Süddeutsche Zeitung - 06.04.2020

(Nora) #1

I


n dem Örtchen Sorge im Harz steht
das Hotel Sorgenfrei. Im Vorgärt-
chen wird man von Gartenzwergen
angelächelt, vor der Eingangstür
schläft ein Hund, nebenan plät-
schert ein Bach ins Tal. Von außen betrach-
tet käme kein Mensch auf die Idee, dass
auch hier die Geschichte des weltumspan-
nenden Verteilungskampfes um Atem-
schutzmasken spielt.
Es wird in diesem Strang der Geschichte
um verzweifelte Notärzte aus Branden-
burg gehen, um gut gefüllte Lager in Shang-
hai und um einen Holländer, der die Welt
nicht mehr versteht. Es geht aber auch um
mächtige Männer wie Bill Clinton, Warren
Buffett und Jens Spahn, um syrische
Flüchtlinge und um viel Marihuana.
Die Feststellung, dass alles mit allem ir-
gendwie zusammenhängt, war ja selten so
zutreffend wie in dieser Corona-Krise. Es
ist deshalb nicht übertrieben zu sagen,
dass die Geschichte vom Hotel Sorgenfrei
letztlich auch die Frage von Leben und Tod
berührt. Ein großer Schritt über den schla-
fenden Hund hinweg, dann geht es los.
An der Rezeption wartet ein Mann, der
seine grauen Haare zu einem Pferde-
schwanz zusammengebunden hat. Herr
Dorrestijn? „Wer sonst, außer mir ist kei-
ner da“, sagt er. Sein Hotel ist natürlich aus
Infektionsschutzgründen geschlossen.
Hans Dorrestijn, 53, geboren bei Amster-
dam, radelte einst mit dem Fahrrad durch
den Harz. „Platten gehabt, hängen geblie-
ben“, so nahm seine Geschichte ihren Lauf.
Jetzt ist sie an einer Stelle angelangt, die er
als „absoluten Früst“ beschreibt. Bei
alldem, was in Dorrestijns Leben schon
geschah, den holländischen Akzent hat er
sich bewahrt.
Weil das Hotelgewerbe gerade brach-
liegt, hat Hans Dorrestijn jetzt also umge-
sattelt. Er sagt, er könne Masken im gro-
ßen Stil besorgen: 1,4 Millionen einfache
OP-Masken sowie 700000 vom hochwerti-
gen Typ FFP2 – und zwar wöchentlich.
Sein Geschäftspartner in Shanghai habe
bereits 850 000 Stück versandfertig auf La-
ger. Sie müssten nur noch bestellt und an-
gezahlt werden. Aber niemand scheint sich
dafür zu interessieren. Hans Dorrestijn
sagt: „Ich werde seit zwei Wochen überall
abgewimpelt.“ So klingt das, wenn er abge-
wimmelt meint.


