Die Welt - 06.04.2020

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06.04.2006.04.2006.04.20/1/1/1/1/For2/For2AFREYE 5% 25% 50% 75% 95%

DIE WELT MONTAG,6.APRIL2020 FORUM 3


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I


ch habe es gut, ich habe einen siche-
ren Job, und das geht gerade vielen
Menschen nicht so. Ich bin Facharzt
in einer großen Klinik, arbeite auf der
Intensivstation. Zurzeit nennt sich das
„systemrelevant“, nach allgemeiner
Auffassung gerade wichtig. Ich muss
mir also keine Sorgen um mein Ein-
kommen in den nächsten Wochen
machen und tue hoffentlich auch noch
etwas Sinnvolles. Und trotzdem bin ich
unzufrieden, ja sogar wütend.
Keine Sorge, jetzt kommt nicht wie-
der eine Tirade gegen Quarantäne-
Brecher, Klopapier-Hamsterer oder
dumme Corona-Partys. Was mich är-
gert, ist der Umgang der Krankenhäu-
ser mit der Covid-19-Krise. Zurzeit
erfahren ich und meine ärztlichen und
pflegerischen Kollegen ein großes Maß
an Solidarität und Unterstützung.
Während Restaurants anbieten, für
uns zu kochen, Mobilitätsunternehmen
Sonderpreise machen und abends an
den Fenstern geklatscht wird, betrei-
ben die Krankenhäuser business as
usual. Und das heißt leider oft für die
Mitarbeiter Missachtung as usual. In
den Klinikmitteilungen wird besonde-
res Engagement natürlich gelobt. Das
heißt aber nicht, dass Überstunden
plötzlich anerkannt werden. Natürlich
soll man jetzt erreichbar bleiben, auch
wenn man Urlaub hat. Nehmen muss
man die Urlaubstage trotzdem, sonst
fallen ja später zu viele an. Auch, wer
sich um seine Kinder kümmern muss,
soll dafür Urlaub nehmen. Mitarbeiter,
die einen Corona-Testbrauchten, wur-
den bis vor einigen Tagen nicht einmal
im eigenen Krankenhaus abgestrichen,
sondern mussten sich stundenlang an
den öffentlichen Teststationen an-
stellen.
Die Corona-Krisetrifft auf ein Ge-
sundheitssystem, das sich bereits im
permanenten Ausnahmezustand befin-
det. Die Auslastung liegt schon im
Normalbetrieb über der Plangrenze.
Zugunsten der Gewinnerzielung steht
das Wohlergehen der Mitarbeiter und
Patienten viel zu oft hinten an. Viele
junge Ärzte und Pflegende überlegen
schon nach kurzer Zeit, wie sie es in

diesem System aushalten sollen, ohne
auszubrennen, oder wie sie da wieder
ganz rauskommen. Jetzt in der Krise
wird die Extraarbeit natürlich gerne in
Anspruch genommen, befristete Ver-
träge laufen trotzdem aus, und in vie-
len Abteilungen bekommt kaum ein
Arzt jemals einen entfristeten Arbeits-
vertrag.
Und dann kommt Covid-19. Die erste
Reaktion der Kliniken ist, sicherzustel-
len, dass die Bilanzen so wenig wie
möglich davon gefährdet sind. Der
Kostendruck ist so sehr ins Bewusst-
sein übergegangen, dass er bei der
Vorbereitung auf Corona ganz oben
mitspielt. Das Leitmotiv ist nicht etwa
die Frage, wie wir uns mit vollem Ein-
satz und allen Mitteln optimal auf
Corona vorbereiten können, sondern
es wird immer gerade so viel getan, wie
unbedingt nötig ist. Das heißt zum
Beispiel, dass auf den Stationen bereits
alle über Corona und fehlende Masken
redeten, während der reguläre OP-
Betrieb noch wochenlang weiterlief.
Bald schon dringend benötigtes
Schutzmaterial wurde dort noch in
großen Mengen verbraucht, denn die
gut bezahlten Routine-OPs sind das
Goldene Kalb der Geschäftsführung.
Wenn man sich mit Kollegen in ande-
ren Kliniken austauscht, überall das
gleiche Bild. Mitarbeiter von Rettungs-
stellen bekommen einen einzigen
Mund-Nasen-Schutz pro Acht-Stun-
den-Schicht ausgehändigt. Wir reden
hier nicht über FFP-3-Masken, sondern
über einen einfachen Mund-Nasen-
Schutz, der bei Durchfeuchtung ent-
sorgt werden soll.
Es geht mir nicht darum, Panik zu
schüren. Deutschland ist besser vor-
bereitet als viele andere Länder, und
die politischen und epidemiologischen
Reaktionen auf die Virusausbreitung
erscheinen mir besonnen. Auch in den
Kliniken hat die Vorbereitung mitt-
lerweile Gestalt angenommen. Aber
wenn sich am Umgang mit den Mit-
arbeitern im Gesundheitswesen nicht
sehr bald grundlegend etwas ändert,
werden bis zur nächsten Krise noch
weniger Menschen bereit sein, in die-
sem System zu arbeiten.

