische Position im Ori-
ent ins Wanken ge-
bracht. Dann wäre die
Strafexpedition, die Vespasian im Jahr
66 begonnen hatte, eben gut dreiein-
halb Jahrzehnte früher durchgeführt
worden, von einem anderen römischen
Feldherrn. An ihrem Ausgang kann an-
gesichts des Kräfteverhältnisses zwi-
schen Weltmacht und Aufständischen
kein Zweifel bestehen: Jerusalem wäre
erobert und ausgeplündert worden.
Demandts Überlegungen zu einer an-
deren Entscheidung von Pontius Pilatus
über Jesus eröffnen den Blick auf fünf
verschiedene Alternativen. Für gläubige
Menschen ist das natürlich keine wei-
terführende Überlegung. Für alle ande-
ren lohnt es sich, die Bedeutung des Ur-
teils am Karfreitagvormittag des Jahres
30 (oder 31) zu durchdenken.
Ernest Renan brachte es auf die so
knappe wie einleuchtende Formel: „Der
dumme Hass der Feinde Jesu entschied
über seinen Erfolg.“

„Was ist Wahr-
heit“ hat der
russische Maler
NNNikolai Nikolaje-ikolai Nikolaje-
witsch Ge sein
Gemälde von
1 890 genannt.
Pontius Pilatus
hatte es mit sei-
nem Urteil in der
Hand, die Frage
zu beantworten

PICTURE ALLIANCE / HERITAGE-IMAG

/THE PRINT COLLECTOR/HERITAGE IMAGES

WWWenn Pontius Pilatusenn Pontius Pilatus


JESUS begnadigt hätte


Roms Statthalter in Judäa verurteilte am Karfreitag des Jahres 30 (oder


3 1) einen Zimmermann aus Nazareth zum Tod am Kreuz. Doch das war


nicht zwangsläufig, wie der Althistoriker Alexander Demandt gezeigt hat


A


m 5. November 1495 fand im Pa-
last im niederländischen Me-
chelen eine aufregende Zeremo-
nie statt. Die 16-jährige Großherzogin
Margarete und der spanische Gesandte
Don Francisco de Rojas stiegen vor den
AAAugen der versammelten Hofgesell-ugen der versammelten Hofgesell-
schaft gemeinsam in ein prunkvolles
Bett, ohne allerdings ihre Kleider abzu-
legen. Dann entblößte der Spanier für
einige Augenblicke ein Bein – und die
Ehe war vollzogen, „per procuram“,
durch einen Stellvertreter, wie es so
schön hieß.

VON BERTHOLD SEEWALD

Den Bräutigam Johann von Aragón
bekam Margarete erst im März 1496 in
Burgos zu Gesicht. Dort wurde die
Hochzeitsnacht mit dem spanischen
Thronfolger mit allem Pomp nachge-
holt. Bald war sie schwanger.
Die Hochzeit war Teil eines kompli-
zierten Heiratsplans, mit dem Margare-
tes Vater, der Habsburger Kaiser Maxi-
milian I., die Macht seines Hauses meh-
ren wollte. Tatsächlich schrieb er damit
auf eine unvorhersehbare Weise Welt-
geschichte. Wie er das tat, hat jetzt der
niederländische Autor Bart Van Loo in
seinem prachtvollen Buch „Burgund.
Das verschwundene Reich“ (C. H. Beck,
666 56 S., 32 Euro56 S., 32 Euro) mit allen Verästelungen

nachgezeichnet. Margarete war die
Tochter von Maria von Burgund, die
nach dem Schlachtentod ihres Vaters,
Herzog Karls des Kühnen, 1477 dessen
Erbe angetreten hatte. Mithilfe ihres
Mannes, des Kaisersohnes Maximilian,
gelang es ihr, französische Ansprüche
zurückzuweisen. Ihre 1477 geschlossene
Ehe zählt zu den größten Romanzen
des Mittelalters, die ein Reitunfall aller-
dings nach nur fünf Jahren tragisch be-
endete. Margarete und ihr älterer Bru-
der Philipp überlebten.
Wie sein Schwiegervater war Maxi-
milian ein ebenso ehrgeiziger wie skru-
pelloser Machtmensch, der sich nicht
mit der Regentschaft der Niederlande,
zu der damals auch weite Teile des heu-
tigen Belgiens gehörten, begnügen
wollte. Da ihm für großangelegte Feld-
züge häufig das Geld fehlte, entwickelte
der Habsburger eine Diplomatie, für die
die Zeitgenossen den treffenden Satz
prägten: „Kriege mögen andere führen.
Du, glückliches Österreich, heirate.“
In diesem Sinn handelte er bereits
1491 mit dem König von Böhmen und
Ungarn einen Erbvertrag aus, der später
durch Ehen mit seinen Enkeln zu-
kunftsfähig gemacht wurde. Doch sein
Meisterstück sollte er mit der Doppel-
hochzeit ablegen, die er mit den „Ka-
tholischen Königen“ von Kastilien und
Aragón, Isabella und Ferdinand, an-