Dabei ist der Bedarf zweifellos immens.
Die ganze Welt reißt sich ja gerade um die-
se Masken. Ein Produkt, das auf einmal
wirklich jeder Staat braucht, das dürfte in
der Wirtschaftsgeschichte beispiellos sein.
Und das erklärt auch, weshalb Regierun-
gen und Händler teilweise überfordert wir-
ken und es in dieser globalen Mangelwirt-
schaft mächtig Ärger gibt.
Die Masken stammen größtenteils aus
Fernost, aus China vor allem, und werden
von dort nach Wildwest-Methoden über
den Globus verteilt. Beim Umladen auf
dem Flughafen von Bangkok sind angeb-
lich 200 000 Stück, die für die Berliner Poli-
zei bestimmt waren, in die USA „umgelei-
tet“ worden. Das behauptete jedenfalls
Berlins Innensenator Andreas Geisel am
Freitag, er sprach von einem „Akt moder-
ner Piraterie“. Auch Franzosen und Kanadi-
er werfen den Amerikanern vor, ihnen grö-
ßere Lieferungen weggeschnappt zu ha-
ben. Washington dementiert das alles.
In Israel hat offenbar der Mossad in ei-
ner geheimen Mission zehn Millionen Mas-
ken ins Land geschafft. Brasilien will eine
Regierungsmaschine nach Peking schi-
cken, um auf Nummer sicher zu gehen.
Taiwan verschenkt Masken an Nicaragua,
China an den Hungerstaat Venezuela. Des-
sen Präsident Nicolás Maduro kündigt gön-
nerhaft an, einen Teil davon an den Erz-
feind Kolumbien weiterzuleiten. Belgien
bestellt Masken in Peking und erhält wel-
che aus Kolumbien, sie kamen Medien-
berichten zufolge in Bananenkisten an, ver-
unreinigt mit Tierkot. Ach ja, und irgend-
wo in dieser unübersichtlichen Gemenge-
lage aus Fakten, Anschuldigungen, Gerüch-
ten und Halbwahrheiten sind der Bundes-
wehr womöglich auch noch sechs Millio-
nen Masken auf dem Flughafen von
Nairobi „abhandengekommen“.
Auch in Deutschland wird gerade jede
einzelne Schutzmaske gebraucht. Ärzte,
Krankenpfleger und Rettungssanitäter kla-
gen, dass sie ihre Arbeit einstellen müssen,
wenn nicht bald Nachschub kommt. Uwe
Janssens, der Präsident der Deutschen
Interdisziplinären Vereinigung für Inten-
siv- und Notfallmedizin, sagt, er hätte sich
nie träumen lassen, dass in diesem Land so
wenig Schutzausrüstung vorhanden sei.
Janssens ist auch Chefarzt eines Kranken-
hauses in Eschweiler. „Wenn wir keine Mas-
ken haben, dann können wir einpacken.
Dann brauchen wir auch keine Beatmungs-
geräte mehr“, sagt er.
Also werden nun überall Freiwillige akti-
viert, um Textilmasken zu produzieren. In
einem Frauengefängnis in Niedersachsen
wurde für eine eher unfreiwillige Nähkom-
panie ein kompletter Nähsaal eingerichtet.
Und in Brandenburg verschicken die Be-
hörden Backanleitungen zur Wiederauf-
bereitung von benutzten Masken: „In tro-
ckenem Zustand bei 90 Grad im Heißluft-
ofen nachtrocknen.“
Hans Dorrestijn ging davon aus, dass er
in so einer Notlage von Bestellung über-
häuft wird, bevor er das Wort Maske über-
haupt ausgesprochen hat. Das Gegenteil
ist der Fall. Er hat Großhändler und Kreis-
krankenhäuser angeschrieben, Kassen-
ärztliche Vereinigungen sowie den Ober-
feldapotheker der Bundeswehr. Um die
300 Angebote hat er rausgeschickt seit Mit-
te März. Bestellungen? „Null. Zero. Nada.“
Am 1. April schrieb er in seinem „Früst“
auch eine E-Mail an Gesundheitsminister
Jens Spahn. Sie klingt wie ein Hilferuf und
endet mit der Frage: „Was ist hier LOS???“


Die Antwort aus Berlin fällt deutlich
nüchterner aus: „Die Bundesregierung hat
frühzeitig gemeinsam mit allen Verant-
wortlichen in Bund und Ländern und mit
allen Akteuren des Gesundheitswesens
Maßnahmen ergriffen, um ein hohes
Schutzniveau zu erhalten“, teilt das Minis-
terium auf Anfrage von NDR, WDR und
Süddeutscher Zeitungmit.
Die Masken, die Hans Dorrestijn in
Deutschland verkaufen wollte, so zeigen
es Fotos, stapeln sich Kiste um Kiste in ei-
nem Lager in Shanghai – niedrige Decken,
schummriges Licht. Eingekauft hat die
Masken ein zweiter Niederländer, groß ge-
wachsen und deutlich jünger als sein
Landsmann im Harz. Seinen richtigen Na-
men möge man nicht veröffentlichen, bit-
tet er am Telefon. Also nennt man ihn
Frank. Bis vor Kurzem war er noch Student
in Shanghai. Geld verdient hat er aber
schon da nebenbei. Für Schauturniere
zum Beispiel lotste er abgehalfterte Ex-
Fußballer wie Stefan Effenberg nach Chi-
na. Inzwischen hat Frank seine eigene Lo-
gistikfirma. „Bis vor ein paar Wochen hat-
te ich keine Ahnung von Masken, ich habe
aber viel gelernt“, sagt er.