TDer Autor schreibt unter Pseudonym,
um die Privatsphäre seiner Patienten
zu schützen. Seine Identität ist der
Redaktion bekannt

WWWarum ich so wütend binarum ich so wütend bin


EIN INTENSIVMEDIZINER BERICHTET


ULRICH DURRIT

D


ie Coronavirus-Pandemie hat
aaauch die Ukraine fest im Griff.uch die Ukraine fest im Griff.
Doch während das öffentliche
Leben dort, wie fast überall auf
dem Kontinent, weitgehend
lahmgelegt ist, durchläuft das
Land eine Phase politischer
Turbulenzen, die seine Zukunft in Demokratie und
Unabhängigkeit infrage stellen. Angesichts der bei-
spiellosen Herausforderung, mit der die westlichen
Regierungen in der Corona-Krise konfrontiert sind,
droht die Ukrainejedoch von deren politischer Prio-
ritätenliste zu verschwinden. Dabei müssten die
demokratischen Gesellschaften Europas ihr gerade
jetzt mit verstärkter Anstrengung beistehen – im
eigenen Interesse.
AAAuch im aktuellen globalen Ausnahmezustanduch im aktuellen globalen Ausnahmezustand
ffführt Russland seine Aggression gegen die Ukraineührt Russland seine Aggression gegen die Ukraine
unvermindert fort. Von der Waffenruhe, die beim
Gipfeltreffen im Normandie-Format, bestehend aus
Frankreich, Deutschland, der Ukraine und Russland,
im Dezember in Paris vereinbart wurde, ist das
Kriegsgebiet im Osten des Landes weit entfernt.
Obwohl sich die ukrainische Armee an mehreren
Punkten der Frontlinie einseitig zurückzog, hat der
Beschuss durch die russischen Besatzungstruppen
und ihre lokale Soldateska, dem immer wieder ukrai-
nische Soldaten zum Opfer fallen, nie aufgehört.
Unter dem Vorwand der Corona-Krise hindern die
bewaffneten Kräfte der illegalen „Volksrepubliken“
Donezk und Luhansk jetzt die Überwachungsmission
der OSZE am freien Zugang zu ihrem Territorium.
Der Kreml nutzt die Pandemie zudem für eine
Kampagne zur Aufhebung der westlichen Sanktionen
wegen der Krim-Annexion und der russischen Okku-
pation ostukrainischer Gebiete. So fordert Wladimir
Putin, für die Dauer der Krise alle internationalen
Sanktionen auszusetzen, die nicht vom UN-Sicher-
heitsrat verhängt wurden. Dieser Schachzug zielt
darauf, die in Westeuropa ohnehin bröckelnde Be-
reitschaft, an den Sanktionen festzuhalten, weiter zu
schwächen. Zuletzt hatte Frankreichs Staatspräsident
Emmanuel Macron die Wirksamkeit der Strafmaß-
nahmen infrage gestellt. Massiv verstärkt hat sich
aaaber auch das Bestreben Moskaus, die Ukraine vonber auch das Bestreben Moskaus, die Ukraine von
innen her zu unterminieren. Dabei kommt dem
Kreml entgegen, dass die neue ukrainische Führung
unter Präsident Wolodymyr Selenskyi in der Hoff-
nung auf einen baldigen Frieden im Donbass geneigt
zu sein scheint, dem Aggressor erhebliche Zugeständ-
nisse zu machen. So gab Seleneskyis Präsidialamts-
leiter und Vertrauter Andrij Jermak, der die Verhand-
lungen mit Russland führt – und offenbar enge Ge-
schäftsverbindungen dorthin unterhält –, seine Zu-
stimmung zur Installierung eines „Beratungsgremi-
ums“, das paritätisch aus Vertretern der Ukraine und
Repräsentanten der „Volksrepubliken“ zusammenge-