bahnte. Beide hatten sich den päpstli-
chen Titel mit der Eroberung des Emi-
rats von Granada 1492erworben, die die
christliche Rückeroberung der Iberi-
schen Halbinsel abschloss und den
Grundstein für eine spanische Groß-
macht legte. Zufällig traf es sich, dass
im gleichen Jahr ein Seefahrer in ihren
Diensten, Christoph Kolumbus, jenseits
des Atlantiks eine Neue Welt entdeckte.
Dass Margarete schon einmal verhei-
ratet gewesen war, störte die hochran-
gigen Schwiegereltern nicht. Bereits als
Zweijährige war sie dem französischen
Thronfolger versprochen worden, um
damit einem Friedensvertrag zwischen
Maximilian und Ludwig XI. von Frank-
reich die nötige Tiefe zu verleihen.
Doch als sich Maximilian nach dem Tod
Marias um die Hand der reichen Herzo-
gin Anne von der Bretagne bemühte, er-
klärte der Franzose die Ehe für nicht
vollzogen und kam dem Habsburger
1 491 zuvor.
Diese gepfefferte Demütigung beant-
wortete Maximilian auf seine Weise, in-
dem er die zwar nicht standesgemäße
und unverschämt reiche Tochter des
Ex-Condottiere Galeazzo Sforza von
Mailand zur Frau nahm. Und er trieb
die Verbindung zwischen Spanien und
Österreich voran.
Maximilians anderer Joker für die ge-
plante Doppelhochzeit war Margaretes

älterer Bruder Philipp, genannt der
Schöne. Ihm wurde mit Johanna von
Kastilien die zweite Tochter Isabellas
und Ferdinands zugedacht. Im Gegen-
satz zu Margaretes Eheversprechen
„per procuram“ fand ihre Hochzeits-
nacht vor aller Ohren am 20. Oktober
1 495 im niederländischen Liers statt.
„Der Same wird gewaltig sein auf Er-

den“: Dem während der Messe verlese-
nen Satz machten die jungen Leute alle
Ehre. Sechs Kinder sollten der Ehe ent-
stammen, wobei Philipp „die hormonell
bedingte Begeisterung schnell“ verließ,
„während Johannas Liebe zu ihrem
Ehemann krankhafte Züge annahm“,
schreibt Van Loo.
AAAuf dem Papier wäre Margarete alsouf dem Papier wäre Margarete also
irgendwann Königin von Spanien ge-
worden und Philipp als Herzog von
Burgund (vielleicht) Kaiser des Heili-
gen Römischen Reiches. Doch das
Schicksal hatte andere Pläne. Bereits
nach einem guten Jahr raffte das Fieber
Margaretes Mann Johann dahin, und sie
verlor ihr ungeborenes Kind. Da auch
andere Thronanwärter starben, wurde
Johanns Schwester Johanna Erbin der
spanischen Kronen und ihr Mann als
Philipp I. König von Kastilien und
Aragón.
Das machte ihren ältesten Sohn Karl
urplötzlich zum Erben einer gewaltigen
Ländermasse, vorausgesetzt dass er das
Erwachsenenalter erreichen würde.
Der Erbfall kam indes schneller als er-
wartet. Bereits 1506 starb Philipp an ei-
ner Lungenentzündung. Margaretes
Schmerz war „so überwältigend, dass
ihr angeblicher Wahnsinn, der sich zu-
vor schon einige Male angekündigt ha-
ben soll, nun voll zum Ausbruch zu
kommen schien“, erklärt Van Loo ihren

Beinamen „die Wahnsinnige“. Auf je-
den Fall verbrachte sie die folgenden 48
Jahre bis zu ihrem Tod in Gefangen-
schaft. Karls Tante Margarete über-
nahm die Regentschaft in den Nieder-
landen und damit auch seine Erzie-
hung; in Deutschland und den österrei-
chischen Erblanden zog sein kaiserli-
cher Großvater Maximilian die Fäden.
Doch der starb 1519.
So kam es, dass der 19-jährige Karl
ein Reich erbte, das von der Donau bis
zu den Kordilleren Amerikas reichte
und in dem, wie es so schön heißt, die
Sonne nicht unterging. Wenn das nicht
WWWeltgeschichte genug war, so wurdeneltgeschichte genug war, so wurden
es die Folgen. Nach seiner Abdankung
1 556 erbte sein Sohn Philipp die spani-
schen Länder einschließlich der Nie-
derlande, sein Bruder Ferdinand die
Kaiserkrone und die österreichischen
Erblande. Spanien blieb Weltmacht,
Österreich wurde Großmacht, die Krie-
ge beider habsburgischen Linien mit
Frankreich prägten über Jahrhunderte
Europa.
Der Zufall, der mit Karl den „letzten
Burgunder“ (Van Loo) zum Alleinerben
gemacht hatte, hat tatsächlich Ge-
schichte geschrieben.

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ZZZwei Hochzeiten, die die Welt verändertenwei Hochzeiten, die die Welt veränderten


Kaiser Maximilian I. verheiratete 1495 Sohn und Tochter nach Spanien. Diverse Todesfälle machten aus der dynastischen Investition eine historische Sensation


Philipp mit seiner Ehefrau Johanna I.,
der Wahnsinnigen. Ihr Sohn war Karl V.

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