KN95, FFP2, das ist nun sein Alltag. „Es
sind im Moment viele Cowboys unterwegs,
die das schnelle Geld verdienen wollen.“
Auf die Frage, ob er nicht auch so ein Cow-
boy ist, antwortet er mit einem Lacher. „Es
gibt die Guten und die Bösen.“ Die Bösen
verkaufen Ramsch, eilig zusammengebas-
telte Masken, die man im besten Fall als
Klopapier verwenden kann, aber nicht
zum Schutz vor Viren. „Die Guten lassen
die Masken prüfen, schicken sie ins Labor.
So machen wir das.“
KN95 steht auf Maskenpackungen in
Franks Lager in Shanghai, das ist der chine-

sische Code für FFP2, dazu ein rotes Logo,
drei Buchstaben: BYD. Eigentlich ist das
ein Batteriehersteller aus Südchina, an
dem selbst Investorenlegende Warren
Buffett Anteile hält. Seit Anfang Februar
jedoch mischt BYD auch im Masken-
geschäft mit. Als das Coronavirus aus-
brach und in chinesischen Werken aus
Fabrikleitern über Nacht Krisenmanager
wurden, stellten sich alle dieselbe Frage:
Wo bekomme ich für jeden meiner Arbei-
ter am Band eine neue Atemschutzmaske
pro Tag her? Bei BYD überlegten sie nicht
lange und kauften Maschinen, seitdem fer-
tigen sie selbst. Heute ist der Konzern der
weltgrößte Mundschutzproduzent. Und
die Kunden stehen Schlange.
Einer der ersten Kunden war Frank, der
Niederländer aus Shanghai, er ging in Vor-
leistung und kaufte 850 000 Masken,dazu
kommen die Kosten für Transport und La-
ger. Deshalb verlangt er Vorkasse. Aber die
Bundesrepublik Deutschland pflegt nun
einmal auf Rechnung zu bezahlen. Da trifft
also deutsche Beschaffungsbürokratie auf
eine internationale Notlage.
Jetzt hat Frank offenbar einen Käufer
gefunden, und zwar zu Hause in Holland,
nicht in Deutschland. In ein paar Tagen sol-
len seine 850 000 Masken verladen und
nach Holland ausgeflogen werden. Hans
Dorrestijn müsse sich aber keine Sorgen
machen, falls er doch noch einen Abneh-
mer findet in Deutschland, „bald habe ich
wieder neue Masken“, verspricht Frank.
Am Preis könne es nicht liegen, dass er
bislang keine Käufer in Deutschland fand,
sagt Hans Dorrestijn. Er bietet seine
FFP2-Exemplare für 1,55 Euro das Stück
an. Klar, im vergangenen Jahr haben sie im
Großhandel noch 45 Cent gekostet, aber
das war vor Corona. Inzwischen sind die
Preise aber wegen der weltweiten Nachfra-
ge explodiert. In der Klinik von Chefarzt
Uwe Janssens in Nordrhein-Westfalen hät-
ten sie in ihrer Not auch sieben Euro pro
Stück bezahlt – die Lieferung ist dann aber
gar nicht angekommen, weil sie auf dem
Weg nach Eschweiler offenbar beschlag-