setzt sein soll. Dies käme einer impliziten Anerken-
nung der „separatistischen“ Scheinregierungen und
der Übernahme der Lesart Putins durch Kiew gleich,
dass es sich bei dem Krieg im Donbass um einen
„innerukrainischen Konflikt“ und bei Russland nur
um einen „vermittelnden“ Dritten handele. Nach
heftigen innerukrainischen Protesten ist dieses Vor-
haben zwar vorerst ins Stocken geraten. Es nährt
jedoch den Verdacht, dass die Selenskyi-Führung
einen faulen Frieden mit Russland schließen könnte,
der Moskau als Einfallstor zur Übernahme der Kon-
trolle über die gesamte Ukraine dienen könnte.
AAAuch innenpolitisch erweist sich die mit enormenuch innenpolitisch erweist sich die mit enormen
VVVorschusslorbeeren bedachte Präsidentschaft Selen-orschusslorbeeren bedachte Präsidentschaft Selen-
skyis zunehmend als Fiasko. Bisher erfolgreiche Re-
ffformansätze wie die im Gesundheits- und Erzie-ormansätze wie die im Gesundheits- und Erzie-
hungswesen sowie bei der Dezentralisierung des
Landes werden nicht fortgeführt oder zurückgedreht.
Überdies hat die Einflussnahme von Oligarchen wie
Ihor Kolomoiski und Rinat Achmetow auf Regierung
und Parlamentarier wieder massiv zugenommen.
Namentlich Kolomoiski, auf dessen Fernsehsender
Selenskyials Comedian und Serienstar durchgestar-
tet war, versucht mit brachialen Mitteln die Rückgabe
seiner Bank zu erzwingen, die im Rahmen der Re-
ffform des Finanzwesens unter Ex-Präsident Petroorm des Finanzwesens unter Ex-Präsident Petro
Poroschenko in staatliche Hand überführt wurde.
Die anfangs in Selenskyi gesetzten enormen Hoff-
nungen auf Aufbruch und Erneuerung wurden spätes-
tens durch seine vor einem Monat durchgeführte
Regierungsumbildung konterkariert, bei der die meis-
ten der „neuen Gesichter“ in der ukrainischen Politik