nahmt wurde. „Es geht zu wie im Tatort“,
sagt Janssens.
Die Einkaufsabteilung seiner Klinik hat
eine Liste mit mehr als 140 verschiedenen
Zwischenhändlern angelegt, die in den ver-
gangenen Wochen alle Masken angeboten
haben. Es melden sich Autohändler von
der Schwäbischen Alb, Zahnbürsten-Im-
porteure aus Hessen, Firmen aus der Mode-
branche und der Druckindustrie. Sie alle
behaupten, Zugriff auf größere Mengen
von Atemschutzmasken zu haben. In Chi-
na sind jetzt Tausende Firmen ins Ge-
schäft eingestiegen, so wie BYD, nur dass
die meisten niemand kennt und es sich aus
der Ferne kaum beurteilen lässt, wer ein
Schwindler ist und wer gute Ware liefert.
Schwindler, Cowboys, Hans Dorrestijn
nennt sie „Schlaufuchse“. Er selbst sei da-
gegen ein vertrauenswürdiger Geschäfts-
mann mit einem seriösen Angebot. Um et-
waige Zweifel auszuräumen, verschwindet
er kurz in seinem Büro und kehrt mit ei-
nem gerahmten Bild in die Hotelbar zu-
rück. Auf diesem knapp 20 Jahre alten
Foto hat Dorrestijn noch schwarzes Haar.
Staatsmännisch schüttelt er die Hand des
ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton.
Mit eingerahmt ist auch ein Empfehlungs-
schreiben: „Dear Hans: Many thanks for all
your assistance.“
Und jetzt schaut Dorrestijn hinter die-
sem Bild hervor, mit einem Gesicht, das
nur eines sagt: Kann man den Masken ei-
nes Mannes misstrauen, der von Clinton
geduzt wird?
In Berlin haben sie entschieden, lieber
auf Kontakte zu setzen, die man zwar nicht
unbedingt duzt, aber seit Jahren kennt. „Ar-
beitsbesprechung der Bundeskanzlerin
mit den Ministern BMF, BMI, AA, BMG,
BMVg, ChefBK (‚Corona-Kabinett‘) am 30.
März 2020“ steht über dem Beschluss.
„BASF, Fiege, Lufthansa, Otto und VW“ sol-
len Deutschland dabei helfen, so viele Mas-
ken wie möglich in China einzukaufen. Im
Unterschied zur deutschen Beschaffungs-
bürokratie sind Volkswagen und BASF in
China bestens verdrahtet, VW stellte vor

der Krise mehr als vier Millionen Autos in
der Volksrepublik her. Und BASF baut in
Südchina für zehn Milliarden Dollar gera-
de ein Werk, fast so groß wie der Stamm-
sitz in Ludwigshafen. Masken brauchen
beide. Die einen in ihren Chemiewerken,
die anderen in ihren Lackierereien.

Jörg Wuttke ist Deutschlands Masken-
mann in China, er hat nur kurz Zeit. In der
Mittagspause kommt er ins Four Seasons
im Pekinger Diplomatenviertel gehetzt.
Am Eingang des Hotels wird jetzt die Tem-
peratur gemessen. Namen, Handynum-
mer, Uhrzeit und Zimmernummer muss
man in eine Tabelle eintragen. Trotzdem:
Im Four Seasons in Peking ist gerade deut-
lich mehr los als im Hotel Sorgenfrei im
Harz. Das Personal trägt Mundschutz,
Wuttke auch. Blauer Zellstoff, so wie Ärzte
während einer Operation, um nicht verse-
hentlich in eine frische Wunde zu niesen.
Eigentlich ist Wuttke Präsident der Eu-
ropäischen Handelskammer in China und
Chefrepräsentant der BASF in Peking. Mit
Kürzeln wie KN95 und FFP2 beschäftigt er
sich erst seit ein paar Tagen. Eine Truppe
von fünf, sechs Leuten macht kaum noch
etwas anderes als Masken zu kaufen, die
Qualität zu überprüfen. Wuttkes Leute
eilen von Lagerhaus zu Lagerhaus, rupfen
Masken auseinander, machen Schnell-
tests, um die Beschaffenheit der einzelnen
Zellstoffbahnen zu analysieren. Ist es bes-
seres Krepppapier, oder schützt es Ärzte
und Krankenpfleger vor dem Virus? „Allei-
ne in der vergangenen Woche sind die Prei-
se um 30 Prozent gestiegen“, sagt Wuttke.
Die Chinesen produzieren jetzt, was sie
können, aber die Nachfrage wächst viel
schneller als das Angebot. Deutschland hät-
te gerne 500 Millionen Masken, und zwar
sofort. Die gesamte chinesische Produkti-