aaaus dem Amt entfernt wurden. Die Sorge ist seitherus dem Amt entfernt wurden. Die Sorge ist seither
groß, dass die Regierung den prowestlichen Reform-
kurs verlassen und zum alten System von finanzieller
VVVerschwendung und Günstlingswirtschaft zurück-erschwendung und Günstlingswirtschaft zurück-
kehren könnte. Befürchtungen, dass Selenskyi gar
einen Staatsbankrott in Kauf nehmen würden, um
den Auflagen des Internationalen Währungsfonds
(IWF) zu entgehen, hat der Präsident indes fürs
Erste zerstreut. Auf seine massive Intervention in
letzter Minute hin hat das ukrainische Parlament vor
wenigen Tagen in erster Lesung das lange blockierte
Bankengesetz angenommen, dessen Verabschiedung
der IWF zur Bedingung für die Gewährung eines
Acht-Milliarden-Kredits gemacht hat. Dieses Gesetz
soll sicherstellen, dass Oligarchen wie Kolomoiski
den Reformweg in diesem Sektor nicht umkehren
können.
Doch lange hatte Selenskyi die Öffentlichkeit über
seinen Kurs in dieser zentralen Frage im Unklaren
gelassen. Seine Tendenz zu abrupten Schwenks mani-
fffestierte sich zuletzt darin, dass er seinen gerade erstestierte sich zuletzt darin, dass er seinen gerade erst
neu ernannten Finanzminister ebenso wie den Ge-
sundheitsminister nach nur vier Wochen wieder
aaauswechselte. Dieses intransparente Hin und Her,uswechselte. Dieses intransparente Hin und Her,
verbunden mit der Neigung des Präsidenten und
seines inneren Zirkels, an den Institutionen wie Par-
lament und Kabinett vorbei ihre Agenda durchzuset-
zen, nagt am Fundament der ohnehin fragilen demo-
kratischen Kultur des Landes.
Besorgniserregend ist vor allem die Aushöhlung
der unabhängigen Justiz und ihre Instrumentalisie-
rung für die Zwecke des Präsidenten und seiner Ge-
fffolgsleute. Politische Opponenten und selbst Ab-olgsleute. Politische Opponenten und selbst Ab-
weichler im eigenen Lager werden mit Strafverfol-
gggung bedroht, mancher Kritiker sieht sich gar Dro-ung bedroht, mancher Kritiker sieht sich gar Dro-
hungen an Leib und Leben ausgesetzt. Dazu passt,
dass Selenskyi kürzlich den Generalstaatsanwalt
RRRuslan Ryaboschapka ablösen und ihn durch eineuslan Ryaboschapka ablösen und ihn durch eine
unerfahrene, von ihm persönlich geförderte Juristin
ersetzen ließ. Ryaboschapka hatte sich geweigert,
eine fadenscheinige Anklage gegen Ex-Präsident
Poroschenko wegen „Hochverrat“ zuzulassen und
sich unwillig gezeigt, gemäß der Forderung Donald
Trumps gegen das Energieunternehmen Burisma zu
ermitteln, an dem Joe Bidens Sohn beteiligt war.
Um den ukrainischen Reformkurs Richtung Eu-
ropa abzusichern, ist von der EU jetzt doppelt ent-
schiedenes Handeln gefordert. Statt über Lockerun-
gen der Sanktionen zu sinnieren, muss Russland
klargemacht werden, dass sich der Preis, den es für
die Fortsetzung seiner Aggression gegen die Ukraine
zu zahlen hätte, noch drastisch erhöhen wird. Zu-
gleich muss die ukrainische Führung stärker dazu
angehalten werden, die Prinzipien rechtsstaatlicher
Demokratie und geregelter Marktwirtschaft zu ach-
ten. Doch leider scheinen sich die führenden EU-
Staaten derzeit anders zu orientieren. Vor allem
Frankreich ist bestrebt, die Beziehungen zu Putins
RRRussland rasch zu „normalisieren“ und scheint bereitussland rasch zu „normalisieren“ und scheint bereit
zu sein, dafür ukrainische Interessen zu vernach-
lässigen. Doch das ist ein Irrweg. Die Ukraine steht
seit Jahren an der Frontlinie des Kampfs für die frei-
heitlichen Werte der westlichen Demokratie. Lässt
Europa zu, dass das Land wieder unter den neo-
imperialen Einfluss Russlands gerät, untergräbt es
damit seine eigenen Grundlagen. In Ungarn und
Polen zeigt sich derzeit, wie gefährdet der Fortbe-
stand der europäischen liberalen Demokratie ist. In
der Ukraine entscheidet sich exemplarisch, ob sie
noch die Kraft hat, die Oberhand über autoritäre
VVVersuchungen zu gewinnen.ersuchungen zu gewinnen.

Im Schatten der

Corona-Krise

Russland verstärkt seine


Aggression gegen die


Ukraine. Doch auch


innenpolitisch droht das


Land instabil zu werden.


Die EU muss ihm jetzt


verstärkt beistehen,


statt Moskau Avancen


zu machen


Die Ukraine steht an der Frontlinie


des Kampfs für die freiheitlichen


Werte der westlichen Demokratie


LEITARTIKEL


ǑǑ


RICHARD HERZINGER

AP/ MAHESH KUMA
R A.

Da sage noch jemand, die Staatsmacht sei einfallslos.Dieser Polizist im indischen Hyderabad reitet miteinem Coronavirus-Helm durch die Straßen. SeinAuftrag: die Bevölkerung für die Gefahren des Virus
zu sensibilisieren. Aber trotz des peppigen Helms gilt:Wer sich nicht an die Ausgangssperren im Land hält,muss mit zum Teil harten Strafen rechnen.