on mehrer Wochen. In den USA will die Re-
gierung gar 3,5 Milliarden Masken – völlig
unmöglich, das im Moment zu stemmen.
Als erstes reagiert haben die Russen. Der
Kreml koordinierte bereits Flugtransporte
aus China, als in Ischgl noch Party war.
Inzwischen ist es nicht mehr so leicht,
Masken aus China zu exportieren. Weil in
Europa Fälschungen gelandet sind, haben
die chinesischen Behörden verschärfte
Kontrollen angeordnet. Selbst wenn Mas-
ken von den Prüfern der deutschen Konzer-
ne für gut befunden worden sind, dürfen
sie ohne Lizenz nicht ausgeflogen werden.
Und: Wer fliegt noch? In den vergangenen
Tagen die Lufthansa mit ihrer Frachtspar-
te Cargo. Jedes Mal muss die Botschaft in
Peking um eine Sonderlandeerlaubnis bit-
ten. Den regulären Flugverkehr zwischen
Europa und China gibt es ja nicht mehr. Die
Crews müssen sich nach der Landung
einem Corona-Test unterziehen.
Auch das Beladen ist nicht so einfach. Ei-
ne Million Masken wiegen gerade einmal
fünf Tonnen, nehmen aber sehr viel Platz
ein. Oft werden die Kisten im Passagier-
Bereich verteilt und deutlich schwerere
Fracht im Gepäckraum zugeladen, damit
die Statik des Flugzeuges erhalten bleibt.
Hans Dorrestijn ist ein Mann, der Dra-
men aller Art magnetisch anzuziehen
scheint. Er hütete die Yacht „eines sehr
reichen Russen“ auf Ibiza, bis der Russe
pleite ging. Nach einem Rallye-Unfall in
Marokko kroch er auf wundersame Weise
unverletzt aus einem zerfetzten Auto. Als
Chef eines Limousinen-Services in Amster-
dam lernte er Bill Clinton kennen. Schließ-
lich hatte er einen Platten im Harz, kaufte
dort ein ehemaliges FDGB-Ferienheim
und baute es zum Hotel Sorgenfrei um. Er
sagt: „Das war hier Zonenrandgebiet. All
die Linientreuen, die nicht umgesiedelt
wurden, sind jetzt meine Nachbarn.“ Im
Hotel hängt noch ein altes Bild von Erich
Honecker, Dorrestijn hat auf dem Bilder-
rahmen einen Schlumpf aus einem Über-
raschungs-Ei platziert. Damit jeder sieht,
dass er es ironisch meint.

Dorrestijn und seine Nachbarn, das ist
ein eigenes Kapitel. „Die hassen mich hier
wie die Pest“, sagt er. Vergangenes Jahr auf
dem Dorffest sei mal wieder einer hand-
greiflich geworden. Der wusste aber nicht,
dass er, der Hansi aus Holland, mal Thai-
Boxer war. Bums, lag der Kerl im Staub.
Nicht etwa, weil er die DDR ironisiert,
wird Hans Dorrestijn in Sorge angefeindet.
Sondern, weil er seine Projekte, wenn er an
sie glaubt, sehr ernsthaft durchboxt. Seine
Masken will er so lange anbieten, bis sie
ihm einer abkauft. „Es geht doch hier um
Menschenleben.“ Und da fängt er plötzlich
an zu weinen. Mit feuchten Augen erzählt
er auch von der anderen Geschichte, die er
gegen alle Widerstände durchzog. Auch da-
mals habe er doch nur helfen wollen. Im
Herbst 2015 war das, als er rund 200 ge-
flüchtete Syrer in seinem Hotel aufnahm.
Hier im Dorf, wo viele mit der AfD sympa-
thisieren, haben sie ihm das nie verziehen.
Es ging auch nicht lange gut, weil schon
nach wenigen Wochen das LKA anrückte
und das Hotel samt den Syrern räumte. Die
Ermittler hatten eine Indoor-Plantage mit
500 Cannabis-Stecklingen entdeckt. Dor-
restijn wurde später vor Gericht freigespro-
chen, die Zucht sei ohne sein Wissen von ei-
nem Mitarbeiter betrieben worden. „Aber
es bleibt immer so ein Gerücht hängen“,
sagt er: „Ah, die Holländer und ihr Gras.“
Wenn man seinen Namen googelt, stößt
man schnell auf entsprechende Zeitungs-
berichte. Auch das könnte natürlich ein
Grund sein, weshalb Jens Spahn bei ihm
noch keine Masken geordert hat.
Nun scheint aber etwas Bewegung in die
Sache zu kommen. Das Maskendepot von
Dorrestijns Geschäftspartner in Shanghai
wurde immerhin schon von einem deut-
schen Prüfer begutachtet. Das macht dem
Hotelbesitzer im Harz wieder Hoffnung.
Und auch an einer anderen Stelle könn-
te sich die Lieferkette bald schließen, von
Shanghai über das Hotel Sorgenfrei zu
Lars Hochfeld in Potsdam. Hochfeld, voll-
bärtig, Mitte Vierzig, „maximal frustriert“,
würde bei Dorrestijn gerne 10 000 Masken
ordern. Er arbeitet als Notarzt auf Honorar-
basis für Rettungsstellen in Brandenburg
und Sachsen-Anhalt. Wobei sein Bericht
aus der letzten Nachtschicht weniger nach
Arbeit als nach Überlebenskampf klingt.
Wenn sie Notfälle versorgen, seien er und
seine Kollegen praktisch schutzlos dem Vi-
rus ausgesetzt. Masken, Kittel, Desinfekti-
onsmittel? „Wir haben nichts mehr“, sagt
Lars Hochfeld. Er erzählt von Kranken-
häusern, in denen sie inzwischen Taschen-
kontrollen durchführen, weil das sterile
Hand-Gel samt Spendern aus den Klos ge-
klaut wird. Man könne von Glück sagen,
dass derzeit nur Corona herumkreuche.
„Wenn wir mit unseren aktuellen Hygiene-
standards Ebola hier hätten, wäre Deutsch-
land entvölkert.“
Dorrestijn hat Hochfeld über einen Be-
kannten kennengelernt. 1,55 Euro für eine
zertifizierte Maske bezeichnet der Notarzt
als „super Preis“. Um bei Dorrestijn auf
Rechnung einkaufen zu können, das hat er
von den Behörden gelernt, muss er aber ei-
ne Firma gründen. Also gründet er jetzt ei-
ne Firma. Mit den Masken will er dann sei-
ne Kollegen im Landkreis ausstatten. Des-
infektionsmittel hat er auch schon bestellt.
Desinfektionsmittel? „Hansi hat vorge-
sorgt“, sagt Dorrestijn lächelnd. Er geht in
die Hotelküche, in der bis vor Kurzem noch
Stramme Maxe gebraten wurden. Da schüt-
tet er nun aus Kanistern Ethanol, Wasser-
stoffperoxid und Glycerin zusammen. Ein
Rezept der WHO. Kann im Prinzip jeder
selbst machen, sagt Hans Dorrestijn. Aller-
dings seien die Zutaten kaum noch zu ei-
nem guten Preis zu kriegen. Außer natür-
lich im Hotel Sorgenfrei.

Es melden sich Autohändler,
Zahnbürsten-Importeure, jeder
hat jetzt Masken im Angebot

Herr Wuttke arbeitet eigentlich
für BASF in China, aber jetzt ist er
Deutschlands Maskenmann

Er hat 2015 syrische Flüchtlinge
untergebracht, damit hat er
sich hier keine Freunde gemacht

Gerüchte gibt es mehr als genug.


Offenbar sind ganze


Ladungen „abhandengekommen“


Wildester Westen


Materialwert: lächerlich. Produktion: anspruchslos.


Wie sich die ganze Welt gerade um Schutzmasken streitet.


Und was das mit Hans Dorrestijn in dem Örtchen Sorge


und einer Lagerhalle in Shanghai zu tun hat


von christoph giesen, boris herrmann und camilla kohrs


DEFGH Nr. 81, Montag, 6. April 2020 (^) DIE SEITE DREI 3
ILLUSTRATION: STEFAN DIMITROV

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