Im Dienste dersozialen Distanz

**D3,00EUROBNr. 81

KUNDENSERVICE 0 8 0 0 / 9358537 SAMSTAG,4.APRIL
SGrund, unser Verhältnis zurFauna zu überdenken. Umwelt-iebzig Prozent der be-kannten Viren stammenaus dem Tierreich, ein
ministerin Schulze fordert: „Esgeht darum, den Wildtierenkünftig den Platz zu geben, densie brauchen, damit Mensch
und Tier einen gesunden Ab-stand zueinander halten kön-nen.“ Und das müssen mehr als
Sie neiden dem Menschen seineevolutionäre Spitzenposition1,50 Meter sein, denn die Tieremeinen es nicht gut mit uns.
und versuchen, ihn mit ständigneuen Virenvariationen aus-schalten. Ameisen, Termitenund Bienen bilden Staaten, aber
kein Tier wäre in der Lage, einwucherndes Ökosystem wie dasEuropaparlament zu erschaf-
fen, das alle vier Wochen zueiner gigantischen Wanderungvon Brüssel nach Straßburg undzurück aufbricht. Dazu ist kein
Aal oder Lachs fähig, Lemmin-ge kämen vielleicht bis Straß-burg, aber nicht zurück. Hütenwir uns also vor der Rache der
stand ist das Gebot der Stunde,auch bei den Mahlzeiten:gedemütigten Kreaturen. Ab-
Schnitzel und Frikadellen nurmit Mundschutz und 150 Zenti-meter langem Besteck essen.

ZZZippert zapptippert zappt

D
dämmung der Coronavi-rus-Pandemie zeigen nachie Maßnahmen zur Ein-
Deutschland nun messbar Wirkung. Eininfizierter Mensch stecke seit einigen Ta-Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) in
gen im Durchschnitt nur noch einen wei-teren Menschen an, sagte RKI-PräsidentLothar Wieler. In den vergangenen Wo-chen habe der Wert bei fünf, manchmal
sogar bei sieben Menschen gelegen, dieein Infizierter ansteckte. Ein Grund zurEntwarnung seien die neuen Daten aber
noch nicht: Erst wenn ein Infizierter imDurchschnitt weniger als einen Men-schen anstecke, lasse die Epidemie lang-sam nach. „Wir müssen unter eins kom-
men. Ich hoffe, dass das in den nächstenTagen gelingt“, sagte Wieler.sagen, ob die erhöhte Kapazität der In-Es lasse sich noch nicht mit Sicherheit
tensivbetten für Covid-19-Patienten inDeutschland in der nächsten Zeit ausrei-che, sagte Wieler. Er persönlich glaube
das im Moment noch nicht.Akademie der Wissenschaften Leopoldi-na ist eine Lockerung der Einschränkun-Nach Einschätzung der Nationalen
gen im Kampf gegen das Coronavirus

bar sei etwa, dass Kontaktverbote weni-ger strikt umgesetzt werden, wenn dafürandere Maßnahmen eingehalten werden,erklären die Wissenschaftler. Eine
schrittweise Lockerung der Auflagen sol-le etwa mit „dem flächendeckenden Tra-gen von Mund-Nasen-Schutz einherge-
hen“, heißt es in der Stellungnahme. Zu-dem sprachen sich die Experten für digi-tale Werkzeuge aus, in denen Personen„freiwillig und unter Einhaltung von Da-
tenschutz sowie Persönlichkeitsrechten“Daten über mögliche Infektionswege zurVerfügung stellen. Darüber hinaus soll-
ten die Kapazitäten für Corona-Testsweiter erhöht werden und auch Einrich-tungen der Tiermedizin genutzt werden. Unterdessen hat auch eine interdiszip-
linäre Forschergruppe um den Präsiden-ten des Münchner Ifo-Instituts, ClemensFten der Gesellschaft Deutscher Naturfor-uest, und Martin Lohse, den Präsiden-
scher und Ärzte, Schritte aufgezeigt, wie Deutschland ausdem Ausnahmezustand herausfindenerstmals detaillierte
könnte. In einem Positionspapier schlu-gen die Wirtschaftswissenschaftler undÄrzte vor, dass zuerst Sektoren mit gerin-ger Ansteckungsgefahr wie hoch automa-

rität hätten kungen, die hohe oder zu starken sozialen und gesundheit-lichen Belastungen führen. Regionen mitLockerungen von Beschrän-Kosten verursachen
niedrigen Infektionsraten und freien Ka-pazitäten im Gesundheitssystem könn-ten beim allmählichen Neubeginn voran-
gehen, heißtpier wurde von insgesamt 14 Wissen-schaftlern deutscher Universitäten undForschungsinstitute verfasst.es weiter. Das Positionspa-

die Bürger noch um Geduld. „Ich würdeabsolut unverantwortlich handeln, wennich Ihnen heute einfach einen konkretenAllerdings bittet die Bundesregierung
Tag nennen würde, an dem die Maßnah-men aufgehoben, zumindest aber gelo-ckert werden könnten, dieses Verspre-
weil die Infektionszahlen es nicht zulas-sen“, sagte Kanzlerin Angela Merkel(CDU) in ihrer wöchentlichen Videobot-chen dann aber nicht einhalten könnte,
schaft. Arbeitsminister Hubertus Heil(SPD) sagte WELT: „Es ist den Menschenin unserem Land gelungen, durch verant-wortungsvolles Verhalten die Kurve ab-
zuflachen. Für Entwarnung ist es abernoch zu früh.“ SPD-Chef Norbert Walter-Borjans rief dazu auf, sich zu Ostern an
die Ausgangsbeschränkungen zu halten.„Niemand kann wollen, dass uns Co-vid-19 in eine so furchtbare Lage bringt,wie sie unsere europäischen Mitbürgerin-
nen und Mitbürger zurzeit erleben“, sag-te er dieser ZeitungUnterdessen plant die .Koalition offen-
bar ein Zusatzprogramm, um im Mittel-

AAAnti-Corona-Maßnahmen innti-Corona-Maßnahmen in
Deutschland zeigen Wirkung
Robert-Koch-Institut: Es ist gelungen, die Ansteckungsrate zu drücken. Für Entwarnung ist es aber noch zu früh. Wissenschaftler entwerfen Szenarien für den Weg aus dem Pandemie-Stillstand

EProduktion wichtiger Hilfsmateria-lien läuft an. Die Zahl der Intensiv-s gibt endlich gute Corona-Nachrichten. Die Anste-ckungskurve flacht ab. Die
stationsbetten wächst. Angela Merkelist wieder im Büro.Die Maßnahmen greifen, aber siezeigen nicht an, dass die Gefahr ge-
Gefahr dank der Beschränkungen desöffentlichen Lebens nicht sprunghaftbannt ist. Sie zeigen nur an, dass die
weiterwächst. Die Beschränkungensind nicht so scharf wie anderswo,weil die allermeisten Menschen – ge-rade diejenigen, die sich gesund füh-
len – freiwillig den Regeln folgen. Dasist ein großer Erfolg, an dem alle ge-meinsam beteiligt sind. Aber es ist
ein Etappensieg. Nicht weniger, aller-dings auch nicht mehr. Das Robert-Koch-Institut bekräftigt: Abstandhalten bleibt oberstes Gebot. Am
leichtesten wird Abstand gehalten,wenn Menschen sich im Momentmöglichst wenig begegnen.In einer einzigen Hinsicht ist es
gesund zu sein, wer zu schnell wiedermit Corona eben doch wie mit derGrippe. Wer zu früh glaubt, wieder
losarbeitet, riskiert einen schwerenRückfall. Bei der Grippe gilt das fürden Einzelnen. Bei Corona gilt es fürdas ganze Land.
Sars-CoV-2-Virus. Man weiß nochnicht, in welchem Maß die Bevölke-rung gegen dieses Virus immun wird.Man weiß noch nicht alles über das
Jetzt die Beschränkungen schon wie-der zu lockern hieße, einen Rück-schlag zu provozieren. Manche, die
sich völlig gesund fühlen und völliggesund aussehen, tragen das Virusohne ihr Wissen und könnten es wei-terverbreiten. Die Unsichtbarkeit der
gebannt. Für Debatten über die Lo-Bedrohung fördert eine verständlicheUngeduld. Die Gefahr ist aber nicht
ckerung der Verbote ist es wirklichnoch zu früh. Solche Debatten glei-chen im Moment leider noch immerdem Wunsch, bei einem Dachstuhl-
brand der Feuerwehr zu sagen, wound wie sie löschen soll, weil man si-chergehen will, dass das Haus stehenbleiben möge. Die Zeit für die Locke-
rung der Kontaktreduzierungen wirdkommen – zum Beispiel dann, wennman genauer als im Augenblick weiß,
wie die Immunität geheilter Patien-ten sich entwickelt und ob sie tat-sächlich von Dauer ist.Trotzdem ist es gut, dass es positi-
Kirche, ohne Familienfeiern und Aus-ve Nachrichten gibt. Ostern 2020wird ohne die gemeinsame Oster-nacht, ohne Gottesdienste in einer
flüge in die Frühlingssonne so ganzanders als sonst. Es ist schön, dankder nun sichtbaren Anfangserfolge zu
wissen: Der Verzicht hat einen Sinn.

KOMMENTAR
Erfolg ohne
EntwarnungTORSTEN KRAUEL

Die USA gehen im weltweitenBeschaffungskampf um Atem-masken und andere Schutzmate-rialien offenbar rigoros vor.
zentralen Einkauf der Bundes-regierung kam es nach Informatio-nen von WELT bereits zu kurz-Beim
fristigen US-Aufkäufen von Atem-masken, für die längst Liefer-

UdSA schnappen anderenie Masken weg

MORGEN AM KIOSK WOZU BARGELD?
Seit Tagen zahlen wirnur mit Karte oderHandy. Geht doch!

wnüüüIber die Ausbreitung des Coro-avirus vor Gericht. Torres undn Venezuela stehen die Jour-egen ihrer Berichterstattungrnber die Ausbreitung des Coro-alisten und Jesús Manuel CastilloesJesús Enrique Tor-
Cformat des privaten Radiosen-format des privaten Radiosen-fdastillo, die ers La Cima arbeiten, warenfür ein Nachrichten-
m 13. März in der Stadt LosaTeques festgenommen worden.hatten sie ein Video auf Face-Kurz vor ihrer VerhaftungKKurz vor ihrer Verhaftung
book geteilt, in dem sie über dieEinlieferung von Corona-Patien-ten in ein lokales Krankenhaus
erichteten. Die ertreter der Klinik widerspra-zVertreter der Klinik widerspra-VbVchen dem Bericht jedoch. Poli-isten setzten Castillo und Tor-Behörden und
rddces daraufhin fest und zwangenie Journalisten laut Berichtener Organisation Espacio Públi-o, die sich in Venezuela für die
Ptes Video mit einer Entschuldi-gung aufzunehmen.gung aufzunehmen.gressefreiheit einsetzt, ein zwei-
und Torres in Los Teques we-gen „Verbrechen gegen denStaat“ angeklagt. Sollten sieAm 15. März wurden Castillo
verurteilt werden, dann drohtbeiden eine Haftstrafe von biszu fünf Jahren.

#taFree Free hemhemll
Jesús Enrique TorresGETTY IMAGES

In Kooperation mitREPORTER OHNE GRENZEN

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Leserbriefe geben die Meinung unserer Leser
wieder, nicht die der Redaktion. Wir freuen
uns über jede Zuschrift, müssen uns aber das
Recht der Kürzung vorbehalten. Aufgrund der
sehr großen Zahl von Leserbriefen, die bei
uns eingehen, sind wir leider nicht in der Lage,
jede einzelne Zuschrift zu beantworten.

nen des menschlichen Geisteslebens
getrennt ist. Vielmehr sei die Religi-
on eine „Tiefendimension“ des
menschlichen Geistes, in der auch
der Mythos und der Kultus zu Hau-
se seien und damit die Kunst. Sind
nicht beispielsweise die „Johannes-
passion“ Johann Sebastian Bachs,
das „Requiem“ Wolfgang Amadeus
Mozarts oder der „David“ Michel-
angelos in den Uffizien in Florenz
Belege dafür? Diese Belege finden
sich auch in der zeitgenössischen
Film- und Popkultur. Sehen Sie sich
die „Matrix“-Trilogie oder die Filme
der „Chroniken von Narnia“ an,
hören Sie von U2 „Pride (In The
Name Of Love)“ oder von Joan
Osbourne „If God Was One Of Us“.
Diese Liste ließe sich unendlich
fortsetzen. Warum sonst kann ich
beispielsweise im Religionsunter-

LESERBRIEFE


richt auf einen unglaublich uner-
schöpflichen kulturellen Schatz
zurückgreifen? Dieser Schatz ist
Ausdruck von Kunst und Religion.
Auch die Bibel ist Ausdruck von
beidem. Biblische Texte wie der
Psalm 23 und das Hohelied im Alten
Testament genauso wie das Hohe-
lied der Liebe des Apostel Paulus im
Neuen Testament sind lyrische und
religiöse Texte. Sie berühren uns
Menschen in der Tiefe unseres Geis-
tes. CHRISTINA HARDER, ACHIM

Die „unsicheren Kantonisten“ von
denen Sie reden haben ihren Beruf
auf freiem Willen gewählt. Niemand
wird gezwungen, künstlerisch tätig
zu sein. Die viel gepriesene Freiheit
des Künstlers und der Kunst hat
eben auch Nachteile.
THOMAS HÖLL, WELT-COMMUNITY

Kunst und Religion


Zu: „Nahrung für die Seele“
vom 28. März

Herr Stein macht deutlich, dass es
in diesen Tagen nicht allein auf die
physische Gesundheit ankommt,
sondern genauso auf die psychische.
Es geht darum, am Körper gesund
und an der Seele heil zu bleiben. Für
das Erste brauchen wir bestmögli-
che medizinische Versorgung und
Spitzenforschung. Für das Zweite
brauchen wir die Kunst! Doch –
warum trennt Herr Stein hier die
Kunst von der Religion? Der evan-
gelische Theologe Paul Tillich be-
zeichnete die Religion als eine
„Funktion des menschlichen Geis-
tes“, allerdings nicht als eine Son-
derfunktion, die von anderen Ebe-

I


n der Verzweiflung des Lockdown
liest man ja alles, auch die Rück-
seiten von Cornflakes-Packungen
oder sogar die Hausmitteilungen des
„Spiegel“. Dort priesen sie in der ver-
gangenen Woche die heroische Ge-
schichte von zwei Redakteuren an, die
aus dem Homeoffice beinharte Recher-
chen über den verseuchten Skiort
Ischgl und die Ausbreitung des Virus
durch Feriengäste anstellten. „X telefo-
nierte mit Menschen in Irland und
Island“, stand da zu lesen, „während
neben ihm im Kinderzimmer seine
acht Monate alte Tochter gewickelt
wurde.“
Das ist in der Tat ein Ding! Wir wol-
len gern glauben, dass sie sich mit acht
Monaten noch nicht selbst gewickelt
hat; und ihr Vater hatte ja wegen seiner
systemrelevanten Arbeit erkennbar
keine Zeit dafür. Wohl aber doch genug
Zeit, um den faszinierenden Umstand
gegenüber dem Hausmitteilungsredak-
teur zu erwähnen: Da sitzt man zu
Hause und arbeitet, und nebenan wird
das Kind gewickelt! Vielleicht lebt X
mit einem Mann oder einer Trans-
person zusammen, aber eine gewisse
statistische Wahrscheinlichkeit spricht
doch dafür, dass seine Frau oder Freun-

din die Tochter versorgte. Vermutlich,
weil sie gerade keine ganz so beinhar-
ten Recherchen am Hals hatte.
Es gibt zu der Frage noch keine be-
lastbare Empirie, aber wenn wir den
Augenschein und die Zeugnisse von
Kolleginnen mit kleinen Kindern zu-
grunde legen, erleben wir gerade die
größte frauenpolitische Desillusionie-
rung in der Geschichte der Bundes-
republik. „Ich fühle mich wie eine 50er-
Jahre-Mutti, die den ganzen Tag putzt,
kocht und die Hausaufgaben betreut“,
sagt eine IT-Unternehmerin aus Nord-
rhein-Westfalen – obendrauf kämen die
Sorgen um das Geschäft und die Mit-
arbeiter.
Jetzt wird sichtbar, wie stabil die
alten Rollenbilder trotz aller Frauen-
förderoffensiven und aller quotierten
Aufsichtsräte immer noch sind: für
Kinder und Küche fühlen sich Frauen
zuständig; sie halten sich für leichter
entbehrlich am Arbeitsplatz, während
die Männer immer noch einen Grund
finden, ins Büro zu müssen. Wer wird
wohl in Heimarbeit die Atemschutz-
masken nähen? Sicher nicht Papa Jour-
nalist, Papa Richter oder Papa Pro-
fessor.
Die zentrale Frage jeder Krise ist,
was hinterher übrig bleibt. Ausnahme-
regelungen dürfen keinen Bestand
haben. Wird die ohnehin mühsame und
zeitverzögerte Emanzipation der deut-
schen Mutter durch Corona rückabge-
wickelt? Undenkbar scheint das, Stand
heute, nicht.

Kinder und Küche


PLATZ DER REPUBLIK


SUSANNE GASCHKE

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